Perspektive

Für ein internationales Vorgehen der Arbeiterklasse gegen die Covid-19-Pandemie!

Die globale Coronavirus-Pandemie ist außer Kontrolle. Sechs Monate nach dem ersten Fall von Covid-19 hat die Zahl der Neuinfektionen ein Rekordhoch erreicht. Gleichgültigkeit, Inkompetenz und absichtsvolles Handeln von Regierungen in aller Welt haben zu einer katastrophalen Situation geführt, die zunehmend schlimmer wird.

Die Covid-19-Pandemie ist eine globale Katastrophe, deren Auswirkungen auf die Geschichte des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht geringer sein werden als die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Erfahrungen der letzten fünf Monate haben gezeigt, dass die Reaktion der bedeutendsten kapitalistischen Regierungen – allen voran jener der Vereinigten Staaten – nichts weniger als katastrophal war. Die Klasseninteressen der Finanzoligarchie und der Konzerne, die die imperialistisch-kapitalistische Politik diktieren, erlauben keine wissenschaftliche, gesellschaftlich fortschrittliche, demokratische, egalitäre und humane Antwort auf die Pandemie. Das Streben nach Profit, persönlichem Reichtum und damit die grenzenlose Ausbeutung der Arbeiterklasse haben absoluten Vorrang vor den sozialen Interessen der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung.

Bis zum Beginn der letzten Juniwoche sind nach offiziellen Angaben (die im Allgemeinen eher zu niedrig angesetzt sind) fast 475.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Die verfrühte und rücksichtslose Lockerung um die Arbeit wieder aufzunehmen – der faktische Verzicht auf jegliche systematische Bemühung, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen – führt, wie die World Socialist Web Site seit geraumer Zeit warnt, rasch zu einem explosionsartigen Anstieg der Neuinfektionen.

In den Vereinigten Staaten fegt die Pandemie durch das Land und fordert einen schrecklichen Tribut an Menschenleben. Im reichsten Land der Welt, in dem fast 300 Milliardäre mit einem Gesamtvermögen von etwa acht Billionen Dollar leben, ist die höchste Zahl von Todesfällen weltweit zu beklagen. Dies zeigt, wie verfault die amerikanische Gesellschaft ist, und belegt das historische Versagen des kapitalistischen Systems.

Seit Anfang März sind in den USA mehr als 2,3 Millionen Menschen infiziert worden. Die Zahl der Todesopfer hat 120.000 überschritten. Am 21. Juni allein wurden 25.000 neue Fälle registriert, 20 Prozent mehr als vor zwei Wochen. Fast zwei Dutzend Bundesstaaten melden einen Anstieg der Infektionen. In Kalifornien sind die Neuinfektionen in den letzten zwei Wochen um 48,3 Prozent gestiegen, in Texas um 114 Prozent, in Florida um 168 Prozent, in Arizona um 142 Prozent und in Georgia um 47 Prozent.

Bei diesem Tempo, und ohne ein koordiniertes Vorgehen zur Eindämmung des Virus, wird die Zahl der Menschen, die in den USA bis zum Ende des Sommers an Covid-19 sterben, im Bereich von einer Viertelmillion liegen. Die überwiegende Mehrheit der Opfer werden Arbeiterinnen und Arbeiter sein, wobei die anteilig meisten Opfer aus den ärmsten Schichten der Arbeiterklasse kommen.

Westeuropa behauptet, die Ausbreitung der Pandemie gestoppt zu haben und seine Wirtschaft sicher wieder öffnen zu können. Doch es gibt gefährliche Anzeichen dafür, dass die Infektionsrate wieder ansteigt. Mehr als 1.500 Arbeiter in dem Großschlachthof Tönnies in Nordrhein-Westfalen, hauptsächlich zugewanderte Arbeiter aus Osteuropa, wurden bis gestern positiv auf Covid-19 getestet. Nach dem Ende des Lockdowns gab es mehrere Ausbrüche in Fleischverarbeitungsbetrieben und anderen Fabriken. Von besonderer Bedeutung ist die anhaltende Ausbreitung in Schweden, das als Modell für die „Herdenimmunität“ gilt. Die Zahl der Neuinfektionen stieg dort in den letzten zwei Wochen um 22,2 Prozent.

Die Länder mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung, die historisch vom Imperialismus unterdrückt wurden, sind angesichts ihrer Armut ganz besonders von der Pandemie bedroht. Sie kann schnell die begrenzte Gesundheitssysteme überfordern und die sozialen Sicherheitssysteme sprengen.

