Birkenfeld: Fast 300 Schlachthofarbeiter positiv auf Covid-19 getestet

In einem baden-württembergischen Schlachthof haben sich fast 300 Arbeiter mit Covid-19 infiziert. Das hat offenbar als erste die rumänische Regierung bekannt gemacht, da sich unter den Erkrankten mindestens 200 rumänische Arbeiter befinden.

Die Arbeiter seien, wie es heißt, keine Saisonkräfte, sondern sie arbeiteten das ganze Jahr in der deutschen Fleischindustrie. Damit gehören sie zu jenen überausgebeuteten osteuropäischen Arbeitern, die von unterschiedlichen Subunternehmen angeworben und meist zu Sklavenlöhnen und -bedingungen an deutsche Betriebe weitervermitteln werden.

Der Schlachthof der Firma Müller Fleisch liegt in Birkenfeld bei Pforzheim und hat insgesamt 1100 Beschäftigte, darunter fast 500 Arbeiter aus Rumänien. Andere kommen auch aus Polen und Ungarn.

Die Quarantäne, die offiziell über den Betrieb verhängt wurde, funktioniert offenbar nach dem Modell, das die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) vor kurzem (im Fall eines an Covid-19 verstorbenen rumänischen Erntehelfers) mit den Worten „faktische Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit“ bezeichnete. Man könnte es auch hochgefährliche Zwangsarbeit nennen.

Schon am 7. April hatte der Schwarzwälder Bote über erste Hinweise auf Coronafälle auf diesem Schlachthof berichtet. Demnach hatte sich ein Mitarbeiter der Fleischfirma, der in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnt, so schlecht gefühlt, dass er bei der Polizei anrief. Er wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht, und zwei Tage später lag das positive Covid-19-Testergebnis vor.

Wie Tests unter seinen Kollegen ergaben, hatten sich da bereits zehn weitere Mitbewohner der Unterkunft angesteckt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannten das Gesundheitsamt, die Polizei, der Schlachtbetrieb, der Subunternehmer und die Unterkunftsbetreiber klar und deutlich, dass sich das Coronavirus im Betrieb ungehindert ausbreitete. Dennoch wurde dieser nicht stillgelegt.

Die einzige Gegenmaßnahme bestand darin, dass die positiv Getesteten in eine gesonderte Unterkunft verlegt wurden, was offiziell als „Isolation“ bezeichnet wurde. In den letzten 14 Tagen sind dann nach und nach Tests unter den insgesamt 1100 Mitarbeitern des Schlachthofs durchgeführt worden. Das Ergebnis ist immer noch nicht vollständig bekannt, doch schon jetzt sind mindestens 270 Beschäftigte positiv auf Covid-19 getestet worden.

Mindestens fünf Erkrankte liegen im Krankenhaus, und einer ist auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet und kämpft um sein Leben.

Der Bürgermeister von Höfen beschwerte sich ausdrücklich über die Fleischfirma. Die Unternehmensleitung habe nicht einmal Auskunft darüber gegeben, wo die Betroffenen genau untergebracht und gemeldet seien. Offenbar seien viele überhaupt nicht polizeilich gemeldet. Es sei „wenig verwunderlich“, dass eine Infektion hier „eine Lawine lostritt“, so der Bürgermeister.

Dass die Fleischpacker nicht gemeldet sind, ist in dieser Branche keine Seltenheit. Die Subunternehmerketten, die diese Arbeiter nach Deutschland bringen, arbeiten in Mafia-ähnlichen Strukturen. Um Steuern und Abgaben zu hinterziehen, werden die Arbeitskräfte nicht angemeldet, und sie erhalten auch keine schriftlichen Arbeitsverträge. Ihre Löhne liegen oft weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Sie werden in billigen Absteigen, einstigen Hotels oder auch Containerlagern untergebracht. Sie schlafen zu viert in einem Raum, und die Waschräume sind heruntergekommen – also beste Bedingungen für die Ausbreitung von Covid-19.

Die Arbeiter von Müller Fleisch sind in verschiedenen Sammelunterkünften in mehreren Ortschaften rund um Pforzheim untergebracht. Die Wut des Bürgermeisters von Höfen, wo die Zahl der Infizierten in kurzer Zeit von 3 auf 26 angestiegen ist, widerspiegelt Zorn und Furcht in der ganzen Bevölkerung. Dennoch wird der Schlachterbetrieb nicht stillgelegt.

