Das Justizministerium hat am Mittwoch eine Neufassung der Klage gegen Julian Assange erlassen. Sie zielt darauf ab, den Ruf des WikiLeaks-Gründers zu ruinieren und ihn persönlich zu vernichten. Es ist der jüngste Angriff in einer seit Jahren andauernden Kampagne der US-Regierung und ihrer Geheimdienste.
Die neue Anklageschrift enthält keine neuen Anklagepunkte, die zu denen vom Mai 2019 hinzukommen würden. Die 17 Anklagepunkte aufgrund des Spionagegesetzes bleiben weiter bestehen. Sie beziehen sich auf die Veröffentlichung von Dokumenten, die Chelsea Manning an WikiLeaks weitergereicht hatte. Damit wurden historische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan und illegale diplomatische Intrigen aufgedeckt. Diese Anklagepunkte stellen einen massiven Angriff auf die Pressefreiheit und den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung dar und zielen direkt auf das Recht jedes Journalisten, Material über die „nationale Sicherheit“ zu veröffentlichen.
Die Anklageschrift enthält außerdem eine Anklage wegen Verschwörung zum Hacken von Computern. Das war die erste Anklage der USA, die gegen Assange erhoben wurde, nachdem die britische Polizei ihn im April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft in London verschleppt hatte.
Das neue Material, das nun dem einleitenden Teil der neuen Anklageschrift hinzugefügt wurde, ist ein verzweifelter Versuch, diesen einen Anklagepunkt zu untermauern und das Narrativ zu stärken, dem zufolge Assange ein „Hacker“ sei, aber kein Verleger oder Journalist.
Die Anklageschrift wurde in dieser Frage ausgeweitet, weil der Vorwurf, Assange habe Computer gehackt, in der Öffentlichkeit völlig diskreditiert ist. Das hatte auch der Beginn der britischen Auslieferungsanhörungen in der letzten Februarwoche ergeben. Der Anklageschrift zufolge soll Manning Assange im März 2010 um Hilfe beim Knacken einer Hash-Funktion oder eines Passworts gebeten haben, um sich anonym in das Computernetzwerk der US-Armee einzuloggen.
Inzwischen wird praktisch allgemein anerkannt, dass die betreffende kryptographische Einheit niemals gehackt wurde. Darüber hinaus hatte Manning zu diesem Zeitpunkt bereits das Material beisammen, das sie WikiLeaks zur Verfügung stellen wollte. Der Zweck ihrer halb im Scherz gestellten Anfrage war es, anonym im Internet zu surfen und Musik herunterzuladen.
Die neue Anklageschrift führt nur dazu, dass das Bemühen, Assange an die USA auszuliefern, vollkommen als schmutzige Geheimdienstoperation dasteht. Sie hat nichts mit einem rechtmäßigen Gerichtsverfahren zu tun. Sie lässt die Hand von US-Agenten erkennen, die sich durch jahrzehntelangen Boulevardklatsch wälzen und die schmierigsten Kreaturen ihrer eigenen Geheimdienste ausgraben, um Assange mit Schlamm zu bewerfen.
Mehr als ein Jahr, nachdem die US-Regierung erstmals öffentlich Anklage gegen Assange erhoben hatte, will sie damit ihrer Behauptung, er sei ein „Hacker“, Glaubwürdigkeit verschaffen.
Fast das gesamte neue Material ist in der einen oder anderen Form seit sechs Jahren oder länger in der Öffentlichkeit bekannt.
Die Punkte vier bis sechs beziehen sich z.B. auf Assanges Reden auf öffentlichen Kongressen von Computerexperten in den Niederlanden und Malaysia in den Jahren 2009 und 2010. Die Anklageschrift behauptet, er habe die Anwesenden ermutigt, ihre Computerfähigkeiten zu nutzen, um auf geheimes Material zuzugreifen. Die Behauptung, dass eine solche öffentlich gemachte Aussage ein Beweis für eine „Verschwörung“ sei, ist einfach lächerlich.
Die Beschuldigung entspricht jedoch dem roten Faden, der sich durch die gesamte Anklageschrift zieht: Damit sollen gängige journalistische Praktiken kriminalisiert werden. Dazu gehört auch die Ermutigung von Quellen und potenziellen Quellen, einer Medienorganisation Informationen von öffentlichem Interesse zur Verfügung zu stellen.
In den Abschnitten F und G wird in ähnlicher Weise behauptet, dass Mitarbeiter von Assange und WikiLeaks mehrere Administratoren und andere Personen, die Zugang zu Computersystemen haben, dazu ermutigt hätten, illegale Aktivitäten der Geheimdienste und Fehlverhalten von Unternehmen aufzudecken. Auch diese Abschnitte basieren auf Aussagen, die auf öffentlichen Versammlungen im Zeitraum von 2013 bis 2016 gemacht wurden. Mehrere von ihnen sind bis heute im Internet einsehbar.
