Perspektive

Sanktionen gegen Nord Stream 2: Die Gefahr eines Dritten Weltkriegs

Die Entscheidung des US-Kongresses, am Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 beteiligte Firmen mit Sanktionen zu belegen, unterstreicht, wie akut die Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten und die Gefahr eines weiteren Weltkriegs sind. In der Vergangenheit galt das Abschneiden der Energiezufuhr als Kriegsgrund.

Die Sanktionsdrohung der USA hat das nahezu fertiggestellte 10-Milliarden-Dollar-Projekt praktisch zum Erliegen gebracht, nachdem sich die Schweizer Firma Allseas, die das Spezialschiff zur Verlegung der Rohre betreibt, zurückgezogen hat. Russland will die Pipeline zwar mit einem eigenen Schiff fertigstellen. Doch dieses liegt derzeit in einem russischen Pazifikhafen und muss erst noch umgebaut werden, so dass sich die Fertigstellung der Pipeline – wenn sie denn überhaupt zustande kommt – um mindestens ein Jahr verzögert.

Die amerikanischen Sanktionen zielen nicht nur gegen Russland, das auf die Einnahmen aus dem Gasexport angewiesen ist, sondern auch gegen Deutschland, das die Pipeline als strategisches Projekt betrachtet, das für die Sicherung seiner Energieversorgung unverzichtbar ist. Nord Stream 2 verbindet Russland über den Grund der Ostsee direkt mit Deutschland.

Die USA haben zwar schon früher versucht, anderen Staaten mit Sanktionen ihren Willen aufzuzwingen. Doch diese richteten sich gegen schwächere Staaten, wie den Iran oder Venezuela, die Washington zum Feind erklärt hatte, nicht aber gegen einen Nato-Partner und die – nach den USA, China und Japan – viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Entsprechend wütend sind die Reaktionen aus Berlin, die vom Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten, erpresserischer Methoden und wirtschaftlicher Unterwerfung bis zur Forderung nach Gegenmaßnahmen reichen.

Dabei ist Berlin nicht das unschuldige Opfer, als das es sich gibt. Es rüstet seit Jahren systematisch auf, um in der Weltpolitik wieder eine Rolle zu spielen, die seinem wirtschaftlichen Gewicht entspricht, und seine imperialistischen Interessen unabhängig von den USA und notfalls auch gegen diese zu verfolgen. Auch die deutschen Rüstungsexporte haben im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht.

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg war der deutsche Imperialismus zur militärischen Zurückhaltung gezwungen. Er hatte zwei Mal versucht, Europa gewaltsam unter seine Kontrolle zu bringen, und den Kontinent dabei in Schutt und Asche gelegt sowie historisch beispiellose Verbrechen begangen. Doch die USA sicherten ihm das Überleben, weil sie ihn als Bollwerk im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion brauchten.

Nachdem in den Nürnberger Prozessen rund zwei Dutzend Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt worden waren, stellten die USA die Entnazifizierung ein. Hitlers Beamte, Juristen, Professoren und Generäle kehrten auf ihre Posten zurück, seine Geldgeber behielten ihre Vermögen. Noch heute geht der Besitz einiger der reichsten deutschen Familien – u.a. der Quandts (BMW), der Schaefflers, der Piëchs und der Porsches (VW) – auf die Verbrechen der Nazis zurück.

Für die herrschende Klasse Deutschlands war das Bündnis mit Washington äußerst vorteilhaft. Sie konnte im Windschatten der USA weltweit expandieren, Märkte erobern und mit reaktionären Regimen paktieren, während die USA die Drecksarbeit erledigten, blutige Kolonialkriege führten und rechte Putsche organisierten. Das änderte sich vor dreißig Jahren, als das Ende des Kalten Kriegs der Nato ihren ursprünglichen Daseinszweck entzog. Seither verschärfen sich die transatlantischen Spannungen.

