Ende letzter Woche wurde die Schwelle von weltweit 100.000 Todesfällen durch Covid-19 überschritten. Die Vereinigten Staaten verzeichnen mit mehr als 22.000 Toten mittlerweile eine größere Zahl an Opfern als jedes andere Land, gefolgt von Italien (fast 20.000), Spanien (über 17.000) Frankreich (über 14.000) und Großbritannien (etwa 10.500). Auch in Deutschland steigt die Zahl der Toten weiter und nähert sich mit fast 3.000 der Gesamtzahl der Toten in China, dem Ausgangsland der Pandemie.
Am 10. April starben in den USA erstmals mehr als 2.000 Menschen an einem einzigen Tag. Auf der zu New York gehörenden Insel Hart Island wurden Massengräber angelegt. Vor den Krankenhäusern der Stadt werden die Leichen in Kühllastwagen gestapelt.
Die Ausbreitung des Virus weltweit beschleunigt sich. Trotzdem schwenkten im Laufe letzter Woche Politik und Medien auf eine bedrohliche neue Richtung ein. Wurde anfangs noch vor einer Katastrophe gewarnt, war zum Ende der Woche allenthalben von vermeintlichen „Hoffnungsschimmern“, einem „Licht am Ende des Tunnels“ oder einem „ersten Silberstreif am Horizont“ (Wirtschaftsminister Peter Altmaier) die Rede.
Mit dieser Verschiebung der Berichterstattung soll eine vorzeitige Rückkehr an die Arbeit gerechtfertigt werden. Dafür tritt insbesondere Präsident Trump ein, der auf einer seiner täglichen Pressekonferenzen einen „Big Bang“ zur Öffnung der Unternehmen forderte. Doch auch in Deutschland und Europa trommeln Politiker für ein baldiges Hochfahren der Wirtschaft.
Wissenschaftler hingegen warnen davor, den Betrieb zu früh wiederaufzunehmen. Am Freitag berichtete die New York Times, dass internen Berechnungen der US-Regierung zufolge eine frühzeitige Aufhebung der sozialen Distanzierungsmaßnahmen zum Tod von etwa 140.000 Menschen führen würde.
„Wenn die Regierung die Anordnung der 30-tägigen Ausgangsbeschränkungen aufhebt, wird die Gesamtzahl der Todesfälle auf 200.000 geschätzt, selbst wenn die Schulen bis zum Sommer geschlossen bleiben“, stellt die Times fest. Wenn hingegen die derzeitigen Beschränkungen bis Ende Mai aufrechterhalten werden, gehen die aktuellen Schätzungen der Trump-Regierung von 60.400 Todesfällen aus.
Es gibt keinen einzigen seriösen Wissenschaftler, Arzt oder Epidemiologen, der behauptet, dass die Pandemie unter Kontrolle wäre. Wissenschaftler warnen, dass das Gesundheitswesen der Pandemie nicht standhalten kann, wenn die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung aufgehoben werden. In den USA und weiten Teilen Europas sind die Krankenhäuser bereits jetzt völlig überlastet und es fehlt an Ärzten, Pflegekräften und der medizinisch notwendigen Ausstattung. Nach wie vor gibt es viel zu wenige Tests und kaum wissenschaftlich gesichertes Wissen über das Virus.
Was würde eine Rückkehr in die Betriebe bedeuten? Das Ziel der herrschenden Klasse besteht darin, die Pandemie zum „Normalzustand“ zu machen, d. h. die Bevölkerung an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Sterben auf absehbare Zeit weitergeht. Die Arbeiter sollen dies als unvermeidlich hinnehmen. Deshalb rücken die Meldungen über die Zahl der Todesopfer in den Nachrichten auch immer mehr in den Hintergrund.
Hinter diesen Bestrebungen steht eine bösartige Klassenlogik. Die Arbeiter werden als eine Art Wegwerfprodukt behandelt. Ihr Tod gilt als normaler Begleitumstand der Erwirtschaftung von Profiten. Wer dem Virus erliegt, kann ersetzt werden.
Außerdem läuft es darauf hinaus, dass eine Weigerung, an die Arbeit zurückzukehren, die Kündigung samt Sperre des Arbeitslosengelds nach sich ziehen kann. Die Massenarbeitslosigkeit – allein in den USA haben sich in den letzten drei Wochen 16,8 Millionen arbeitslos gemeldet – wird als Knüppel benutzt. Man soll sein Leben aufs Spiel setzen, indem man an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Unternehmen, die vor der Pandemie von Arbeitskräftemangel betroffen waren, bekommen eine neue Peitsche in die Hand, um die Belegschaft zu disziplinieren.
Da die Pandemie die Ältesten und Schwächsten besonders stark trifft, sollen weniger Ressourcen für die Pflege älterer und gebrechlicher Menschen aufgewandt werden. Stattdessen fließt das Geld dann in die Finanzierung von Aktienrückkäufen und Dividendenzahlungen.
