Am 24. Februar 2020 beginnt das Auslieferungsverfahren der Vereinigten Staaten gegen Julian Assange. Die Strafverfolgung von Assange markiert eine neue Stufe beim Angriff auf elementare demokratische Rechte und die Rechtsstaatlichkeit durch die US-amerikanische, die britische und die internationale herrschende Klasse.
Seit zwanzig Jahren greift die herrschende Klasse die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Grundlagen der bürgerlichen Demokratie an. Im Mittelpunkt dieses Angriffs stehen das Recht auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Verfolgung von Assange beinhaltet in dieser Hinsicht neue und gefährliche Aspekte.
Die US-Regierung hat in ihrer Geschichte immer wieder versucht, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Möglichkeit der Presse einzuschränken, über Regierungsangelegenheiten und die Ordnungsmäßigkeit von Gerichtsverfahren zu berichten. Der politische und juristische Angriff auf Assange bedeutet jedoch eine neue Qualität bei der Zerstörung von Grundrechten und der Rechtsstaatlichkeit als bürgerliche Herrschaftsweise.
Im Bemühen, einen autoritären nationalen Sicherheitsstaat zu errichten, haben aufeinanderfolgende US-Administrationen eine wahre Konterrevolution vollzogen. Nun versucht die US-Regierung zum „Gesetz“ zu erheben, dass journalistische Tätigkeit, die geheime Verteidigungs- und andere Informationen offenlegt oder publiziert, als kriminelle Tat und Spionage gilt; dass Journalisten als Spione eingesperrt werden.
Bei ihrem Umgang mit Assange setzt sich auch die britische Regierung, die Amerika als williger Helfer dient, über zahlreiche Grundrechte hinweg – einschließlich des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, auf anerkannte rechtliche Verfahrensweisen, auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und auf Respektierung des Völkerrechts. Dieser Artikel erläutert die breitere politische und rechtliche Bedeutung der Verteidigung von Julian Assange und die immensen historischen Fragen, die sie für die Zukunft der Menschheit aufwirft.
Der Prozess gegen John Peter Zenger
Vor fast 300 Jahren fand der berühmte Prozess gegen John Peter Zenger, einen New Yorker Verleger, statt. Er wurde wegen Verleumdung angeklagt, weil er Informationen publiziert hatte, die gegen die Regierung gerichtet waren, was zur damaligen Zeit als Verbrechen galt. Es war das Jahr 1734, und Amerika war eine britische Kolonie. In der Zeit des Aufstiegs einer neuen fortschrittlichen Klasse, der amerikanischen Bourgeoisie, hatte der Zenger-Prozess bahnbrechende Auswirkungen.
John Peter Zenger war ein deutscher Einwanderer und Herausgeber der Zeitschrift New York Weekly Journal. Die Publikation übte scharfe Kritik an der Kolonialregierung und an Gouverneur William S. Cosby. Zenger beschuldigte die Regierung unter anderem der Wahlmanipulation und Gouverneur Cosby, verschiedene Verbrechen begangen zu haben.
Zenger hatte nur das Material veröffentlicht, die Informationsquellen waren anonym, und Zenger weigerte sich, ihre Identität preiszugeben. Die Kolonialbehörde warf ihn für acht Monate ins Gefängnis und behandelte ihn schlecht, u.a. wurde ihm Stift, Tinte und Papier verweigert, um mit der Außenwelt zu kommunizieren und seine Verteidigung vorzubereiten. Der Gouverneur veranlasste die öffentliche Verbrennung des New York Weekly Journal.
Zenger wurde der Verleumdung angeklagt, wobei es juristisch keine Rolle spielte, ob das Publizierte wahr oder falsch war, sondern es ging lediglich um die Veröffentlichung regierungskritischer Aussagen. Zenger gab die Veröffentlichung des Materials zu, verteidigte aber zum ersten Mal in der Geschichte der Kolonie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Sein Anwalt, Andrew Hamilton aus Philadelphia, erläuterte den Geschworenen die bedeutsame Frage, um die es in dem Prozess ging. Angesichts des heutigen Vorgehens der amerikanischen Regierung gegen Julian Assange lohnt es sich, Hamiltons brillante und kraftvolle Rede ausführlich zu zitieren:
Es ist natürlich, es ist ein Privileg, ich gehe noch weiter: es ist ein Recht, das alle freien Menschen für sich beanspruchen dürfen: das Recht, sich zu beschweren, wenn ihnen Leid angetan wird. Sie haben das Recht, öffentlich und aufs Schärfste gegen Machtmissbrauch zu protestieren und ihre Nachbarn vor Handgreiflichkeit oder offener Gewalt von Autoritätspersonen in Schutz zu nehmen. Es steht ihnen zu, voller Mut die Segnungen der Freiheit, wie sie sie verstehen, zu preisen und offen zu sagen, welchen Wert sie ihr beimessen, und dass sie entschlossen sind, sie auf jeden Fall zu bewahren als einen der größten Segen, die der Himmel gewähren kann …
Die Macht kann man zu Recht mit einem großen Fluss vergleichen, der schön und nützlich ist, solange er in seinem natürlichen Bett gehalten wird. Aber wenn er über die Ufer tritt, ist er zu ungestüm, um eingedämmt zu werden. Er schwemmt alles vor sich her und bringt überallhin, wohin er kommt, Zerstörung und Verwüstung. Wenn dies also das Wesen der Macht ist, dann müssen wir wenigstens unsere Pflicht tun. Wie weise Männer, die es schätzen, frei zu sein, muss unsere größtmögliche Sorge darauf gerichtet sein, die politische Freiheit als das einzige Bollwerk gegen die gesetzlose Macht zu schützen, die zu allen Zeiten das Blut der besten Männer ihrer wilden Lust und ihrem grenzenlosen Ehrgeiz zum Opfer gebracht hat …
Ihr seht, dass ich meine Arbeit gebeugt von der Last vieler Jahre und großer körperlicher Gebrechen verrichte. Dennoch, alt und schwach wie ich bin, muss ich es für meine Pflicht halten, wenn nötig in den äußersten Teil des Landes zu gehen, wo meine Dienste von Nutzen sind, um die Flamme der Verfolgungen auszutreten, wo es um Informationen geht, welche die Regierung in Umlauf setzt, um einem Volk das Recht zu nehmen, zu protestieren und sich auch über die Männer an der Macht zu beschweren, die sich der Willkür bedienen …
Aber um zum Schluss zu kommen: Die Frage vor dem Gericht und vor Ihnen, meine Herren Geschworenen, ist nicht von geringer oder privater Bedeutung. Sie betrifft nicht nur einen armen Drucker, auch nicht New York allein. Nein! Sie kann in ihrer Konsequenz jeden freien Mann betreffen, der unter einer britischen Regierung auf dem amerikanischen Festland lebt. Es ist die beste Sache. Es ist die Sache der politischen Freiheit. Und ich zweifle nicht daran, dass Ihr aufrichtiges Verhalten an diesem Tag Ihnen nicht nur das Recht auf Liebe und Wertschätzung Ihrer Mitbürger verleiht, sondern dass jeder Mensch, der das Freisein einem Leben in Sklaverei vorzieht, Sie als Menschen segnen und ehren wird, die den Vorstoß der Tyrannei aufgehalten haben. Sie legen durch Ihr unparteiisches und nicht korrumpiertes Urteil eine edle Grundlage dafür, dass wir uns selbst, unserer Nachwelt und unseren Nachbarn das erhalten, was uns die Natur und die Gesetze unseres Landes gegeben haben: das Recht auf die Freiheit, (zumindest in diesem Teil der Welt) die Willkür zu entlarven und zu bekämpfen, indem wir die Wahrheit aussprechen und schreiben.
Als Hamilton seine Rede beendet hatte, wies der Richter die Jury an, Zenger zu verurteilen. Doch nach sehr kurzer Beratung kehrten die Geschworenen zurück und sprachen das einstimmige Urteil: Nicht schuldig. Aus dem Fall Zenger entwickelte sich in der Folge eine Rechtsdoktrin, die schließlich im Ersten Zusatz zur US-Verfassung konkret festgehalten wurde. Sie besagt, dass Informationen, die der Wahrheit entsprechen, niemals verleumderisch (oder aufrührerisch) sein können, und dass keine Regierung durch ihr Handeln die freie Rede jemals einschränken darf.
