Deutschland 2019 – ein Polizeistaat entsteht

Am letzten Mittwoch stellten Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik der Presse ihre geplante „Polizeireform“ vor. Die Berliner Morgenpost schrieb, es handele sich um „die größte Umstrukturierung seit den 1990er Jahren“. Die SPD, die Linkspartei und die Grünen, die Berlin gemeinsam regieren, verfolgen mit der Reform das Ziel, die Polizeipräsenz auf den Straßen der Hauptstadt massiv zu erhöhen und die Polizei auf die Unterdrückung sozialer Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Ziel sei es, eine „sichtbare Präsenz“ der Polizei in der Stadt zu schaffen, sagte Slowik. Dazu wird eine „schnelle Eingreiftruppe“ aus drei Trupps mit jeweils bis zu 35 Bereitschaftspolizisten eingerichtet, die vor allem an Orten wie dem Alexanderplatz, dem Görlitzer Park, der Warschauer Brücke und dem Kottbusser Tor zum Einsatz kommt, die als soziale Brennpunkte gelten.

An solchen „kriminalitätsbelasteten Orten“ soll die Polizeipräsenz verdreifacht und damit permanent werden. Auch die Befugnisse der Polizei werden an diesen Orten ausgeweitet. So kann sie zum Beispiel verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen, berichtet die Morgenpost.

Neben dieser „Eingreiftruppe City“ sind zahlreiche organisatorische Veränderungen vorgesehen, die die Polizeipräsidentin und ihren Führungsstab vom Alltagsgeschäft entlasten, damit sie sich auf „strategische Aufgaben“ konzentrieren können, die Strafverfolgung bündeln und die Führungsstrukturen straffen. Im Landeskriminalamt soll die Terrorabwehr aus dem Staatsschutz ausgegliedert werden und künftig eine eigene, achte Abteilung bilden.

Kritik an den Plänen von Geisel und Slowik, die bis spätestens Anfang 2020 verwirklicht sein sollen, kam ausschließlich von rechts.

Norbert Cioma, dem Landesvorsitzenden, und Benjamin Jendro, dem Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), gehen die Pläne nicht weit genug. „Generell sollte jedem klar sein, dass eine bloße Strukturreform nichts an unserem viel zu geringem Personalkörper ändert“, monierten sie. Der „ausgeblutete Basisdienst“ werde nicht hinreichend aufgestockt. Unterstützung bekamen die Vertreter der Polizeigewerkschaft von Seiten der AfD, der FDP und dem SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber.

Die massive Aufrüstung der Polizei in der City genüge längst nicht und die neuen Maßnahmen müssten bis in die Außenbezirke ausgeweitet werden, sagte Schreiber. Die Polizei werde den „wachsenden Aufgaben nicht mehr Herr“. Nötig sei ein „ganzheitliches Konzept für die Umstrukturierung der Polizei“, damit man regelmäßig „auch mal einen Gruppenwagen in Müggelheim“ einsetzen könne. Anstatt die Einsatzhundertschaften zentral zusammenzuführen, müsse jeder einzelnen der sechs örtlichen Direktionen je eine eigene Hundertschaft als Einsatzkommando zugewiesen werden.

Obwohl die Behörde seit Anfang letztes Jahres rund 700 Mitarbeiter zusätzlich eingestellt hat, wodurch knapp 40.000 zusätzliche Einsatzstunden für die Außenbezirke frei werden, beklagte Schreiber, dass für seine Ambitionen das Personal fehle.

Auch der innenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schrader, hat an der massiven Polizeiaufrüstung nichts auszusetzen. „Im Grundsatz sind es richtige Überlegungen, mehr Polizei auf die Straße zu bringen“, sagte er gegenüber der Morgenpost. „Gerade an Brennpunkten wie dem Alexanderplatz“ sei es richtig, „die Ausnahme zur Regel“ zu machen.

