Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, ihm drohen eine lebenslange Haft- oder die Todesstrafe in den USA, weil er Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit gebracht hat. Das hält die deutschen Medien nicht davon ab, ihn entweder totzuschweigen oder übel zu verleumden. Wie die US-amerikanischen und britischen Medien setzen auch sie alles daran, den Journalisten zu verunglimpfen und den Frontalangriff auf die Pressefreiheit zu rechtfertigen.
Der Grund dafür liegt in der engen Symbiose, die Medien, Regierung und die großen Wirtschaftsinteressen eingegangen sind. Sie vergeben Assange nicht, dass Wikileaks auch Verbrechen des deutschen Imperialismus aufgedeckt hat.
Deutsche Kriegsverbrechen – von Wikileaks aufgedeckt
Schon im Jahr 2009 veröffentlichte Wikileaks einen internen Feldjägerbericht der Bundeswehr über das Massaker in der afghanischen Provinz Kundus, bei dem bis zu 142 Menschen, darunter auch „Kinder und Heranwachsende“, getötet wurden. Das Bombardement zweier Tanklaster war die bis dato blutigste Militäraktion der Bundeswehr und markierte einen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Der von Wikileaks veröffentlichte, wenige Tage nach der Bluttat verfasste geheime Bericht belegte, dass die Bundeswehr im Vorfeld des Luftschlags keinerlei Maßnahmen getroffen hatte, um zivile Opfer auszuschließen. Er sprach davon, dass sich „mehrere hundert Zivilpersonen im Umkreis“ aufgehalten hätten, und folgerte, dass der Tod von Unbeteiligten „sehr wahrscheinlich“ gewesen sei.
In der Tat berichte das mit der Untersuchung beauftragte Bundeswehrpersonal, „dass vermutlich ca. 14 Zivilpersonen getötet und 4 Zivilpersonen verletzt worden sind“. Diese Zahlen sollten sich in späteren Berichten einer Untersuchungskommission der afghanischen Regierung vervielfachen.
Der Bericht entlarvte nicht nur die Desinformationskampagne der Bundesregierung, die noch Tage nach dem Bombenabwurf jegliche zivile Opfer bestritt, sondern bezeugte auch die Arroganz und Skrupellosigkeit, mit der die Bundeswehrführung und der Befehlshaber vor Ort, Oberst Klein, den Tod unschuldiger Menschen in Kauf nahmen und hinterher versuchten, ihre Spuren zu verwischen.
So heißt es in dem Bericht, die Bundeswehrführung habe mehrere Stunden verstreichen lassen, bevor sie zur Sicherung des Bombenkraters ausgerückt sei. Dabei sei es zu schweren Verstößen gegen dienstliche Richtlinien gekommen.
Wörtlich steht in dem Bericht: „Den FJg-/MP-Kräften bietet sich ein offensichtlich deutlich veränderter Ereignisort, der einen geradezu stark gereinigten Eindruck hinterlässt. Es sind nur noch minimalste Spuren von Humanmaterial zu finden, weder Tote noch Verletzte sind vor Ort.“ Deshalb, schließt der Bericht, könne „heute nicht mehr nachvollzogen werden, ob und ggf. welche und wie viele Personen sich am Ereignisort aufgehalten haben“. Die Spuren des Bundeswehr-Bombardements waren verwischt.
Der interne Feldjägerbericht war Bestandteil der von Wikileaks veröffentlichten „Kriegstagebücher“ aus Afghanistan, die den mörderischen Charakter der amerikanischen und europäischen Besatzung offenlegte.
So befand sich unter den über 90.000 Militärberichten der amerikanischen Streitkräfte unter anderem ein interner Nato-Report aus dem Jahr 2009, demzufolge die Anzahl ziviler Todesopfer im Verlauf des Jahres 2008 um 46 Prozent gestiegen war. Insgesamt hat der neokoloniale Feldzug aktuellen Schätzungen zufolge bis zum heutigen Tag 111.000 afghanischen Männern, Frauen und Kindern das Leben gekostet, darunter mindestens 31.000 Zivilisten.
Die Bundesregierung verurteilte damals die Veröffentlichung der Dokumente durch Wikileaks und erklärte, dies könne die 4600 deutschen Soldaten in Gefahr bringen, die zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan stationiert waren.