Bezeichnenderweise fand keine der Veranstaltungen in den Vereinigten Staaten statt. Dennoch werden diese Aussagen als Beweis für die Absicht oder die Verschwörung zur Verletzung amerikanischer Gesetze angeführt. Dies steht im Einklang mit der beispiellosen Behauptung einer extraterritorialen Gerichtsbarkeit, auf der die gesamte Anklageschrift beruht. Das Justizministerium argumentiert im Wesentlichen so, als ob die innerstaatlichen amerikanischen Gesetze für alle Personen und Versammlungen auf der ganzen Welt Gültigkeit hätten.
Im Gegensatz zur ersten Anklage verurteilt die neue US-Anklageschrift Assange nun auch wegen der Rolle von WikiLeaks bei der Unterstützung von Edward Snowden, als dieser im Jahr 2013von Hongkong nach Russland reiste und dort politisches Asyl erhielt. Snowden ist ein mehrfach ausgezeichneter Whistleblower, der illegale globale Überwachungsoperationen der Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA) der USA aufgedeckt hat.
Das Dokument kritisiert, dass WikiLeaks seine Rolle bei der Verteidigung Snowdens öffentlich gemacht hat, um sein Engagement zum Schutz von Whistleblowern zu zeigen. Dies allein brandmarkt die neue Anklage als einen weiteren Angriff auf grundlegende journalistische Praktiken.
Ein wesentlicher Teil des neuen Materials in der Anklageschrift scheint auf Zeugenaussagen und Informationen zu beruhen, die von zwei bestätigten Informanten des US Federal Bureau of Investigation (FBI) stammen: Sigurdur „Siggi“ Thordarson, in dem Dokument als „Teenager“ bezeichnet, und Hector Monsegur, bekannt unter dem Online-Pseudonym „Sabu“.
Im Juni 2019 gab WikiLeaks eine Erklärung heraus, in der es hieß, dass die US-Regierung möglicherweise eine neue Anklage gegen Assange vorbereite, die auf der Aussage von Thordarson basiere. Der Isländer hatte in sozialen Medien verbreitet, dass er zu Gesprächen mit amerikanischen Regierungsbehörden in die USA überführt werden sollte. In mehreren nachfolgenden Presseinterviews enthüllte er, dass auch Monsegur daran beteiligt war. Die Warnung von WikiLeaks hat sich nun bewahrheitet.
In der Anklageschrift wird behauptet, dass der „Teenager“ Anfang 2010 Assange mit Informationen versorgt habe, die aus einer Bank gestohlen worden seien. Es wird behauptet, dass der WikiLeaks-Gründer „Teenager“ gebeten habe, „in den Computer einzudringen und zusätzliche Informationen wie Mitschnitte von Telefongesprächen zwischen mehreren Beamten in Nato-Land 1, darunter auch Parlamentsabgeordnete, zu stehlen …“
Das Land, auf das Bezug genommen wird, ist Island. Die Behauptung, WikiLeaks habe versucht, dort parlamentarische Gespräche heimlich aufzuzeichnen, ist seit Jahren im Umlauf. Die Geschichte wurde erst öffentlich bekannt, als Thordarson heimlich mit dem FBI zusammenarbeitete. Ihr offensichtlicher Zweck war es, die Aktivitäten von WikiLeaks in einem relativ liberalen Land zu gefährden, in dem sie sich eines hohen Maßes an Unterstützung in der Bevölkerung erfreute.
Assange wurde im Übrigen von keiner isländischen Behörde jemals eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt, geschweige denn angeklagt. Hochrangige Regierungsbeamte, darunter der damalige Innenminister Ögmundur Jonasson, haben jedoch erklärt, dass schmutzige Tricks des FBI gegen WikiLeaks im Gange seien.
Jonasson hatte ausgesagt, dass er im Juni 2011 ein Flugzeug voller FBI-Agenten blockiert habe, die geschickt worden seien, um „unsere Zusammenarbeit bei einer Operation zu suchen, die ich als Verleumdungsoperation gegen Julian Assange und WikiLeaks verstand“. Er sei damals vor einem angeblichen Komplott zum Hacken der isländischen Regierungsinfrastruktur gewarnt worden.
Der neue Teil der Anklageschrift, der sich mit diesem Thema befasst, zielt darauf ab, WikiLeaks in Verbindung mit systematischen Computerhackern zu bringen. Die erste Gruppe solcher angeblicher Kontakte aus der Zeit von Dezember 2010 bis Ende 2011 bezieht sich ausschließlich auf „Teenager“, d.h. Thordarson, der behauptet, unter der Leitung von Assange gehandelt zu haben.
Der prominenteste dieser Kontakte, der aus dem Juni 2011 stammt, war der mit LulzSec, einer losen Vereinigung von US-Hackern. Der angebliche Kontakt zwischen WikiLeaks und dieser Gruppe wurde wiederum von Thordarson vermittelt. In der Anklageschrift wird behauptet, Assange habe LulzSec dazu ermutigt, sich in private Sicherheitsfirmen zu hacken, darunter die Intelligence Consulting Company, und er habe ihnen Skripte zur Verfügung gestellt, um das gesammelte Material zu durchsuchen. Gleichwohl wird darin nicht behauptet, dass Assange an dem Eindringen in diese Computer beteiligt gewesen sei.
