Armut in Deutschland: Stromsperre für 289.000 Haushalte

Im letzten Jahr mussten 289.000 Haushalte zumindest zeitweise ohne Strom leben, da ihnen aufgrund von nicht bezahlten Rechnungen von den Energieversorgungsunternehmen der Strom abgesperrt wurde. Hunderttausende hatten kein Licht, kein warmes Wasser, konnten keinen Kühlschrank oder Herd benutzen, keine Wäsche waschen und hatten keinen Zugang zu Internet, Radio oder Fernsehen.

4,75 Millionen Haushalten wurde 2019 angedroht, den Strom abzusperren. Dies geht aus dem neuen Monitoringbericht der Bundesnetzagentur zum Energiemarkt hervor. Damit sei die Anzahl der von Stromsperren betroffenen Haushalte gegenüber dem Vorjahr um etwa 7000 gesunken. Im Jahr 2018 war es bei 4,9 Millionen Androhungen von Stromsperren zu 296.000 tatsächlichen Sperrungen gekommen. Im Jahr 2014 hatte es mit 350.000 Haushalten den bisherigen Höchststand seit 2011 gegeben.

Der leichte Rückgang ändert nichts an den brutalen Auswirkungen für die von den Stromsperren betroffenen Menschen, die unter extremer Armut leiden. Das sind vor allem die Haushalte von Arbeitslosen, Niedriglohnverdienern, Hartz-IV-Empfängern, armen Rentnern, Jugendlichen und Studenten ohne regelmäßiges Einkommen.

Bevor ein Stromversorger die Lieferung von Strom für die Grundversorgung einstellen und den Strom für die betroffenen Haushalte absperren kann, müssen die Kunden mit mindestens 100 Euro in Zahlungsverzug sein. Sie müssen eine Sperrandrohung erhalten. Vier Wochen später wird der Strom abgesperrt, wenn bis dahin keine Zahlung oder eine Vereinbarung zur Zahlung der Rückstände erfolgt ist.

Der Strompreis für Verbraucher ist in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch, mehr als doppelt so hoch wie beispielsweise in Schweden und den Niederlanden. Eine Kilowattstunde Strom kostet in der Grundversorgung etwa 32,10 Cent. Die Strompreise haben sich in Deutschland seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Der Grund dafür sind vor allem Steuern und Entgelte im Zusammenhang mit der Energiewende. Zahlreiche Steuern und Abgaben, wie die EEG-Umlage und Netzentgelte, machen inzwischen zwei Drittel des Strompreises aus.

Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung von 2017 zeigt, dass vor allem Empfänger von Grundsicherung – wie Hartz-IV-Empfänger – von Stromsperren betroffen sind. Der Grund dafür ist, dass der Anteil, der für Strom bei Hartz-IV vorgesehen ist, nicht ausreichend die Stromkosten abdeckt. „Während die Kosten für Strom zwischen den Jahren 2008 und 2018 um knapp 40 Prozent nach oben kletterten, stiegen die staatlichen Zuwendungen für Strom im Regelsatz der Grundsicherung nur um 27 Prozent an.“

Die Einführung von Hartz-IV und die damit verbundenen Arbeitsmarktreformen der SPD-Grünen-Regierung von Gerhard Schröder hatte zu Anfang der 2000er Jahre zum Aufbau eines riesigen Niedriglohnsektors in Deutschland geführt. Die Hartz-IV-Leistungen waren von Anfang an viel zu niedrig, um damit ein menschenwürdiges Leben zu führen, und sind es weiterhin. Umfassende Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter führen immer wieder dazu, dass Unterstützungsberechtigten Leistungen gekürzt oder bei jungen Menschen sogar ganz gestrichen werden.

Im Fall der Stromsperren ist es so, dass Betroffene, wenn sie es schaffen, irgendwie ihre Rückstände zu bezahlen, noch zusätzliche Gebühren für die Androhung der Sperrung und für deren Aufhebung bezahlen müssen. Und das von finanziellen Mitteln, die kaum zum Leben reichen.

Seit dem Beginn der Corona-Pandemie im März dieses Jahres haben einige der Energieversorgungsunternehmen wie Innogy und Eon erklärt, dass sie zeitweise freiwillig auf Stromsperrungen verzichten wollten. Es ist aber zu befürchten, dass nach Aufhebung dieser Maßnahmen die Anzahl der Stromsperren noch weiter ansteigen wird.

Durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben bereits Hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen ihren Arbeitsplatz verloren. Millionen befinden sich in Kurzarbeit mit niedrigerem Einkommen und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Viele Betriebe und Konzerne nutzen die Pandemie auch als Vorwand, um bereits lange geplante Angriffe auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen mit Hilfe der Gewerkschaften durchzusetzen

Der Anstieg der Armut, die laut Zahlen des Statistischen Bundesamts bereits im letzten Jahr mit 15,9 Prozent – das sind 13 Millionen Menschen – einen neuen Höchststand erreicht hat, wird weitergehen. Kinder und Jugendliche, von denen jeder fünfte und in vielen Städten jeder vierte in Armut lebt, sind besonders stark betroffen. Viele Untersuchungen und Anzeichen deuten darauf hin.

So meldeten vor kurzem die Lebensmittel-Tafeln, dass sie seit Beginn der Corona-Pandemie eine immer stärkere Nachfrage durch jüngere Menschen erleben, von Alleinerziehenden und Jugendlichen, auch vielen Studenten, und dass sie der gestiegenen Nachfrage nach Lebensmitteln kaum noch nachkommen.

Während ein immer größerer Teil der Arbeiterklasse zusätzlich zu der Gefahr der Ansteckung mit dem tödlichen Covid-19-Virus von Armut und Not bedroht ist, steigert und konzentriert sich der Reichtum an der Spitze der Gesellschaft.

Wie einem Bericht der Schweizer Bank UBS und des Beratungsunternehmens PWC zu entnehmen ist, konnten die 2200 Superreichen dieser Welt ihr Gesamtvermögen auf 10,2 Billionen Dollar steigern – und das während einer globalen Pandemie, die weltweit schon über eine Million Menschen getötet hat.

In Deutschland ist das Gesamtvermögen der Dollar-Milliardäre von 500,9 Milliarden Dollar im März 2019 auf fast 595 Milliarden Dollar Ende Juli dieses Jahres angewachsen. Die Anzahl der Milliardäre in Deutschland wuchs von 114 auf 119 Superreiche.

Dieser obszöne Anstieg des Reichtums an der Spitze der Gesellschaft ist das Ergebnis einer bewussten Politik. Um die Börsen, die Banken, die Konzerne und die Superreichen abzusichern, haben die Regierungen der USA, der EU, die Europäische Zentralbank und die deutsche Bundesregierung Rettungspakete für die Wirtschaft in Höhe von Billionen Dollar bzw. Euros verabschiedet.

Für die Unterstützung der in Not geratenen Bevölkerung und eine effektive Bekämpfung der Pandemie ist angeblich kein Geld da. Stattdessen werden Schüler und Kinder in unsichere Schulen und Kitas gesteckt und ihre Eltern zur Arbeit in unsicheren Betrieben gezwungen, um das Geld, das den Reichen in den Rachen geworfen wurde, wieder herauszuholen.

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