Interview mit 4 chinesischen Ärzten vom Epizentrum der Pandemie in Wuhan

Vor einigen Wochen war der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post zu entnehmen, dass sich am 17. November 2019 ein 55-jähriger Mann vermutlich mit einem neuartigen Coronavirus infiziert habe. Diese Person ist der früheste bestätigte Fall von Covid-19.

Allerdings halten ihn die Behörden nicht für „Patient Null“. Der nächste bestätigte Fall trat am 1. Dezember 2019 auf, hatte aber keine Verbindung zum Huanan-Fischmarkt in Wuhan. Der staatliche chinesische Fernsehsender CCTV berichtete am 9. Januar 2020, dass der Ausbruch erstmals am 12. Dezember in Wuhan entdeckt worden sei. In den örtlichen Krankenhäusern traten ungewöhnliche Fälle einer lungenentzündlichen Krankheit auf.

Das Wuhan-Institut für Virologie wertete die Flüssigkeit aus, die den Lungen dieser Patienten auf Intensivstationen entnommen worden waren. Sechs von sieben Intensivpatienten waren Verkäufer oder Lieferanten, die auf diesem Markt gearbeitet hatten. Am 21. Dezember veröffentlichte das chinesische Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention einen Bericht über eine Gruppe von Patienten mit einer „Lungenentzündung unbekannter Ursache“.

Da immer mehr Patienten, die mit dem Markt in Verbindung standen, wegen einer schweren, lungenentzündlichen Krankheit stationär aufgenommen wurden, gab der städtische Gesundheitsausschuss von Wuhan am 30. Dezember eine dringende Mitteilung über seinen Social-Media-Account weibo.com heraus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde darüber informiert, dass es 27 Verdachtsfälle gab, sieben davon in kritischem Zustand.

Viele Ärzte gaben diese Informationen im Internet weiter. Einer von ihnen war Dr. Li Wenliang, ein Augenarzt am Zentralkrankenhaus Wuhan, der seine Arztkollegen über eine WeChat-Gruppe warnte. Als sein Beitrag öffentlich bekannt wurde, kritisierten die Behörden ihn streng wegen „Falschinformationen“, die die „gesellschaftliche Ordnung ernstlich gestört“ hätten, und zwangen ihn, ein Dementi zu unterschreiben. Am 12. Januar zog sich der 33-Jährige selbst die Infektion zu, und am 7. Februar starb er.

Am 1. Januar schlossen die chinesischen Behörden den Huanan-Fischmarkt in Wuhan. Am 2. Januar kamen 41 Patienten mit im Labor bestätigten Infektionen ins Krankenhaus. Sie wurden in das Jinyintan-Krankenhaus in Wuhan verlegt.

Am 3. Januar entschlüsselten die Wissenschaftler des chinesischen Nationalen Instituts für Viruskrankheiten und -prävention die genetische Sequenz des neuartigen Virus und nannten es 2019-nCoV. Die Gesundheitsbehörden waren alarmiert über den plötzlichen Anstieg gemeldeter Fälle, von denen viele schwer erkrankten. Es waren bis dahin keine Todesfälle gemeldet worden, aber enge Kontakte wurden überwacht. Übrigens alarmierte CDC-Direktor Robert Redfield den amerikanischen Gesundheitsminister Alex Azar noch am selben Tag, nachdem er mit chinesischen Ärzten über das Virus gesprochen hatte.

In Hongkong forderte das Infektionszentrum die Stadt dringend auf, mit einer strengen Überwachung der neuen viralen Lungenentzündung zu beginnen, die sich von Mensch zu Mensch ausbreitete. In Singapur wurde das Gesundheitsministerium auf ein dreijähriges chinesisches Mädchen mit Lungenentzündung aufmerksam, das aus Wuhan eingereist war. Auf SARS und MERS-CoV wurde das kleine Kind negativ getestet.