Gouverneur Morris, eine der Hauptfiguren des Verfassungskonvents von 1787, beschrieb den Fall Zenger als „den Keim der amerikanischen Freiheit, den Morgenstern jener Freiheit, die später Amerika revolutionieren sollte“.
Der Zenger-Prozess trug wohl mehr als jedes andere Ereignis zum Beginn der amerikanischen Revolution bei.
Das Naturrecht
Zengers Verteidigung beruhte auf Vorstellungen des Naturrechts, die als Grundlage aller Rechte angesehen wurden. Diese Vorstellungen, die sich in Amerika ausbreiteten, waren ein Ergebnis der englischen Revolutionen sowie der Ideen von John Locke und der Aufklärung. Diese Ideen gingen auf die klassischen philosophischen Debatten der Antike über die Frage nach der Bedeutung des Rechts und des Gegensatzes von Macht und Recht zurück, wie sie zum Beispiel Platon in seinem Werk „Politeia“ (lat. „Res Publica“) diskutiert.
Im späten 16. Jahrhundert brachte der niederländische Jurist und Humanist Hugo Grotius erstmals die moderne Konzeption des Naturrechts vor. Grotius behauptete, das wahre Recht sei keine zufällige menschliche Schöpfung, es sei nicht aus der politischen Gesellschaft, dem Staat oder der Kirche hervorgegangen, sondern eine echte und notwendige Eigenschaft des Menschen. Im Recht widerspiegle sich die wesentliche gesellschaftliche Natur des Menschen. Der Vorstellung des Naturrechts standen zwei große Hindernisse entgegen: die Willkür der königlichen Herrschaft und die Macht der Kirche mit ihren theologischen und hierarchischen Vorstellungen.
Im Lauf der Aufklärung wurde die Vorstellung von demokratischen Rechten, die auf dem Naturrecht basieren, von großen, originellen Denkern wie Locke, Montesquieu und Voltaire weiterentwickelt. In seinem 1748 veröffentlichten revolutionären Werk „Vom Geist der Gesetze“ schrieb Montesquieu:
Gesetze im weitesten Sinne sind die notwendigen Beziehungen, die sich aus der Natur der Dinge ergeben: Wenn wir einmal vom Joch der Religion befreit sind, sollten wir immer noch der Herrschaft der Gerechtigkeit unterworfen sein... Das Recht hat, so wie die Mathematik, eine objektive Struktur, die keine willkürliche Laune ändern kann. So waren, bevor es irgendwelche Gesetze gab, gerechte Beziehungen möglich. Zu sagen, dass es nichts Gerechtes oder Ungerechtes gibt, außer dem, was positive Gesetze gebieten oder verbieten, ist wie zu sagen, dass, bevor man einen Kreis gezeichnet hat, alle seine Radien nicht gleich waren.
Die Vorstellung, dass den Gesetzen eine objektive Notwendigkeit zugrundeliegt, die der gesellschaftlichen Natur des Menschen entspricht, war stark von der Revolution in den Wissenschaften beeinflusst, die diesen intellektuellen Errungenschaften vorausging. Die Vorstellungen des Naturrechts und demokratischer Rechte stellten einen bedeutenden Fortschritt im menschlichen Bewusstsein dar. Sie waren grundlegend und entscheidend für den anhaltenden Fortschritt und die Zivilisation der Menschheit.
Überall feierten die Menschen den mit diesen Ideen verbundenen Wandel. Voltaire verglich damals den Bewusstseinsfortschritt mit einem Kind, das laufen lernt. Diese Vorstellungen fanden ihren Ausdruck in den großen demokratischen Erklärungen, die mit der amerikanischen und der französischen Revolution einhergingen. Sie bildeten die ideologische Grundlage für die verfassungsmäßigen Regierungsformen, die durch diese Revolutionen entstanden. Mehrere Passagen aus John Lockes „Zweiter Abhandlung über die Regierung“ fanden wörtlichen Eingang in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, unter anderem in die Passagen über „unveräußerliche Rechte“ und über „eine lange Reihe von Misshandlungen und gewaltsamen Eingriffen“.
Ausgehend von den Naturrechtsvorstellungen der Aufklärung machten sich die amerikanischen Revolutionäre daran, eine Regierung und eine Verfassung zu schaffen, die auf der Vernunft beruht. Die Grundidee war, dass Rechte nicht von irgendeiner politischen Macht gewährt würden, sondern aus der Natur des Menschen selbst hervorgingen. Wie John Dickinson 1766 erklärte:
Unsere Rechte und Freiheiten sind uns nicht durch Pergamente und Siegel anvertraut. Sie werden durch die Dekrete der Vorsehung, die die Gesetze unserer Natur festlegen, in uns geschaffen. Sie werden mit uns geboren, existieren in uns, und keine menschliche Macht kann sie uns nehmen, ohne uns das Leben zu nehmen. Kurz gesagt, sie gründen auf den unveränderlichen Maximen der Vernunft und der Gerechtigkeit. (Zitiert nach: Gordon S. Wood, „The Creation of the American Republic 1776–1787“, Chapel Hill 1969, S. 293, aus dem Englischen)
Das Wesen der amerikanischen Demokratie, wie es aus der Revolution hervorging und in der amerikanischen Verfassung verankert wurde, bringt eine einzigartige und starke politische Perspektive zum Ausdruck. Die Idee der „Souveränität des Volks“ und der Unveräußerlichkeit seiner Rechte war durch und durch radikal. Wie Gordon Wood in seinem bahnbrechenden Werk „The Creation of the American Republic“ schreibt:
Die trockene Theorie der Volkssouveränität gewann in amerikanischen Händen eine Wahrheit, die die europäischen Radikalen trotz ihrem Geredes über ‚Alle Macht dem Volke‘ kaum für vorstellbar gehalten hatten, außer in den seltenen Zeiten der Revolution. Die „Bürgerrechte“ wurden für die Amerikaner nicht zu einer „Herrschaft der Gesetze“ in Übereinstimmung mit Chartas, Verfassungen oder Verträgen, sondern zu einer Macht, die im ganzen Volk existiert, jederzeit, für jede oder für keine Sache, zu ihrem eigenen souveränen Vergnügen, um sowohl die Art und Weise als auch das Wesen jeder früheren Regierung zu ändern oder zu vernichten und an ihrer Stelle eine neue Regierung einzusetzen. [a.a.O., S. 362. Aus dem Englischen].
Madison und die Redefreiheit
James Madison, ein amerikanischer Gründervater, war der Hauptarchitekt der „Bill of Rights“ und der wichtigste Vertreter der Vorstellung, dass in jeder echten Demokratie das Recht auf freie Meinungsäußerung absolut sei. Unter der Doktrin der Volkssouveränität, argumentierte Madison, müsse „das Volk, um weise regieren zu können, frei denken und sprechen können, ohne Repressalien befürchten zu müssen“. Ursprünglich war Madison dagegen, getrennt von der Verfassungsstruktur demokratische Rechte aufzuzählen, da eine Aufzählung eine Einschränkung bedeuten könnte. Madison erkannte jedoch an, dass die Konvente, die Ergänzungen zur Verfassung beschlossen und in der Bill of Rights zusammenfassten, den Volkswillen zum Ausdruck brachten.
In Bezug auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und seine absolute Bedeutung für eine freie und demokratische Gesellschaft war Madison klar und kompromisslos. Informationen zu veröffentlichen, musste frei und ungehindert möglich sein. Madison misstraute der gewählten Regierung; aus diesem Grund bestand er auf einer kraftvollen und energischen Veröffentlichung der Politik, damit die Regierung frei kritisiert und ihre Verfehlungen aufgedeckt werden konnten. „Die öffentliche Meinung“, schrieb er 1791, „setzt jeder Herrschaft Grenzen und ist in jeder freien solchen der wahre Souverän“.