Dass WikiLeaks Material veröffentlichte, das von LulzSec stammte, ist seit Jahren bekannt. Im Jahr 2012 wurde einer der Hacker, Jeremy Hammond, verhaftet und verurteilt, weil er sich in Stratfor, ein Privatunternehmen, das als Schatten-CIA bezeichnet wird, gehackt hatte. WikiLeaks veröffentlichte E-Mails von diesem Unternehmen, aus denen hervorging, dass es Aktivisten ausspioniert hatte, und dass es enge Beziehungen zu US-Regierungsbehörden unterhielt.
Der fadenscheinige Charakter der Anschuldigungen wird jedoch durch die Tatsache bloßgestellt, dass Thordarson, als er zum ersten Mal Kontakt mit LulzSec aufnahm, bereits effektiv vom FBI kontrolliert wurde. Monsegur („Sabu“), ihr Anführer, war am 7. Juni 2011 verhaftet worden und hatte sich sofort bereit erklärt, mit der US-Regierung zusammenzuarbeiten.
In einer Pressemitteilung des Justizministeriums, die der Anklageschrift beiliegt, heißt es schlicht: „Im Jahr 2012 kommunizierte Assange direkt mit einem Führer der Hackergruppe LulzSec (der damals mit dem FBI zusammenarbeitete) …“. Dies ist eine grobe Untertreibung. Zu diesem Zeitpunkt hatte Monsegur bereits seit mehr als sechs Monaten fieberhaft Mitarbeiter verheizt, um jahrzehntelange Haftstrafen zu vermeiden, und er hatte sich bereit erklärt, LulzSec in eine Falle der US-Regierung zu verwandeln.
Es ist noch nicht bekannt, ob Thordarson („Teenager“) bereits mit dem FBI zusammenarbeitete, als er mit Lulzsec Kontakt aufnahm. Falls ja, handelte es sich um Gespräche zwischen zwei FBI-Agenten, die Assange hereinlegen wollten.
Thordarson hatte Anfang 2010 als 17-jähriger Freiwilliger bei WikiLeaks angeheuert. Im August 2011 setzte sich Thordarson nach eigener Aussage mit der US-Botschaft in Reykjavik in Verbindung und bot ihr an, bei den „laufenden strafrechtlichen Ermittlungen in den Vereinigten Staaten“ gegen Assange auszuhelfen.
Nach eigenen Angaben traf Thordarson zwischen 2011 und 2012 mehrfach mit FBI-Agenten in Reykjavik zusammen. Während dieser Zeit flogen ihn die US-Behörden dreimal nach Dänemark und einmal in die USA, um geheime Treffen über WikiLeaks abzuhalten. Er übergab ihnen Laufwerke von WikiLeaks und kassierte mehrere Tausend Dollar.
Einige WikiLeaks-Mitarbeiter, die ihn kennengelernt haben, sind heute der Meinung, dass Thordarsons‘ Verhalten von Anfang an sonderbar gewesen sei, was die Möglichkeit beinhaltet, dass er als Spitzel in WikiLeaks hineingeschickt wurde.
So oder so ist Thordarson ein Individuum, das niemals als glaubwürdiger Zeuge betrachtet werden könnte. WikiLeaks wirft ihm vor, dass er der Organisation mindestens 50.000 Dollar gestohlen habe.
Im Jahr 2014 bekannte er sich vor einem isländischen Gericht in 18 Anklagepunkten des Betrugs, der Unterschlagung und des Diebstahls schuldig, einige davon im Zusammenhang mit seinen Unterschlagungen bei WikiLeaks. Seine Vergehen hatten zusammen einen geschätzten Dollarwert von 240.000 US-Dollar. Thordarson wurde auch verurteilt, weil er sich als Assange ausgegeben hatte.
Im folgenden Jahr bekannte er sich einer Reihe von Sexualstraftaten schuldig. Beispielsweise gab er zu, minderjährige Jungen zu sexuellen Handlungen genötigt zu haben. Ein vom Gericht bestellter Psychologe stellte fest, dass er ein Soziopath sei, der an einer „schweren antisozialen Persönlichkeitsstörung“ leide.
Mit Thordarson, einem verurteilten Pädophilen und Betrüger, und Monsegur, einem ehemaligen Kleinkriminellen, der zum Spitzel wurde, hat die US-Regierung die passenden Aushängeschilder für ihre Kampagne gegen Assange gefunden. Die Tatsache, dass man sich auf die Aussagen diesen beiden Männer verlässt, zeigt, dass das Auslieferungsersuchen der USA auf tönernen Füßen steht. Es ist eine durch und durch kriminelle Operation, gestützt auf Personen, die selbst im Gefängnis sitzen sollten.
Die britischen Gerichte und die Regierung unterstützen jedoch diesen Rachefeldzug der USA gegen Assange. Das unterstreicht, dass es einzig von der Arbeiterklasse abhängt, ob ein Kampf für Assanges Freiheit Erfolg haben wird.