Madrid droht Seenotrettern mit massiven Geldstrafen

Die amtierende spanische Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez (Sozialistische Arbeiterpartei, PSOE) droht dem Rettungsschiff für Flüchtlinge Proactiva Open Arms mit einer horrenden Geldstrafe, falls es weiterhin Flüchtlinge rettet. Diese Drohung ist Teil des zunehmenden weltweiten Angriffs auf Flüchtlinge durch die kapitalistischen Regierungen, die angesichts von wachsendem politischem Widerstand im Inland Nationalismus und Rassismus propagieren.

Der Brief an Open Arms, der an Europa Press geleakt wurde, trägt die Unterschrift von Benito Núñez Quintanilla, dem Generaldirektor der Handelsmarine, die dem Entwicklungsministerium unterstellt ist. Quintanilla warnte die NGO, sie würde schwere „Rechtsverstöße“ begehen, wenn sie ihre Rettungskampagne wieder aufnimmt. Er drohte Open Arms mit Strafen zwischen 300.000 und 901.000 Euro, falls die Organisation weiterhin Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet.

Die Regierung drohte obendrein, das Rettungsschiff nicht mehr aus den Häfen auslaufen zu lassen, falls es seine Aktivitäten auf See „ohne Genehmigung“ fortsetze. Sie drohte außerdem, dem Schiff die Lizenz zu entziehen, wenn die NGO in „ernster oder sehr ernster Weise die maritime Sicherheit verletzt“.

Der Brief wurde am gleichen Tag verschickt, an dem die 31-jährige deutsche Kapitänin des Rettungsschiffs Sea Watch 3, Carola Rackete, von der italienischen Regierung und ihrem faschistischen Innenminister Matteo Salvini verhaftet wurde. Racketes angebliches „Verbrechen“ bestand darin, 52 afrikanische Flüchtlinge zu retten, darunter schwangere Frauen und Kinder, und sie sicher auf die italienische Insel Lampedusa gebracht zu haben. Diese Flüchtlinge waren am 12. Juni im Mittelmeer in Seenot geraten.

Als Reaktion auf die Verhaftung erklärte Proactiva Open Arms auf Twitter: „Wir wurden [von der PSOE-Regierung] sechs Monate lang festgehalten. Wir lassen uns das nicht mehr gefallen. Wir lichten die Anker und fahren aus. Wir sind lieber Gefangene als Mitschuldige [am Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer].“

Das Schiff hatte gerade erst humanitäre Hilfsgüter in die Flüchtlingslager in Griechenland gebracht und lag in Neapel vor Anker, als Rackete verhaftet wurde. Mittlerweile befindet es sich vor der libyschen Küste.

Einen Tag später drohte Salvini dem Schiff mit den Worten: „Spanien soll es zurückbringen, andernfalls werden wir es tun (natürlich im Guten).“ Auf Facebook kritisierte Salvini auch einen Post der NGO, in dem es hieß: „Internationale Konventionen wurden eingeführt, um rassistischen und faschistischen Gesetzen Einhalt zu gebieten.“ Darauf antwortete der faschistische Innenminister: „Was erlauben sich diese Herrschaften?“

Salvini drohte auch der Open Arms und der Alan Kurdi von der deutschen Rettungsorganisation Sea Eye mit Geldstrafen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen, wenn diese Schiffe weiterhin Flüchtlinge retten.

Bei einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament in Straßburg warf die Missionsleiterin von Proactiva Open Arms, Anabel Montes, der amtierenden spanischen PSOE-Regierung vor, sie würde den Flüchtlingsrettungsorganisationen „nicht nur den Rücken kehren“, sondern ihnen auch noch mit Geldstrafen drohen. Sie erklärte: „Die Regierung von Spanien legt einen Preis für das Leben dieser Menschen fest, aber das wird uns nicht zum Aufhören bewegen. Wenn wir uns entscheiden müssen, ob wir Geldstrafen zahlen müssen oder uns mitschuldig am Tod von Menschen machen, ist unsere Entscheidung sehr klar [...] Wir sind lieber Gefangene als Mitschuldige. Sie werden uns nicht aufhalten.“

Sie fügte hinzu, Open Arms brauche keine Lizenz oder Genehmigung, da ihre Aktionen vom internationalen Seerecht gedeckt seien.

Montes erklärte, ihrer Organisation sei es „gleichgültig“, wie hoch die Strafen sind, die Spanien für die „aktive Suche“ nach Flüchtlingen verhängt. Sie wies jedoch darauf hin, dass die wirtschaftlichen Strafen, die das sozialdemokratische PSOE-Regime zu verhängen droht, höher sind als diejenigen der italienischen Koalitionsregierung unter Führung von Salvinis neofaschistischer Lega.

Das Vorgehen der PSOE bestätigt einmal mehr, dass der Angriff auf Immigranten und Flüchtlinge ein universeller Prozess ist. Sozialdemokraten und Neofaschisten sind gleichermaßen bereit, Flüchtlinge im Meer ertrinken zu lassen. Diese mörderische Politik hat alleine in den letzten drei Jahren 14.000 Todesopfer im Mittelmeer gefordert. In den letzten eineinhalb Jahren sind allein in der Meerenge von Gibraltar zwischen Marokko und Spanien mehr als 1.000 Menschen ertrunken.

