Das Weiße Haus ist zum politischen Nervenzentrum einer Verschwörung zur Errichtung einer Militärdiktatur geworden. Das Ziel dieser Verschwörung besteht darin, die Verfassung außer Kraft zu setzen, die demokratischen Rechte abzuschaffen und die Proteste gegen Polizeigewalt, die über die Vereinigten Staaten hinwegfegen, gewaltsam zu unterdrücken.
Am Montagabend entfesselte Donald Trump eine politische Krise, die seither rasch eskaliert. Trump befahl der Militärpolizei, friedliche Demonstranten anzugreifen, und drohte mit Maßnahmen nach dem Insurrection Act (Aufstandsgesetz) von 1807 und der Entsendung von Militäreinheiten in die Bundesstaaten, um sie unter Kriegsrecht zu stellen.
Die Demokratie in Amerika steht am Rande des Zusammenbruchs. Trumps Versuch, einen Militärputsch durchzuführen, entwickelt sich in Echtzeit.
Die Abfolge der Ereignisse, die sich in den letzten 24 Stunden ereignet haben, lassen keinen anderen Schluss zu. Hochrangige Persönlichkeiten aus Politik und Militär geben reihenweise öffentliche Erklärungen von außerordentlichem Charakter ab. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie der Ansicht sind, dass Trump die Errichtung einer Militärdiktatur anstrebt.
Verteidigungsminister Mark Esper erklärte auf einer Pressekonferenz, er habe sich der Drohung Trumps widersetzt, den Insurrection Act in Kraft zu setzen und das Militär im ganzen Land zu stationieren. Der Einsatz von Soldaten für Patrouillen in US-Städten sollte, so Esper, „das letzte Mittel [sein] und nur in den dringendsten und schlimmsten Situationen.“ Er fügte hinzu: „Wir befinden uns jetzt nicht in einer dieser Situationen.“ Laut einem Vertreter des Weißen Hauses, der mit der New York Times sprach, sei Trump „über Mr. Espers Bemerkungen verärgert“ gewesen und habe „ihn später im Weißen Haus scharf zurechtgewiesen …“ Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, ließ durchblicken, dass Esper möglicherweise bald aus dem Kabinett des Präsidenten entlassen werde.
Als Reaktion auf Trumps Drohungen machte Esper eine Kehrtwende und befahl, die 750 Soldaten der 82. US-Luftlandedivision, die sich derzeit in Washington aufhalten, nicht wie zuvor angekündigt zur Militärbasis Fort Bragg zurückzuschicken.
Auf Espers Kommentare folgte eine außergewöhnlich scharfer Angriff des ehemaligen Generals der Marines James Mattis gegen Trump. Mattis war der erste Verteidigungsminister in Trumps Kabinett. Wir geben Mattis‘ Kommentare nicht deshalb mit einer gewissen Ausführlichkeit wieder, weil wir den General, der wegen seiner Rolle bei der Invasion des Irak 2003 den Spitznamen „Mad Dog“ trägt, in irgendeiner Weise politisch unterstützen, sondern weil sie eine ungeschminkte Einschätzung von jemandem darstellen, der mit den Geschehnissen innerhalb des Militärs bestens vertraut ist.
Mattis warf Trump vor, dass dieser versuche, die Verfassung außer Kraft zu setzen. „Als ich vor etwa 50 Jahren zum Militär ging“, schreibt er, "habe ich einen Eid geschworen, mich hinter die Verfassung zu stellen und sie zu verteidigen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Soldaten, die denselben Eid geschworen haben, irgendwann einmal den Befehl erhalten würden, die verfassungsmäßigen Rechte ihrer Mitbürger zu verletzen – geschweige denn, um dem gewählten Oberbefehlshaber einen bizarren Fototermin zu verschaffen, bei dem die militärische Führung anwesend ist.“
Mattis fuhr fort:
Wir müssen jegliche Form des Denkens zurückweisen, dass unsere Städte als „Schlachtfelder“ begreift, die von unserem uniformierten Militär „dominiert“ werden sollen. Zu Hause sollten wir unser Militär nur dann einsetzen, wenn wir von den Gouverneuren der Bundesstaaten in sehr seltenen Fällen dazu aufgefordert werden. Wenn wir unsere Reaktion [auf die Proteste] militarisieren, wie dies in Washington der Fall war, schafft dies einen Konflikt – einen falschen Konflikt – zwischen dem Militär und der zivilen Gesellschaft. Dieser würde die moralische Basis untergraben, die eine vertrauensvolle Bindung zwischen den Männern und Frauen in Uniform und der Gesellschaft gewährleistet, die sie zu schützen geschworen haben und deren Teil sie selbst sind. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung liegt in den Händen der zivilen Stellen auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene, die ihre Gemeinden am besten verstehen und ihnen gegenüber verantwortlich sind.