Am 7. Januar gingen in China die Behörden hart gegen alle sozialen Medien vor, die Informationen über den Ausbruch veröffentlichten. In den USA gab die CDC eine Reisewarnung für Wuhan heraus. In Südkorea stellten die Gesundheitsbehörden eine 36-jährige Chinesin unter Quarantäne, die aus Wuhan zurückgekehrt war und Husten und Fieber hatte. Die Weltgesundheitsorganisation bestätigte, dass am 9. Januar ein neuartiges Coronavirus isoliert worden war. Auch der erste Todesfall wurde bestätigt: Es war ein 61-jähriger Mann, der auf dem Huanan-Fischmarkt Stammkunde gewesen war. Er wies mehrere Vorerkrankungen, darunter ein chronisches Leberleiden, auf.

Am 13. Januar stellten chinesische Virologen die Genomsequenz des Virus in die Sequenzdatenbank der US-amerikanischen NIH, die GenBank, ein. Thailand meldete den ersten bestätigten Fall von 2019-nCoV bei einer chinesischen Frau, die am 8. Januar in Bangkok eingetroffen war. Am 15. Januar wurde der zweite Tod in China bestätigt. Es war ein 69-Jähriger, der am 31. Dezember erkrankt war.

Die WHO bestätigte, dass ein Team des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung an der Charité in Berlin einen neuen Labortest entwickelt habe, der 2019-nCoV nachweisen kann. Das Testprotokoll wurde veröffentlicht, und Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité, erklärte: „Ich gehe davon aus, dass die breite Verfügbarkeit des Diagnostiktests nun in kurzer Zeit helfen wird, Verdachtsfälle zweifelsfrei aufzuklären und zu bestimmen, ob eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung des neuen Virus möglich ist.“ Dies sei „ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des neuen Virus“.

Bis zum 21. Januar wurden in größeren Städten Chinas insgesamt 291 Fälle gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt gingen Wissenschaftler des MRC Centre for Global Infectious Disease Analysis am Londoner Imperial College von mehr als 1.700 Infektionen aus. Die chinesische Regierung begann, Beamte der unteren Ebenen anzuweisen, dass sie die Verbreitung des neuen Coronavirus nicht länger vertuschen sollten. Wie später bekanntwurde, hatte Präsident Xi Jinping schon früher als angegeben von dem Ausbruch gewusst. Am selben Tag meldeten amerikanische Behörden im Bundesstaat Washington ihren ersten Fall.

Am 24. Januar wurden importierte Fälle von Covid-19 in weiteren Ländern außerhalb Chinas bekannt. Der erste bestätigte Fall einer Übertragung von Mensch zu Mensch außerhalb Chinas trat in Vietnam auf. Nun stellte das chinesische Politbüro die gesamte Provinz Hubei unter Quarantäne, was fast 60 Millionen Menschen betraf.

 

Benjamin Mateus von der WSWS hatte Mitte März die Gelegenheit, über eine Kontaktperson ein Interview mit vier chinesischen Ärzten zu führen, die von Anfang an am Kampf gegen die Covid-19-Pandemie in Wuhan beteiligt waren. Um die Anonymität dieser Personen zu gewährleisten, wurden Namen und Orte geändert. Das Gespräch wurde im Interesse der Klarheit und Kürze nachträglich bearbeitet.

Benjamin Mateus (BM): Guten Morgen und vielen Dank Ihnen allen, dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen. Diese sind für die Leser wichtig, damit sie verstehen, was in Wuhan passiert ist, und direkt von Ihnen hören, wie Sie in dieser schlimmen Zeit gearbeitet haben. Aber bevor wir beginnen – könnten Sie uns kurz erzählen, was Ihre Tätigkeit ist?

Dr. X: Ich bin Anästhesist in einem Provinzkrankenhaus in der Provinz Hubei.

Dr. D: Ich arbeite in der Notaufnahme. Auch ich arbeite in einem Provinzkrankenhaus, aber in einer anderen Provinz.

