In der letzten Woche kündigte Konzernchef Heinrich Hiesinger die Ausgliederung des Stahlbereichs von ThyssenKrupp und dessen Fusion mit Tata Steel an. Nun übernehmen die IG Metall und ihre Betriebsräte die Aufgabe, die damit einhergehenden Angriffe gegen die Belegschaft durchzusetzen.
Der ThyssenKrupp-Aufsichtsrat setzte zu diesem Zweck am letzten Samstag eine Arbeitsgruppe ein, die von ThyssenKrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard sowie dem stellvertretenden Aufsichtsratschef und IG Metall-Sekretär Markus Grolms geleitet wird. Auch alle Betriebsratsvorsitzenden der acht Stahlstandorte in Deutschland sowie des Standorts im belgischen Antwerpen gehören zur Arbeitsgruppe.
Für den Konzern wird wahrscheinlich auch der Personalvorstand von ThyssenKrupp-Stahl, Thomas Schlenz, vertreten sein. Er war früher lange Zeit Betriebsratsvorsitzender des Gesamtkonzerns. Der Arbeitsgruppenleiter Burkhard war von Ende 2007 bis September 2012 Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen und stieg 2013 zum Arbeitsdirektor der ThyssenKrupp AG auf. Die Arbeitsgruppe, die die Bedingungen für die Zustimmung der Gewerkschaft und Betriebsräte zur Fusion aushandelt, besteht also zum größten Teil aus derzeitigen und ehemaligen IGM-Funktionären.
Die Konzernspitzen von ThyssenKrupp und Tata hatten die Fusion ihrer Stahlbereiche fast zwei Jahre lang ausgehandelt. Nun haben die beiden Konzerne ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet, in dem sie ihre Absicht erklären, bis Anfang 2018 die Fusion in allen Einzelheiten vertraglich zu regeln. Die neue Firma, ThyssenKrupp Tata Steel, soll ihren Sitz in den Niederlanden haben und mit 15 Milliarden Euro Umsatz und 48.000 Beschäftigten hinter Arcelor Mittal die Nummer zwei in Europa werden.
Schon jetzt gehen die beiden Konzerne von Einsparungen von jährlich 400 bis 600 Millionen Euro aus. Dazu beitragen soll der Abbau von insgesamt 4000 Arbeitsplätzen, jeweils 2000 bei beiden Konzernen und je zur Hälfte in der Produktion und der Verwaltung.
Die Arbeiter wissen genau, dass dies nur der Anfang ist. Spätestens 2020, so haben ThyssenKrupp und Tata vereinbart, sollen alle Konzernteile erneut überprüft und weitere Einsparpotenziale – einschließlich Werksschließungen – geplant werden.
Erst am Freitag hatte die IG Metall mehrere Tausend Stahlarbeiter aufgerufen, in Bochum gegen den Zusammenschluss zu demonstrieren. Das Bochumer Werk von ThyssenKrupp gilt neben dem Grobblechwerk im Duisburger Süden als eines der ersten, das durch die geplante Fusion geschlossen werden könnte.
Die IG Metall und ihre Betriebsräte hatten bis zuletzt die Stahlarbeiter mit der Lüge abgespeist, der Vorstand gebe ihnen keine genauen Informationen. „Ich fühle mich beschissen, betrogen, aber trotzdem kämpferisch“, tönte Stahlbetriebsratschef Günter Back am Freitag auf der Kundgebung. Das ist in mehrfacher Hinsicht gelogen. Back und seine IGM-Entourage im Betriebsrat sind alles andere als „kämpferisch“. Vielmehr sahen und sehen sie es als ihre Aufgabe an, jede Opposition im Betrieb zu unterdrücken. Kämpferisch sind sie nur gegen diejenigen, die sich den Interessen des Konzerns und damit ihren Interessen widersetzen.
Und dass Back und die IG Metall „betrogen“ worden seien, glaubt nun wirklich niemand. Nicht nur, dass der ehemalige IGM-Bezirksleiter Burkhard Personalvorstand ist, auch IGM-Sekretär Grolms und der Konzernbetriebsratsvorsitzende Wilhelm Segerath sitzen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Dr. Ulrich Lehner im Präsidium und in allen wichtigen Ausschüssen des ThyssenKrupp-Aufsichtsrats, so im Personalausschuss und im Strategie-, Finanz- und Investitionsausschuss. IG Metall und Betriebsräte waren und sind in alle wichtigen Entscheidungen des Konzerns einbezogen.
Ihre bislang hochgehaltene Ablehnung der Fusion mit Tata Steel sollte die Arbeiter beruhigen, während sie versuchten, hinter dem Rücken der Beschäftigten einen Deal auszuhandeln, der ihre Pfründe sichert.
