Perspektive

Faschistische Hetze beim Holocaust-Gedenken im Bundestag

74 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz werden im Deutschen Bundestag wieder die Verbrechen des NS-Regimes verharmlost – ohne dass dies größeren Protest oder Reaktionen auslöst.

Am Morgen des 31. Januar hatte der Bundestag in einer alljährlichen Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Unmittelbar danach verhöhnte der AfD-Abgeordnete Marc Jongen dieselben Opfer in einer faschistischen Rede und relativierte die Verbrechen der Nazis. Dass dies auf keinen nennenswerten Widerspruch stieß, unterstreicht, wie weit nach rechts das politische Establishment gerückt ist und wie die Rechtsextremisten der AfD die offizielle Politik dominieren.

Jongen, der bei Peter Sloterdijk in Philosophie promoviert hat und als „Chefideologe“ der AfD gilt, sprach gegen einen Antrag der Linkspartei, einen zentralen „Gedenkort für die Opfer des NS-Vernichtungskrieges in Osteuropa“ zu errichten. Dem Vernichtungskrieg der Nazis waren neben Millionen Soldaten allein in Polen sechs und in der Sowjetunion 14 Millionen Zivilisten sowie 3,3 Millionen Kriegsgefangene zum Opfer gefallen.

Jongen lehnte das Vorhaben mit der Begründung ab, es bezwecke eine „künstlich herbeigeführten Neutraumatisierung jeder neuen Generation in Deutschland“ und blende „die deutschen und osteuropäischen Opfer des Stalin’schen Vernichtungskrieges“ aus, die Opfer eines „nicht minder fürchterlichen Verbrechens“ geworden seien.

Jongen beließ es nicht dabei, die Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs mit den Opfern der Offensive der Roten Armee gleichzusetzen, die Europa von der Nazi-Herrschaft befreite. Er versuchte auch, den minutiös geplanten Vernichtungskrieg der Nazis als Reaktion auf stalinistische Gewalttaten darzustellen und in alter Nazi-Tradition als Präventivkrieg zu rechtfertigen.

Dabei stützte er sich ausdrücklich auf den rechtsradikalen Berliner Historiker Jörg Baberowski, den er wörtlich zitierte. Baberwoski habe schon 2011 geschrieben, „...ohne den Exzess der stalinistischen Diktatur wird überhaupt nicht verständlich, worauf der Nationalsozialismus auch eine Antwort war“.

Dieser krassen Geschichtsfälschung folgten die übelsten rechtsradikalen Tiraden. Das Gedenken an die Nazi-Verbrechen werde dazu genutzt, „ein tiefes Schuldbewusstsein in Deutschland für alle Zeiten zu verankern“, so der Chefideologe der AfD. „Deutschland soll als Nation, als Land, als Volk verschwinden, es soll ein mehr oder weniger offenes Siedlungsgebiet für Migranten aus aller Welt werden“, hetzte Jongen im Stil antisemitischer Verschwörungstheorien.

Es ist bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass Rechtsradikale und Neonazis das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus besudeln, ohne dass es in Politik und Medien zu einem Aufschrei käme. Abgeordnete der AfD hatten schon das Gedenken im bayrischen Landtag am 23. Januar boykottiert. Am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz demonstrierten polnische Rechtsextremisten auf dem Gelände des Konzentrationslagers und riefen antisemitische Parolen. Jongen hat diesen ideologischen Schmutz schließlich in den Bundestag getragen.

Die Bedingungen für dieses offene Auftreten der Rechtsextremisten wurden nicht durch die AfD geschaffen, die in der Bevölkerung verhasst ist, sondern durch die Politik der übrigen Parteien, die die AfD gewähren lassen und ihre Politik übernehmen. Kein einziger Abgeordneter sprach inhaltlich gegen Jongens Entschuldung der Nazis und keine einzige Zeitung befand es für geboten, über seine Hetzrede zu berichten.

Diese Ignoranz gegenüber faschistischer Hetze im Bundestag ist das Ergebnis eines umfassenden Prozesses, der rechtsradikale Positionen systematisch salonfähig gemacht hat. Jongen zitierte nicht ohne Grund Baberowski, denn dieser spielte in dem Vorhaben eine zentrale Rolle.

Der Humboldt-Professor hatte schon in einem Text aus dem Jahr 2007 behauptet, dass der Vernichtungskrieg der Nazis eine Reaktion auf die Kriegsführung der Roten Armee gewesen sei: „Stalin und seine Generäle zwangen der Wehrmacht einen Krieg neuen Typs auf, der die Zivilbevölkerung nicht mehr verschonte“, schrieb er damals.

Vor fünf Jahren brachte der rechtsradikale Professor diese Geschichtsfälschung dann zu ihrem logischen Schluss. Er rehabilitierte ausdrücklich den Nazi-Apologeten Ernst Nolte, der mit seiner Entschuldung der Nazis in den 80er Jahren den Historikerstreit ausgelöst hatte.