Dr. Z: Ich danke Ihnen. Ja, ich bin Internistin mit dem Spezialgebiet der Lungenheilkunde. Mein Schwerpunkt während des Ausbruchs in Wuhan war es, verdächtige Patienten mit Rachenabstrichen zu testen, um das Coronavirus aufzuspüren. Wir erstellten auch CT-Scans [Computertomographie-Aufnahmen]. Wer positiv getestet wurde oder einen Befund von Lungenentzündung hatte, den wiesen wir in das Krankenhaus ein. Wir nannten diesen Bereich den „Beobachtungsraum“.

Dr. W: Ich bin in der Geburtshilfe und Gynäkologie tätig, bringe Babys zur Welt und kümmere mich um die Gesundheit der Frauen. Dr. Z und ich sind beide aus Wuhan.

BM: Dr. D, wann wurden Sie nach Wuhan berufen?

Dr. D: Mein Team und ich wurden am 24. Januar nach Wuhan geschickt, als die Provinz Hubei abgeriegelt wurde. Das war am chinesischen Neujahrstag. Sobald wir den Befehl der Regierung erhielten, machten wir sofort unsere Teams und die medizinische Versorgung startklar. Ich arbeitete in einem Team mit 138 Personen.

BM: Wie sind Sie dorthin gekommen?

Dr. D: Wir flogen mit einem von der Regierung gecharterten Flug. Nach unserer Ankunft wurden wir in einem nahe gelegenen Hotel untergebracht. Alle medizinischen Mitarbeiter, auch die aus Wuhan, mussten in den dafür vorgesehenen Hotels bleiben, obwohl sie in der Nähe des Krankenhauses wohnten. Das Essen war reichlich und nahrhaft. Es wurde von den Einwohnern gespendet.

BM: Warum wurden Sie auf diese Weise abgesondert?

Dr. Z: Hauptsächlich, um unsere Familien zu schützen. Uns war klar, dass es unmöglich war, mit ihnen zusammenzuleben und sie gleichzeitig zu schützen.

BM: Können Sie darüber sprechen, wie die Krankenhäuser versorgt wurden?

Dr. D: Für die Koordination aller notwendigen Lieferungen war die Regierung verantwortlich. Eine Regierungsstelle koordinierte sie über die Zweigstelle der Region, die sie dann über die nächsten Ebenen bis hinunter zu den Krankenhäusern verteilte. Dafür haben wir ein besonderes Netzwerk eingerichtet.

BM: Dr. D, wo haben Sie gearbeitet?

Dr. D: Mein Team wurde einem traditionellen Allgemeinkrankenhaus in Hankou zugeteilt, das während des Ausbruchs in ein Krankenhaus für Covid-19-Patienten umgewandelt wurde.

[Die Stadt Wuhan ist ein Zusammenschluss der „drei Wuhan-Städte“ Hankou, Wuchang und Hanyang. Sie liegt nördlich des Zusammenflusses der Flüsse Han und Jangtse.]

BM: Dr. X, können Sie über die Zahl der Mitarbeiter des Gesundheitswesens sprechen, die Wuhan unterstützt haben?

Dr. X: Als die Abriegelung in Kraft trat und unsere Ressourcen mobilisiert wurden, hatten wir meiner Meinung nach etwa 40.000 Pflegekräfte, die unsere Bemühungen hier in der Provinz Hubei unterstützten. Am Anfang war es schwierig. Die Krankenhäuser wurden mit Patienten überfüllt, und wir konnten nicht mehr mithalten. Die Vorräte wurden knapp. Aber seither ist es uns gelungen, die Krankenhäuser personell und mit der notwendigen Ausrüstung auszustatten.

BM: Und wie verlief die Arbeit auf den Stationen? Wir haben Bilder von chinesischen Ärzten in voller persönlicher Schutzausrüstung gesehen.

