Am 23. Februar trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) in Brüssel offiziell zu Gesprächen über Finanz- und Wahlmodus-Fragen. Aus dem Bericht des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk wurde jedoch deutlich, dass im Zentrum des Treffens ganz andere Fragen standen. Die EU bereitet sich auf größere Kriege vor.
„Wir stimmten überein, dass wir mehr zur Abwehr illegaler Zuwanderung und für die Verteidigung und Sicherheit, wie auch für das Erasmus-Programm unternehmen müssen“, erklärte Tusk. Dabei sollte seine Erwähnung des internationalen EU-Bildungsprogramms die Gipfelresultate etwas aufhübschen, da ihr offener Militarismus und die flüchtlingsfeindliche Agenda in der Öffentlichkeit auf große Ablehnung stoßen.
Diskutiert wurden militärische Interventionen im Nahen Osten und in Afrika, sowie verschärfte Maßnahmen zur Abwehr von Bürgerkriegsflüchtlingen, die die EU von Europa fernhalten will. Die Münchener Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende hatte klargemacht, dass die EU dabei ist, unabhängig von den USA eine eigene militärische Macht aufzurüsten, die unter Führung der Achse Deutschland–Frankreich stehen soll. Dieses Projekt dominiert zurzeit die gesamte EU-Agenda.
Im Nahen Osten haben amerikanische und israelische Bombenangriffe russische und syrische Soldaten getötet und die ganze Region an den Abgrund eines offenen Krieges gebracht. Nun griff Tusk die russische Regierung, den Iran und den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad an. Er sagte: „Das Assad-Regime greift brutal unschuldige Männer, Frauen und Kinder an. Seine Verbündeten, Russland und der Iran, lassen das zu. Wir fordern sie auf, diese Gewalt zu beenden.“
Nur zwei Wochen zuvor hatte der französische Präsident Emmanuel Macron die Wiedereinführung der Wehrpflicht vorgeschlagen und Syrien, das angeblich Chemiewaffen eingesetzt haben soll, mit Bombenangriffen gedroht.
Am 22. Februar solidarisierte sich Kanzlerin Merkel im Bundestag mit Macrons Drohungen: „Was wir im Augenblick sehen, die schrecklichen Ereignisse in Syrien, der Kampf eines Regimes nicht gegen Terroristen, sondern gegen seine eigene Bevölkerung, die Tötung von Kindern, das Zerstören von Krankenhäusern, all das ist ein Massaker, das es zu verurteilen gilt“, sagte Merkel. Trotz der zunehmenden Kriegsgefahr zwischen Großmächten in der Region fügte Merkel hinzu, dass die EU den Druck auf Assads Verbündete Russland und Iran erhöhen müsse.
Der Gipfel vom Freitag wurde mit einer Schweigeminute für die beiden französischen Offiziere eröffnet, die am 21. Februar in Mali getötet worden waren. Emilien Mougin und Timothé Dernoncourt waren gestorben und Colonel François-Xavier Héon verwundet worden, als ihr gepanzertes Fahrzeug in der Nähe von Gao an der Grenze zu Niger auf eine Bombe aufgefahren war. Daraufhin gab die französische Verteidigungsministerin Florence Parly bekannt, dass Frankreich seit Beginn des Kriegs im Jahr 2014 schon 450 Menschen getötet habe.
Auf die Schweigeminute folgte eine Diskussion darüber, wie der neokoloniale Krieg in Mali unterstützt werden könne. Frankreich führt in diesem Krieg die G5-Sahel-Truppe an, die sich aus Soldaten der ehemaligen französischen Kolonien Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger zusammensetzt. Die EU und andere Geberländer, hauptsächlich Ölscheichtümer am Persischen Golf, unterstützen die Truppe bereits mit 414 Millionen Euro. Paris benutzt diese Soldaten als Kanonenfutter in einem Krieg um die Kontrolle der Sahel-Zone, der im Nebeneffekt dazu dienen soll, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten.
Um Geflüchteten das Recht auf Asyl zu verweigern, unterstützt die EU finanziell auch die Zusammenarbeit Italiens mit der libyschen Küstenwache. Sie unterhält übelste Gefängnislager in Libyen, in denen Flüchtlinge gefoltert, sexuell missbraucht und sogar in die Sklaverei verkauft werden, wie Dokumente von Amnesty International und anderen Quellen ans Licht brachten.
Der nigerianische Präsident Mahamadou Issoufou, der an dem EU-Gipfel teilnahm, lobte die Finanzhilfe. Er versprach, seine Regierung und andere Staaten im Sahel-Gebiet würden versuchen, die Fluchtbewegungen zu verhindern. „Die Sahelzone ist eine europäische Grenze. Der Sahel ist ein Schild, ein Damm, der niemals brechen darf“, sagte Issoufou.