Neuinfektionen und Todesfälle nehmen in Südasien stark zu. In Indien gibt es jetzt über 440.000 gemeldete Fälle und 14.000 Todesfälle. Am 21. Juni gab es laut Stat News 11.484 neue Fälle, 32,8 Prozent mehr als vor zwei Wochen. Die Zahl der neuen Todesfälle ist im gleichen Zeitraum um 88,5 Prozent angestiegen. In Neu-Delhi, der indischen Hauptstadt, ist die Zahl der Neuinfektionen um 87,6 Prozent gestiegen. Die Krankenhäuser in der Stadt sind überfüllt, und die Menschen sterben auch an anderen Krankheiten, weil sie nicht behandelt werden können.

Pakistan zählt fast 3.700 gemeldete Todesfälle. Hier ist die Zahl der Neuinfektionen in den letzten zwei Wochen um 63,6 Prozent gestiegen, und die Zahl der Todesfälle hat um fast 70 Prozent zugenommen. In Bangladesch ist die Zahl der Neuinfektionen um 43,6 Prozent und die Zahl der Todesfälle um 33,3 Prozent gestiegen. Die Gesamtzahl der Infektionen ist in Bangladesch auf über 119.000 angestiegen, bei über 1500 Todesfällen.

In Afrika betrug der Zeitraum vom ersten gemeldeten Fall bis zu der Marke 100.000 Infektionen 98 Tage, aber es dauerte nur 18 Tage, um die Zahl von 100.000 auf 200.000 zu verdoppeln. Inzwischen gibt es allein in Südafrika mehr als 100.000 Fälle, wobei die Zahl der Neuinfektionen in den letzten zwei Wochen um 86 Prozent gestiegen ist. In Ägypten gibt es fast 57.000 Fälle, mit einer Steigerung der Neuinfektionen um 22,2 Prozent.

Die Pandemie fordert in Lateinamerika einen hohen Tribut. In Brasilien, wo der faschistische Präsident Jair Bolsonaro jegliche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus abgelehnt hat, gibt es mehr als 1,1 Millionen gemeldete Fälle, die zweithöchste Zahl weltweit. Am 21. Juni wurden fast 30.000 neue Fälle gemeldet, 30 Prozent mehr als vor zwei Wochen. Mehr als 51.000 Menschen sind gestorben, wobei die tägliche Zahl der Todesfälle über 1.000 liegt. In der am härtesten betroffenen Region Sao Paulo wurden mehr als 220.000 Menschen infiziert, wobei die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum Wert vor zwei Wochen um 32,7 Prozent zugenommen hat.

In Mexiko beläuft sich die Zahl der gemeldeten Fälle auf mehr als 185.000, mit fast 22.600 Todesfällen. Die Zahl der Neuerkrankungen ist im Vergleich zu vor zwei Wochen um mehr als 100 Prozent gestiegen, die Zahl der neuen Todesfälle um 155 Prozent. In Chile ist die Zahl der Neuerkrankungen im Vergleich zu vor zwei Wochen um 66,7 Prozent und in Ecuador um mehr als 20 Prozent gestiegen.

Die globale Katastrophe, die sich hier abspielt, ist das direkte Ergebnis der Politik der herrschenden Klasse. Als die Strategie der „Herdenimmunität“ erstmals vorgeschlagen wurde, galt sie allgemein als unmenschlich und rücksichtslos. Wissenschaftler und Epidemiologen lehnten sie generell ab. Inzwischen haben auf der ganzen Welt zahlreiche Regierungen diese Strategie übernommen. Wie ein Kommentator einräumte, folgt die Politik gegenüber der Covid-19-Pandemie jetzt dem Wahlspruch „Lasst es krachen“.

Von Anfang an wurde die Reaktion der Trump- und anderer Regierungen nicht von Erwägungen zur öffentlichen Gesundheit und Sicherheit diktiert, sondern von den Interessen der Konzern- und Finanzoligarchie. Nachdem ab Ende März Billionen in die Wall Street geflossen waren, wurde sofort eine Kampagne gestartet, um alle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu beenden.

Die herrschende Klasse will die Situation ausnutzen, um die Löhne zu kürzen, die Ausbeutung zu erhöhen und massive Einsparungen vorzunehmen, um damit die Rettung der Reichen zu finanzieren, und um die Klassenbeziehungen im Weltmaßstab grundlegend neu zu strukturieren. Die Kluft zwischen den Interessen der Finanzoligarchie und der großen Mehrheit der Bevölkerung findet ihren grotesken Ausdruck im anhaltenden Anstieg der Aktien- und Wertpapierkurse während der Pandemie – eine zeitgenössische Form von Kriegsgewinnlertum.

