Blanker Verrat: Gewerkschaft verkündet Ende des Streiks von 300.000 polnischen Lehrern

Am Donnerstagnachmittag rief die polnische Lehrergewerkschaft ZNP alle Lehrkräfte dazu auf, ab Montag wieder an die Arbeit zurückzukehren und den mächtigen 17-tägigen Streik mit mehr als 300.000 Teilnehmern zu beenden. Und das obwohl keine ihrer Forderungen erfüllt wurden.

Das Vorgehen der ZNP ist blanker Verrat. Die rechtsextreme Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat mehrfach erklärt, die Hauptforderung der Lehrer – eine 30-prozentige Gehaltserhöhung – stehe nicht zur Debatte. Sie hat lediglich eine zehnprozentige Erhöhung angeboten, die zudem an eine Verlängerung der Arbeitszeit gebunden ist. Polnische Lehrer erhalten Armutsgehälter zwischen 1.800 und 3.000 Zloty (414 bis 690 Euro) im Monat und müssen Zweitjobs annehmen, um über die Runden zu kommen.

Die Wut und Kampfbereitschaft unter den Lehrern ist so groß, dass der ZNP bewusst war, dass sie diesem schäbigen Deal nicht so einfach zustimmen konnte wie die Gewerkschaft Solidarnosc. Deshalb erklärte der Präsident der ZNP, Sławomir Broniarz, am Donnerstagnachmittag: „Wir setzen den Streik aus, aber der Kampf geht weiter bis zum Ende!“

Die Gewerkschaft behauptet, sie würde der Regierung bis September „Zeit geben“ und eventuell erneut zum Streik aufrufen, wenn sie bis dahin kein besseres Angebot vorlegt. Bis dahin sollen die Lehrer die Abiturprüfungen vor Ende des Halbjahres Anfang Juni abhalten und der Regierung die gesamte Initiative überlassen. Die Gewerkschaft stellt ihre Aufforderung zur Arbeitsaufnahme als militantes Manöver dar und erklärt: „Ab heute beginnt ein neues, viel wichtigeres Stadium“ des Kampfs.

Die stellvertretende Ministerpräsidentin, Beata Szydło, die für die Gespräche mit der Gewerkschaft zuständig war, lobte die ZNP für die Beendigung des Streiks. Auf einer Pressekonferenz erklärte sie: „Ich möchte der ZNP für diese Entscheidung danken. Schüler und Lehrer haben sie gebraucht.“

Die Lehrer reagierten auf die Ankündigung der ZNP mit Wut und Angriffen in den sozialen Netzwerken. Ein Lehrer schrieb auf Facebook: „Ich habe das seltsame Gefühl, dass die ZNP den Streik genauso verachtet hat [wie der Regierung]“. Der Kommentar erhielt 18 „Likes“.

Die Regierung hat von Anfang an die Strategie verfolgt, den Streik auszusitzen und sich darauf zu verlassen, dass die Gewerkschaft eine Ausweitung des Kampfs verhindern wird. Ihre bösartige Feindschaft selbst gegenüber den elementarsten Forderungen der Arbeiter zeigten die Angriffe der Minister auf die Lehrer. Sie setzten sie mit der Wehrmacht gleich, die Polen im Jahr 1939 überfallen und ein Fünftel der Bevölkerung ermordet hat.

Nachdem die Regierung die Sprache und Politik des offenen Klassenkriegs übernommen hatte, wurden die Lehrer von der Gewerkschaft isoliert. Sie weigerte sich, Streikgeld zu zahlen und unterstützte die Regierung dabei, sie durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen.

Es ist noch immer unklar, ob die Lehrer überhaupt etwas von den Tausenden Zloty an Gehalt bekommen werden, die ihnen durch den Streik entgangen sind. Einige Stadträte haben sich bereit erklärt, die Lehrer aus der lokalen Haushaltskasse zu bezahlen, doch die PiS-Regierung hat das untersagt und als „illegal“ bezeichnet.

Dass einige Lehrer unter diesen Bedingungen keine Möglichkeit für eine Fortsetzung des Streiks mehr sehen, ist das Ergebnis der streikbrecherischen Politik der Gewerkschaft und ein Ausdruck des völligen Mangels an Vertrauen unter Arbeitern, dass die Gewerkschaft in der erbitterten Konfrontation mit der Regierung einen ernsthaften Kampf führen wird.

Die Entscheidung der ZNP, den Streik zu beenden, war vor allem von der extremen Angst der Gewerkschaften und der Regierung motiviert, dass der Streik zunehmend Unterstützung von breiten Teilen der Arbeiterklasse gewinnt. Außerdem gab es Anzeichen dafür, dass sich auch andere Sektionen der Arbeiterklasse dem Streik anschließen werden.

Am Dienstag erklärte eine Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, die versucht, ihre Kontrolle über 40.000 Arbeiter im Sozialwesen zu behalten, sie werde sich dem Streik möglicherweise anschließen. Einen Tag später warnte eine führende liberale Zeitung, dies sei „bereits kein normaler Streik mehr, sondern eine Rebellion“. Insgesamt blieben 15.000 Schulen und Kindergärten geschlossen, zudem demonstrierten Tausende von Schülern und Studenten für ihre Lehrer.

