Der 52. Historikertag vom 25. bis 28. September in Münster findet in einer Situation statt, in der Fragen der Geschichte mit Macht zurückkommen. 85 Jahre nach der Machtübernahme der Nazis zogen in Chemnitz mehrere Tausend rechtsradikale Demonstranten durch die Straßen, jagten Flüchtlinge, belagerten ein jüdisches Restaurant und griffen ein Büro der Linkspartei an. In Dortmund skandierten wenig später einige hundert Neonazis antisemitische Parolen und begingen Straftaten.
Sie wurden dabei von führenden Vertretern der Regierung und des Staates gestärkt. Innenminister Horst Seehofer stellte sich hinter die rechten Demonstranten und erklärte sogar, er wäre in Chemnitz selbst mitmarschiert, wenn er nicht Minister wäre. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen leugnete, dass es überhaupt Hetzjagden gegeben habe, und bezichtigte Journalisten und Opfer der Lüge. Zuvor hatte er sich zu vertraulichen Gesprächen mit AfD-Funktionären getroffen. Dass ihn die Große Koalition trotzdem nicht entlässt, ist ein klares Signal an die AfD und ihre Sympathisanten und Mitglieder im Staatsapparat, dass sie die Rückendeckung der Regierung haben.
Obwohl die AfD von der großen Mehrheit der Bevölkerung gehasst wird, ist sie zur einflussreichsten politischen Kraft avanciert. Sie leitet zentrale Ausschüsse des Bundestags und die Große Koalition setzt ihr rechtes Programm in die Tat um. Vom Aufbau eines umfassenden Lagersystems, in dem Flüchtlinge kaserniert, schikaniert und abgeschoben werden, über die Aufrüstung des Staatsapparats bis hin zu einer aggressiven Außenpolitik trägt der Koalitionsvertrag ihre Handschrift.
Dieser grundlegende Umbruch in der deutschen Politik kam für viele Menschen als Schock, doch er ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist ideologisch vorbereitet worden. Über Jahre wurde ein intellektuelles Klima geschaffen, in dem die Rechtsextremen gedeihen konnten. Schon mit der Wiedervereinigung hatten Tendenzen in der Geschichtswissenschaft zugenommen, die alte Nazi-Mythen wiederbelebten und versuchten, die Verbrechen des deutschen Imperialismus zu verharmlosen. Seit die Bundesregierung im Januar 2014 das „Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands“ verkündete, haben diese Geschichtsfälschungen eine neue Qualität erlangt.
„Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem schuld gewesen. Bezogen auf 1914 ist das eine Legende“, erklärte Herfried Münkler am 4. Januar 2014 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung und löste damit eine Welle der Geschichtsfälschung aus. Der rechte Militärhistoriker Sönke Neitzel, Professor Dominik Geppert von der Universität Bonn, die neurechte Autorin Cora Stephan und Professor Thomas Weber veröffentlichten am gleichen Tag einen Artikel in der Welt, der leugnete, dass Deutschland im ersten Weltkrieg aggressive Ziele vertreten habe. Es sei „weit entfernt davon“ gewesen, „übermütig und größenwahnsinnig nach der Weltmacht zu greifen“.
Der Professor für osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität, Jörg Baberowski, beließ es nicht beim Ersten Weltkrieg, er verharmloste die Verbrechen des Nationalsozialismus. In einem Artikel, der im Februar 2014 im Spiegel erschien, stellte er sich hinter Ernst Nolte, der mit seiner Behauptung, der Holocaust sei eine letztlich verständliche Reaktion auf die Gewalt der Sowjetunion gewesen, 1986 den Historikerstreit ausgelöst hatte. Nolte hatte damals einen Sturm der Empörung ausgelöst und war von Dutzenden Historikern gründlich widerlegt worden. Er trat bald nur noch vor rechtsradikalem Publikum auf.
Doch Baberowski hat sich zum Ziel gesetzt, den Nazi-Apologeten zu rehabilitieren: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht“, erklärte der Humboldt-Professor dem Spiegel. Als Begründung fügt er hinzu: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Den Holocaust setzte Baberowski auf eine Stufe mit angeblichen Erschießungen während des russischen Bürgerkriegs: „Im Grunde war es das Gleiche: industrielle Tötung.“
Baberowski verbindet diese Verharmlosung der Nazi-Verbrechen mit einer üblen Hetze gegen Flüchtlinge, die sich in Inhalt und Diktion mit der AfD deckt. Im Mai 2017 klagte er in der NZZ, seit 1968 sei „der Widerstand gegen einen toten Diktator [Adolf Hitler] Legitimation genug, um sich moralisch über andere Menschen zu erheben“. Wer über „Rassismus, Kolonialismus, über Krieg und Frieden oder das Verhältnis der Geschlechter anders urteilt, als es der hegemoniale Diskurs erlaubt, wird moralisch diskreditiert“. 2015 hatte er in der Sendung „Kulturzeit“ die sich häufenden Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte angesichts der angeblichen Probleme mit den Flüchtlingen als „eher harmlos“ bezeichnet.