Nach der demokratischen Theorie regiert das Volk, und nur das Volk. Und damit das Volk weise regieren kann, muss es in der Lage sein, frei und ohne Angst vor staatlicher Unterdrückung zu kommunizieren. Meinungs- und Pressefreiheit waren daher wesentliche Voraussetzungen für eine demokratische Regierung. Madison trat unerschütterlich für das Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Seine Präsidentschaft (1809–1818) wird im Allgemeinen nicht positiv bewertet, aber es ist bezeichnend, dass Madison selbst in Zeiten großer Krisen (wie dem Krieg von 1812) demokratische Rechte nicht einschränkte und selbst in Kriegszeiten auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung bestand.
Die entscheidende Rolle, die dem Recht auf freie Meinungsäußerung in jeder Demokratie zukommt, geht schon daraus hervor, dass es in den Zusatzartikeln zur US-Verfassung als erstes Erwähnung findet.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung im Krieg
Als ein Recht, das durch eine bürgerlich-demokratische Verfassung (in Abgrenzung zu einer sozialistische Verfassung) geschützt wird, wurde die Redefreiheit von der herrschenden Klasse von Zeit zu Zeit eingeschränkt. Dies geschah immer dann, wenn sie sich bedroht fühlte, und das Hauptziel dieser Unterdrückung war gewöhnlich die sozialistische und kommunistische Bewegung, besonders wenn sie sich den imperialistischen Kriegszielen entgegenstellte. In den Jahren 1917 und 1918 verabschiedete die US-Regierung den Espionage Act [Spionagegesetz] und den Sedition Act [Gesetz gegen Aufwiegelung], beide Gesetze richteten sich ausdrücklich gegen sozialistische Kriegsgegner.
Im Fall „Schenk gegen die Vereinigten Staaten“ bestätigte der Supreme Court, zu dem auch Oliver Wendell Holmes und Louis Brandeis gehörten, das Urteil gegen Charles Schenk, einen sozialistischen Aktivisten, der Flugblätter gegen die Wehrpflicht verteilt hatte. Das Gericht befand, dass das Spionagegesetz nicht gegen den Ersten Verfassungszusatz verstoße, da Schenks Aktivitäten gegen die Wehrpflicht eine „klare und gegenwärtige Gefahr“ für die militärischen Operationen und die nationale Sicherheit der USA und die Wehrpflicht darstellten. Der Supreme Court versuchte also eindeutig, Partei für die imperialistischen Kriegsziele der USA gegen die sozialistische Opposition zu nehmen. Der Supreme Court bestätigte auch einstimmig die Urteile in den berühmten Fällen „Debs gegen die Vereinigten Staaten“ (1919) und „Frohwerk gegen die Vereinigten Staaten“ (1919). Sowohl Debs als auch Frohwerk waren prominente sozialistische Kriegsgegner, und Debs war viermaliger Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei.
Der Sedition Act (Gesetz gegen Aufwiegelung) von 1918 wurde auf Geheiß von Woodrow Wilson erlassen. Das Gesetz verbietet Kritik an den Kriegszielen der Regierung und dem Militär und die „Förderung von Prinzipien, die dem Gesetz widersprechen“. Die Regierung erhob mehr als zweitausend Klagen auf der Grundlage des Spionagegesetzes von 1917 und des Gesetzes gegen Aufwiegelung von 1918, und es gab über tausend Verurteilungen. Der Sedition Act wurde 1920 aufgehoben, aber das Spionagegesetz bleibt weitgehend in Kraft und wird von der US-Regierung in ihrer Anklage gegen Julian Assange herangezogen. Das ist kein Zufall, sondern ein Produkt derselben militaristischen Bestrebungen des US-Imperialismus, die vor hundert Jahren den Anstoß zu diesem Gesetz gaben.
Amerikas post-sowjetischer Kriegskurs auf die Weltherrschaft
Die Verfolgung von Julian Assange, weil er Dokumente über die Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten im Irak veröffentlicht hat, muss im historischen Zusammenhang mit der Krise des US-Imperialismus, dem sich verschärfenden Klassenkonflikt in den Vereinigten Staaten, der Angst der Eliten vor einer Revolution und dem damit verbundenen Angriff auf demokratische Grundrechte und Verfassungsmäßigkeit verstanden werden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wandten sich die Vereinigten Staaten schnell einer aggressiven militärischen Außenpolitik zu. Allerdings konnte das kapitalistische Triumphgeschrei die tiefgreifenden Probleme der US-Wirtschaft nicht verbergen. Ihre Ursachen waren eine Aushöhlung der Industrie, das spektakuläre Anwachsen des Finanzparasitismus, die immer tiefere Verschuldung der Unternehmen und das Zurückfallen der amerikanischen Konzerne gegenüber ihren wirtschaftlichen Rivalen. Die Sowjetunion war zusammengebrochen, aber die Vereinigten Staaten befanden sich in einem systemischen, unumkehrbaren Niedergang.
Der erste große bezeichnende Schock nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ereignete sich 1998 mit dem Zusammenbruch des 126 Milliarden Dollar schweren Hedge-Fonds Long Term Capital Management. (Der Leiter von LTCM, Myron Scholes, hatte im Jahr zuvor den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Methode zur Bestimmung des Wertes von Derivaten erhalten). Zehn Jahre später bestätigte der Zusammenbruch von Lehman Brothers die Todeskrise des amerikanischen Kapitalismus jenseits jeden Zweifels.
Seit Beginn der 1990er Jahre schlugen die herrschende Klasse sowie der Militär- und Sicherheitsapparat den Kurs ein, die weltweite Hegemonie der USA durch den Einsatz militärischer Gewalt zu verteidigen. Die Strategie zielte darauf ab, einen Rivalen, der die US-Hegemonie hätte herausfordern können, gar nicht erst hochkommen zu lassen. Durch die globale Projektion ihrer überwältigenden Militärmacht würde Amerika die unangefochtene Vorherrschaft über Schlüsselregionen und -ressourcen ausüben und seine Hauptkonkurrenten in Europa und Asien in Schach halten.
Auf dem Nato-Gipfel in Rom im November 1991 legten die USA ein „Neues Strategisches Konzept“ für die Nato vor, in dem sie den „globalen Kontext“ und die Notwendigkeit einer „expansiveren und weniger defensiven strategischen Militärrolle“ der Nato betonten. Die USA und Großbritannien beanspruchten beide das Recht, „humanitäre Interventionen“ durchzuführen, um durch den Einsatz militärischer Gewalt Streitigkeiten innerhalb anderer Nationen zu lösen und „Menschenrechtsverletzungen“ zu beenden.
Seit den 1990er Jahren beschleunigte der US-Imperialismus sein Streben nach einer unangefochtenen Vorherrschaft über den Globus und dehnte es insbesondere auf die energiereichen Regionen des Nahen Ostens und des Kaspischen Beckens aus.
Das Dokument des Verteidigungsministeriums von 1992 mit dem Titel „The Defence Planning Guidance“ fasste die neue imperialistische Doktrin so zusammen:
Unser erstes Ziel ist es, das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern. Dies ist die vorherrschende Überlegung, die der neuen regionalen Verteidigungsstrategie zugrunde liegt, und sie erfordert, dass wir nach Kräften verhindern, dass eine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen unter konsolidierter Kontrolle ausreichen würden, um globale Macht auszuüben. Zu diesen Regionen gehören Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und Südwestasien. (Aus dem Englischen).
Die USA machten die Doktrin des Präventivkriegs zur offiziellen Politik. Diese Doktrin hatte seit Anfang der 1990er Jahre unter den Intellektuellen, die eine aggressivere US-Außenpolitik unterstützten, an Boden gewonnen. So brachte der Liberale Michael Walzer im Jahr 1992 ein von sechzig Intellektuellen unterzeichnetes Dokument in Umlauf, das die Grundsätze einer neuen Auffassung des „gerechten Kriegs“ formuliert. In seinem Buch „Just and Unjust Wars“ (New York, 1992) argumentierte Walzer, falls die USA mit einer „ungewöhnlichen und schrecklichen Gefahr“ und einer „radikalen Bedrohung menschlicher Werte“ konfrontiert würden, könne keine Einschränkung ethischer oder rechtlicher Art mehr gelten. Dann sei jedes Mittel der präventiven Zerstörung moralisch legitim.
