Kleve: Zu Unrecht inhaftierter Flüchtling stirbt in Gefängniszelle

Der tragische Tod von Ahmed A. wirft ein grelles Schlaglicht auf die Rechtlosigkeit von Flüchtlingen und die Polizeiwillkür in Deutschland. Der syrische Flüchtling saß mehr als zwei Monate lang völlig zu Unrecht in der Justizvollzugsanstalt Kleve in Haft. Am 17. September brach in seiner Gefängniszelle auf mysteriöse Weise ein Feuer aus und keine zwei Wochen später erlag er seinen schweren Verbrennungen.

Am 6. Juli dieses Jahres hatten sich vier Frauen von Ahmed A. an einem Badesee nahe des niederrheinischen Geldern belästigt gefühlt und deswegen die Polizei gerufen Der 26-jährige Syrer konnte sich bei der folgenden Polizeikontrolle nicht ausweisen, da er nur eine Bankkarte bei sich trug, und wurde daraufhin zur örtlichen Polizeiwache nach Kleve gebracht.

Auf der Wache in Kleve überprüften die Polizeibeamten die Identität des erst ein Jahr zuvor nach Deutschland geflohenen Syrers und ermittelten eine scheinbare Namensgleichheit mit einer Person, auf die von der Hamburger Staatsanwaltschaft zwei Haftbefehle mit sofortiger Vollstreckung ausgeschrieben waren.

In diesen Haftbefehlen war der Name Ahmed A. allerdings ausdrücklich nur als Aliasname des wegen Diebstahls gesuchten Maliers Amedy G. erwähnt. Da aber zufälligerweise das Geburtsdatum der beiden Männer übereinstimmte, wurde der Kriegsflüchtling Ahmed A. sofort in die Justizvollzugsanstalt Kleve überführt und inhaftiert.

Die Polizeibeamten verzichteten dabei nicht nur auf den bei Aliasnamen zwingend vorgeschriebenen Abgleich aller in den Polizeidatenbanken verfügbaren Personeninformationen. Sie ignorierten auch bewusst, dass die beiden Männer unterschiedlicher nicht sein konnten. Ahmed A. wurde im syrischen Aleppo geboren, der gesuchte Amedy G. hingegen im malischen Timbuktu. Fotos, Beschreibungen äußerlicher Merkmale, Tätowierungen – das alles interessierte die Polizisten nicht.

Für Daniel Nierenz, Ahmed A.s Anwalt im Asylverfahren, ist dieses Vorgehen nicht nachvollziehbar: „Aus meiner Sicht ist es eigentlich nicht möglich, einen Mann aus Syrien mit einem Mann aus Mali zu verwechseln.“

Knapp zwei Wochen nach der Inhaftierung von Ahmed A. erkundigte sich die Hamburger Staatsanwaltschaft, ob die Identität des Inhaftierten hinreichend geklärt sei. Die Polizisten in Kleve antworteten mit „Nein“, unternahmen aber weder Schritte, die Identität des unschuldig in seiner Gefängniszelle sitzenden Flüchtlings nun zu klären, noch veranlassten sie dessen Freilassung.

Gut vier Wochen später will die Hamburger Behörde eine weitere Anfrage nach Kleve verschickt haben. Diese soll die Sicherheitsbehörden in Kleve jedoch angeblich erst am 24. September erreicht haben. Warum bleibt völlig unklar. Ahmed A. war zu diesem Zeitpunkt bereits im Klinikum in ein künstliches Koma versetzt worden und rang um sein Leben. Am 26. September teilte die Polizei dann der Staatsanwaltschaft in Kleve mit, dass eine Verwechslung vorliege und Ahmed A. völlig zu Unrecht inhaftiert worden sei.

Während seiner mehr als zweimonatigen Haft in Kleve hatte Ahmed A. keinen Kontakt zu Personen außerhalb des Gefängnisses, weder zu Freunden noch zu seinem Anwalt. Am 3. September suchte er in der JVA Kleve die dortige Gefängnis-Psychologin auf. Die Psychologin vermerkte in ihrem Gesprächsprotokoll, dass Ahmed A. behauptet habe, Opfer einer Namensverwechslung zu sein, die auf „fehlerhaften Protokollen der Polizei“ basiere. Ahmed A. machte ihr gegenüber deutlich, dass er noch nie in Hamburg und zum Zeitpunkt der ihm zu Last gelegten Taten überhaupt noch gar nicht in Deutschland gewesen sei.

Die Gefängnispsychologin veranlasste nun aber nicht eine Überprüfung der tatsächlichen Identität, sondern vermerkte in ihrem Protokoll, dass der Gefängnisinsasse „kaum nachvollziehbare Angaben zu seiner Person“ gemacht habe und der „Eindruck eines hinsichtlich Delikten und Tatvorwürfen undurchsichtigen jungen Mannes“ entstanden sei. Darüber hinaus hielt die Anstaltspsychologin Ahmed A. für „auskunftsfreudig, freundlich, interessiert an Fußball und Tischtennis“, aber keineswegs suizidgefährdet.

Das ganze Protokoll wirkt wie an den Haaren herbeigezogen. Es sei „unbeschreiblich“, sagt Anwalt Nierenz, „dass jemand zwei Monate in einer JVA verwahrt wird und sich keiner darum kümmert, wer er eigentlich ist, welche Probleme er hat und ob der Vorwurf zu der Person passt“.