Neben den tausenden deutschen Soldaten war die Bundesregierung auch für andere Kämpfer verantwortlich. An Wikileaks im Jahr 2010 durchgestochene Dokumente belegen, dass rund 300 Elitesoldaten der amerikanischen „Task Force 373“ jahrelang in der nordafghanischen Region um Masar-i-Sharif stationiert waren, die unter dem Kommando der Bundeswehr stand. Von dort aus plante und verübte die Capture-or-Kill-Schwadron – abseits des UN-Mandats – ihre brutalen Tötungsmissionen gegen angebliche „Talibanführer“, in dessen Verlauf es wiederholt zu Massakern an Kindern und anderen Unbeteiligten kam.
Auch die Bundesregierung setzte Namen auf die „Verhaftungsliste“ der US-Spezialkräfte. Dazu unterhielt sie ihre eigene Elitetruppe in Afghanistan – die „Task Force 47“, die in den Wikileaks-Dokumenten ebenfalls immer wieder genannt wird. Sie beschaffte die benötigten Personendaten der „Ziele“ der Bundesregierung und übergab sie an die amerikanische Killereinheit, die dann die Drecksarbeit erledigte. Man sei für „jede Hilfe der US-Armee dankbar“, hieß es damals von deutscher Seite.
Laut einer Auskunft des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage des Tagesspiegels handelt es sich bei der vollkommen geheim agierenden Sonderformation der Bundeswehr um 120 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der Division Spezielle Operationen (DSO) sowie des Militärischen Nachrichtenwesens. Zu ihren Aufgaben zähle die „Еrgreifung“ angeblicher „Führungskräfte der Taliban“. Darüber, wie viele Menschen zu Tode kommen, wenn die TF 47 „Maßnahmen zur Selbstverteidigung“ ergreift, gebe es „keine belastbaren Informationen“.
Einen weiteren Anhaltspunkt für den Modus Operandi der Truppe geben jedoch wiederum die Wikileaks-Dokumente über die Kundus-Affäre: Oberst Klein führte die gesamte Operation gemeinsam mit drei weiteren Mitgliedern der TF 47 von der abgeschotteten Befehlsstelle der „Task Force“ aus.
Die stillschweigende illegale Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und US-Army bei völkerrechtswidrigen Tötungsmissionen in Afghanistan ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie der deutsche Imperialismus mit dem US-Militär zusammenarbeitet, um seine eigenen Interessen durchzusetzen.
Ein weiteres ist die Errichtung des United States Africa Command der US-Streitkräfte (US AFRICOM) in Stuttgart. Mit Ausnahme Ägyptens, das zum Hoheitsgebiet des Central Command gehört, koordiniert der Stützpunkt seit seiner Fertigstellung im Jahr 2008 sämtliche Kampfhandlungen der amerikanischen Militärmacht auf dem afrikanischen Kontinent.
In einer von Wikileaks veröffentlichten vertraulichen Depesche berichtet die US-Botschaft in Berlin, dass „die deutsche Regierung stark die US-Entscheidung unterstützte“, das US-Militärkommando in Deutschland zu errichten. Das Dokument war Teil der als „Cablegate“ bekannt gewordenen Veröffentlichung von über 250.000 diplomatischen Depeschen von 274 Botschaften und Konsulaten der Vereinigten Staaten im Jahr 2010.
Der Vertreter der Bundesregierung, Ulrich Brandenburg, mahnte die amerikanische Seite demnach zur Verschwiegenheit, da die Entscheidung sonst „Schlagzeilen machen“ und eine „unnötige öffentliche Debatte“ hervorrufen könnte. Ein vertrauliches Papier Brandenburgs an das Bundesaußenministerium, das einige Jahre später via Wikileaks publik wurde, belegt, dass die deutsche Regierung dabei ihre eigenen imperialistischen Pläne hegte.
„Eine Ansiedlung von AFRICOM in Stuttgart steht deutschen Interessen nicht entgegen. Im Gegenteil“, schreibt der Diplomat des Auswärtigen Amtes. Die Beherbergung zweier Regionalkommandos der US Army, AFRICOM und das für Europa zuständige EUCOM, illustriere vielmehr die Rolle Deutschlands als einem „der wichtigsten Partner der Vereinigten Staaten“. Man solle daher „US-Planungen positiv beantworten“.
Wikileaks widerlegt damit insbesondere die offizielle Propaganda, wonach Deutschland nicht am Krieg gegen Libyen beteiligt gewesen sei: Die Einsatzbefehle der Tomahawk-Marschflugkörper, die das Land in Schutt und Asche legten, kamen direkt aus Stuttgart.
Der deutsche Polizeistaat und seine Geheimdienste
Im August 2008 veröffentlichte Wikileaks die durch ein deutsches Gerichtsurteil zurückgehaltenen fehlenden Seiten des sogenannten „Schäfer-Reports“, der über die illegale Bespitzelung deutscher Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst berichtete. Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer hatte im Jahr 2006 einen Bericht für das parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages über rechtswidrige Aktivitäten des BND erstellt.