Im Quadrennial Defence Review Report vom 30. September 2001 und der National Security Strategy of the United States vom 17. September 2002 legte die US-Regierung ihre neue Präventivkriegsdoktrin ausführlich dar. Die Doktrin verkündete das Recht der USA, andere souveräne Staaten einseitig zu verurteilen, Inspektionen zu erzwingen, um eine „präventive Abrüstung“ sicherzustellen, und militärische Gewalt anzuwenden, wenn sie dies für notwendig oder wünschenswert halten.
Die National Security Strategy von 2002 verkündete auch das Recht der USA, im Falle einer empfundenen Bedrohung „präventiv“ zu handeln. Tatsächlich sind die Doktrinen des Präventivkriegs, der präventiven Selbstverteidigung, des humanitären Kriegs oder des gerechten Kriegs völkerrechtswidrig. Auf der Grundlage der Nürnberger Prozesse und der daraus abgeleiteten Grundsätze, die in völkerrechtliche Chartas und Konventionen Eingang fanden, ist der Rückgriff auf Gewalt und auf Krieg verboten. Die Tatsache, dass die USA solche Doktrinen übernahmen, war in historischer Hinsicht ein immenser Rückschritt im ideologischen Selbstverständnis der westlichen Zivilisation.
Im Jahr 2003 planten und begannen die USA ihren Angriffskrieg gegen den Irak. Die angebliche Bedrohung durch „Massenvernichtungswaffen“ erwies sich als Betrug und hätte ohnehin unter keinen Umständen als rechtliche Grundlage für die Eröffnung eines Kriegs dienen dürfen. Nach den in Nürnberg geschaffenen Präzedenzfällen hätten die Politiker und Generäle, die den Angriffskrieg gegen den Irak planten und durchführten, vor einem ordnungsgemäßen Gericht angeklagt werden müssen. Man hätte ihnen bei voller Wahrung ihrer Rechte wegen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen das Kriegsvölkerrecht den Prozess machen müssen.
Die illegale Invasion im Irak im Jahr 2003 stellte eine immense Eskalation der amerikanischen Strategie nach der Auflösung der Sowjetunion dar. Die Kriminalität und Brutalität des amerikanischen Handelns, die sich in so abscheulichen Verbrechen wie der Zerstörung und Massentötung in Falludscha niederschlug, erinnerten an die Aggression, Kriminalität und Gewalt von Hitlers Angriff auf Polen im Jahr 1939. Die meisten Informationen, die Assange über WikiLeaks veröffentlichte, und die heute Gegenstand der Anklage sind, betrafen die illegalen und kriminellen Aktionen der Vereinigten Staaten in den Kriegen im Irak und in Afghanistan, sowie die Behandlung der Gefangenen von Guantanamo Bay. Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben 2010 das Video aus dem Irak, „Collateral Murder“, gesehen und waren entsetzt.
Der Angriff auf Verfassung und Rechtsstaatlichkeit
Seit zwanzig Jahren gehen die militärischen Bestrebungen der USA nach Weltherrschaft Hand in Hand mit Angriffen auf die Verfassung und die demokratischen Rechte im eigenen Land. Der erste Angriff auf die Verfassung war die gestohlene Wahl im Jahr 2000, bei der Republikaner, Demokraten und der Supreme Court gleichermaßen amerikanische Bürger um ihr Wahlrecht betrogen. Albert Gore mochte den Ernst der Lage verstanden haben, aber er kämpfte nicht für die Verteidigung der staatsbürgerlichen Rechte. In den darauf folgenden zwanzig Jahren ging die Bourgeoisie in den Vereinigten Staaten bewusst dazu über, die bestehende Verfassungsordnung auszuschalten, ein repressives Rechtssystem einzuführen und eine autoritäre Herrschaft zu errichten.
Die Regierung George W. Bush nutzte den 11. September, um unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ die Befugnisse des Staates erheblich auszuweiten, die Exekutivgewalt zu erweitern und die Verfassung auszuhöhlen.
Unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen den Terror“ versuchte die Bush-Regierung, sich in einer noch nie dagewesenen Weise über das Gesetz zu stellen. Das rechtliche schwarze Loch in Guantanamo Bay, das eingerichtet wurde, um die Habeas-Corpus-Bestimmung (das Recht auf Haftprüfung) zu umgehen, war vielleicht die extremste verfassungsfeindliche Maßnahme seit Jahrhunderten. Die Demokratische Partei unterstützte den Angriff auf die Verfassung voll und ganz. Zahlreiche weitere Schritte folgten, um unter dem Deckmantel des amerikanischen Kriegs im Nahen Osten die autoritäre Herrschaft auszuweiten. Dazu gehörten:
- Der Patriot Act und der Homeland Security Act. Sie erlauben willkürliche Durchsuchung, Verhaftung, Inhaftierung, Überwachung und Beobachtung.
- Die Einführung nicht-rechtlicher Kategorien wie „feindlicher Kämpfer“, um ein ordnungsgemäßes Verfahren zu umgehen.
- Die Praxis der Folter.
- Die Zurückweisung völkerrechtlicher Normen, einschließlich der Genfer Konventionen und der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs.
Mit dem USA PATRIOT Act (Vollständiger Name: Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools to Restrict, Intercept and Obstruct Terrorism Act 2001) und mit der Eröffnung von Guantanamo Bay begann die herrschende Klasse, das Rechtssystem Amerikas auf autoritären Grundlagen neu zu gestalten. Das Gesetz schafft praktisch unbegrenzte Befugnisse, zu verhaften, unbefristet zu inhaftieren, ohne Befehl zu durchsuchen und zu beschlagnahmen, zu überwachen und zu kontrollieren. Das FBI kann nach diesem Gesetz Computer- und Telefonkommunikation, Geschäftsunterlagen, Bibliotheksaufzeichnungen und andere persönliche Daten beschlagnahmen.
Der Patriot Act steckte faktisch den gesetzlichen Rahmen für einen nationalen Sicherheitsstaat ab. Es gab Dutzende von Gerichtsverfahren, in denen das Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen angefochten wurde, und in praktisch allen Erfolgsfällen erließ der Kongress (mit überwältigender parteiübergreifender Unterstützung) zusätzliche Gesetze zur Überwindung der verfassungsrechtlichen Hindernisse, um den repressiven Rahmen aufrechtzuerhalten.
Mit einigen Änderungen, die nichts an seinem polizeistaatlichen Charakter änderten, wurde der Patriot Act in den letzten 18 Jahren immer wieder autorisiert. Unter anderen setzte die Obama-Regierung Teile des Gesetzes, die im Jahr 2015 auslaufen sollten, durch den USA Freedom Act erneut in Kraft.
Ein Nebenprodukt des Patriot Act war das Terroristen-Überwachungsprogramm. Es ermöglichte es der Regierung, heimlich Milliarden von Telefonanrufen, Texten und Computerkommunikationen von Millionen amerikanischer Bürgerinnen und Bürger ohne richterliche Anweisung zu verfolgen. Unter dem Mantel verschiedener gesetzlicher Bestimmungen (angefangen beim Foreign Surveillance Intelligence Act 2008) haben auch die Regierungen Obama und Trump die unbefugte Überwachung fortgesetzt, einschließlich des PRISM-Überwachungssystems, das Edward Snowden aufgedeckt hatte. Heute sind die großen Telekommunikationskonzerne dafür zuständig, die gesammelten Daten abzuspeichern.
Dem konterrevolutionären Charakter des Patriot Act entspricht auch die skandalöse Verweigerung des Habeas Corpus und jedes ordentlichen Gerichtsverfahrens in Guantanamo Bay (siehe auch: „Guantanamo Bay, habeas corpus and the Texan who would be king“, 5. Januar 2004).
