Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) geht rechtlich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht vor. In dem im Juli vorgestellten Bericht wurde die Partei erstmalig als „linksextremistisch“ bezeichnet. Als einzige Begründung führte die Behörde an, dass die SGP den Kapitalismus, andere Parteien und die Gewerkschaften kritisiert.
Schon im August hatte die Partei eine ausführliche Erklärung veröffentlicht, in der sie das Vorgehen des Verfassungsschutz als gezielten politischen Angriff wertete, der durch die rechtsradikalen Positionen des damaligen VS-Präsidenten Hans-Georg Maaßen motiviert war. Am Donnerstag reichte der Anwalt der SGP, Dr. Peer Stolle, einen offiziellen Schriftsatz beim Bundesamt ein, den wir im Folgenden dokumentieren.
Stolle ist Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Er hat schon zahlreiche Verfahren gegen den Verfassungsschutz geführt und vertrat den Nebenkläger Ergün Kubaşık im NSU-Prozess.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit zeigen wir an, dass uns die Sozialistische Gleichheitspartei, vertreten durch ihren Vorsitzenden, Herrn Ulrich Rippert, mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen in der vorbezeichneten Angelegenheit beauftragt hat. Eine auf uns lautende Vollmacht ist diesem Schreiben beigelegt.
Die Sozialistische Gleichheitspartei ist die deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Sie setzt sich dafür ein, die Arbeiter in Deutschland für das Programm des internationalen Sozialismus zu gewinnen und hofft, auf Grundlage dieses Programmes die Arbeiter zu vereinen und sie für die Eroberung der politischen Macht und die Errichtung eines Arbeiterstaates zu mobilisieren. Ziel ist es, die objektiven Voraussetzungen für den Aufbau einer — so die Grundsatzerklärung — „wirklich demokratisch, egalitären und sozialistischen Gesellschaft“ zu schaffen. Zur Erreichung dieses Ziels führt die SGP im Wesentlichen Informations- und Vortragsveranstaltungen durch und veröffentlicht auf der Webseite World Socialist Web Site täglich Analysen zur weltpolitischen und ökonomischen Entwicklung.
In dem von Ihnen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2017 erwähnen Sie unsere Mandantin auf Seite 131 und Seite 148 unter der Rubrik „Linksextremismus“. Dort führen Sie u.a. aus, dass sich die Agitation der SGP schon in ihrer Programmatik gegen die bestehende, pauschal als „Kapitalismus“ verunglimpfte staatliche und gesellschaftliche Ordnung, gegen die EU, gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus sowie gegen die Sozialdemokratie, die Gewerkschaft und auch gegen die Partei DIE LINKE richten würde. Weiter wird ausgeführt, dass unsere Mandantin durch die Teilnahme an Wahlen sowie die Vortragsveranstaltungen versuche, für die Partei und ihre politischen Vorstellungen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen.
Die Erwähnung unserer Mandantin in dem von Ihnen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2017 ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Aufnahme unserer Mandantin in dem Bericht nicht gegeben sind.
Ein Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Eine Veröffentlichung einer natürlichen oder juristischen Person im Verfassungsschutzbericht geht über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen oder an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger hinaus, da sie von einer spezialisierten und mit besonderen Befugnissen und auf die Abwehr besonderer, eng umgrenzter Gefahren stammt und mit einer belasteten negativen Sanktion gegenüber den dort erwähnten Personen verbunden ist (vgl. BVerfG, NJW 2005, 2912 [2913]).
