Erneut Massendemonstration der öffentlich Beschäftigten in Berlin

In Berlin setzten am Mittwoch tausende Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen ihren Warnstreik fort, den sie schon am Dienstagmorgen begonnen hatten. Mehr als die Hälfte der städtischen Kitas blieb geschlossen, Tausende Unterrichtsstunden fielen aus. Am Vormittag zogen etwa zehntausend Streikende vom Potsdamer Platz zum Alexanderplatz, um ihrer Wut über schlechte Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne Ausdruck zu verleihen.

Am Alexanderplatz trafen sie auf eine Kundgebung von etwa eintausend Angestellten in Bezirksämtern, Senatsverwaltungen, Bibliotheken und im Polizei- und Feuerwehrdienst, die von den Gewerkschaften Verdi, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der IG BAU am Mittwoch ebenfalls zum Streik aufgerufen worden waren.

Die Proteste in Berlin waren Teil umfassenderer Warnstreiks des öffentlichen Dienstes der Länder im ganzen Bundesgebiet. Die Gewerkschaften fordern sechs Prozent mehr Lohn oder mindestens 200 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeberseite, deren Verhandlungsführer der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist, hat bisher kein Angebot vorgelegt. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am heutigen Donnerstag in Potsdam.

Nirgendwo waren die Demonstrationen so groß wie in Berlin, denn in der Hauptstadt hat zunächst der rot-rote Senat aus Linkspartei und SPD und jetzt dessen Neuauflage unter Einschluss der Grünen den öffentlichen Dienst an den Rand des Kollaps gespart. Arbeiter erhalten oft deutlich weniger als im benachbarten Brandenburg und sind mit den übelsten Ausbeutungsbedingungen konfrontiert.

Insbesondere die Kindertagesstätten sind chronisch unterbesetzt, weil Berliner Erzieher mehrere hundert Euro weniger als ihre Kollegen andernorts erhalten. Deshalb fordern die Arbeiter in Berlin neben der prozentualen Gehaltserhöhung eine Angleichung an die Tarifstruktur der übrigen Länder.

Egal, mit wem man auf der Demonstration spricht, die Wut der Beschäftigten über die unhaltbaren Arbeitsbedingungen ist enorm. So beklagt die Erzieherin Yvonne, dass immer mehr Leiharbeiter eingesetzt würden, die nicht qualifiziert seien und spätestens nach neun Monaten die Einrichtung wieder verlassen müssten. „Die Kinder sind mit ständig wechselndem Personal konfrontiert und wir sind schließlich zu immer mehr Überstunden gezwungen“, sagt Yvonne.

„Der Job muss einfach wieder attraktiver werden“, ergänzt ihr Kollege Tim. „Nur wo können wir den Personalmangel beheben.“ Stattdessen würden aber immer weitere Stellen abgebaut und werde der Arbeitsdruck erhöht. Dabei sei doch Geld vorhanden, es müsse nur anders verteilt werden.

Auch Daniel, der als Erzieher in einem Hort arbeitet, klagt über unerträglichen Personalmangel. Sobald im Winter ein höherer Krankenstand erreicht werde oder eine Kollegin in den Mutterschutz gehe, müssten Klassen zusammengelegt werden. „Dann ist man manchmal mit über 50 Kindern in einem kleinen Raum.“ Manchmal würden ganze Klassen zur Betreuung an Jugendliche übergeben, die gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ableisten.

Er ist seit fünf Jahren an der Schule und habe seither schon viele Rückschritte erlebt, erklärt Daniel weiter. So müssten die Erzieher immer mehr Kinder immer länger betreuen. Dies sei nun sein erster Streik und er sei zuversichtlich, dass er etwas bewirken kann. „Nächstes Jahr kommen wegen der vollen Hortbetreuung aller Erst- und Zweitklässler mindestens 30 neue Kinder, es werden aber nicht mehr Erzieher eingestellt. Deshalb gehe er auf die Straße und hoffe das Beste.“

Die Lehrerin Sofia erklärt, dass sie die pure Verzweiflung auf die Straße treibe. Die Arbeitsbedingungen würden sich von Jahr zu Jahr verschlechtern. Wir bekommen Schüler mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zugewiesen, haben aber nicht die Bedingungen, uns ihnen zuwenden zu können. Statt Behindertenpädagogen erhalten wir zur Unterstützung lediglich Praktikanten oder FSJler. Mit der Aufnahme oft traumatisierter Flüchtlingskinder habe sich das noch einmal verschärft. Auch viele andere Kindern hielten den wachsenden Leistungsdruck nicht mehr stand und entwickelten psychische Probleme bis hin zu Suizidversuchen.