Die Regierung rechtfertigte ihre Maßnahmen auf der Grundlage eines Rechtsverständnisses, das rechtsextreme Anwälte im Justizministerium unter Leitung von John Yoo formuliert hatten. Sie vertraten eine extreme Version der Unitary Executive Theory, die sich auf die autoritäre deutsche Rechtsfigur des Staatsrechts stützte und die nationale Sicherheit über die demokratischen Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip stellte.
Yoo sagte später, als das Justizministerium eine Untersuchung zu den von ihm verfassten Foltermemoranden durchführte, dass seiner Ansicht nach „die Autorität des Präsidenten, über Krieg zu entscheiden, so weit reicht, dass er die verfassungsmäßige Befugnis hat, die Liquidierung eines Dorfes anzuordnen“. Nicht überraschend waren das Justizministerium und das Außenministerium während des „Kriegs gegen den Terror“ der Ansicht, dass die Genfer Konventionen irrelevant seien und für die Vereinigten Staaten keinerlei Bedeutung hätten. John Yoo ist heute Professor für Recht an der UC Berkeley Law School.
Die Verweigerung des Habeas Corpus für Guantanamo-Häftlinge wurde im Fall „Rasul gegen die Vereinigten Staaten“ (2004) vor dem Supreme Court, dem obersten Gericht der USA, angefochten. Das Gericht entschied im Verhältnis 6 gegen 3 (Rehnquist, Scalia und Thomas waren anderer Meinung), dass die Guantanamo-Häftlinge ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt seien, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung vor Bundesgerichten anzufechten.
Die Regierung reagierte darauf mit der Verabschiedung eines Gesetzes, das den Häftlingen den Zugang zu den Gerichten verbot (dem so genannten Detainee Treatment Act). Dieses Gesetz wurde mit überwältigender Unterstützung der Demokraten verabschiedet. Das Gesetz gewährte darüber hinaus Regierungsbeamten und Militärangehörigen Immunität vor Strafverfolgung, wenn es um „verschärfte Verhörmethoden“ ging, die von Beamten des Justizministeriums mit Theorien des Staatsrechts gerechtfertigt worden waren. In einer Erklärung, in der Präsident Bush seine offizielle Auslegung des Gesetzes darlegte, hieß es:
Die Exekutive legt [die Bestimmungen] in Bezug auf Häftlinge in einer Weise aus, die mit der verfassungsmäßigen Autorität des Präsidenten zur Leitung der einheitlichen Exekutive und als Oberbefehlshaber sowie mit den verfassungsmäßigen Grenzen der richterlichen Gewalt in Einklang steht. Dies wird dazu beitragen, dass der Kongress und der Präsident ihr gemeinsames Ziel erreichen und das amerikanische Volk vor weiteren Terroranschlägen bewahren.
Nationaler Sicherheitsliberalismus
Unter der Bush-Regierung verteidigten die liberalen Eliten weitgehend den Angriff auf die Verfassung. Durch jahrzehntelange Börsengewinne korrumpiert, hatten sie jede auch nur nominale Parteinahme für Verfassungsnormen oder für das Völkerrecht schon längst aufgegeben. Dies spiegelte sich in den Schriften von Autoren wie Michael Ignatieff wieder, der 2004 in seinem Buch „Das kleinere Übel. Politische Moral in einem Zeitalter des Terrors“ den Mythos des „Kriegs gegen den Terror“ propagierte. Er unterstützte die Beschneidung der Verfassungsrechte mit der absurden Begründung: „Die Verfassung ist kein Pakt für Selbstmord.“
Weite Teile der wohlhabenden oberen Mittelschicht, die als Liberale galten, entpuppten sich als entschiedene Befürworter des Vorrangs der „nationalen Sicherheit“ über jeden verfassungsmäßigen Schutz der Grundrechte.
In ihrem aktuellen Amtsenthebungsverfahren versucht die Demokratische Partei, einen demokratisch gewählten Präsidenten abzusetzen, den sie als Hindernis für die Kriegsziele eines Machtkomplexes betrachtet, der von den Demokraten über die CIA bis zum Pentagon reicht. Das eigentliche Ziel, das die Demokraten mit dem Impeachment verfolgen, ist der Regimewechsel in Russland, nicht jedoch die Verteidigung der amerikanischen Verfassung.
Schon die Obama-Administration war weit davon entfernt, den Kurs der amerikanischen Hegemonialstrategie zu verändern oder die Prinzipien der Verfassung zu verteidigen. Sie verschärfte im Gegenteil den reaktionären Kurs der Vereinigten Staaten und das konterrevolutionäre Programm der Bourgeoisie. So propagierte die Obama-Regierung energisch die Doktrin des „Präventivkriegs“.
In seiner Dankesrede für den Friedensnobelpreis 2009 sprach sich Obama ausdrücklich für diese Doktrin aus. Soviel zu seiner Präsidentschaft, die angeblich eine liberale Alternative zu den außenpolitischen Zielen der herrschenden Klasse darstellte. Tatsächlich ist völlig klar, dass das gesamte Establishment geschlossen hinter der Zerstörung des völkerrechtlichen Rahmens und rechtlich geordneter Beziehungen zwischen Nationen stand.
Obama verurteilte jede „Ambivalenz bei der Anwendung militärischer Gewalt“ und verkündete Washingtons Recht, das Militär für „gerechte Kriege“ und „Präventivkriege“ (und wie die illegalen und mittelalterlichen Doktrinen sonst noch heißen mögen) einzusetzen, die schon in Nürnberg als bloße Deckmäntel für Aggression und Eroberung entlarvt worden waren. Das Wall Street Journal spendete Obamas Erklärung von Oslo warmen Applaus.
Nachdem die Obama-Administration klargestellt hatte, dass ihre Außenpolitik in aggressivem Krieg bestand, ging sie auch dazu über, außergerichtliche Tötungen zu praktizieren. Damit zeigte sie, dass ihre Ansichten über das US-Verfassungsrecht mit ihrer Geringschätzung für die Nürnberger Prinzipien übereinstimmten. Drohnenmorde waren eine bevorzugte Praxis des Präsidenten, und er ordnete hunderte solche an. Ein weiteres Steckenpferd Obamas war die Abschiebung von Immigranten ohne Papiere. Betroffen waren Millionen.
Im Zusammenhang mit ihrer militaristischen Politik zeigte die Obama-Administration ihre Verachtung für die Verfassung ganz offen. Als Obama den amerikanischen Staatsbürger Anwar al Awlaki durch einen Drohnenangriff töten ließ, äußerten mehrere Bürgerrechtsgruppen Besorgnis und schlimme Vorahnungen. „Ist es legal, US-Bürger ohne Gerichtsverfahren zu töten?“, fragten sie. Der oberste Jurist der US-Regierung, Generalstaatsanwalt Eric Holder, gab auf solche Fragen an der Juristischen Fakultät der Northwestern University eine erschreckende Antwort. Holder sagte zu Al Awlakis Ermordung:
Es gibt das Argument, dass der Präsident die Erlaubnis eines Bundesgerichts einholen müsse, ehe er gegen einen US-Bürger, der hochrangiger operativer Führer von Al Qaida oder deren Verbündeten ist, vorgehen könne. Dies stimmt einfach nicht. Ein „ordnungsgemäßes Verfahren“ und ein „Gerichtsverfahren“ sind nicht ein und dasselbe, besonders wenn es um die nationale Sicherheit geht. Die Verfassung garantiert ein ordnungsgemäßes Verfahren, kein Gerichtsverfahren.
Diese juristische Haarspalterei ist in der über 800-jährigen Rechtsgeschichte ohne Beispiel, seit die Magna Carta im Jahr 1215 festgelegt hatte: „Kein freier Mann soll verhaftet, gefangen gesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden … als durch das gesetzliche Urteil von Seinesgleichen oder durch das Gesetz des Landes.“ (Artikel 29; gemeint war ein reguläres Verfahren vor einem englischen Gericht).