Die herrschende Klasse weiß, dass sie auf einem sozialen Pulverfass sitzt. Auf die Wiedereinführung des Kapitalismus in Polen 1989 folgten drei Jahrzehnte lang soziale Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiter und eine rapide Zunahme der sozialen Ungleichheit. Der Anteil des reichsten Prozents der Polen am Gesamtvermögen des Landes hat sich in dieser Zeit verdoppelt, die ärmsten 20 Prozent der Haushalte besitzen insgesamt nur ein Prozent des gesamten Haushaltsvermögens.

Die Gewerkschaft hat versucht zu argumentieren, die Lehrer könnten den Streik nicht fortzusetzen, weil sie isoliert waren und keine Unterstützung aus der Bevölkerung erhielten. Doch das ist gelogen. Tatsächlich haben die Gewerkschaften sich bemüht, den Streik zu isolieren. Sie lehnten es ab, an andere Sektionen der Arbeiterklasse wie die Arbeiter im Gesundheitswesen, im Sozialwesen sowie im öffentlichen Dienst zu appellieren, um den Kampf auszuweiten und den Kampf der Lehrer mit dem Kampf für höhere Löhne und bessere Sozialleistungen für alle zu verbinden. Sie haben außerdem bewusst alle politischen Fragen ausgeblendet, mit denen denen die Lehrer konfrontiert sind – von den Kriegsvorbereitungen der polnischen Bourgeoisie, für die alle Arbeiter bezahlen müssen, bis hin zu den Angriffen der PiS und ihrer Vorgängerregierungen auf demokratische und soziale Rechte.

Dass die internationalen Medien und die Gewerkschaften in ganz Europa den Streik in Polen nahezu völlig totgeschwiegen haben, verdeutlicht die Angst der herrschenden Klasse, dass sich ein solcher Streik schnell durch ganz Ost- und Westeuropa ausbreiten könnte. Im benachbarten Deutschland haben die Lehrergewerkschaften jede Diskussion über den Streik in Polen unterbunden, da sie die weit verbreitete Unterstützung für einen gemeinsamen Kampf der Lehrer fürchten.

Aus den Erfahrungen der letzten 18 Tage müssen einige grundlegende Schlüsse gezogen werden.

Erstens: Es ist unmöglich, im Rahmen der Gewerkschaften einen Kampf zu führen. Sie sind keine Arbeiterorganisationen, sondern Arbeitskräfte-Managementunternehmen. Ihre Aufgabe ist es, den Widerstand der Arbeiter zu unterdrücken und im Auftrag der Arbeitgeber und Regierungen Kürzungen durchzusetzen. Die World Socialist Web Site ruft die Lehrer auf, eigene, von den Gewerkschaften unabhängige Komitees in Schulen und Wohnvierteln zu gründen, um den Widerstand gegen die Anweisung zur Arbeitsaufnahme zu organisieren. Zudem müssen sie Kontakte zwischen Lehrern und anderen Beschäftigten aufbauen.

Zweitens: Der Streik in Polen ist Teil eines internationalen Prozesses. Er findet vor dem Hintergrund des Auflebens von Kämpfen der Arbeiterklasse statt, das sich weltweit seit Anfang 2018 entwickelt hat. Zu diesem Prozess gehören auch die Gelbwestenbewegung in Frankreich, eine Reihe von Lehrerstreiks in den USA und Streiks von Lehrern und anderen Teilen der Arbeiterklasse in Nordafrika, Europa und Asien. Damit wird es für Arbeiter von entscheidender Bedeutung, dass sie ihre Kämpfe bewusst über nationale Grenzen hinweg vereinen.

Drittens: Die Arbeiter müssen einen politischen Kampf auf der Grundlage eines sozialistischen Programms aufnehmen. Die Klassenkriegspolitik der herrschenden Klasse, einschließlich des Austeritätskurses und der Angriffe auf das öffentliche Bildungswesen, sind untrennbar mit dem weit fortgeschrittenen Kriegskurs der Bourgeoisie verbunden. Die Arbeiter können ihr Recht auf Bildung oder angemessene Gehälter nicht verteidigen, ohne einen Kampf gegen den imperialistischen Krieg und seine Ursache, das kapitalistische System, aufzunehmen.

Für diesen Kampf muss eine neue sozialistische und revolutionäre politische Perspektive und Führung entwickelt werden, die auf den grundlegenden Lehren des 20. Jahrhunderts basiert, vor allem auf dem Kampf der trotzkistischen Bewegung zur Verteidigung des Programms der sozialistischen Weltrevolution gegen die nationalistische Politik und die Verrätereien des Stalinismus. Wir rufen alle Arbeiter und Jugendlichen in Polen, die über diese Themen diskutieren wollen, dazu auf, uns zu kontaktieren.

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