Die Grausamkeit der Nazis und ihres Führers hatte Baberowski nicht erst 2014 zur Disposition gestellt. Schon in einem Text aus dem Jahr 2007 hatte der Professor geleugnet, dass der Vernichtungskrieg im Osten auf eine systematische Planung und die menschenverachtende Ideologie der Nazis zurückging. Stattdessen machte er die Rote Armee dafür verantwortlich: „Stalin und seine Generäle zwangen der Wehrmacht einen Krieg neuen Typs auf, der die Zivilbevölkerung nicht mehr verschonte“, erklärte er. Ähnliche Thesen finden sich in seinem 2012 veröffentlichten Werk „Verbrannte Erde“.
Wurden die apologetischen Positionen Baberowskis damals in der Fachwelt noch aufgegriffen und kritisiert, herrschte 2014 großes Schweigen. Drei Jahre lang fand sich kein einziger Historiker oder Professor, der sich daran gestört hätte, dass im größten deutschen Nachrichtenmagazin der Holocaust verharmlost und die Grausamkeit Hitlers in Frage gestellt wurde.
Stattdessen wurden die IYSSE, die Jugendorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), von zahlreichen Medien, der Universitätsleitung und auch von Historikern heftig angegriffen, weil sie Baberowski in Flugblättern und auf Veranstaltungen kritisierten.
Selbst nachdem das Oberlandesgericht Köln entschieden hatte, dass Baberowski von seinen Kritikern korrekt zitiert worden sei und dass die Bewertungen „rechtsradikal“, „rassistisch“ und „gewaltverherrlichend“ völlig legitim seien, verteidigten das Präsidium der Humboldt-Universität Berlin sowie zahlreiche Professoren, darunter Michael Wildt und Hannes Grandits, Baberowski als „hervorragenden Wissenschaftler, dessen Integrität außer Zweifel steht“. Seine wissenschaftlichen Äußerungen seien „nicht rechtsradikal“. Die IYSSE und andere kritische Studierenden wurden ohne jeden Beleg mit „Gewalt und Extremismus“ in Verbindung gebracht, „mediale Angriffe“ auf Baberowski wurden für „inakzeptabel“ erklärt.
Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, für den Maaßen die Verantwortung trägt, listet die Sozialistische Gleichheitspartei erstmals als „linksextremistische Partei“ und „Beobachtungsobjekt“ auf. Das ist offenbar die Quittung dafür, dass sie der rechten ideologischen Offensive entgegengetreten ist. Der Bericht wirft ihr weder Gewalt noch Gesetzesverstöße vor, sondern echauffiert sich, dass sie „gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“ auftrete. Laut Definition des Verfassungsschutzes gilt jeder als „linksextremistisch“, der gegen Rechtsextremismus protestiert oder darüber Informationen sammelt. Die AfD und ihr rechtsextremes Umfeld (Pegida, Bernd Höcke, Götz Kubitschek, usw.) werden im Verfassungsschutzbericht dagegen mit keiner Silbe erwähnt. Der Bericht trägt über weite Strecken die Handschrift der AfD, mit der sich Maaßen vor der Veröffentlichung mehrmals beraten hatte.
Wer die deutsche Geschichte kennt, weiß, was das Auftrumpfen der Neonazis bedeutet. Hitler wurde 1933 von den deutschen Eliten „an die Schalthebel der Macht gehievt“ (Ian Kershaw), weil sie ihn brauchten, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und den Zweiten Weltkrieg vorzubereiten. Heute fällt der Aufstieg der Rechtsextremen erneut mit einem kritischen Wendepunkt der deutschen Geschichte zusammen: Angesichts von Handelskrieg, internationalen Konflikten und wachsenden sozialen Spannungen drängen die herrschenden Eliten auf eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus und die Stärkung des Staatsapparats.
Anders als 1933 sind die Rechtsextremisten heute noch keine Massenpartei. Sie beziehen ihre Stärke aus ihrer Unterstützung durch Staat und Regierung und aus dem rechten Klima, das an den Universitäten geschaffen wurde. Die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen durch Baberowski, seine Verteidigung durch führende Medien und Professoren sowie das feige Schweigen zahlreicher anderer haben ein ideologisches Klima geschaffen, das ihr Wachstum fördert. Es ist Zeit, dieses Schweigen zu brechen und dem Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten, der den Nährboden für die Rechtsextremisten bildet.
• Stoppt die Überwachung der SGP und anderer linker Organisationen durch den Verfassungsschutz!
• Verurteilt das Statement der Universitätsleitung gegen die IYSSE und kritische Studierende!
• Protestiert öffentlich gegen die Versuche Baberowskis, die Nazi-Verbrechen zu verharmlosen!