„Nolte wurde unrecht getan“, erklärte Baberowski im Februar 2014 im Spiegel. „Er hatte historisch recht.“ Um diese Aussage zu untermauern, erklärte er: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, das an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Ferner verglich er Erschießungen in Russland 1918 und den Holocaust mit den Worten: „Im Grunde war es das Gleiche: industrielle Tötung.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Jugendorganisation, die IYSSE, hatten sich unmittelbar, nachdem diese Verharmlosung von Nazi-Verbrechen veröffentlicht worden war, in einem offenen Brief an die Leitung der Humboldt-Universität gewandt und gegen die Geschichtsfälschung protestiert. Darin wiesen sie darauf hin, dass die Rehabilitierung Hitlers der Rechtfertigung des deutschen Militarismus dient:

„Die Bemühungen, ein historisch falsches Narrativ zu begründen, fallen mit einem kritischen Wendepunkt der deutschen Geschichte zusammen. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, es sei an der Zeit, die jahrzehntelange militärische Zurückhaltung Deutschlands zu beenden. Die Wiederbelebung des deutschen Militarismus erfordert eine neue Interpretation der Geschichte, die die Verbrechen der Nazizeit verharmlost.“

Diese Einschätzung wurde schon dadurch bestätigt, dass niemand im politischen Establishment der atemberaubenden Geschichtsklitterung im Spiegel entgegentrat. Hatten Noltes Positionen 1986 noch den Historikerstreit ausgelöst, gab es dieses Mal keinen Professor und keine große Zeitung, die der Aussage entgegengetreten wäre, dass Hitler nicht grausam war.

Stattdessen wurden die SGP und die IYSSE im Spiegel, in der FAZ, der Süddeutschen und vielen anderen Zeitungen verleumdet und angegriffen, weil sie Baberowski kritisierten. Kein Argument war zu billig, keine Lüge zu dreist, um Baberowski und seine rechtsradikalen Thesen zu verteidigen. Als selbst das Oberlandesgericht Köln bestätigte, dass man Baberowski aufgrund seiner Aussagen als „rechtsradikal“, „rassistisch“ und „gewaltverherrlichend“ bezeichnen kann, zogen sich seine Verteidiger auf das Argument zurück, dass sich Baberowski tagespolitisch rechtsradikal äußern möge, seine Forschung aber einwandfrei sei.

„Die wissenschaftlichen Äußerungen von Jörg Baberowski sind nicht rechtsradikal“, erklärte etwa die SPD-Politikerin und Präsidentin der Humboldt-Universität Sabine Kunst in einer offiziellen Stellungnahme nach Baberowskis Niederlage vor dem OLG Köln. Zugleich bedrohte sie Kritiker mit Strafverfahren und erklärte „mediale Angriffe“ auf Baberowski für „inakzeptabel“.

Allein das Zitat, das Jongen nun in den Bundestag getragen hat, widerlegt die absurden Argumente der Humboldt-Präsidentin. Dennoch wurde ihre Verteidigung Baberowskis von allen Parteien unterstützt. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Evrim Sommer, die Jongens Rede durch „Pfui“-Rufe unterbrach, gehört zu den aggressivsten Anhängerinnen Baberowskis. Nachdem dieser Hitler als „nicht grausam“ bezeichnet hatte, lud sie ihn zu einer Veranstaltung in ihren Wahlkreis ein und verteidigte ihn gegen jede Kritik. Frau Sommer setzte den Autor dieser Zeilen eigenhändig vor die Tür, weil sie befürchtete, er könnte kritische Fragen stellen.

Jongens Rede bestätigt gleich doppelt die Bedeutung des Kampfs, den SGP und IYSSE an der Humboldt-Universität geführt haben. Sie lässt keinen Zweifel an der Stoßrichtung von Baberowskis Geschichtsfälschung und demonstriert zugleich aufs Neue, dass die Rechten nur deshalb so dreist auftreten können, weil ihnen im politischen Establishment niemand entgegentritt.

In dem Buch „Warum sind sie wieder da?“, das ausführlich auf die Auseinandersetzungen an der HU eingeht, schreiben wir, die AfD verfüge im Unterschied zu den Nazis „weder über eine massenhafte Anhängerschaft noch über schlagkräftige Einheiten wie einst die SA, die sich aus entwurzelten Weltkriegssoldaten, ruinierten Kleinbürgern und verzweifelten Arbeitslosen rekrutierte. Die Stärke der AfD ergibt sich ausschließlich aus der Unterstützung, die sie von Parteien, Medien, der Regierung und dem Staatsapparat erhält.“

Die AfD kann mit ihrer Hetze nur deshalb so dreist auftreten, weil sie von den anderen Parteien unterstützt wird und die große Koalition ihre Flüchtlings- und Rüstungspolitik in die Tat umsetzt. Die SGP war und ist die einzige Partei, die dieser rechten Verschwörung entgegentritt. Deshalb wurde sie im letzten Jahr in enger Absprache mit der AfD in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen und als „linksextremistisch“ bezeichnet. Der Aufbau der SGP ist die einzige Grundlage, auf der diese rechte Verschwörung gestoppt werden kann.

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