Das Militärbündnis übernahm die Aufgabe, den Machtbereich der westlichen Mächte auf Osteuropa und Bereiche der früheren Sowjetunion auszudehnen, Russland einzukreisen und imperialistische Kriege auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika zu führen oder zu unterstützen.

Berlin verfolgt dabei einen doppelten Kurs. Zum einen nutzte es die Nato, um seinen Einfluss in Osteuropa auszudehnen und Russland zurückzudrängen. So spielte es eine Schlüsselrolle bei dem rechten Putsch, der 2014 in der Ukraine ein antirussisches Regime an die Macht brachte, und beim militärischen Aufmarsch der Nato gegen Russland im Baltikum und Polen. Gleichzeitig ist es bemüht, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland aufrecht zu erhalten, auf das es als Energielieferant dringend angewiesen ist.

Das – und die wachsende Konkurrenz auf den Weltmärkten – hat Berlin in Konflikt mit Washington gebracht, wo vor allem die Demokraten auf einen strikten Konfrontationskurs und die Isolation Russlands drängen. Die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen, die den Sanktionsbeschluss gegen Nord Stream 2 mit eingebracht hat, nannte ihn „eine unmissverständliche Botschaft an Wladimir Putin, dass die USA nicht untätig zuschauen, wie Russland seinen unheilvollen Einfluss ausdehnt“. Und der republikanische Senator Ted Cruz sagte, die Sanktionen würden Putin daran hindern, „Millionen für die Finanzierung der russischen Aggression aufzubringen“.

Dabei ist der Konflikt über Nord Stream 2 nicht der einzige zwischen Deutschland und den USA. So lehnt Deutschland – zusammen mit Frankreich und Großbritannien – die US-Sanktionen gegen Iran ab und versucht, sie zu unterlaufen.

Auch über die China-Politik gibt es heftige Differenzen. So lehnt es Berlin trotz massivem Druck aus Washington bisher ab, den chinesischen Konzern Huawei vom Ausbau des 5G-Netzes auszuschließen. Auch über den Einstieg des chinesischen Autokonzerns BAIC bei Daimler gibt es Konflikte. Die USA versuchen zu verhindern, dass BAIC seinen Anteil am deutschen Autobauer, an dem bereits der chinesische Partner Geely einen Anteil von 10 Prozent hält, ebenfalls auf 10 Prozent erhöht.

Letztlich bestätigen die wachsenden Konflikte zwischen den USA, Deutschland und anderen imperialistischen Mächten, was Lenin bereits 1917 in seiner klassischen Schrift über den Imperialismus feststellte: „Unter dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar.“

Bündnisse zwischen imperialistischen Mächten, so Lenin, sind daher „notwendigerweise nur ‚Atempausen‘ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden… Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik.“

Getrieben von Handels- und Finanzkrisen, dem Kampf um Märkte und Rohstoffe und wachsenden sozialen Spannungen bewegt sich der Weltkapitalismus wieder in hohem Tempo auf eine kriegerische Katastrophe zu, die das Überleben der Menschheit bedroht.

Und wie Lenin 1917 analysierte, ziehen die wachsenden nationalen Spannungen alle halbherzigen politischen Strömungen in ihren Sog. Unter dem wachsenden Konflikt mit den USA schmilzt der Pazifismus, zu dem sich Grüne, Sozialdemoraten und Linkspartei manchmal in Wahlauftritten noch vage bekennen, schneller dahin als Schnee unter den Folgen des Klimawandels. Konfrontiert mit den Sanktionen der USA rufen sie am lautesten nach Vergeltung. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte die Bundesregierung auf, der Erpressung in keinem Fall nachzugeben. Und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock warf US-Präsident Trump Erpressung vor und verlangte Gegenmaßnahmen

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die einen weiteren Weltkrieg verhindern kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Sie muss sich international zusammenschließen und den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen seine Ursache, den Kapitalismus, verbinden. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und seiner Sektionen, der Sozialistischen Gleichheitsparteien.

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