Mattis schloss sein Statement, indem er Trumps Konzept des Militärs indirekt mit dem des Naziregimes verglich.
Admiral Sandy Winnefeld, ein ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Generalstabs, schrieb in einer E-Mail, die in der New York Times veröffentlicht wurde: „Bezüglich der Beziehungen zwischen Militär und Zivilem, befinden wir uns in der gefährlichsten Zeit, die ich in meinem Leben erlebt habe. Es ist besonders wichtig, dass der Einsatz von Soldaten nur den schlimmsten Umständen, die tatsächlich das Überleben der Nation bedrohen, vorbehalten bleibt. Unsere obersten militärischen Führungskräfte müssen sicherstellen, dass ihre politische Befehlskette diese Dinge versteht.“
Keiner dieser Militärs ist ein überzeugter Anhänger der Demokratie. Ihre Äußerungen sind von der Befürchtung motiviert, dass Trumps Aktionen auf massiven Widerstand in der Bevölkerung stoßen werden – mit katastrophalen politischen Folgen.
„Hochrangige Vertreter des Verteidigungsministeriums", so berichtet die Times, „sind inzwischen so besorgt über den Verlust der öffentlichen Unterstützung – und der ihres Personals im aktiven Dienst und in der Reserve, von denen 40% Nicht-Weiße (People of color) sind –, dass Generalstabschef Mark A. Milley am Mittwoch eine Nachricht an die obersten Militärkommandeure veröffentlicht hat. Darin unterstreicht er, dass jedes Mitglied der Streitkräfte einen Eid zur Verteidigung der Verfassung geschworen hat, die, wie er sagte, „den Amerikanern das Recht auf Meinungsfreiheit und auf friedliche Versammlung gibt“.
Darüber hinaus gaben sämtliche, noch lebenden ehemaligen Präsidenten – Obama, Clinton, Bush und Carter – Erklärung ab. Ihre Aussagen waren weitaus vorsichtiger und warnten nicht ausdrücklich vor einem Staatsstreich. Sie forderten keine spezifischen Maßnahmen gegen Trump. Es war weit weniger ein Appell an die Massen als vielmehr ein vorsichtiger Versuch, Militärführer davon abzubringen, Trump zu unterstützen.
Für die Seite der faschistoiden Kabale um Trump veröffentlichte die Times am Mittwoch einen Kommentar von Senator Tom Cotton unter der Überschrift „Send In the Troops“. Dieser politische Verschwörer erklärt darin: „Vor allem eines wird die Ordnung in unseren Straßen wiederherstellen: eine überwältigende Machtdemonstration, um Gesetzesbrecher zu vertreiben, festzunehmen und letztendlich abzuschrecken.“ Da „wahnhafte Politiker" sich weigerten, das Nötige zu tun, sei es notwendig, so Cotton, dass Trump „den Insurrection Act in Kraft setzt, [der] den Präsidenten dazu ermächtigt, in ,Fällen von Aufständen oder Behinderungen der Gesetze‘ das Militär ,und sämtliche anderen Mittel‘ einzusetzen.“
Die politische Lage befindet sich auf Messers Schneide. Noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten stand das Land so nah an einer Machtübernahme des Militärs. Drohende Militäreinsätze sind nach wie vor im Gange. Die Times berichtete am Mittwochabend: „Obwohl hochrangige Vertreter des Verteidigungsministeriums zur Beruhigung aufriefen, schienen sich die Truppen vor Ort in Washington am Mittwochabend für eine stärker militarisierte Machtdemonstration zu rüsten. Einheiten der Nationalgarde drängten sich noch vor die Polizei, sodass sie im Wesentlichen zum Gesicht der Sicherheitskräfte vor dem Weißen Haus wurden. Außerdem blockierten sie die Straßen mit Lastwagen der Armee, rückten gegen die Demonstranten vor und vergrößerten so den Schutzkreis [um das Weiße Haus].“
Auf diese sich entwickelnde politische Verschwörung reagiert die Demokratische Partei mit ihrer traditionellen Mischung aus Feigheit und Tatbeteiligung. Kein einziger führender Politiker der Demokratischen Partei hat die diktatorischen Handlungen der Trump-Regierung offen angeprangert. Sie tun, was sie können, um der Öffentlichkeit die Sicht auf den Konflikt zu nehmen, der innerhalb des Staatsapparats tobt. Führende Demokraten erklärten wiederholt, Trumps „Rhetorik“ sei „nicht hilfreich“ und würde „die Situation anzuheizen“. Einer der erbärmlichsten Reaktionen auf die Krise stammt von Senator Bernie Sanders, der lediglich Mattis‘ Statement auf Twitter verlinkte und mit den Worten „Interessante Lektüre“ kommentierte.