Die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus beschloss am Dienstag außerdem einen eigenen Entwurf zur Verschärfung des Landespolizeigesetzes. Wie die Morgenpost berichtet, haben die Sozialdemokraten darin die Einführung des sogenannten „finalen Rettungsschusses“ zur „Abwendung einer lebensbedrohlichen Gefahr“ und die elektronische Fußfessel für „Gefährder“ festgeschrieben. Auch das Abhören von Telefongesprächen und die Überwachung der Telekommunikation, den Ausbau der öffentlichen Videoüberwachung, den Einsatz von Bodycams und die Erneuerung personenbezogener Polizeidatenbanken sieht der SPD-Entwurf vor. Außerdem ist die Anschaffung neuer Waffen, Fahrzeuge und persönlicher Ausstattung für insgesamt 9 Millionen Euro geplant.

Die Polizeistaatspläne in Berlin sind Bestandteil einer bundesweiten und internationalen Entwicklung, die von allen Parteien vorangetrieben wird, egal ob sie sich als Konservative, Sozialdemokraten, Grüne oder Linke bezeichnen.

Baden-Württemberg, das einzige Land mit einem grünen Ministerpräsidenten, hat Ende 2017 die neue Runde der inneren Aufrüstung eröffnet und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), den Staatstrojaner und die elektronische Fußfessel für „Gefährder“ im neuen Polizeigesetz verankert. In Mannheim ließ sie ein „intelligentes Kamerasystem“ einrichten, das die Bevölkerung an 28 Standorten, darunter zentralen Plätzen in der City und in Arbeitervierteln, beobachtet und bei „untypischen Verhaltensmustern“ von Passanten sofort automatisch Alarm schlägt. Das Polizeigesetz hat explizit die juristische Grundlage für eine solche „intelligente Video-Überwachung“ gelegt.

Rheinland-Pfalz zog nach und verabschiedete mit der Mehrheit von SPD, FDP und Grünen ein Gesetz, das den flächendeckenden Einsatz von Bodycams, die Durchsuchung sämtlicher Fahrzeuginsassen bei Verkehrskontrollen, die automatisierte Kennzeichenerfassung sowie Wohnungsverweise bei „häuslicher Gewalt“ vorsieht. Die rechtliche Grundlage für die Videoüberwachung öffentlicher Veranstaltungen besteht in dem Bundesland bereits.

Im selben Jahr peitschte die Landesregierung Bayerns gegen heftige Proteste ein Gesetz durch, das in Sachen „Polizeistaat“ Maßstäbe setzt. Die Polizei darf in Bayern Aufenthaltsverbote und -gebote aussprechen, Wohnungen, Restaurants und Büros mittels heimlicher Einbrüche verwanzen und unbegrenzt abhören, Telefongespräche mithören und unterbrechen sowie Postzustellungen beschlagnahmen und öffnen.

Darüber hinaus darf sie Informanten zur Erforschung der privaten Lebensumstände einer Person einsetzen, ohne dass eine Straftat vorliegen muss. Auf öffentlichen Plätzen darf Software zur Gesichts- und Verhaltenserfassung, -speicherung und -wiedererkennung zum Einsatz kommen. Berüchtigt ist zudem die vorbeugende „Unendlichkeitshaft“ zur Abwehr einer „drohenden Gefahr“ nicht nur für Menschen, sondern auch für „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“. Weiterhin ermöglicht das Gesetz der Polizei den Einsatz von „Explosivmitteln“ wie Handgranaten.

Betrachtet man die seither in anderen Bundesländern verabschiedete Polizeigesetznovellen, so diente ihnen das bayrische Gesetz als Richtschnur.

Insbesondere die Gesetze von Nordrhein-Westfalen (2018) und Sachsen (2019) stimmen in wesentlichen Punkten mit der bayrischen Vorlage überein. Dazu gehören die martialische Aufrüstung der Polizei, der Zugriff auf verschlüsselte digitale Kommunikation durch „Staatstrojaner“, die Ausweitung der öffentlichen Videoüberwachung und die Einführung von „Unterbindungsgewahrsam“ und von monatelanger „vorsorglicher Ingewahrsamnahme“. Der Vorsitzende der „Strafverteidiger-Vereinigung NRW“, Frank Nobis, kommentierte im Mai vergangenen Jahres: „Wir stehen mit diesem Gesetz an der Grenze zum Unrechtsstaat.“

In Hessen hat Schwarz-Grün letztes Jahr eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschlands verabschiedet. Es erlaubt der Polizei unter anderem, mittels des sogenannten „Hessentrojaners“ in Smartphones und Computer einzudringen, obwohl der Polizei geheimdienstliche Methoden eigentlich verboten sind. Gleichzeitig werden neue, paramilitärisch ausgerüstete Polizeieinheiten ausgebildet und Überwachungstechnologie aus dem Silicon Valley an angeschafft, die in Europa Maßstäbe setzt.