Ein weiteres Thema auf dem EU-Gipfel war die Verschärfung der Grenzstreitigkeiten mit der Türkei. Außerdem wurde mit Zypern die Frage der Schürfrechte für Gasvorkommen vor seinen Küsten diskutiert. Auch die Spannungen mit Griechenland waren ein Thema, nachdem am 12. Februar vor der Insel Imia bzw. Kardak in der Ägäis griechische und türkische Schiffe kollidiert waren.
Der Streit über diese Insel hatte die beiden Länder schon 1996 an den Rand eines Kriegs getrieben. Der Brüsseler Gipfel hörte Stellungnahmen des zypriotischen Präsidenten Nikos Anastasiades und des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras an und stellte sich in dem Streit klar auf die Seite von Zypern und Griechenland gegen die Türkei.
Tusk erklärte: „Im Namen aller EU-Führer möchte ich meine Solidarität mit Zypern und Griechenland erklären und die Türkei dringend auffordern, ihr Störfeuer zu beenden.“ Er drohte auch, das geplante Gipfeltreffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im nächsten Monat in Bulgarien abzusagen, wenn die Türkei diese Aktivitäten nicht einstellt. „Wir sind bereit, mit der Türkei zusammenzuarbeiten, und werden auf dem Treffen des europäischen Rats prüfen, ob die Bedingungen gegeben sind, das Treffen der führenden europäischen Politiker mit der Türkei am 26. März in Varna durchzuführen.
Auf dem Gipfel wurde auch über den Brexit diskutiert. Tusk warnte unverhüllt, dass die EU nicht davor zurückschrecken werde, Großbritannien in der Frage der europäisch-britischen Beziehungen nach dem Brexit ein Ultimatum zu stellen. Er erklärte: „Ich werde auf dem Gipfel im März den Entwurf für die Richtlinien über die künftigen europäisch-britischen Beziehungen vorlegen. Unsere Absicht ist, diese Richtlinien anzunehmen, ob das Vereinigte Königreich mit seiner Vision unserer künftigen Beziehungen im Reinen ist oder nicht.“
Innerhalb der EU nehmen die Konflikte über den Haushalt und über das Defizit zu. Es wird dadurch entstehen, dass Großbritannien nicht mehr in den Haushalt einzahlt. Mehrere kleinere EU-Staaten wie die Niederlande und Österreich bestanden darauf, dass das fehlende Geld nicht ausgeglichen werde. Stattdessen solle die EU die Subventionen für die Landwirtschaft und für die ärmeren EU-Regionen kürzen.
Der informelle EU-Gipfel vom Freitag hat erneut den Bankrott der EU enthüllt. Sie ist schon längst sehr unpopulär, weil sie seit Jahren, besonders seit dem Börsenkrach von 2008, brutale Kürzungen durchsetzt. Nach einem Vierteljahrhundert imperialistischer Kriege auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Afrika sind Dutzende Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden. Die EU wird zu einer militaristischen Festung Europa, die auf wachsende Konflikte an ihrer Peripherie reagiert und größere Kriege gegen Syrien, den Iran und selbst die Atommacht Russland vorbereitet.
Die Hoffnung, dass die EU ein kapitalistisches Europa einen könne, hat sich seit dem Brexit in Luft aufgelöst. Internationale Konflikte zerreißen Europa. Führende EU-Vertreter geben sich nicht einmal mehr die Mühe, so zu tun, als strebten sie weiterhin eine europäische Einheit an. Bezeichnenderweise berief der belgische Ministerpräsident Charles Michel am Vorabend des EU-Gipfels einen eigenen Gipfel ein, zu dem er nur eine Auswahl von Regierungschefs einlud. Das war eine Brüskierung der anderen EU-Staaten, darunter auch Großbritanniens.
Michel lud die Führer Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens, der Niederlande, Irlands, Bulgariens, Polens, Portugals und der Slowakei in das Château de Val-Duchesse zu informelleren Beratungen ein. Nur wenige Vertreter sollten teilnehmen, damit die Politiker freier und von der Leber weg sprechen konnten, hieß es im Express.
Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow, der im Moment die rotierende EU-Präsidentschaft innehat, sagte Journalisten über das Treffen im Château de Val-Duchesse, es sei ein regionales Führungstreffen gewesen. Er sagte, es seien mehrere osteuropäische Konflikte besprochen worden, von Griechenland bis Mazedonien, und von Serbien bis zum Kosovo, der Türkei und Russland.
Borissow sagte, der Varna-Gipfel mit Erdogan werde „schwierig“. „Sollte irgendjemand glauben, es sei ein Vergnügen, den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, Tusk und Erdogan zu bewirten, dann ist er entweder neu in der Politik, oder er hat keine Ahnung. Das wird ein extrem schwieriges Treffen, schwer belastet von Erwartungen und Spannungen. Ich mache mir keine Illusionen, dass wir sofort Übereinstimmung in den offenen Fragen finden könnten, nicht einmal in einigen wenigen.“