Auch bei dem Brand in Ahmed A.s Gefängniszelle ergeben sich viele Ungereimtheiten. Gesichert erscheint bisher nur, dass am Abend des 17. September in der Zelle ein Feuer ausbrach. Weder durch das vergitterte Fenster noch durch die verschlossene Tür konnte Ahmed A. fliehen. Er saß in der Falle. Erst gegen 19:20 Uhr bemerkten die Gefängniswärter den Brand und öffneten die Tür. Doch für den Flüchtling kam jede Hilfe zu spät. Am 28. September starb er an den Folgen des verheerenden Zellenbrandes.

Die Brandursache ist noch völlig ungeklärt. Die polizeilichen Ermittlungen in der Zelle brachten nur ein verschmortes Feuerzeug hervor, das angeblich auf der verkohlten Matratze gelegen haben soll. Wem das Feuerzeug gehört und ob es als Ausgangspunkt des Brandes anzusehen ist, bleibt jedoch im Dunkeln.

Unklar ist auch, warum die Polizei in Kleve erst nach mehr als zwei Wochen einen Brandsachverständigen anforderte. In der Zeit erklärte der private Sachverständige Sebastian H., dass die Staatsanwaltschaften üblicherweise „so schnell wie möglich“ private oder polizeilich-private Sachverständige anfordern, da ein möglicher Einsatz von Brandbeschleunigern bereits nach wenigen Tagen kaum noch nachweisbar sei.

Der Fall weckt Erinnerungen an Oury Jalloh, der im Januar 2005 in seiner Zelle im Dessauer Polizeigewahrsam bei lebendigem Leib verbrannte. Nach Jahren der Vertuschung durch die Polizei war der leitende Staatsanwalt Folker Bittmann zuletzt davon ausgegangen, dass die Dessauer Polizisten zur Vertuschung eigener anderer Straftaten Oury Jalloh mit Brandbeschleuniger übergossen und dann angezündet hatten. Die Staatsanwaltschaft in Halle stellte den Fall jedoch bereits im Oktober 2017 ein.

Auch im Fall Oury Jalloh wurden Sachverständige erst viel zu spät hinzugezogen. Anders als bei Ahmed A. waren Oury Jalloh aber alle persönlichen Gegenstände abgenommen und er selbst in einem vollständig gefliesten Raum auf eine feuerfeste Matratze fixiert worden.

Ahmed A. hingegen durfte persönliche Gegenstände behalten und auch das Mobiliar in seiner Gefängniszelle war brennbar. Die vom Anstaltsleiter verbreiteten These, dass der Brand ein durch eine brennende Zigarette ausgelöster Unfall war, erscheint jedoch nur als eine Möglichkeit von vielen. Genauso denkbar ist es, dass sich Ahmed A. selbst angezündet hat, weil er es nicht mehr aushielt, unschuldig in der JVA einzusitzen. Nicht auszuschließen ist schließlich, dass hier ebenfalls die Zelle ganz bewusst in Brand gesetzt wurde.

Der Innenminister des Landes NRW, Herbert Reul (CDU), räumte ein, dass die Polizei „schwere handwerkliche Fehler“ gemacht habe und man „alles daran setzen müsse, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholt“.

Tatsächlich zeigt der Fall, dass Flüchtlinge deutschen Sicherheitsbehörden völlig schutzlos ausgeliefert sind. Den Polizisten war es offensichtlich egal, ob sie einen Malier oder einen Syrer vor sich sitzen hatten. Sie handelten eher getreu dem Motto, dass ein Flüchtling ohnehin Dreck am Steck haben müsse und daher nie zu Unrecht eingekerkert werde. Sie führten aus, was die nationalistische und rassistische Kampagne in den Medien und der offiziellen Politik seit einigen Jahren immer offensiver propagiert. Ahmed A. erscheint als ein trauriges Opfer einer Hetzkampagne, die Flüchtlinge zu Sündenböcken einer Vielzahl von sozialen Problemen abstempelt.

Die Kriminalisierung von Flüchtlingen geht einher mit der Zunahme polizeilicher Willkür gegen die gesamte Bevölkerung. NRW-Innenminister Reul mag noch so oft betonen, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen dürfe. Das von ihm initiierte neue Polizeigesetz steht für genau das Gegenteil. Hier wird unter den Kategorien der „drohenden Gefahr“ und des „Gefährders“ der Rechtsgrundsatz ab adsurdum geführt, dass es ohne Tat keine Strafe geben könne.

Stattdessen bekommt die Polizei unter dem Deckmantel der angeblichen Vorbereitung einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ schon weit im Vorfeld einer tatsächlichen Tat Eingriffsbefugnisse in die persönliche Freiheit jedes Einzelnen. „Gefährder“ können 30 Tage in Unterbindungsgewahrsam genommen werden, ohne dass ihnen eine konkrete Straftat zur Last gelegt wird. Im Nazi-Regime nannte man diese Form des Wegsperrens unliebsamer Personen ohne Anklage und Gerichtsurteil „Schutzhaft“. Der Fall des syrischen Kriegsflüchtlings Ahmed A. zeigt, dass die Polizei in Nordrhein-Westfalen bereits jetzt solche drakonische Maßnahmen durchführt.

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