Am 24. April, als bereits klar war, dass mindestens 230 Beschäftigte sich angesteckt hatten, entschied das Landesgesundheitsamt, dass die Schlachterei Müller Fleisch weiterarbeiten dürfe.

Der Schwarzwälder Bote zitiert den Landrat Bastian Rosenau, der am 23. April in einer Pressekonferenz behauptete: „Es besteht kein erhöhtes Risiko für Verbraucher.“ Der Betrieb müsse schon deshalb weiterlaufen, weil man nicht alle 1100 Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen nach Hause und in Quarantäne schicken könne. Dann könne sich das Virus erst recht unkontrolliert ausbreiten. In der Firma Müller dagegen habe man „ein geschlossenes System“, in dem sich die Infektionskette nachverfolgen lasse.

Jetzt müssten alle Erkrankten aus den verschiedenen Unterkünften an einem Ort gemeinsam untergebracht werden, forderte der Landrat. „Deshalb will die Kreisverwaltung alle Infizierten aus ihren Wohngemeinschaften herausholen und an wenigen Orten gemeinsam unterbringen … im Ernstfall kämen auch Hallen in Frage.“ Der Schwarzwälder Bote schließt: „Das eine ist die medizinische Betreuung, das andere natürlich auch eine leichtere Kontrolle.“

Den Behörden geht es darum, die Billiglohnarbeiter isoliert von der übrigen Bevölkerung unter Kontrolle zu halten, und gleichzeitig die Produktion weiterlaufen zu lassen. Auch die zwei Geschäftsführer und Besitzer der Firma Müller Fleisch, Martin und Stefan Müller, behaupteten laut der Zeitschrift focus in einer Telefonkonferenz, an der Quarantäne würde sich nichts ändern, „ob Müller nun arbeitet oder nicht“.

Die zwei Unternehmer ließen den eigentlichen, wirtschaftlichen Grund erkennen: Wie sie erklärten, müsse der Fleischbetrieb Verträge mit seinen Zulieferern einhalten und den Landwirten die Tiere abkaufen. Das heißt nichts anderes, als dass für sie die wirtschaftlichen Interessen des Betriebs Vorrang vor dem Leben und der Gesundheit der Beschäftigten haben.

In offenem Zynismus setzten sie hinzu, die Vorstellung, dass ein Unternehmen Einfluss auf die Unterbringung seiner Mitarbeiter nehmen könne, sei für sie „erschreckend“; das wäre „gesetzlich auch gar nicht erlaubt“. Arrogant erklärten sie, das Unternehmen sei keineswegs verpflichtet, die Kosten der Quarantäne zu tragen, doch sie würden sich „aus moralischer Pflicht“ daran beteiligen.

Am 28. April versuchte der rumänische Konsul Radu Florea vergeblich, Kontakt zu den betroffenen Arbeitern oder ihren Vorgesetzten im Unternehmen Müller Fleisch aufzunehmen. Stattdessen versicherte ihm laut dem Pforzheimer Kurier der Pforzheimer Erste Bürgermeister Dirk Büscher (CDU), dass die betroffenen Arbeiter „gut aufgehoben“ seien, und dass sich niemand beschwert habe.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der Politiker, Unternehmer und Journalisten über Wohlergehen und Gesundheit von hunderten Arbeitern hinweggehen, ist atemberaubend. Sie stellt auch für Arbeiter mit deutschem Pass eine große Bedrohung dar.

Die Vorstellung, die Pandemie ließe sich so einfach wegsperren, ist eine Illusion.

Das erfährt zurzeit Singapur. Das Land muss diese Illusion gerade mit einer heftigen zweiten Infektionswelle bezahlen. Für die „eigene“ Bevölkerung hatte die Regierung die WHO-Anweisung – „Testen, Kontakte zurückverfolgen, Isolieren“ – mustergültig und mit scheinbarem Erfolg durchgeführt. Nicht jedoch mit den unterdrücktesten Schichten, den Arbeitsmigranten, die in Sammelunterkünften am Rande der Zivilisation weggesperrt wurden. Dort konnte das Virus ungehindert wüten, und jetzt breitet es sich erneut auf die ganze Gesellschaft aus.

So wird auch in Deutschland das Wegsperren der Fleischpacker, der Erntehelfer, wie auch der Geflüchteten oder Gefangenen, die örtliche Bevölkerung nicht vor der Pandemie schützen.

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