„Das betrifft eigentlich alle sozialen Berufe“, wirft ihre Kollegin Carmen ein. „In den Kitas ist es noch schlimmer. Deshalb sind wir heute auch aus Solidarität mit den Erzieherinnen und Erziehern hier.“ Überhaupt sei die Schule immer weniger ein Lernraum, der Spaß macht, sondern immer mehr bestimmt durch Normierung, Leistungsdruck und Selektion. „Alles ist nur darauf ausgerichtet, dass man funktioniert, aber nicht selber denkt.“

Den Gewerkschaften stehen viele Teilnehmer skeptisch gegenüber. Das zeigte sich schon daran, dass von den weit über zehntausend Demonstranten nur wenige hundert zur Bühne am Alexanderplatz kamen, um die Reden der Gewerkschaftsvertreter zu verfolgen.

So beschweren sich die Lehrer Karl und Henning, dass die Gewerkschaften die politischen Fragen außen vor ließen und sich ausschließlich auf Gehaltsforderungen konzentrierten. „Wir sollten es schaffen an allen Schulen einen gewissen Standard zu erreichen statt in der Bildung immer in die Elitenförderung zu investieren“, sagt Hennig, worauf Karl ergänzt: „Ich bin mir sicher der durchschnittliche Teilnehmer heute hier steht ein sofort für weniger Geld in der Rüstung. Bildung ist ein Menschenrecht und bildet mit dem Sozialstaat das Fundament einer gesunden Demokratie.“

Auch der Lehrer Tim spricht politische Fragen an. „Wir hören immer, es sei kein Geld da“, sagt er, „aber wenn wir uns umsehen ist klar: Das stimmt einfach nicht. Wir müssen uns das Geld nur holen – es ist bei den Vermögenden und den reichen Einkommen! Mehr noch als vor 50 Jahren sehen die Leute dabei, das wir eigentlich dafür eine enorme Macht haben.“ Zu den großen Bildungsstreiks, die gerade in den USA stattfinden und in denen sich die Lehrer in wachsenden Maße unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, bemerkte er, dass dies auch in Deutschland die Zukunft sein könne.

Eine andere Lehrerin, Annike, sagt mit Blick auf den Streik in den USA: „Ich denke, je mehr die gesellschaftliche Lage auch hier kippen wird, desto politischer werden neben Demos auch diese Streiks werden.“ Sofia schickt sogar Kampfesgrüße an die amerikanischen Kollegen und sagt: „Sie haben unsere Solidarität. Sie werden noch schlechter bezahlt und die Bildung in den USA hängt noch mehr vom Geld ab!“

Die letzten Tarifergebnisse der Gewerkschaften sieht sie sehr kritisch: „Jedes mal wird die Ungleichheit der Bezahlung der verschiedenen Statusgruppen vertieft. Beamte verdienen immer mehr als angestellte Lehrer und die Quereinsteiger am allerwenigsten.“

„Die Wut über die Gewerkschaft ist enorm“, sagt auch die Erzieherin Andrea. Vor zwei Jahren hätten Verdi und GEW es nach Jahren der Verschlechterung nur zwei Prozent mehr Lohn verhandelt. „Damit war niemand einverstanden, aber trotzdem wurde der Streik abgebrochen.“ Schließlich habe sich sogar ergeben, dass die geringe Lohnerhöhung auch noch mit erheblicher Mehrarbeit von 24 Minuten einherging. „Kein Wunder, dass alle wütend sind.“

Auch Durdica, die in einer Kita arbeitet, steht den Gewerkschaften skeptisch gegenüber, weil sie 2017 die Mehrarbeit verschwiegen und so ihren schlechten Abschluss durchgedrückt hatten. Wie andere hofft sie aber noch, dass es diesmal anders werden könnte.

Vertreter der SGP verteilten den Aufruf der Partei zu den Europawahlen und erklärten, dass die Erfahrungen mit den Gewerkschaften nicht zufällig seien, sondern mit dem nationalen und prokapitalistischen Charakter dieser Organisationen zusammen hingen. „Die Gewerkschaften sind zu Comanagern der Unternehmen geworden, die die sozialen Angriffe gegen die Arbeiter durchsetzen“, erklärte der Kandidat der SGP zu den Europawahlen, Christoph Vandreier.

Dies sei gerade in Berlin deutlich geworden, wo der rot-rote Senat in engster Zusammenarbeit mit Verdi und der GEW zehnprozentige Lohnkürzungen durchgesetzt und den gesamten öffentlichen Dienst kaputt gespart habe. „Deshalb ist es notwendig, dass sich Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees organisieren, die den Streik selbst organisieren und international ausweiten“, so Vandreier.

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