Die von WikiLeaks veröffentlichte Datei beleuchtet unter anderem die Rolle des Focus-Journalisten Josef Hufelschulte (BND-Codename „Jerez“), der in engem Austausch mit führenden Geheimdienstlern stand. Demnach nutzte der deutsche Auslandsgeheimdienst Kontakte wie diese, um die öffentliche Berichterstattung über seine Machenschaften zu beeinflussen und um interne Quellen sowie undichte Stellen zu verfolgen.
Im Dezember 2016 veröffentlichte Wikileaks sämtliche Protokolle des NSA-Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages vom Vorjahr. Die WSWS hatte darüber berichtet. Die Dokumente belegen, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst Zugriff auf die Datenbanken der NSA hat, die US-Geheimdienste massenhaft mit Daten belieferte, und dass mindestens ein BND-Mitarbeiter die NSA-Software XKeyscore mit entwickelt hat, die den Mailverkehr von Millionen Menschen weltweit scannt und analysiert.
Von 2011 bis 2014 veröffentlichte Wikileaks jährlich umfangreiches Material über die Zusammenarbeit privater und staatlicher Akteure bei der Überwachung der Bevölkerung – die sogenannten „Spy Files“. Zentraler Bestandteil der Enthüllungen waren unter anderem die Geschäftsbeziehungen sowie das Produktportfolio der deutschen FinFisher GmbH, eine Tochtergesellschaft des britischen Gamma-Konzerns. Das unauffällige Unternehmen aus München, das laut seiner Homepage „ausschließlich mit Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitet“, ist der weltweit führende Anbieter von Staatstrojanern.
Die gegenwärtige Version der von FinFisher entwickelten Cyberwaffe FinSpy benötigt keine Interaktion durch den Nutzer mehr, um auf ein Gerät Zugriff zu erhalten. Stattdessen manipuliert die Schadsoftware den Download von Updates bekannter Programme. Wikileaks veröffentlichte unter anderem Teile des FinSpy-Quellcodes, um „der technischen Community dabei zu helfen, Werkzeuge zum Schutz der Bevölkerung vor FinFisher zu entwickeln“.
Die Wikileaks-Dokumente lösten weitere Nachforschungen aus. Es ergab sich, dass FinSpy in der Vergangenheit unter anderem von den Regierungen Äthiopiens, Bahrains und der Türkei nachweislich zur Überwachung von Bürgerrechtlern und Oppositionellen eingesetzt wurde. Die Software wurde stets mit ausdrücklicher Ausfuhrgenehmigung der Bundesregierung an dutzende weitere reaktionäre Regimes überall auf der Welt verkauft, darunter Qatar, Südafrika, Vietnam und Ungarn.
In einem Statement der Wikileaks-Redaktion vom 15. September kommentierte Julian Assange: „FinFisher operiert weiterhin ungeniert von Deutschland aus und verkauft waffenfähige Überwachungsmalware an einige der rücksichtslosesten Regimes der Welt. Die Regierung Merkel gibt vor, auf den Schutz der Privatsphäre Wert zu legen – aber ihre Taten sprechen eine andere Sprache. Warum stellt sich die Regierung Merkel nach wie vor schützend vor FinFisher?“
Die Antwort lautet: Weil die Bundesregierung sonst einem ihrer eigenen Lieferanten geschadet hätte. Wie mittlerweile bekannt ist, hatte das Bundeskriminalamt bereits im Jahr 2013 eine FinSpy-Lizenz erworben, sie jedoch wegen „verfassungsrechtlicher Bedenken“ angeblich jahrelang nicht eingesetzt. Spätestens mit der Verabschiedung der neuen Sicherheitsgesetze von Innenminister Horst Seehofer wurden diese Bedenken jedoch offenbar aus dem Weg geräumt. Wie die Welt unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, hat das Bundesinnenministerium am 10. Januar 2018 dem BKA grünes Licht für den Einsatz von FinSpy zur Quellen-Telekommunikations-Überwachung erteilt.
Julian Assange und Wikileaks haben in all diesen Bereichen die Arbeit getan, die Journalisten eigentlich tun sollten: nämlich die geheimen Machenschaften und Verbrechen der Herrschenden aufgedeckt. Dafür werden sie nicht nur von diesen verfolgt, sondern auch von gekauften Schreiberlingen in den Redaktionsstuben angegriffen. Das unterstreicht, dass nur eine Bewegung der Arbeiterklasse Assange verteidigen kann.