Auch die Linkspartei steht hinter dem Staatstrojaner, der Präventivhaft und der Schleierfahndung. Das von SPD und Linkspartei geplante Polizeigesetz Brandenburgs ermöglicht die „Ingewahrsamnahme“ von verdächtigen „Gefährdern“ für bis zu vier Wochen, wenn ein Richter zustimmt. Die Kommunikation von Personen kann unter Richtervorbehalt mithilfe eines Programms bereits vor oder nach der Verschlüsselung mitgeschnitten werden (Quellen-TKÜ). Jeder, der in Kontakt zu einem Menschen steht, der einer Straftat verdächtigt wird, kann potenziell ins Visier dieser umfassenden Ausspähung geraten.

Ferner erlaubt das Gesetz monatelange Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote, den Einsatz von „Explosivmitteln“ gegen „Terroristen“ und die Durchsuchung von Verdächtigen auf Durchgangs- und Transitstraßen sowie Raststätten. Polizisten dürfen zudem jeden öffentlichen Einsatz mit Bodycams filmen; die Speicherfrist der Videoüberwachung wird pauschal von 48 Stunden auf zwei Wochen erhöht.

In Niedersachsen hat die Große Koalition aus SPD und CDU ein Gesetz entworfen, das neben Wohnraum- und Online-Überwachung sowie der Anordnung einer Fußfessel ohne richterliche Entscheidung auch eine Präventivhaft von bis zu 74 Tagen vorsieht. Die Landes-SPD begründet dies auf ihrer Internetseite damit, dass zehn Tage oft zu kurz seien, um Anschlagspläne zu ermitteln. Das genügt ihr offenbar, um das Prinzip „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz) de facto abzuschaffen.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern hat Innenminister Lorenz Caffier (CDU) eine Gesetzesnovelle vorgelegt, die unter anderem den finalen Rettungsschuss und die Quellen-TKÜ festschreibt. Die Medien meldeten „Eintracht“, „Beifall“ und „wenig Widerspruch“ in der Landtagsdebatte.

Der innenpolitischer Sprecher der Linkspartei, Peter Ritter, forderte sogar, die elektronische Fußfessel durch eine permanente Observation zu ersetzen, weil man so herausfinden könne, „wo sich ein Gefährder aufhält“ und „mit wem er sich trifft“. Das, so eine Abgeordnete, würde allerdings 19.500 zusätzliche Polizisten erfordern.

In den neuen Polizeigesetzen verschiebt sich der juristische Fokus immer mehr von der „Gefahr“ zum „Gefährder“; die Polizei überwacht, greift ein und Verdächtige werden eingesperrt, ohne dass eine konkrete Tathandlung vorliegt.

Dazu hat die Justiz erheblich beigetragen. Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung macht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz vom 20. April 2016 als „Startschuss für eine regelrechte Reformwelle aus“. Das Gericht hatte damals entschieden, dass Überwachungsmaßnahmen auch dann zulässig sein können, wenn „das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird“. Das habe, so die Süddeutsche, wie eine Einladung geklungen, den „Gefährder“ in die Polizeigesetze hineinzuschreiben.

Die Unterstützung des Aufbaus eines Polizeistaats durch alle im Bundestag vertretenen Parteien bestätigt die Einschätzung der Sozialistischen Gleichheitspartei, dass sich die herrschende Klasse auf die gewaltsame Unterdrückung sozialer und politischer Opposition vorbereitet. Die Parteien überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach Staatsaufrüstung, Überwachung der Bevölkerung und Ausweitung der Polizeibefugnisse, keine einzige verteidigt ernsthaft demokratische Grundrechte. Dieses politische Kartell zeigt, dass alle Parteien in den Grundfragen der Politik miteinander übereinstimmen: Um die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Großmachtpolitik vorzubereiten, muss sich der bürgerliche Staat auch im Inneren bis an die Zähne bewaffnen.

Loading