Während des schon lange in Vergessenheit geratenen Amtsenthebungsverfahrens, das im Januar stattfand, bestanden die Demokraten darauf, dass Trump umgehend aus seinem Amt entfernt werden müsse, weil er der Ukraine im Konflikt mit Russland angeblich militärische Hilfe vorenthalten habe. Sie traten für Trumps Amtsenthebung ein, weil er aus ihrer Sicht in den Beziehungen gegenüber Russland nicht aggressiv genug vorgeht.
Doch nun, da Trump versucht, in den Vereinigten Staaten einen Militärputsch und die Beseitigung der Herrschaft auf Grundlage der Verfassung durchzusetzen, bieten die Demokraten Trump keinerlei ernsthafte Opposition – von Forderungen nach einer Amtsenthebung ganz zu schweigen. Wenn es darum geht, die globalen Interessen des amerikanischen Imperialismus zu verteidigen, spucken die führenden Demokraten Gift und Galle. Aber wenn sie der direkten Bedrohung durch eine Diktatur gegenüberstehen, sind sie lammfromm.
Ihrer Feigheit liegen grundlegende Klasseninteressen zugrunde. Die Demokraten mögen taktische Differenzen mit Trump haben, doch sie vertreten die gleichen Klasseninteressen. Was sie mehr als alles andere fürchten, ist, dass die Opposition gegen Trump revolutionäre Dimensionen annehmen könnte, die die Interessen der Oligarchie in Wirtschaft und Finanzwesen bedrohen.
Die Verschwörung im Weißen Haus richtet sich gegen die Arbeiterklasse. Die Wirtschafts- und Finanzoligarchie fürchtet, dass der Ausbruch von Massendemonstrationen gegen die Polizeigewalt mit der enormen sozialen Wut unter den Arbeitern über die soziale Ungleichheit zusammentreffen wird, die durch die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Coronavirus-Pandemie sowie durch deren mörderische „Back to work“-Kampagne enorm verstärkt wurde.
Nichts könnte gefährlicher sein als der Glaube, die Krise sei vorüber. Sie hat vielmehr gerade erst begonnen. Die Arbeiterklasse muss in diese beispiellose Krise als unabhängige soziale und politische Kraft eingreifen. Sie muss der Verschwörung im Weißen Haus mit den Methoden des Klassenkampfes und der sozialistischen Revolution entgegentreten.
Die Demonstrationen der vergangenen Woche gehören zu den bedeutendsten Ereignissen in der amerikanischen Geschichte. Hunderttausende Arbeiter und Jugendliche gingen auf die Straße, um institutionellem Rassismus und Polizeigewalt entgegenzutreten. Die Demonstrationen waren ein bemerkenswerter Ausdruck der Einheit und Solidarität über alle Hautfarben und Ethnien hinweg. Einige der größten Demonstrationen fanden in den südlichen Bundesstaaten statt - der alten Bastion der Konföderierten, der Jim-Crow-Gesetze und der Lynchmobs. Die Demonstranten geben den tief verwurzelten demokratischen und egalitären Stimmungen einen Ausdruck, die das erhabene Erbe der großen Amerikanischen Revolution des 18. Jahrhunderts und des Bürgerkriegs des 19. Jahrhunderts sind.
Die einzig realistische Antwort auf die kriminelle Verschwörung, die im Weißen Haus angezettelt wird, besteht in der Forderung, dass Trump, Pence und ihre Mitverschwörer entfernt werden.
Dies kann nur durch das Eingreifen der Arbeiterklasse erreicht werden, die sich massenhaft an den Protestdemonstrationen beteiligen und einen landesweiten politischen Streik aufnehmen sollte.
Nein zu Diktatur!
Trump und Pence müssen weg!
Die Socialist Equality Party – die amerikanische Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei – und die International Youth and Students for Social Equality rufen alle Leserinnen und Leser der World Socialist Web Site dazu auf, sich aktiv an diesem Kampf zu beteiligen.