Um sicherzustellen, dass die Grundrechte (einschließlich des Rechts auf Leben und Freiheit) nur durch ein Gericht eingeschränkt werden können, und um jede mögliche Unsicherheit darüber zu beseitigen, die sich womöglich aus der Sprache der Magna Carta ergab, erließ das Parlament während der Herrschaft von König Edward III. (die von 1327–1377 dauerte) sechs Statuten, um klarzustellen, welche Freiheiten die Magna Carta garantierte.
Die Statuten interpretierten den Ausdruck „das Gesetz des Landes“ als diejenigen Gerichtsverfahren, welche die Freiheiten eines Subjekts schützten. Ein solches Gesetz, das 1354 erlassen wurde, führte den Begriff due process of law (ordentliches Gerichtsverfahren) ein, um den Anspruch auf rechtlichen Schutz, welchen die Magna Carta garantierte, zu beschreiben. Das war das erste Mal, dass dieser Ausdruck im angloamerikanischen Recht auftauchte. Der Begriff fand Eingang in den 5. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert.
Die Behauptung, dass die Regierung berechtigt sei, Bürger überall auf der Welt auf der Grundlage von Rechtsnormen und Beweisen zu töten, die weder vorher noch nachher einem Gericht vorgelegt wurden, zeigte in aller Deutlichkeit, dass der „Liberalismus“ in den Faschismus überging.
Holders wesentliche Prämisse, dass Recht und Exekutivgewalt eine Einheit bildeten, entsprach der Nazi-Rechtsprechung, wie sie der Kronjurist des Dritten Reiches, Carl Schmitt, vertreten hatte. Laut Schmitts Rechtstheorien war der Wille des Führers Gesetz, besonders in Krisenzeiten, aber auch ganz allgemein im Rahmen seiner autoritären Rechtstheorie.
Schmitt war als Kronjurist des Nationalsozialismus mit der wichtigen Aufgabe betraut, juristische Rechtfertigungen für Hitlers außergerichtliche Tötungen zu entwickeln. Im Anschluss an die „Nacht der langen Messer“, in der Hitler 1934 führende Mitglieder der SA und mehrere prominente konservative Politiker, wie den ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher, umbringen ließ, schrieb Schmitt in seinem Artikel „Der Führer schützt das Recht“:
Der Führer schützt das Gesetz vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft … Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will … sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben“ (Deutsche Juristen-Zeitung, 1. August 1934).
Das war im Wesentlichen auch Holders Ansicht. Und auch die des Harvard-Anwalts Barack Obama, der so geschmeidig zu sprechen weiß.
Die „Großmacht“-Strategie der USA 2018
Die USA verstärkten 2018 ihren Drang zur globalen Hegemonie, indem sie in ihrem Dokument zur nationalen Verteidigungsstrategie erklärten, ihre zwanzigjährige Politik des „Kriegs gegen den Terror“ werde nun durch eine Strategie abgelöst, die sich direkt gegen China und Russland richte. Der ausgeprägte Militarismus, den die USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfolgen, erreichte damit eine neue Stufe – ein größerer Konflikt mit rivalisierenden Nationalstaaten.
Auf der Grundlage dieser strategischen Eskalation wurde eine gigantische Aufrüstung eingeleitet. Im Juni 2018 wurde ein Militärhaushalt von 716 Milliarden Dollar verabschiedet – mit überwältigender Unterstützung der Demokraten. Inmitten der Bemühungen um das Impeachment (und eines brutalen, von den USA unterstützten illegalen Kriegs im Jemen) wurde am 12. Dezember 2019 ein weiterer Militärhaushalt über 738 Milliarden Dollar beschlossen – wiederum mit überwältigender Unterstützung der Demokraten.
Durch die unaufhaltsamen weltwirtschaftlichen Prozesse der letzten 40 Jahre hat sich Amerika in sein Gegenteil verwandelt. Wie Nazi-Deutschland sind die USA weder zuversichtlich noch frei genug, um die Verfassung zu respektieren und jedem Staatsbürger einen fairen Prozess zu garantieren. Die aggressive Kriegsführung, die Zerstörung demokratischer Rechte, die Annahme von irrationalen und autoritären Dogmen – das alles sind Anzeichen dafür, dass die herrschende Klasse und ihre Eliten und Justiz in eine historische Sackgasse geraten sind. Intellektuell und moralisch sind sie bankrott. In diesem historischen und politischen Zustand haben die US-Eliten die Verfolgung von Julian Assange aufgenommen. Es ist eine neue Etappe der Konterrevolution.
Strafverfolgung von Assange
Bevor wir uns der Anklage zuwenden, lohnt es sich, kurz auf den gesetzwidrigen Charakter der Strafverfolgung Assanges durch Großbritannien und die Vereinigten Staaten (und auch durch Schweden) vor seiner Ausweisung aus der ecuadorianischen Botschaft einzugehen.
Von Anfang an war Assange endlosen Verfahrensmissbräuchen und politischer Einmischung in den Rechtsweg ausgesetzt. Praktisch jede Vorschrift, jede übliche Praxis und jeder Verfahrensschutz, der einem Angeklagten normalerweise gewährt wird, wurden bei dem Versuch verletzt, ihn einzukesseln.
Assange stand in Schweden nie unter Anklage. Die äußerst schwache Beweisgrundlage für die Anschuldigungen führte dazu, dass die ursprüngliche Stockholmer Chefanklägerin Eva Finne erklärte, dass „kein Verdacht auf irgendein Vergehen“ vorliege. Anschließend wurde die Staatsanwaltschaft unter politischen Druck gesetzt, das Verfahren neu zu eröffnen.
Obwohl die schwedischen Behörden Assange auf freien Fuß setzten und ihm nicht auferlegten, in Schweden zu bleiben, wurde später gegen ihn ein internationaler Haftbefehl (eine sogenannte Interpol Red Notice) herausgegeben, wie sie normalerweise Terroristen und gefährlichen Kriminellen vorbehalten ist. Das Oberste Gericht des Vereinigten Königreichs genehmigte Assanges Auslieferung an Schweden auf der Grundlage eines eindeutig fehlerhaften europäischen Haftbefehls, der nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, von einem Justizbeamten unterzeichnet war. Um die Illegalität des Vorgangs zu verschleiern, änderte die britische Regierung kurzerhand die Bedingungen des Abkommens über den Europäischen Haftbefehl.
Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny blockierte Assanges Recht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Auf Verlangen der Anwältin der Beschwerdeführerin hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren wiedereröffnet. Die Anwältin, eine führende Aktivistin der schwedischen Frauenrechtsbewegung, ist sowohl Mitglied der Sozialdemokratischen Partei als auch einer Organisation, die die Einführung einer Männersteuer fordert. Das Oberste Gericht des Vereinigten Königreichs genehmigte Assanges Auslieferung, obwohl die schwedischen Behörden sich weigerten, die Zusicherung zu geben, dass er nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werde, obwohl die USA eine Anklage nach dem Spionagegesetz gegen ihn vorbereiten.
Die australische Regierung weigerte sich, Assange zu verteidigen, und die australische Premierministerin Julia Gillard drohte so lange damit, Assange die Staatsbürgerschaft zu entziehen, bis sie darauf hingewiesen wurde, dass das illegal wäre.
Wie es sein Recht war, beantragte Assange politisches Asyl, das von Ecuador gewährt wurde. Unter Verletzung des Völkergewohnheitsrechts erkannten weder Großbritannien noch die Vereinigten Staaten Assanges Asyl an. Folglich blieb Assange viele Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft eingesperrt. Im Jahr 2016 konstatierten die Rechtsexperten einer Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung bei den Vereinten Nationen, dass Assange von Großbritannien und Schweden unrechtmäßig inhaftiert worden sei. Doch beide Länder ignorierten die Entscheidungen der UN-Arbeitsgruppe.
Nachdem sich die schwedische Staatsanwältin sechs Jahre lang geweigert hatte, Assange in London zu vernehmen, befragte sie ihn schließlich 2016 in London. Sie untersagte jedoch Assanges schwedischem Anwalt die Anwesenheit, was eine Verweigerung der grundlegenden gesetzlichen Rechte von Assange darstellte. Als Folge dieses empörenden Vorgehens forderte ein Stockholmer Richter 2017 eine Befragung dieser Staatsanwältin wegen Fehlverhaltens im Amt. Anstatt sich dieser Befragung zu stellen, beendete die Staatsanwältin die Untersuchung. Später stellte sich heraus, dass sie auch die E-Mail-Korrespondenz mit dem FBI gelöscht hatte.