Dr. X: Wir mussten schnell lernen, wie wir die Schutzkleidung an- und auszuziehen hatten. [Sie erläuterten, dass sie nicht nur Kittel und Haarnetze, sondern eine vollständige Schutzausrüstung mit Masken und Gesichtsschild und vier Paar Handschuhen trugen]. Es war sehr schwierig, darin zu arbeiten. Wir arbeiteten im Schichtbetrieb. Die Ärzte hatten eine Sechsstunden-Schicht, während die Krankenschwestern in Vierstunden-Schichten arbeiteten. Vor unserer Schicht brauchten wir eine Stunde, um uns komplett in Montur zu bringen, und danach eine weitere Stunde, um sie wieder auszuziehen. Wenn wir Patienten intubierten, benutzten wir zusätzlich Atemgeräte.

Dr. D: Wir waren anfänglich vielleicht mit dem Tragen von Schutzbrillen und der ganzen Schutzausrüstung übereifrig und hätten vielleicht nicht das alles gebraucht. Wir trugen drei bis vier Paar Handschuhe übereinander. Aber es war schwer zu sagen, ob das notwendig war oder nicht. Jedenfalls gingen wir mit größter Vorsicht an die Sache heran.

BM: Dr. Z, ich hatte schon gelesen, dass die chinesischen Ärzte CT-Scans zur Diagnose von Patienten mit Covid-19 verwenden. Warum ist das so?

Dr. Z: Wir haben erkannt, dass Patienten mit leichten Symptomen manchmal nach Hause geschickt werden, wo sie dann zusammenbrechen. Wie wir feststellten, kann der CT-Scan einen prognostischen Wert haben. Wenn also ein Patient positiv getestet wird, aber nur leichte Symptome hat, kann er nach Hause gehen, es sei denn, die CT-Untersuchung ergibt Hinweise auf eine Lungenentzündung. Wir nehmen diese Patienten dann auf, weil wir festgestellt haben, dass sie später manchmal kollabieren.

Dr. D: Auch jetzt, da die Epidemie vorüber ist, bleiben wir wachsam. Vor zwei oder drei Wochen kam ein 72-Jähriger zu uns, der weder Atembeschwerden noch Fieber hatte – er hatte nur Schwindel und war müde. Der Patient wurde in die neurologische Abteilung eingewiesen. Als sie einen CT-Scan erstellten, zeigte sich, dass die Lungen dieses Patienten alle Merkmale von Covid-19 aufwiesen. Er hatte bereits siebzehn Ärzte und Krankenschwestern angesteckt, und die Abteilung wurde geschlossen. Die CT-Untersuchung hat sich also als wertvoll erwiesen, wenn die Patienten nicht die üblichen Anzeichen und Symptome aufweisen.

BM: Wie kommen Ihre Familien damit zurecht, dass Sie nicht bei ihnen sind?

Dr. W: Mein Mann arbeitet auf einer Werft in leitender Position. Wir wurden getrennt, damit er sich nicht ansteckt. Aber er engagiert sich auch im Kampf gegen das Virus. Nicht nur medizinisches Personal kämpft dagegen, das ganze Land ist beteiligt. Wir vermissen einander, doch es hilft uns, zu wissen, dass sich alle an diesem Kampf beteiligen.

Dr. X: Mein Sohn ist an der Universität, also wissen wir, dass er in Sicherheit ist. Meine Frau ist ebenfalls Ärztin und wir arbeiten im selben Krankenhaus. Wir wohnen im Hotel, aber in getrennten Zimmern. Die Situation ist hart, aber wir wissen, man kann eine Erkrankung vermeiden, und man kann sie kontrollieren und behandeln, solange wir konsequent und wachsam bleiben.

Dr. Z: Mein Mann ist Arzt und arbeitet ebenfalls in unserem Krankenhaus. Unseren Sohn schickten wir zu den Großeltern, bevor Wuhan abgeriegelt wurde. Wir wussten, dass die Situation sehr ernst werden würde und wir uns nicht um ihn würden kümmern können.

BM: Mit welchen Schwierigkeiten war Wuhan Ihrer Meinung nach beim Kampf gegen die Epidemie konfrontiert?

