3,2 Millionen Menschen in Deutschland müssen aufgrund des ausgedehnten Niedriglohnbereichs in mehreren Jobs arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen. Im Lauf von zehn Jahren ist die Zahl der Mehrfachbeschäftigten um etwa eine Million angewachsen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor.
2,7 Millionen Beschäftigte üben neben einem sozialversicherungspflichtigen zusätzlich einen geringfügigen Job aus, 310.000 sogar zwei oder mehr geringfügige Jobs. 260.000 arbeiten ausschließlich in mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Bei etwa jedem achten geringfügig Beschäftigten wird zudem noch der sehr niedrige Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde unterschritten.
Die Gesamtzahl der geringfügig Beschäftigten steigt seit Jahren kontinuierlich an und umfasst derzeit etwa 7,5 Millionen Menschen. Sie ist vor allem als Folge der Politik der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder stark angestiegen. Die 2005 verabschiedeten Hartz-Gesetze schufen die legale Grundlage für zahlreiche neue Formen der Ausbeutung wie Ein-Euro-Jobs, Minijobs, usw.
Minijobber auf 450 Euro-Basis zahlen – außer einem minimalen Betrag in die Rentenversicherung – keine Sozialabgaben, und selbst von den Beiträgen zur Rentenversicherung können sie sich befreien lassen, was viele tun. Das senkt nicht nur die Kosten für den Arbeitgeber, sondern garantiert auch ein Alter in Armut.
Die Zahlen über den Niedriglohnbereich werfen ein Schlaglicht auf das sogenannte Jobwunder in Deutschland. Die Regierung hebt immer wieder hervor, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den vergangenen Jahren von 27 auf 32 Millionen gestiegen sei, was allerdings nichts über die Höhe des Verdiensts aussagt.
Insgesamt sind nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes sogar 44,5 Millionen Menschen erwerbstätig. Unter den 12,5 Millionen, die nicht sozialversicherungspflichtig sind, befinden sich Millionen, die sich als Selbständige oder mittels Gelegenheitsjobs mit minimalen Einkommen durchschlagen müssen.
Trotz der hohen Beschäftigungszahl waren im Monat September 2,5 Millionen Menschen arbeitslos; das entspricht einer Quote von 5,5 Prozent. Hinzu kamen 3.406.000 Unterbeschäftigte, die sich in Beschäftigungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsagentur befinden oder von kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit betroffen sind.
Ein Artikel auf Spiegel Online entzauberte Ende August das Märchen vom „deutschen Jobwunder“. Seit 2010 ist zwar die Zahl der Erwerbstätigen deutlich gestiegen, längerfristig betrachtet sieht das Ergebnis aber völlig anders aus.
Die Arbeitsstunden sind auf dem Niveau von 1991, dem Jahr der deutschen Vereinigung, die Vollzeitstellen deutlich darunter, schreibt Spiegel Online. „Nur die Teilzeitarbeit hat extrem zugelegt, und mit ihr die marginale Beschäftigung.“ Diese Betrachtung belege die These, „wonach Unternehmen mithilfe der Gesetze neoliberaler Politiker die Arbeit lediglich umverteilt haben – zum Nachteil vieler Menschen, die von ihrem Job nicht leben und erst recht nicht fürs Alter vorsorgen können.“
Insbesondere in Ostdeutschland brach der Arbeitsmarkt in den 1990er Jahren zusammen. Als Folge der Abwicklung der DDR-Industrie sank dort die Zahl der Erwerbstätigen von 1989 bis 1994 um 3,5 Millionen, das ist mehr als ein Drittel. In der Industrie gingen 2,2 von 4,4 Millionen Arbeitsplätzen verloren, in der Landwirtschaft 750.000 von 975.000. Neue, zumeist schlecht bezahlte Jobs gab es nur im Dienstleistungsbereich.
Das Anwachsen des Niedriglohnbereichs ist mit einer entsprechenden Zunahme der Armut verbunden. In Ostdeutschland liegt die Quote der Armutsgefährdeten bei 18,4 Prozent, etwas niedriger als vor zehn Jahren (19,2 Prozent). In Westdeutschland stieg sie dagegen im selben Zeitraum von 12,7 auf 15 Prozent.
Als arm gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen muss. Im Jahr 2016 waren dies 969 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und 2035 Euro für eine Familie mit zwei Kindern. Millionen Menschen müssen von sehr viel weniger Geld leben.
Armutsspitzenreiter unter den Ländern ist Bremen mit 22,6 Prozent, gefolgt von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin (19,4 Prozent). Bei den größeren Städten liegt Dortmund (24,2 Prozent) vor Nürnberg, Duisburg und Leipzig (22,4 Prozent) an der Spitze.
Besonders stark betroffen sind Alleinerziehende (42,4 Prozent im Westen; 46,9 Prozent im Osten), Menschen mit niedriger Qualifikation (38,9 und 49,1 Prozent) sowie Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren (23,8 und 35,9 Prozent).
Mit der Armut am unteren Ende der Gesellschaft steigt der Reichtum an der Spitze. Ende August zählte Deutschland nach Angabe des Wirtschaftsmagazins Bilanz so viele Milliardäre wie nie zuvor, insgesamt 195 und damit 25 mehr als im Vorjahr. Laut den Berechnungen des Magazins verfügt der deutsche Geldadel über ein Gesamtvermögen von knapp 1,1 Billionen Euro. Das entspricht rund einem Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Seit der Verabschiedung der Hartz-Gesetze durch die rot-grüne Regierung Schröder-Fischer haben alle Bundesregierungen zur Vertiefung der sozialen Kluft beigetragen. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) erhöhte in der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre. In der zweiten Großen Koalition verschärfte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) unter anderem die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger. Auf Länder- und kommunaler Ebene organisieren die SPD und die Linkspartei ebenso wie CDU, CSU und FDP den Sozialabbau und sozialen Niedergang.