Überall ist der öffentliche Nahverkehr ein bedeutender Überträger des Corona Virus. Dennoch zögern die Bundes- und Landesregierungen, den Nah- und Fernverkehr in seiner bisherigen Form zu stoppen. Zudem werden nur völlig unzureichende Maßnahmen für den Schutz der Fahrer und Fahrgäste getroffen.
Die Berliner Regierung aus Grünen, der SPD und der Linken gefährdet auf kriminelle Weise Leben und Gesundheit der Fahrer und Fahrgäste. Das Personal der Berliner Verkehrsbetriebe ist ungeschützt Tag und Nacht einer erhöhten Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus ausgesetzt.
Ziel der Regierung sei es, den Öffentlichen Personen und Nahverkehr ÖPNV „so lange wie möglich aufrechtzuerhalten“ lautet die Begründung des Berliner Senats. Es heißt dort, dass „systemrelevantes“ Personal – Polizei, Feuerwehr, Fahrdienste, Lebensmittelverkäufer, Müllwerker und medizinisches Fachpersonal“ an ihren Arbeitsplatz gelangen müssten.
Doch das könnte auch in anderer Form und mit größerer Sicherheit für Personal und Fahrgäste erreicht werden. Die bisherigen Maßnahmen werden der Gefahrenlage nicht ansatzweise gerecht. Die ab heute angedachte Ausdünnung des Linienverkehrs erhöht sogar die Ansteckungsgefahr, weil die Menschen noch stärker in den nicht hinreichend desinfizierten Fahrzeugen zusammengedrängt werden.
Genau wie die Politiker in den Regierungen von Bund und Land, hat die BVG-Geschäftsführung die seit China bekannte massive Ansteckungsgefahr des Virus bewusst heruntergespielt, um ihre wirtschaftlichen Einkünfte nicht zu gefährden. Nicht anders ist zu erklären, warum erst letzten Mittwoch die BVG-Leitung offiziell erlaubte, die Fahrertür verschlossen zu halten, und dass die Fahrer keine Fahrkarten mehr verkaufen müssen.
Außerdem soll nun die Fahrgastanzahl auf maximal 50 Personen festgesetzt werden. „Soll ich jetzt an jeder Haltestelle durchzählen?“, empört sich ein Mitarbeiter der BVG gegenüber der WSWS.
Diese halbherzigen Maßnahmen kann die Wut unter den Beschäftigten nicht mindern. Viele Kollegen betrachten die Maßnahme zurecht als „lächerlich“ und „unzureichend“. „Es reicht ja aus, wenn nur mal ein Infizierter hinter mir im Bus niest, dann war es das wohl“, so ein Busfahrer. Viele fordern eine „bessere, ja wirkliche Abdichtung!“.
Es ist „gespenstisch neben sich die verschlossene Fahrertür und knapp hinter sich das rotweiße Flatterband zu wissen“, so ein anderer Kollege. Das Absperrband hält zwar die Fahrgäste auf Abstand, aber nicht den Virus ab. „Wir erhalten keinen Mundschutz“, zum Schutz vor Tröpfcheninfektion durch die Luft und Belüftung. Da hilft auch kein „häufiges Lüften“, wie empfohlen wird.
Die ohnehin schon mangelhaften hygienischen Bedingungen in den WCs an den Wendepunkten – sofern überhaupt vorhanden – werden immer noch nicht verbessert. „Es gibt für Fahrer an einigen Endstellen nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich vernünftig die Hände zu waschen“, klagen Busfahrer. Die Seifenspender sind oft leer ebenso die Papierhandtücher. Desinfektionsmittel gibt es nicht.
Virustests für Fahrer sind bisher nicht im Gespräch. Ein Kollege kommentiert: „Daran ist gar nicht zu denken. Für die sind wir doch alle egal.“ Diese Einschätzung wird von der überwiegenden Mehrzahl der Fahrer im öffentlichen Nahverkehr geteilt. Alles wird der Eigeninitiative und Eigenverantwortung überlassen.