Dr. X: Als die Epidemie in Wuhan gerade ausgebrochen war, vertuschten die Behörden das Problem. Sie erstatteten den Gesundheitsbehörden und der Regierung keine Meldung. Vertuschen ließ es sich später nicht mehr, doch die Zahl der Infektionen stieg stark an. Die medizinische Versorgung litt unter Personal- und Materialmangel.

BM: Starben deshalb in Wuhan so viel mehr Menschen als in anderen Provinzen?

Dr. X: Wir waren in einer schwierigen Situation. Es fehlte an medizinischen Versorgungsmitteln. Doch die Regierung schaffte es, dass jedes Krankenhaus medizinische Ausrüstung – Schutzanzüge, Handschuhe, Masken -, und auch Lebensmittel und anderes mehr erhielt. Wir bauten sogar zwei Krankenhäuser innerhalb von zwei Wochen.

BM: Hat einer von Ihnen dort gearbeitet? Das war ja eine unglaubliche Leistung.

Dr. W: Nein.

BM: In Europa und in den Vereinigten Staaten erleben die Krankenhäuser gerade einen Ansturm von Patienten. Wie haben Sie die Vielzahl von Infizierten bewältigt?

Dr. X: In meinem Krankenhaus hatten wir 3.000 Zimmer für stationäre Patienten. Wir entschieden uns, Patienten mit Covid-19 gemeinsam unterzubringen, während wir Patienten mit Verdacht auf Covid-19 auf Einzelzimmer legten. So erhöhten wir die Kapazität. Aber man muss tun, was notwendig ist. Die Zusammenlegung von Covid-19-Patienten half diesen im Umgang mit der Krankheit, weil sie sich Gesellschaft leisteten. Von ihren Familien durften sie nicht besucht werden.

BM: Dr. W, haben sie erlebt, dass es schwangeren Covid-19-Patienten schlechter geht, oder dass sie stärker von Komplikationen betroffen sind?

Dr. W: Wir haben keine besonderen Risiken für Schwangere gegenüber nichtschwangeren Frauen festgestellt. Wir behandelten ihre Schwangerschaft wie sonst auch, aber ihre Familien dürfen nicht bei ihnen sein.

BM: Schwangere Frauen kamen also gut mit der Erkrankung zurecht?

Dr. W: Im Wesentlichen ja. Wir entschieden uns allerdings eher schneller für einen Kaiserschnitt, um der Schwangeren die körperliche Anstrengung und das Hecheln während der Wehen zu ersparen.

BM: Wie gingen Sie mit den Neugeborenen um?

Dr. W: Sie wurden im Säuglingszimmer mit Unterdruck behandelt, isoliert und blieben zwei Wochen lang unter Quarantäne. Die Mütter blieben zwei weitere Wochen unter Quarantäne, nachdem sie symptomfrei waren und ein Nukleinsäuretest negativ war. Wenn der Test bei Mutter und Baby negativ ausfiel, konnte das Baby bei der Mutter bleiben und gestillt werden.

BM: Welchen Teil Ihrer Arbeit empfanden Sie als größte Herausforderung?

Dr. X: Ich arbeitete im regionalen Aufnahmezentrum ICU. Zu uns kamen alle ernsthaft Erkrankten. Die Patienten wertschätzten unsere Bemühungen und sie wussten, dass wir alle unser Bestes gaben. Man sah ihnen an, dass sie Angst hatten. Manchmal fühlt man sich so hilflos, und das war schmerzhaft.

Ich hatte einen Patienten in seinen Fünfzigern. Er hatte seine Eltern durch Covid-19 verloren. Obwohl er intubiert werden musste, richtete er seinen Daumen immer nach oben. Er versuchte immer positiv zu bleiben. Doch es ging ihm nicht besser, und da wusste ich, dass er sich nicht mehr erholen würde. Drei Wochen darauf verstarb er an Lungenversagen. Ich weiß nicht, warum mir sein Tod so naheging. Ich war wie am Boden zerstört. Ich ging in mein Hotelzimmer zurück, wo ich isoliert war. Meine Frau war im Zimmer nebenan. Wir saßen beide an der Wand und sprachen miteinander. Ich werde diese Nacht nie vergessen.