Nachdem die schwedischen Ermittlungen eingestellt worden waren, beantragten Assanges Anwälte, auch den britischen Haftbefehl gegen ihn wegen Kautionsverletzung aufzuheben. Dafür gab es eine solide rechtliche Grundlage, denn Schweden hatte die Vorwürfe, die Gegenstand der Kautionsauflagen waren, zurückgezogen, und Assange hatte ein internationales Recht auf Asyl, das ihm von einem souveränen Staat gewährt worden war. Zudem befand er sich seit sieben Jahren praktisch in Gefangenschaft.
Richterin Emma Arbuthnot lehnte den Antrag ab. Von Rechts wegen hätte sie in diesem Verfahren nicht auf der Richterbank sitzen dürfen. Tatsächlich hätte sie sich selbst für Befangen erklären müssen, da ihr Gatte ein führendes Regierungsmitglied ist. Er war auch lange Zeit Geschäftspartner des Chefs des MI6, des britischen Pendants der CIA.
Assanges Habeas-Corpus-Recht (Schutz vor willkürlicher Haft) wurde durch die einjährige Haftstrafe, die wegen Kautionsverletzung gegen ihn verhängt wurde, eklatant verletzt. Normalerweise zieht Kautionsverletzung nur eine Strafe ohne Freiheitsentzug nach sich. Nichts hätte deutlicher machen können, dass hier ein Gericht dem illegalen Vorgehen der Exekutive Vorschub leistete. Die Entscheidung, Assange in das Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh zu werfen und ihn daran zu hindern, seine Verteidigung im Auslieferungsverfahren vorzubereiten, ist ein offener Akt der politischen Rachsucht und Gesetzlosigkeit. In dieser Hinsicht verhält sich die britische Regierung nicht anders als sich der Kolonialgouverneur im Jahre 1734 gegenüber Zenger verhalten hatte.
Im Jahr 2015 blockierte ein Bundesgericht in Washington die Freigabe aller Informationen bezüglich der Untersuchung des Justizministeriums zu WikiLeaks mit der Begründung, dass es sich um eine aktive und laufende „nationale Sicherheits-Untersuchung“ handle, und dass die Freigabe möglicherweise der „anstehenden Strafverfolgung“ von Assange schaden könne. Richterin Barbara J. Rothstein meinte in ihrer Entscheidung: „Es ist notwendig, der Exekutive in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit angemessene Achtung zu erweisen.“
Die konterrevolutionäre Anklage
In der ursprünglich sechsseitigen Anklage der USA vom 6. März 2018 wurde Assange beschuldigt, sich gemeinsam mit Chelsea Manning verschworen zu haben, um sich unbefugt Zugang zu den Computern des Verteidigungsministeriums zu verschaffen. Insbesondere soll Assange versucht haben, ein Passwort zu knacken, um den Zugang zu geheimen Unterlagen zu erleichtern, so dass die Identität von Manning verborgen werden konnte. Das Passwort wurde nicht geknackt.
Die Anklage stützte sich auf das wichtigste amerikanische Gesetz zur Bekämpfung von Hacking, den Computer Fraud and Abuse Act (CFAA). Tatsächlich war dieses Plädoyer fadenscheinig und rechtlich sehr eng gefasst. Es war eindeutig darauf ausgelegt, eine direkte Auseinandersetzung mit Fragen des Ersten Verfassungszusatzes zu vermeiden und nicht auf Assanges verfassungsmäßiges Recht auf freie Meinungsäußerung einzugehen. Der Fall war ein durchsichtiger Vorwand, um Assanges journalistische Tätigkeit und die Veröffentlichung brisanter Informationen auf WikiLeaks zu kriminalisieren.
Am 23. Mai 2019 wurde eine überarbeitete, 37 Seiten umfassende „Erweiterte Anklage“ („Superseding Indictment“) vorgelegt. Sie enthält 17 Anklagepunkte gegen Assange auf der Grundlage des Spionagegesetzes von 1917 (Title 18 US Code Absatz 793 and related sections) und hält als Anklagepunkt 18 den Vorwurf des Computer-Hackings aufrecht.
Die ersten 14 Punkte der erweiterten Anklage basieren auf Behauptungen, dass Assange mit Manning konspiriert und sich direkt mit ihr abgesprochen habe, um auf geheime Informationen zuzugreifen und auch um sie zu veröffentlichen. Allerdings zeigen die behaupteten Fakten nicht, dass Assange etwas getan hat, das sich von der üblichen journalistischen Praxis unterscheidet, Informationen zu erhalten. Das gilt auch für die Verschleierung der Identität einer Quelle. Es besteht kein Zweifel daran, dass Assange eifrig nach Informationen suchte, die das Verhalten der Vereinigten Staaten im Irak, in Afghanistan und in Guantanamo Bay offenbaren. Der Erste Verfassungszusatz schützt jedoch entschieden das Recht jedes Staatsbürgers auf freie Meinungsäußerung.
Viele Verteidiger von Assange heben zu Recht hervor, dass er ein Journalist sei. Man muss jedoch daran erinnern, dass der Schutz der Meinungsfreiheit durch den Ersten Verfassungszusatz sich nicht auf Journalisten beschränkt. Jeder Bürger hat das Recht, Informationen zu veröffentlichen, ohne dass ihn die Regierung daran hindern darf. Wie der Oberste Richter Warren Burger 1977 erklärte: „Die Pressefreiheit kennt keine Grenzen. Der Erste Verfassungszusatz gehört keiner definierbaren Kategorie von Personen oder Körperschaften; er gehört allen, die seine Freiheit nutzen.“
Die Punkte 15 bis 17 werfen Assange ausschließlich die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen vor, unabhängig von vorangegangenen illegalen Aktivitäten die Informationen illegal zu erhalten, an denen Manning beteiligt war. Mit diesen drei Anklagepunkten versucht die Regierung, die reine Veröffentlichung von geheimen Verteidigungsinformationen unter Strafe zu stellen. Diese Punkte sind wirklich konterrevolutionäre Elemente in der Anklageschrift, die darauf abzielen, den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes bei der Veröffentlichung von geheimen Regierungsinformationen zunichte zu machen. Die drei Anklagepunkte stützen sich auf eine Rechtstheorie, der zufolge jemand schon der Spionage beschuldigt werden kann, wenn er irgendwo auf der Welt geheimes Verteidigungsmaterial veröffentlicht, das er von einer anonymen Quelle per Post erhalten hat.
In der amerikanischen Rechtsgeschichte gab es im Rahmen des Spionagegesetzes nur zwei Verfahren gegen nicht-staatliche Dritte: Die Anklage gegen Daniel Ellsbergs Freund Anthony Russo 1971, weil er Ellsberg beim Kopieren der Pentagon-Papiere geholfen hatte, und der Fall „Vereinigte Staaten gegen Rosen“ von 2009. In beiden Fällen zog die Regierung die Anklage zurück, nachdem Gerichtsurteile im Vorfeld der Verfahren die Rechtmäßigkeit der Anklagen in Frage gestellt und staatsanwaltliches Fehlverhalten festgestellt hatten. Bezeichnenderweise ging es im Fall der Pentagon-Papiere um den Versuch, die Veröffentlichung zu stoppen, und nicht darum, die Veröffentlichung als Verbrechen zu bestrafen.
In dem Bemühen, die Anklage politisch zu untermauern, behauptet die Regierung, Assange habe auch „die Namen von Personen [veröffentlicht], die ihre Sicherheit und Freiheit riskiert haben, indem sie die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten mit Informationen versorgten“. Aus rechtlicher Sicht ist die Veröffentlichung dieser Informationen jedoch irrelevant. Im Spionagegesetz ist es unerheblich, ob Namen veröffentlicht wurden oder nicht. Darüber hinaus wäre es für Staatsanwälte in jedem Fall möglich, eine andere „Verletzung der nationalen Sicherheit“ geltend zu machen, um eine Verfolgung nach dem Spionagegesetz zu rechtfertigen. Hier geht es in Wirklichkeit um eine grundsätzliche Rechtsfrage.
