Mit kleinen Protestaktionen in Nürnberg und Berlin versucht die IG Metall, den wachsenden Widerstand unter den Siemens-Beschäftigten gegen die Ausgliederung der Energiesparte Gas und Power aus dem Konzern unter Kontrolle zu halten und einen gemeinsamen Kampf aller betroffenen Standorte zu verhindern.
Schon im Juni vergangenen Jahres hatte die Gewerkschaft dem Programm „Vision 2020+“ von Siemenschef Joe Kaeser zugestimmt. Dieses Programm sieht vor, dass die Energiesparte des Unternehmens als selbständige Einheit unter dem Namen Gas & Power ausgegliedert wird. Der Börsengang von Gas & Power soll im Juni 2020 von einer außerordentlichen Hauptversammlung der Aktionäre endgültig entschieden werden.
Kaesers Strategie ist es, den Technologiekonzern in eine Holding zu verwandeln, bei der die verschiedenen Sparten als selbständige Unternehmen an die Börse gebracht werden. Dadurch werden schwächere Sparten nicht mehr die Bilanz des Konzerns trüben. Die Gewinne einer stärkeren Sparte, wie die unter dem Namen Healthineers bereits an der Börse platzierte Medizinsparte, werden dann nicht mehr die möglichen Verluste einer anderen ausgleichen können.
Um den Aktienpreis bei der Erstplatzierung möglichst hochzutreiben, plant der Siemens-Vorstand massiven Arbeitsplatzabbau und Kosteneinsparungen. Die Bedingungen, unter denen die Ausgliederung stattfinden soll, werden am heutigen Montag und Dienstag in München zwischen Vorstand und Betriebsrat ausgehandelt. Allein in Deutschland sollen 1400 Stellen entfallen, davon etwa 500 in Berlin. Gleichzeitig soll die Arbeitsintensität und Ausbeutung deutlich verschärft werden.
Anstatt die gesamte Belegschaft gegen den Arbeitsplatzabbau zu mobilisieren, veranstaltete die IG Metall jedoch nur kleine Protestaktionen in Nürnberg und Berlin.
Mehrere Hundert Arbeiter ließ die IG Metall am Donnerstag letzter Woche vom Siemens-Schaltwerk in Berlin-Spandau zum Jakob-Kaiser-Platz marschieren, einem Verkehrskreisel, der weit ab von jeglichen Häusern oder Geschäften liegt. Dort durften nur linientreue Betriebsräte und Politiker ihre alt bekannten Phrasen und nichtssagende Solidaritätserklärungen verkünden. Jede kritische Stimme von Seiten der Arbeiter wurde unterdrückt, und selbst gewählte Betriebsräte erhielten Redeverbot.
Regina Katerndahl, die stellvertretende Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, beschwor das Abkommen „Radolfzell II“, das zwischen Vorstand und der Gewerkschaft im Jahr 2010 ausgehandelt worden war. „Das müssen wir durchsetzen,“ rief sie den Teilnehmern der Demonstration zu.
Dieses Abkommen, worin angeblich ein Schutz vor Kündigungen vereinbart worden sei, ist in Wirklichkeit nicht das Papier wert, auf dem es steht. In Wahrheit hat die Gewerkschaftsspitze in diesem Abkommen eine Öffnungsklausel vereinbart, in der ausdrücklich festgelegt wurde, dass unter bestimmten Bedingungen „eine solche Garantie nicht gegeben werden kann“.
Mehrere Siemens-Arbeiter, die an der Protestaktion teilnahmen, sprachen mit Reportern der WSWS und machten ihrem Unmut Luft. „Eigentlich hätte die Gewerkschaft gegen die Ausgliederung der Energiesparte stimmen müssen, denn dadurch werden die Schrumpfung der Belegschaft und die Entlassungen vorangetrieben,“ sagte ein Arbeiter aus der mechanischen Fertigung.
Ein anderer erklärte: „Die Ausgliederung wurde uns so verkauft, als wenn das jetzt super klappen würde, es würde alles gut gehen. Wir haben natürlich darin kein Vertrauen, aber haben auch nicht die Möglichkeiten, da groß einzugreifen, außer jetzt bei der Demo mitzumachen.“ Was letztendlich das Ergebnis der Ausgliederung sei, werde man erst in drei Jahren sehen, wenn die neue Firma angelaufen und der Kündigungsschutz abgelaufen ist. Außerdem sei völlig unklar, was aus den Plänen für den neuen Siemens Forschungs-Campus „Projekt Siemensstadt 2.0“ wird und welche Konsequenzen das hat.