Dr. D: Wenn wir uns ausruhten, fühlten wir uns hinterher nie wirklich erholt. Es ist schwer zu erklären. Es war nicht Benommenheit oder Fassungslosigkeit. Vielleicht ein Gefühl von Schmerz oder Furcht. Mich beschäftigte immer nur, wie ich diese Patienten retten könnte – ich studierte die Fachliteratur, Behandlungsrichtlinien, las Artikel, führte Diskussionen und nahm an Meetings teil.

Wenn ein Patient am Beatmungsgerät ist und man sieht, dass der Sauerstoffgehalt in seinem Blut langsam sinkt, dann weiß man, dass man nichts mehr tun kann. Sie langsam sterben zu sehen, ist sehr schmerzhaft. Man fühlt sich so hilflos.

Ich glaube, an dem Krankenhaus, in dem ich arbeitete, starben allein im Februar 129 Patienten, 38 davon auf meiner Station. Als die Ausbreitung des Virus am stärksten war, sah ich, dass vier Leichen über 24 Stunden auf der Station verblieben, weil die Leichenhalle voll war und es an Personal mangelte. Das überwältigte mich so sehr, dass ich am ganzen Körper Furcht verspürte. Ich empfand, dass die ganze Welt krank sei, einfach krank.

Viele meiner Kollegen berichteten mir, dass sie nicht schlafen konnten. Viele entwickelten große Ängste, als sie auf die Station kamen. Sie zitterten, wenn sie medizinische Abfälle entsorgen mussten. Ich versuchte sie zu trösten, mit ihnen zu arbeiten, sie zu beruhigen.

Dr. Z: ich erinnere mich, ein Patient war gestorben, und ich nahm all meinen Mut zusammen, um die Familie zu benachrichtigen. Ich rief an, und als der Mann den Hörer abhob, sagte er gleich: „Es geht um meinen Vater?“ Ich bejahte. „Danke“, sagte er, „ich werde in etwa einer Stunde da sein. Ich muss mich gerade noch um einen Patienten kümmern.“ Es ist ein Kollege von mir. Er erzählte mir, dass seine Mutter einen Tag zuvor gestorben war und seine beiden Brüder die Woche zuvor. Er kam, unterschrieb die Papiere und ging. Ich rief ihm noch hinterher, er drehte sich um und sagte: „Danke. Tschüss“, und ging.

BM: Können Sie über Dr. Li Wenliang sprechen? Er starb am 7. Februar an Covid-19. Im Dezember warnte er auf den sozialen Medien seine Kollegen vor dem Ausbruch des Virus. Dafür wurde er scharf kritisiert. Wie denken Sie darüber?

Dr. W: Ich kannte ihn und hatte mit ihm gesprochen. Sein Tod schockiert mich. Er war so jung. Seine Frau war schwanger, als er starb. Es ist schwer, darüber zu sprechen. Es hätte jeden treffen können. Aber dabei geht es um Politik … Und seine Familie konnte nicht bei ihm sein. Man steckte seinen Körper in einen Sack und übergab diesen einem Beerdigungsinstitut.

BM: Ich las, die Kommunistische Partei habe die Vorwürfe zurückgenommen und seiner Familie eine „feierliche Entschuldigung“ angeboten.

Dr. W: Es geht doch nicht darum, dass sie ihn rehabilitiert haben. Die Kommunistische Partei Chinas – ich hasse es einfach, über sie zu sprechen. Zu viele sinnlose Opfer. Zu viele Leben sinnlos verloren. Vier Ärzte sind in ihrem eigenen Krankenhaus an Covid gestorben, zwei von derselben Abteilung, Ophthalmologie [Augenheilkunde]. Dann gibt es noch zwei Ärzte, die immer noch beatmet werden, seit zwei Monaten. Man traut sich nicht, sie sterben zu lassen, weil die Öffentlichkeit das nicht verzeihen würde.