So läuft die Gewerkschaft vor allem gegen die Vereinbarung der beiden Stahlkonzerne Sturm, den Sitz der neuen, fusionierten Gesellschaft in den Niederlanden anzusiedeln. In einem Artikel zur Fusion lautet die erste Frage der IG Metall: „Was wird aus der Montanmitbestimmung, wenn demnächst die wichtigsten Entscheidungen in Amsterdam fallen, am Sitz der neuen Firma Thyssen-Krupp Tata Steel?“
Die Mitbestimmung hat in der Vergangenheit keinen einzigen Arbeitsplatz gesichert, dafür aber einträgliche Posten für die Gewerkschaftsfunktionäre und die Betriebsratsmitglieder geschaffen. Jeder Betriebsratsvorsitzende in der Montanmitbestimmung träumt davon, auf Vorschlag seiner Gewerkschaft zum Arbeitsdirektor ernannt zu werden und im Monat ein Gehalt überwiesen zu bekommen, für das Arbeiter viele Jahre lang arbeiten müssen.
Spitzenverdiener wie Burkhard bringen es auf 375.000 Euro – im Monat! Das Jahresgehalt des ehemaligen Gewerkschaftsfunktionärs beläuft sich inklusive Boni und Pensionsrücklagen auf 4,5 Millionen Euro.
Als der Konzernvorstand die Fusion am Mittwoch ankündigte, boten die führenden Metallgewerkschafter sofort ihre Unterstützung an. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der ThyssenKrupp-Stahlsparte, der ehemalige IGM-Vorsitzende Detlef Wetzel, sagte der Süddeutschen Zeitung, die IG Metall habe die Hoffnung, dass ThyssenKrupp der Firmenkultur treu bleibe. Bislang seien alle Beschlüsse im Aufsichtsrat einstimmig beschlossen worden.
Mit anderen Worten, bislang haben sich die Aufsichtsratsvertreter von Gewerkschaft und Betriebsrat noch nie gegen die zahlreichen Sparprogramme gestellt. Sie hoffen, dass sie auch diesmal einige wertlose Zusagen erhalten, um dieser Tradition treu bleiben zu können.
Welcher Art die Zusagen sein sollen, machten auf der Kundgebung am Freitag nochmals alle Redner deutlich. „Wir wollen Garantien für alle Beschäftigten und Standorte“, forderte Wetzel, bereitete aber die versammelten Arbeiter schon auf Einschnitte vor. Schon jetzt sei klar, dass es bei den insgesamt bis zu 4000 Jobs, die gestrichen werden sollen, nicht bleiben werde. „2020 – da soll es richtig losgehen.“
DGB-Chef Reiner Hoffman forderte ebenfalls den Erhalt der deutschen Standorte und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen.
Nach der Aufsichtsratssitzung begrüßten die IG Metall-Vertreter dann am Samstag auf einmal die „Transparenz“. Der nordrhein-westfälische IG Metallchef Knut Giesler meinte, es sei gut, dass die Informationen endlich auf den Tisch kämen. „Jetzt werden wir prüfen, bewerten und dann entscheiden. Die Bewertung erfolgt anhand unserer Kriterien: Standort- und Beschäftigungssicherung, zukunftsfähiges Konzept für den Stahl und Sicherung der Mitbestimmung auf allen Ebenen.“
In einem Flugblatt, das am Freitag auf der Kundgebung der ThyssenKrupp-Stahlarbeiter verteilt wurde, erklärte die Sozialistische Gleichheitspartei: „‚Garantien für die Beschäftigten‘, ‚keine betriebsbedingten Kündigungen‘ oder ‚Standortgarantie‘ sind die üblichen Floskeln, mit denen die IG Metall den Abbau von Arbeitsplätzen und die schließliche Stilllegung von Werken begleitet.“
Am Ende, d.h. Anfang 2018, werden die Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte der Fusion zustimmen. Der notwendige Arbeitsplatzabbau wird ohne „betriebsbedingte Kündigungen“ durchgesetzt, was die Gewerkschafter dann als Erfolg verkaufen, in Wirklichkeit aber die Schließung von Werken näher bringt. Mögliche „Standortgarantien“ werden daher nicht das Papier wert sein, auf dem sie stehen.
Angesichts der Erfahrungen der Arbeiter mit den Gewerkschaften und Betriebsräten in den letzten 25 Jahren ist die Bezeichnung ihrer Aufsichtsratsmitglieder als Arbeitnehmervertreter absurd. Das sind sie schon lange nicht mehr. Sie haben sich voll und ganz in Werkzeuge der Konzerne und Kapitalinteressen verwandelt. Es gibt keine Lohnsenkung, keine Entlassung und keine Werkschließung, die nicht ihre Unterschrift trägt. Für die Unterdrückung jeder Opposition in den Betrieben werden sie mit Freistellung, Spitzengehältern, Aufsichtsratssitzen und anderen lukrativen Posten im Rahmen der „Mitbestimmung“ fürstlich belohnt.