Die der Anklage zugrunde liegende rechtliche Perspektive der nationalen Sicherheit wird in Absatz 29 der Anklage kurz dargestellt. Dort wird behauptet, Assange, Manning und andere hätten gemeinsam das Ziel verfolgt, die Mission von WikiLeaks „als Geheimdienst des Volkes zu fördern, der die von der Regierung der Vereinigten Staaten erlassenen rechtmäßigen Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherung von Verschlusssachen untergräbt, um diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.
Das Justizministerium knüpfte damit an Aussagen von Mike Pompeo an, der als CIA-Chef im Jahr 2017 WikiLeaks als „nicht-staatlichen feindlichen Nachrichtendienst“ denunziert hatte. Diese Sichtweisen haben sich zur konterrevolutionären Auffassung herausgebildet, dass die Öffentlichkeit kein Recht habe, über die Aktivitäten der Regierung informiert zu werden.
Dass die Anklage einen politischen Zweck verfolgt, verdeutlicht ein geheimer Bericht über WikiLeaks, den das US Army Counter Intelligence Center schon im Jahr 2008 erstellt hatte, der anschließend durchsickerte und 2010 veröffentlicht wurde. WikiLeaks stelle „eine nachrichtendienstliche Bedrohung für die US-Armee dar“, heißt es in dem Bericht, und weiter: „Wikileaks.org, eine öffentlich zugängliche Internet-Website, stellt eine potenzielle Bedrohung der Gegenspionage, der operativen Sicherheit (OPSEC) und der Informationssicherheit (INFOSEC) der US-Armee dar.“ Der Bericht forderte, WikiLeaks stillzulegen, indem das Vertrauen ihrer Leser zerstört wird.
Der offensichtlich politische Zweck von Assanges Strafverfolgung und die Anklage selbst, die auf dem Spionagegesetz, einem unbestreitbar politischen Gesetz, basiert, machen die Auslieferungsbemühungen der Vereinigten Staaten zu einem Verstoß gegen den Auslieferungsvertrag mit dem Vereinigten Königreich. Es gibt Präzedenzfälle im englischen Recht, die besagen, dass englische Gerichte die Gesetze anderer Länder dann nicht anerkennen dürfen, wenn sie einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellen.
Wenn das Spionagegesetz die Kriminalisierung journalistischer Tätigkeit zulässt, stellt dies eine Verweigerung grundlegender Menschenrechte dar, und nach den Präzedenzfällen darf kein englisches Gericht dies sanktionieren. Dieser Grundsatz wurde 1976 in dem bahnbrechenden Fall Oppenheimer versus Cattermole festgelegt. Dabei erklärte das House of Lords, dass englische Gerichte ein Nazi-Gesetz, das eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte darstellt, nicht anerkennen. (Es ging um das „Gesetz“, das Juden die deutsche Staatsbürgerschaft entzog.)
Angesichts des gesetzwidrigen Vorgehen beider Regierungen gegen Assange und der bisherigen Missachtung der Rechte Assanges durch die Justiz ist es jedoch keineswegs klar, dass die Justizbehörden des Vereinigten Königreichs sich an das Gesetz halten werden.
Als Assange verhaftet wurde, gab Daniel Ellsberg, der der New York Times die Pentagon Papers zugespielt hatte, folgende Erklärung ab: „Der Erste Verfassungszusatz ist eine Säule unserer Demokratie, und dies ist ein Angriff auf ihn. Wenn die Meinungsfreiheit in diesem Ausmaß verletzt wird, ist unsere Republik in Gefahr. Unautorisierte Enthüllungen sind das Lebenselixier jeder Republik.“
Die Anklage gegen Assange stellt eine qualitative Eskalation des schon zwanzig Jahre dauernden Angriffs auf die rechtsstaatliche Ordnung der Vereinigten Staaten dar. Die US-Regierung vertritt eine autoritäre Rechtsauffassung, laut der die „nationale Sicherheit“, d.h. die militaristische Kriegspolitik der Vereinigten Staaten, die demokratischen Rechte aussticht. Wenn das Verfahren gegen Assange Erfolg hat, wird es zur Kriminalisierung des Journalismus in den Vereinigten Staaten führen.
Schlussfolgerung
Der Fall Assange stellt eine neue Etappe im weltweiten Angriff auf Verfassungsrechte und Rechtsstaatlichkeit dar. Die Demokratie ist unvereinbar mit dem heutigen Ausmaß an Ungleichheit in den Vereinigten Staaten, mit ihrer aggressiven Kriegspolitik um die globale Hegemonie und mit dem Charakter ihrer herrschenden Eliten. Der Zerfall des demokratischen Systems und der Aufstieg des nationalen Sicherheitsstaats sind Kennzeichen der immer tieferen Krise des Imperialismus.
Die Demokratische Partei spielt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Ihre Feindseligkeit gegenüber Assange ist ebenso bösartig und hysterisch wie die der faschistischen Kabale um Trump. Die Bourgeoisie holt die alten reaktionären Gesetzbücher, wie das Spionagegesetz, wieder hervor, um den innerstaatlichen Rechtsrahmen für ihre Kriegsvorbereitungen abzustecken. Für die herrschenden Eliten ist Assange nur der Anfang. Diese Entwicklung ist kein Ausdruck der Stärke des Systems, sondern seines historischen Niedergangs und seiner Verzweiflung, und deshalb muss es gestürzt werden. Das Volk hat das demokratische Recht, das Regierungs- und Rechtssystem so zu ändern, dass es seinen Bedürfnissen und Bestrebungen gerecht wird.
Die Geschichte hat der Arbeiterklasse die Aufgabe gegeben, die großen revolutionären Eroberungen der Vergangenheit zu verteidigen (und sie auf ein höheres Niveau zu heben). Der große Liberale, Richter Hugo Black, beschrieb die tiefe Bedeutung und den Stellenwert des Rechts auf freie Meinungsäußerung für die Menschheit einst in folgenden Worten:
Seit den frühesten Tagen träumten die Philosophen von einem Land, in dem Geist und Seele des Menschen frei sind, in dem es keine Grenzen für die Forschung gibt, in dem die Menschen frei sind, das Unbekannte zu erforschen und die tief verwurzelten Überzeugungen und Prinzipien in Frage zu stellen.
Unser erster Verfassungszusatz war ein kühner Versuch, dieses Prinzip zu übernehmen, ein Land zu schaffen, in dem es keinerlei rechtliche Beschränkungen für die Themen gibt, die die Menschen untersuchen, diskutieren und verwerfen können.
Die Autoren wussten besser als wir vielleicht heute, welche Risiken sie eingingen. Sie wussten, dass die Redefreiheit der Freund des Wandels und der Revolution sein könnte, aber sie wussten auch, dass sie immer der tödlichste Feind der Tyrannei ist. Mit diesem Wissen glaubten sie immer noch, dass das ultimative Glück und die Sicherheit einer Nation in ihrer Fähigkeit liegt, zu erforschen, sich zu verändern, zu wachsen und sich frei von jeder staatlichen Kontrolle über Geist und Seele unaufhörlich an neues, aus der Forschung entstandenes Wissen anzupassen. (aus dem Englischen)
Der Kampf der sozialistischen Bewegung für die Befreiung von Assange ist ein wesentlicher Bestandteil des Kampfs gegen Krieg, Reaktion und Autoritarismus. Die Arbeiterklasse muss sich selbst und ihre Rechte verteidigen. Sie kann dies heute nur durch den revolutionären Sturz des kapitalistischen Staats und die Errichtung einer sozialistischen Regierung und Gesellschaft erreichen, die sich dem friedlichen, menschlichen Fortschritt und Wohlergehen der gesamten Menschheit verschrieben hat. Die weltweit steigende Flut des Aufstands gegen den Kapitalismus muss in das bewusste Bemühen um seinen Sturz verwandelt werden.