BM: Dr. D, wie viele medizinische Helfer kamen nach Wuhan, und wie viele haben sich infiziert?

Dr. D: Als mein Team eingetroffen war, hatten wir in der Provinz Hubei etwa 40.000 medizinische Helfer. Ich glaube, etwa 3.000 haben sich angesteckt, die meisten in der Anfangsphase der Bekämpfung des Virus. Wir hatten noch keine strikten Infektionskontrollen, und es fehlte uns das medizinische Material.

BM: Hat sich jemand aus Ihrem Team angesteckt?

Dr. X: Wir waren fast von Beginn an, Anfang Januar, im Einsatz. Von meinem Team infizierten sich vier, doch nur einer musste intubiert werden. Alle sind wieder gesund geworden.

Dr. D: Von unseren 138 Pflegekräften hat sich keiner infiziert.

BM: Was haben Sie von diesem Ausbruch gelernt? Was funktionierte gut, was nicht?

Dr. X: Wichtig war eine frühe Diagnose. Wir isolierten die Patienten schnell und begannen sofort mit der Behandlung. Vor allem aber kam es darauf an, das medizinische Personal zu schützen. In unserer virologischen Einrichtung arbeiten etwa 200 Leute, und wir haben keine Infizierten.

Für die Bevölkerung war es wichtig, Masken zu tragen und die Hände sorgfältig zu waschen, um Ansteckungen zu reduzieren, das gilt natürlich auch für das medizinische Personal. Wir lernten auch schnell, Schutzkleidung richtig zu benutzen. Das Durchlüften von Patientenzimmern stellte sich auch als hilfreich heraus, um Infektionen einzudämmen.

Dr. Z: Wir unterbrachen sofort alle klinischen Austauschprogramme für Medizinstudenten. Wir wiesen die Einwohner wiederholt darauf hin, persönliche Schutzmaßnahmen strikt zu befolgen. Statt des Aufzugs nahmen wir die Treppe. Wir verbrachten so wenig Zeit wie möglich in geschlossenen Räumen. Für draußen hatten wir einen Satz Kleidung, Schuhe und Kopfbedeckung. Wir sprühten unseren ganzen Körper mit medizinischem Alkohol ein, bevor wir auf unsere Zimmer gingen, wo wir uns sofort duschten. Wir trugen unser Haar sehr kurz.

BM: Gab es auch Behandlungsmethoden, die Sie als unwirksam erkannten? In den USA und Europa benutzen die Menschen Chloroquin, weil sie gehört haben, es könnte gegen die Infektion helfen.

Dr. X: Wir verwendeten Arbidol (Umifenovir – ein Antiviren-Medikament gegen Influenza, das in Russland und China verwendet wird). Es half überhaupt nicht und führte auch zu Leberschäden. Wir verabreichten auch Lopinavir (ein Protease-Inhibitor zur Behandlung von HIV), aber das verursachte auch Leberschäden und rief bei den Patienten Ekel und Erbrechen hervor. Auch hier kein Erfolg. Virazole (auch bekannt als Ribavirin zur Behandlung von Infektionen durch das Respiratory-Syncytial-Virus) hatte keine sichtbaren Nebenwirkungen, aber auch keinen Nutzen. Auch Steroide schienen keinerlei Nutzen zu bringen, haben aber möglicherweise die Immunität von Patienten herabgesetzt.

BM: Was sind Ihre klinischen Erfahrungen mit dieser Infektion? Das Alter der Patienten, wie lange es dauerte, bis die Krankheit ausbrach, wie tödlich war die Infektion?

Dr. X: Für alte Leute ist es verheerend. Sie kommen nicht gut mit der Krankheit zurecht. Aber jedes Alter ist betroffen. Wenn eine Person in Berührung mit dem Virus kommt, dauert es in der Regel einige Tage oder eine Woche, bis sie Symptome entwickelt.