Bei der Erstellung eines Verfassungsschutzberichtes – insbesondere bei der Entscheidung, welche Personen oder Personenzusammenschlüsse darin aufzunehmen sind – sind besondere Sorgfaltsanforderungen zu beachten. Dem Verfassungsschutzbericht kommt eine Warnfunktion zu. Mit der Erwähnung einer Person oder eines Personenzusammenschlusses in dem Verfassungsschutzbericht verbindet sich zugleich die Aufforderung an die Öffentlichkeit, diesen Personenzusammenschluss nicht zu unterstützen, ihm nicht beizutreten und dessen Angebote - welcher Art auch immer – nicht anzunehmen. Er ist geeignet, Bürger davon abzuhalten, sich mit diesem Personenzusammenschluss näher zu befassen oder ihm sogar beizutreten. Über den Verfassungsschutzbericht wird in den Medien regelmäßig berichtet und in der Öffentlichkeit diskutiert, so dass ihm eine breite Außenwirkung zukommt. Dies hat zur Folge, dass bei einer Erwähnung in dem Verfassungsschutzbericht (potentielle) Kooperationspartner von einer Zusammenarbeit abgeschreckt werden und es dem Personenzusammenschluss erschwert wird, geschäftliche, kulturelle, soziale oder sonstige Beziehungen mit Anderen einzugehen. Eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist damit mit einer eindeutigen negativen Stigmatisierung in der Öffentlichkeit verbunden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 06.04.2006 – OVG 3 B 3.99).
Bei der Aufnahme von Personen oder Personenzusammenschlüssen in einem Verfassungsschutzbericht sind des Weiteren die allgemeinen rechtlichen Grenzen des Ermessens zu beachten, zu denen auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehört. Eine Erwähnung ist daher nur zulässig, wenn sie auch tatsächlich erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist (BVerfG, a. a. O.).
Unsere Mandantin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in dem von Ihnen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2017. Nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG informiert Ihr Amt die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 2 BVerfSchG, soweit hinreichende gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, mindestens einmal jährlich in einem zusammenfassenden Bericht, insbesondere zur aktuellen Entwicklung. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG gehört es zur Aufgabe Ihres Amtes, die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben.
Verhaltensweisen von oder für Personenzusammenschlüsse sind nur dann als Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu klassifizieren, wenn die Tätigkeit des Personenzusammenschlusses auf die Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungs-grundsätze, die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG im Einzelnen aufgezählt sind, gerichtet ist. Es bedarf daher der Feststellung, dass derartige Bestrebungen tatsächlich von dem Personenzusammenschluss ausgehen. Dies ergibt sich auch aus § 4 Abs. 1c BVerfSchG, wonach Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss sind, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Soweit in dem Bericht ausgeführt wird, dass sich die „Agitation“ unserer Mandantin gegen den „Kapitalismus“, gegen die EU, gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus sowie gegen die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften oder auch gegen die Partei DIE LINKE richtet, werden damit weder Verfassungsgrundsätze im Sinne des § 4 Abs. 2 BVerfSchG aufgezählt, noch der Beleg von Bestrebungen im Sinne des § 4 Abs. 1a BVerfSchG erbracht.
Die Aufführung unserer Mandantin in dem von Ihnen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht ist daher rechtswidrig.
Hiesigerseits wird davon ausgegangen, dass spätestens seit den Äußerungen des ehemaligen Präsidenten Ihrer Behörde, Herrn Dr. Hans-Georg Maaßen, über angebliche „linkradikale Kräfte“ in der SPD eine interne Überprüfung, ob in den Verlautbarungen Ihrer Behörde entsprechende Zuschreibungen den gesetzlichen Vorschriften entsprechend erfolgt sind, sowieso von Amts wegen erfolgen wird.
Namens und in Vollmacht unserer Mandantin fordern wir Sie daher auf, den von Ihnen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2017 weder in digitaler, schriftlicher oder sonstiger Form weiter zu verbreiten, verbreiten zu lassen oder sonst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, soweit weiterhin die „Sozialistische Gleichheitspartei“ in dem Bericht erwähnt wird.
Es wird hiesigerseits als ausreichend angesehen, wenn der entsprechende Passus auf den Seiten 131 und 148 sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe geschwärzt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stolle
Rechtsanwalt