Mit der Forderung nach einer frühzeitigen Rückkehr an die Arbeit setzt die herrschende Klasse die Politik der „böswilligen Untätigkeit“ fort, mit der sie von Anfang an auf die Pandemie reagiert hat.
In vielen Ländern hat die Regierung die Pandemie zunächst heruntergespielt und verharmlost. Trump hat den Virus als Feind aus dem Ausland dargestellt, der mit Reiseverboten bekämpft werden muss. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Covid-19 mit einer normalen Grippe verglichen und behauptet, Deutschland sei „gut vorbereitet“. Monatelang wurde so gut wie nichts unternommen, um die Katastrophe abzuwenden. Erst nach den Schreckensmeldungen aus Italien sahen sich die Regierungen in den USA und Europa unter dem Druck der Bevölkerung und spontaner Arbeitsniederlegungen gezwungen, in größerem Umfang Maßnahmen zur sozialen Distanzierung anzuordnen.
Als sich die Pandemie dann ausbreitete, nutzte die herrschende Klasse die Krisenatmosphäre für den größten Vermögenstransfer an die Unternehmens- und Finanzoligarchie, den es je gegeben hat. Die Rettung der Wall Street durch das Finanzministerium und die US-Notenbank – einschließlich eines Ende letzter Woche angekündigten zusätzlichen Programms in Höhe von 2,3 Billionen Dollar – geht weit über die Maßnahmen nach der Krise von 2008 hinaus. Und dieses Mal floss das Geld innerhalb weniger Tage.
Den gleichen Klassencharakter tragen die „Rettungspakete“ der deutschen Regierung und der Europäischen Union. Aus dem sogenannten Notfallpaket der Großen Koalition, das Ende März von allen Bundestagsparteien beschlossen wurde, fließt der Großteil – etwa 600 Milliarden – direkt in die Taschen der Großunternehmen und Finanzoligarchen. Zuvor hatte bereits die Europäische Zentralbank (EZB) ein Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro für die Finanzmärkte verkündet.
Kaum war diese Plünderung der öffentlichen Kassen auf den Weg gebracht, da wurden auch schon die Rufe nach einer Rückkehr zur Arbeit laut. Und sie kamen nicht nur von der Trump-Administration und der herrschenden Klasse in den USA. Das Muster wiederholt sich in ganz Westeuropa. Die österreichische Regierung hat angekündigt, die Unternehmen bereits nach Ostern wieder zu öffnen. In Spanien sollen die Autofabriken ab dem 20. April den Betrieb wieder aufnehmen. Hierzulande gibt es ähnliche Pläne für ein „schrittweises Wiederhochfahren“ der Wirtschaft.
Die World Socialist Web Site schrieb in einer Erklärung vom 18. März: „Die unvereinbaren Interessen zweier Klassen stehen sich gegenüber. Für die Kapitalisten geht es darum, ihre Profitinteressen zu sichern und dafür zu sorgen, dass ihr Eigentum und ihr Reichtum unangetastet bleiben. Es dürfen aus ihrer Sicht keine Maßnahmen ergriffen werden, die ihre Interessen beeinträchtigen. Die Arbeiterklasse kümmert sich um die Interessen der breiten Masse der Menschheit, wobei sie nicht von privatem Profit, sondern von sozialer Notwendigkeit ausgeht.“
Die Sozialistische Gleichheitspartei hält an ihrer Forderung fest: Keine Rückkehr zur Arbeit unter unsicheren Bedingungen! In Streiks in allen Branchen forderten die Beschäftigten genau das, was auch die Wissenschaftler zur Eindämmung der Pandemie empfehlen: sichere Arbeitsbedingungen, Bereitstellung von Schutzausrüstung und die Einstellung nicht lebensnotwendiger Produktion.
Alle von der Krise betroffenen Arbeiter müssen weiterhin ihr volles Einkommen erhalten. Zahlungen für Miete, Strom, Kredite und andere Fixkosten müssen sofort ausgesetzt werden.
Die Covid-19-Pandemie kann immer noch durch massive Investitionen in das Gesundheitswesen eingedämmt und besiegt werden. Hunderttausende oder sogar Millionen Menschenleben auf der ganzen Welt können gerettet werden!
Die den Finanzmärkten und Großunternehmen zugesagten Billionenzahlungen müssen gestrichen werden. Stattdessen muss ein großes Programm öffentlicher Arbeiten aufgelegt werden, um eine Infrastruktur für medizinische Notfallversorgung aufzubauen, lebensrettende medizinische Geräte herzustellen und Systeme für groß angelegte Tests und Kontaktverfolgung zu schaffen, wie sie für die Bekämpfung von Covid-19 unerlässlich sind.
Um diese Forderungen zu verwirklichen, muss die Arbeiterklasse mit Unterstützung aller fortschrittlichen Kräfte in der Gesellschaft die politische Macht übernehmen – in Deutschland, den USA und weltweit. Das wirtschaftliche Leben muss auf der Grundlage der gesellschaftlichen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits neu organisiert werden. Die Menschheit steht vor der Alternative: Kapitalismus und Tod oder Sozialismus und Leben.