Patienten mit geringfügigen Symptomen wurden zu Hause isoliert, und Pflegekräfte kamen regelmäßig zur Kontrolle. Nach ein oder zwei Wochen ging es ihnen entweder besser, oder sie stellten sich im Krankenhaus vor und wurden aufgenommen. Etwa 80 Prozent der Patienten, die intubiert werden mussten, starben, meistens am fünften Tag nach der Krankenhauseinweisung. Manchmal hielten sie auch länger durch, aber die Chance auf Genesung sank.

BM: Zum Abschluss würde ich gerne Ihre Meinung zur globalen Reaktion auf diese Pandemie hören. Was möchten Sie dem Rest der Welt gerne sagen – Europa, den Vereinigten Staaten, Afrika und Lateinamerika?

Dr. D: Jede Regierung muss dieser Pandemie ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden. Schickt Material und Pflegekräfte dahin, wo der Bedarf am größten ist. Riegelt die Städte, und sogar den ländlichen Raum frühzeitig ab. Isoliert gefährdete Personen frühzeitig.

Dr. Z: Wichtig ist, dass wir zusammenarbeiten. Nach diesem großen Desaster und Versorgungsengpässen schickte China 300 Pflegekräfte und Versorgungsgüter nach Italien, um zu helfen.

Dr. X: In unterentwickelten Ländern müssen die Regierungen ihre Ressourcen so effizient als möglich einsetzen. Sie müssen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen. Wenn das bedeutet, Städte oder auch ein Land abzuriegeln, dann müssen sie es so frühzeitig als möglich tun. Sie müssen die Bevölkerung aufklären – Hände waschen, das Haus durchlüften. Schützt das medizinische Personal.

Wir haben im Anfangsstadium zu wenig getan.

BM: Ich möchte Ihnen allen für dieses Gespräch danken. Vielen Dank für Ihre Arbeit. Bitte bleiben Sie gesund.

Am 18. März 2020 gaben die chinesischen Behörden bekannt, es gebe keine Neuinfektionen mehr. Das war ein Meilenstein in einer Pandemie, die inzwischen mehr als 200 Länder erreicht hat, mit weit über einer Million Infizierten und fast 80.000 Toten. Der Kampf gegen die Pandemie wird in den neuen Epizentren Europa und USA geführt. China konnte die Zahl der Infizierten bei rund 82.000 halten; über 77.000 Menschen sind genesen, es gab 3.335 Tote. Gegenwärtig sind unter 2.000 Menschen akut erkrankt.

Am 25. März endete die strikte Abriegelung Hubeis, als die zuständige Behörde bekanntgab, sie würde die Reisebeschränkungen lockern. Örtliche Behörden bestehen aber weiterhin auf dem Reiseverbot. Trotz der Bemühungen Pekings, die Menschen zurück an die Arbeit zu bringen, gibt es weitverbreitet Bedenken und Zweifel über die Versicherung der Regierung, die Epidemie sei unter Kontrolle. Am 28. März errichtete die Polizei in der Stadt Jiujiang eine Straßensperre, um Migranten aufzuhalten, die von Hubei kamen. Es kam zu Gewalt. Aufnahmen zeigen, dass Polizisten aus Jiujiang und Huangmei aufeinander losgingen, und dass Hunderte von Menschen die Polizei angriffen.

Die Provinz Henan in Zentralchina, nördlich von Hubei gelegen, sperrte den Bezirk Jia am 31. März ab, betroffen davon sind 600.000 Menschen. Alle Geschäfte wurden geschlossen, außer lebenswichtigen Versorgungsunternehmen, Unternehmen für medizinischen Bedarf und Logistik. Die Maßnahme wurde ergriffen nach einer Meldung über drei Neuinfektionen am Sonntag. Ein Arzt namens Lia war zuvor am Samstag positiv getestet worden, wie auch zwei seiner Kollegen, die er angesteckt hatte.

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