Die Umsetzung der Maßnahmen, die zur Eindämmung des Coronavirus notwendig sind, hängt vom Eingreifen der internationalen Arbeiterklasse ab. Alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Virus zu stoppen – Einstellung der nicht lebensnotwendigen Produktion, Quarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung – laufen den Profitinteressen der herrschenden Klasse zuwider. Um alle, die von diesen Maßnahmen betroffen sind, zu unterstützen, ist eine massive Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen erforderlich,

Darüber hinaus erfordert ein wirksamer Kampf gegen die Pandemie eine systematische Koordinierung der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, industriellen und Informationsressourcen. Diese unerlässliche internationale Zusammenarbeit ist im Kapitalismus, der im Nationalstaatensystem verwurzelt ist, unmöglich. Die herrschende Klasse jedes Landes ist vor allem mit ihren eigenen nationalen Interessen beschäftigt.

Die Pharmaunternehmen konkurrieren untereinander und schützen ihre „Geschäftsgeheimnisse“, anstatt Informationen auszutauschen, die die Entwicklung wirksamer Behandlungen und schließlich eines Impfstoffs gegen Covid-19 erleichtern könnten.

Der Rückzug der Trump-Regierung aus der Weltgesundheitsorganisation ist ein eklatantes Beispiel für den destruktiven Charakter der nationalen, imperialistischen Politik. Noch gefährlicher sind jedoch die zynischen Bemühungen, im Streben nach geopolitischen Vorteilen China die Schuld an der Pandemie zuzuschieben und damit die Kriegsvorbereitungen der Vereinigten Staaten gegen ihren wichtigsten Rivalen zu legitimieren.

Was muss getan werden, um die Pandemie zu stoppen und Millionen von Menschenleben zu retten?

Die Kontrolle über die Reaktion auf die Pandemie muss der Kapitalistenklasse aus den Händen genommen werden. Auf internationaler Ebene koordinierte Massenaktionen der Arbeiterklasse sind erforderlich, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und Millionen gefährdeter Menschenleben zu retten. Der Kampf gegen die Pandemie ist nicht nur und noch nicht einmal vorrangig eine medizinische Frage. Er ist vor allem eine Frage des sozialen und politischen Kampfes.

Das Potenzial für die Entwicklung einer solchen Bewegung ergibt sich aus der Logik der Krise selbst.

Auf der ganzen Welt nimmt die Opposition der Arbeiterklasse zu. Es wächst die Wut über das Fehlen eines systematischen Plans, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, über den katastrophal unzureichenden Zustand der medizinischen Einrichtungen, über die unsicheren Arbeitsbedingungen, die unzählige Menschenleben gefährden, über die Weigerung der kapitalistischen Regierungen, den Millionen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, die notwendige soziale Unterstützung zukommen zu lassen, über die grassierende soziale Ungleichheit, über das unerbittliche Anwachsen des Militarismus und über die eskalierenden Angriffe auf demokratische Grundrechte.

Die herrschende Klasse ist sich bewusst, dass eine politische Radikalisierung der Arbeiterklasse im Gange ist. Trumps Tiraden gegen „Linksextremisten“ und sein Versuch, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen, müssen als Warnung verstanden werden.

Die wachsende gesellschaftliche Empörung fand einen ersten Ausdruck in den Protesten gegen den Mord an George Floyd in Minnesota und andere Vorfälle von Polizeibrutalität. Sie muss sich zu einer globalen klassenbewussten Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus entwickeln.

Wenn die Verteidiger der herrschenden Klasse verkünden, das Heilmittel dürfe nicht schlimmer sein als die Krankheit, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter ihnen antworten, dass der Kapitalismus die gesellschaftliche Krankheit ist, die Pandemie ein Symptom dieser Krankheit und der Sozialismus das Heilmittel.

Die massiven Summen, die die Vermögenden angesammelt haben, müssen beschlagnahmt und zur Finanzierung von Notfallmaßnahmen umgelenkt werden, um die Pandemie zu stoppen und den Betroffenen ein volles Einkommen zu sichern. Die gigantischen Banken und Unternehmen müssen unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt und auf der Grundlage eines rationalen und wissenschaftlichen Plans geführt werden. Die enormen Ressourcen, die für Krieg und Zerstörung vergeudet werden, müssen zur Finanzierung des Gesundheitswesens, der Bildung und anderer sozialer Bedürfnisse verwendet werden.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist überzeugt, dass eine mächtige revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse im Entstehen ist. Aufgabe des IKVI ist es, diese Bewegung mit einer taktischen, strategischen und programmatischen Orientierung zu unterstützen. Dies ist eine immense Aufgabe, die den Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale in jedem Land erfordert. Wir appellieren an die Arbeiterklasse, an Studierende und an alle, die eine sozialistischen Neuordnung der Welt als notwendig erachten, um die Zukunft der Menschheit zu sichern, sich uns in diesem Kampf anzuschließen.

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