Vonseiten der Gewerkschaft Verdi gibt es keinerlei Unterstützung für das gefährdete Fahrpersonal im gesamten Nahverkehr. Wie Verdi seit Jahren unter Beweis stellt, tritt sie auch in dieser Krise als Betriebspolizei zur Durchsetzung der Arbeitspflicht gegen die Arbeiter auf. Im Verbund mit dem DGB veröffentlicht Verdi Standardantworten auf an sie herangetragenen Fragen.
So heißt es zu der Frage, ob man aus Angst vor Ansteckung den Dienst verweigern darf: „Es gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, sei es bei der Arbeit oder in der Freizeit, sich zu verletzen oder sich mit einer Krankheit anzustecken. Das gilt auch für Beschäftigte mit einer Vorerkrankung, die sie zwar nicht arbeitsunfähig macht, aber mit der sie einem höheren Risiko ausgesetzt sind, einen schwereren Krankheitsverlauf durch eine Coronavirus-Infektion zu entwickeln.“
Tatsächlich gibt es bei der BVG viele ältere und vorerkrankte Fahrer, die bei einer Ansteckung Gefahr laufen, einen schweren bis tödlichen Krankheitsverlauf zu haben. Darum empört sich ein Fahrer zurecht: „Warum werden diese Kollegen nicht besonders geschützt?“.
Am Samstag wurde der erste Fall einer Coronainfektion einer Mitarbeiterin bei der Tram bekannt. Erst jetzt sah sich der Personalrat der Tram gezwungen, eine Aktivität im Interesse der Belegschaft zur Schau zu stellen. Er bietet Gespräche mit der Geschäftsleitung über Fragen an, wie man die Fahrer besser „informieren“ und „schützen“ könne. Er „bekrittelt“, dass er nicht in die „Beratungen, Krisensitzungen und Ergebnisse einbezogen“ worden sei. Unter dem Druck des wachsenden Unmuts beim Fahrpersonal sieht er sich gezwungen die BVG-Spitze zu fragen, warum es keine Gummihandschuhe, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel usw. gebe.
Doch von Verdi und den gewerkschaftlichen Personal- und Betriebsräten ist kein Schutz zu erwarten. Deshalb drängen viele Kollegen der BVG darauf, selbst Maßnahmen umzusetzen.
Die Fahrer der BVG verstehen, dass öffentliche Mobilität für all jene zwingend zu gewährleisten ist, die die medizinische wie öffentliche Versorgung der Millionen-Metropole Berlin und Brandenburg sicherstellen. Darüber hinaus müssen zur Zeit die Busse und Bahnen von all jenen genutzt werden, die von ihren Arbeitgebern noch immer an den Arbeitsplatz gezwungen werden.
Davon sind die hunderttausenden Arbeiter und Angestellten aus Berlin wie die tausenden Pendler aus dem Brandenburger Umland betroffen. Denn noch immer müssen Arbeiter und Angestellte in kleinen und Großbetrieben wie Siemens, Zalando, Mercedes, BMW usw. sowie in den Verwaltungen des Öffentlichen Sektors wie auch Hochschulen und Universitäten ihren Dienst wahrnehmen.
Gerade deshalb wächst die Forderung, den regulären Fahrbetrieb einzustellen und stattdessen Spezialbusse mit besonderer Ausrüstung, Desinfektion und besonders geschütztem Personal zu organisieren, die den für die Aufrechterhaltung der medizinischen und öffentlichen Grundversorgung Personenkreis von ihren Wohnvierteln zur Arbeitsstelle bringen. Zudem könnten die 2006 durch den rot-roten Senat eingestellten „Telebusse“ wieder eingeführt werden, um Alte und Behinderte zur Behandlung zu transportieren.
„Wir gefährden unsere Fahrgäste und uns selbst“, fasst ein Busfahrer die Situation zusammen, denn die Gefahr der Ansteckungen wächst täglich.
Siehe auch:
Wie die COVID-19-Pandemie zu bekämpfen ist: Ein Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse
[18. März 2020]