Die PSOE hat die Politik ihrer rechten Vorgängerregierung fortgesetzt. Letztes Jahr hat sie die völkerrechtswidrige Politik sofortiger Abschiebungen durchgesetzt und sich dafür eingesetzt, Marokko zusätzliche EU-Gelder für sein Vorgehen gegen Immigranten zu geben. Direkt nachdem Marokko und Tunesien 55 Millionen Euro erhalten hatten, ging Rabat brutal gegen Immigranten vor, u.a. mit körperlichen Misshandlungen, der Durchsuchung von Wohnungen ohne richterlichen Beschluss und der Abschiebung von Hunderten Migranten mit Bussen in die Wüste. Zwei Jugendliche wurden bei Razzien der marokkanischen Sicherheitskräfte getötet, einer davon war erst 16.

Dieses Terrorregime wurde von Madrid uneingeschränkt unterstützt. Letzten Dienstag erklärte der spanische amtierende Innenminister Fernando Grande-Marlaska zu Beginn eines zweitägigen internationalen Treffens in Madrid, das von Marokko und Spanien gemeinsam geleitet wurde, er sei „besonders zufrieden“ mit der „intensiven Zusammenarbeit mit Marokko“ bei der Einschränkung von Migration.

Alle Regierungsparteien in Europa – von der sozialdemokratischen PSOE in Spanien über die Große Koalition in Deutschland bis hin zu den offen rechtsradikalen Regierungen in Italien, Österreich und Osteuropa – arbeiten eng zusammen, um den Terror gegen Flüchtlinge und Migranten zu verschärfen. Auch die Pseudolinken unterstützen aktiv diese faschistische Politik.

In Griechenland hat die pseudolinke Syriza als Regierungspartei nicht nur eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung des EU-Spardiktats gespielt, das Millionen Griechen in die Armut getrieben hat, sondern stand auch an vorderster Front im Kampf gegen Migranten. Auf dem griechischen Festland und den Inseln sitzen mehr als 70.000 Flüchtlinge in überfüllten Lagern. Das ist das Ergebnis des Deals, den die EU mit der Türkei geschlossen hat, laut dem alle Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, dort interniert werden, bis ihr Verfahren abgeschlossen ist, und sie so wieder in die Türkei abgeschoben werden können. Dafür hatte die gestern abgewählte Syriza-Regierung mehr als zwei Milliarden Euro von Brüssel erhalten.

Syrizas spanischer Verbündeter, Podemos, verhandelt derzeit mit der PSOE über die Bildung einer Koalitionsregierung, die den Austeritätskurs und das Vorgehen gegen Flüchtlinge fortsetzt. Bisher haben sich die beiden Parteien auf eine „Kooperationsregierung“ geeinigt, deren genauen Charakter sie jedoch unterschiedlich auslegen. Das bisher größte Hindernis ist, dass Iglesias Kabinettsposten beansprucht, die dem Gewicht seiner Partei im Vergleich zur PSOE im Parlament entsprechen, während Sánchez diese Idee ablehnt. Jedenfalls hat Iglesias versprochen, dass Podemos „in allen Staatsangelegenheiten loyal sein wird“, wenn er in die Regierung aufgenommen wird.

Der wichtigste Europaabgeordnete von Podemos in Brüssel, der Pablist Miguel Urbán, inszenierte sich währenddessen als Gegner des Vorgehens gegen Open Arms. Er kam mit einem Rettungsboot über die Kanäle von Straßburg beim Europaparlament an.

In einem Interview erklärte er zu der sorgfältig inszenierten Aktion: „Wir sind in einem Rettungsboot durch die Kanäle von Straßburg gekommen, um die Debatte über die Kriminalisierung von Migranten ins Europaparlament zu tragen. Wir wollten diese Debatte, weil Europa seine Hausaufgaben nicht macht. [...] Die EU sollte eine öffentliche Küstenwache haben, um Todesopfer zu verhindern. Stattdessen zieht sie es vor, NGOs zu kriminalisieren, die die Arbeit erledigen, die eigentlich die EU machen sollte. Stattdessen erlaubt sie faschistischen Rüpeln wie Salvini, diese NGOs zu bedrohen.“

Urbán sagte jedoch nichts über die rechtsextreme immigrantenfeindliche Politik der PSOE, Sánchez' Drohungen gegen Open Arms und die Komplizenschaft seiner eigenen Partei.

Die Tatsache, dass der Angriff auf Flüchtlinge ein universeller Prozess ist, bestätigt die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Der Kampf gegen diese gefährlichen politischen Entwicklungen, die an die dunkelsten Zeiten des 20. Jahrhunderts erinnern, erfordert den Kampf der Arbeiter und Jugendlichen gegen alle Fraktionen der Kapitalistenklasse und ihre kleinbürgerlichen Komplizen auf der Grundlage einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive.

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