Karl, ein weiterer Teilnehmer der Demo, unterstrich, warum er wenig Vertrauen in die Gewerkschaftsführung habe. „Der Kardinalfehler wurde schon von der Gewerkschaft gemacht, als sie der Ausgliederung der Energiesparte zugestimmt hat. Das war genauestens organisiert, das passiert nicht einfach so im Handstreich, da müssen schon lange vorher Gespräche stattgefunden haben, und der Betriebsrat hat einfach zugestimmt.“
Sein Kollege warf ein, dass es angesichts der Globalisierung notwendig sei, internationale Unterstützung zu organisieren. Daraus entwickelte sich eine Diskussion darüber, dass die IG Metall noch nicht einmal alle deutschen Standorte zu einem gemeinsamen Kampf aufruft, von internationaler Mobilisierung ganz zu schweigen.
Es wurde deutlich, dass der Konflikt zwischen der IG Metall, deren Funktionäre im Siemens-Aufsichtsrat sitzen und eng mit dem Management zusammenarbeiten, und den Arbeitern, die nach einer Möglichkeit suchen, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, immer schärfer wird.
Als ein kritischer Betriebsrat auf der Kundgebung sprechen wollte, wurde er von den IGM-Bürokraten scharf attackiert. „Das ist nicht Deine Veranstaltung“, rief die stellvertretende Bevollmächtigte Katerndahl erregt und forderte den Betriebsrat auf, sofort die Bühne zu verlassen.
Stattdessen sprachen der Betriebsrat des Schaltwerks, Rüdiger Groß, Spandaus Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD), weitere Betriebsratsfürsten und die entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Helin Evrim Sommer, der Betriebsratsvorsitzende des Dynamowerks, Predrag Savic, und der Sprecher der Berliner Siemens-Betriebsratsvorsitzenden, Günter Augustat.
Eine hohle Phrase folgte auf die nächste. Regina Katerndahl beschwor den Slogan „Mensch vor Marge“. Evrim Somer appellierte an Vorstandschef Joe Kaeser, seinen Parolen von gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen auch Taten folgen zu lassen.
Günter Augustat, Betriebsratsvorsitzender vom Gasturbinenwerk, drohte den Arbeitern unverhohlen, sie sollten von den Verhandlungen bloß keine überzogenen Ergebnisse erwarten. „Aber ihr müsst euch auch mit Alternativen beschäftigen. Wir haben an der Huttenstraße [Siemens Gasturbinenwerk] die fünfte, sechste Abbaurunde durch. Wir haben einen Kürzungshaushalt nach dem anderen abschließen müssen. Aber wir haben dafür mit Alternativen und Gegenkonzepten arbeiten können. Uns ist es gelungen, dass wir nicht alle Wertströme aufgeben müssen, dass wir viele Wertströme erhalten konnten und Zusatzinvestitionen in unsere Fabriken holen konnten.“
Das ist es also, worauf es der Gewerkschaft ankommt, die Wertströme „ihres“ Unternehmens zu erhalten. Dem sollen sich die Arbeiter gefälligst beugen und entsprechenden Arbeitsplatzabbau hinnehmen. Augustat rief dazu auf, sich Gedanken zu machen, was in der Fertigung noch verbessert werden könne.
Der Betriebsrat des Dynamowerks beschwor die Arbeiter, in der Gewerkschaft zu bleiben, denn das sei einer der Faktoren, die beim Dynamowerk „zum Erfolg geführt“ hätten. Man habe die Schließung des Werks verhindern können, indem man Arbeitsplatzabbau zugestimmt habe.
Die Kundgebungsredner machten deutlich, dass ein prinzipieller Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze nicht mit, sondern nur gegen die IG Metall und ihre enge Zusammenarbeit mit der Konzernleitung möglich ist.
Reporter der WSWS verteilten auf der Demonstration ein Flugblatt und informierten über den Streik der amerikanischen Autoarbeiter von General-Motors, der wenig Tage zuvor begonnen hatte.
In dem Flugblatt heißt es: „Der Streik bei GM ist die jüngste Etappe einer globalen Streikwelle. Der Streik der US-Autoarbeiter findet im Kontext einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse statt. Erst letzte Woche streikten 8000 GM-Arbeiter in Korea, und französische Transportarbeiter bestreikten am Freitag die U-Bahn von Paris. Im vergangenen Jahr haben Autoarbeiter in Indien und Mexiko mächtige Streiks geführt. In Frankreich, Puerto Rico und Hongkong haben sich Arbeiter und Jugendliche an Massendemonstrationen zur Verteidigung ihrer sozialen und demokratischen Rechte beteiligt. Der Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn er der Kontrolle der korrupten Gewerkschaftsführung entrissen wird. Die Beschäftigten müssen Komitees wählen, um den Streik zu organisieren und auszuweiten.“
Die Siemens-Arbeiter müssen ihren Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze als Teil dieser internationalen Mobilisierung verstehen und Aktionskomitees aufbauen, die eine Verbindung zu den Arbeitern an allen anderen Standorten aufbauen, um gemeinsamen Widerstand zu organisieren.