Der Verfassungsschutz veröffentlichte im Juni ein Papier, das die Überwachung muslimischer Kinder und weitere Maßnahmen fordert, die auf die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas des Misstrauens, der Verdächtigung und der Denunziation muslimischer Familien hinauslaufen.
Im Bericht des Verfassungsschutz heißt es, Kinder aus „jihadistischer Sozialisation“ stellten ein „nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial“ dar. Es sei deshalb eine „kontinuierliche Bearbeitung“ durch die Behörden des Inlandsgeheimdienstes „notwendig“.
Es ist offensichtlich, dass der Verfassungsschutz trotz aller Beteuerungen des Gegenteils systematisch jeden Unterschied zwischen einer religiösen muslimischen Erziehung und dem, was er „jihadistische Sozialisation“ nennt, verwischt. So gibt er zum Beispiel offen zu, dass er Familien überwachen will, die sich „zu keinem Zeitpunkt“ in einem Kampfgebiet befunden haben, geschweige denn jemals Kontakt mit dem „Islamischen Staat“ hatten.
Den argwöhnischen Blick des Geheimdienstes ziehen Familien und Gemeinden auf sich, die sich „sprachlich von der allgemeinen Gesellschaft abgrenzen“ und Anzeichen „strenger Religiosität“ erkennen lassen. Außerdem warnt er davor, dass „Kleinkinder“ im Rahmen „kleiner Vorträge“ vor der Gemeinde „altersgemäß aktiv in Veranstaltungen eingebunden“ werden, etwas, das bei den allermeisten christlichen Gemeinden gängige Praxis ist. Am Ende des auf diese Weise begonnenen „Radikalisierungsprozesses“ stehe gar das „aktive Sich-Einbringen in Community-Aktionen“. Der Geheimdienst sieht in solchen Handlungen und dem dazugehörigen „jihadistischen Weltbild“ die „Basis für die später mögliche Gewaltanwendung“.
Am 6. August forderte Herbert Reul (CDU), Landesinnenminister von Nordrhein-Westfalen, bereits entsprechende juristische „Instrumente“, die den Behörden gestatten, Kinder unter 14 Jahren „in den Blick nehmen zu können“. Auch der CDU-Sicherheitspolitiker Patrick Sensburg und der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), befürworteten dies.
Doch nicht nur die Behörden sollen diese Kinder und ihre Familien bespitzeln. Der Verfassungsschutz fordert eine breitangelegte Kampagne, in welche „Sicherheits- und Nicht-Sicherheitsbehörden“, „zivilgesellschaftliche Träger“, Schulen, Jugendämter und Sportvereine eingebunden werden sollen. Gemeinsam sollen sie Informationen über auffällig gewordene Kinder und Jugendliche an die staatlichen Stellen weitergeben.
„Auffällig“ im Sinne des Verfassungsschutzes ist ein Kind schon dann, wenn es Schulregeln missachtet, religiöse Redewendungen benutzt, vom Sportunterricht fernbleibt, „aggressives Verhalten“ zeigt oder auch allein schon, wenn sie oder er einen Vornamen trägt, der dem Amt verdächtig ist. Anhand dieser Kriterien kann jeder rebellische junge Mensch, der zufällig mit muslimischen Traditionen in Verbindung gebracht werden kann, im Handumdrehen als „Gefährder“ und „Jihadist“ stigmatisiert werden.
Besonders verdächtig sind dem Geheimdienst neben sozialen Angeboten wie der Kinderbetreuung auch „Grillfeste“, „Ausflüge“ oder andere von muslimischen Gemeinden organisierte Freizeitveranstaltungen. Für solche „Verhaltensauffälligkeiten“ soll das gesamte soziale Umfeld religiöser Familien „sensibilisiert“ werden.
Was dem Geheimdienst vorschwebt, ist eine gesellschaftliche Atmosphäre der Vorverurteilung und des Argwohns gegenüber einer religiösen Minderheit, wie sie aus der deutschen und internationalen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts nur allzu bekannt ist. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für die Errichtung und Aufrechterhaltung autoritärer Herrschaftsformen.
Unter Bedingungen der größten sozialen Ungleichheit seit 1913, explosiver sozialer Wut in der Arbeiterklasse und wachsendem Widerstand der Bevölkerung gegen die flüchtlingsfeindliche Politik der Bundesregierung, lanciert der Staatsapparat eine rechte Initiative nach der anderen.
Sowohl die NPD, als auch der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und der deutsche Ableger des Ku-Klux-Klans wurden vom Verfassungsschutz mit V-Leuten und staatlichen Geldern aufgebaut. Unterdessen wird im Kampf gegen „islamistischen Terror“ die Polizei in Hessen militärisch aufgerüstet, werden Bayern und Sachsen zu regelrechten Polizeistaaten ausgebaut und Muslime unter Generalverdacht gestellt.
Dabei ist das gesamte Narrativ des Verfassungsschutzes von einer „jihadistischen Bedrohung“ völlig verlogen. Mittlerweile ist bekannt, dass Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen tötete, von einem V-Mann des Verfassungsschutzes zum Tatort gefahren worden war, nachdem ihn derselbe V-Mann wiederholt zur Tat angestiftet hatte.
Wie zur Zeit des Reichstagsbrandes nutzt die herrschende Klasse Anschläge wie diesen als Vorwand, um ihre rechte Politik der Staatsaufrüstung und Überwachung durchzusetzen. Diese Politik ist Teil einer internationalen Entwicklung: Auch die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA sowie das Bataclan-Massaker vom 13. November 2015 in Paris wurden von der US-amerikanischen und französischen Regierung nach diesem Muster instrumentalisiert, um heftige Angriffe auf demokratische Freiheitsrechte einzuleiten.
Während seine Behörde gegen Muslime gerichtete Ressentiments schürt, berät der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg-Maaßen wohlwollend die AfD und stellt sie als das Opfer linker Angriffe dar. Gleichzeitig lässt er in seinem aktuellen Verfassungsschutzbericht jede grundsätzliche Kritik am Kapitalismus als „linksextrem“ und „verfassungsfeindlich“ brandmarken und stellt in enger Abstimmung mit dem Innenministerium sozialistische Parteien wie die Sozialistische Gleichheitspartei unter staatliche Beobachtung. Die SGP fordert deshalb die Auflösung dieser rechten Brutstätte antidemokratischer Verschwörungen.