Rechte Medien verschärfen Angriff auf Igor Levit

Nachdem sich die Redaktion der Süddeutschen Zeitung auf Grund des öffentlichen Aufschreis gezwungen sah, sich für den antisemitischen Hetzartikel ihres Musikkritikers Helmut Mauró gegen Igor Levit zu entschuldigen, verschärfen die rechten Leitmedien ihren Angriff auf den international bekannten Pianisten. In den letzten Tagen erschienen wütende Hetzartikel u.a. in der Welt, der Frankfurter Allgemeinen und der Neuen Zürcher Zeitung, die sich alle hinter Mauró stellen und der Süddeutschen vorwerfen, der öffentlichen Meinung nachgegeben zu haben.

Igor Levit (Foto: flickr / Bundestagsfraktion Die Grünen)

Am Mittwoch meldete sich der Chefredakteur des Springer-Flaggschiffs Welt zu Wort. In einem martialischen Kommentar rief Ulf Poschardt den „Kulturkrieg“ aus. Der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung warf er vor, vor „den ersten Geigen des Jakobiner-Orchesters“ und der „Twitter-Brigade einer neuen linken Meinungsführerschaft“ eingeknickt zu sein.

Levit selbst sei ein „Twitter-Einpeitscher“, dem es gefalle, „unliebsame, andersdenkende, fordernde Positionen abseits der links-‚liberalen‘ Trampelpfade zu brandmarken, anzugreifen, fertigzumachen“. Durch die Entschuldigung der SZ sei Levit „zu einer unantastbaren Person erklärt“ worden. Hingegen würden „rechte Köpfe, die wagen zu widersprechen“, für „vogelfrei“ erklärt, so Poschardt.

Am Mittwochabend legte auch die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung nach. Jan Brachmann warf Levit darin „problematische rhetorische Strategien“ vor, weil er erklärt habe, dass AfD-Mitglieder ihr Menschsein verwirkt hätten. Der SZ-Redaktion wirft er vor, „unverantwortlich“ gehandelt zu haben, weil sie dem Autor Mauró ihren „Schutz“ entzogen habe. „Sie hat sich nicht dem Druck der Argumente, sondern dem von Personen in ihrer schieren Masse gebeugt“, so Brachmann.

Ins gleiche Horn stößt die NZZ und beklagt, dass sich die SZ vor Igor Levit in den Staub werfe.

Die Kampagne zielt darauf ab, antisemitische Standpunkte hoffähig zu machen und jede Kritik an der gefährlichen Rechtsentwicklung in Deutschland zu unterdrücken.

Am Freitag vergangener Woche hatte der Feuilleton-Autor Helmut Mauró Levit in der Süddeutschen Zeitung heftig attackiert. In einem üblen Amalgam, gespickt mit antisemitischen Andeutungen, behauptete Mauró, Levit sei nicht wegen seiner musikalischen Leistung berühmt, sondern nutze Twitter, um mit politischen Attacken gegen rechts seine Karriere zu befördern. Mauró spricht von „Beschimpfung von Nazis“ und wirft Levit „die vehemente Ausgrenzung vermeintlich und tatsächlich Andersdenkender“ vor.

Gemünzt auf Levit, der aus einer jüdischen Familie stammt, warnt Mauró vor einer „Opferanspruchsideologie“ und „regelrechten emotionalen Exzessen“. Er schreibt: „Es scheint ein opfermoralisch begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben.“ Ganz im Diktum der extremen Rechten, die von einer „Diktatur der Gutmenschen“ schwadronieren, beklagt Mauró, auf Twitter entwickele sich ein „neues Sofa-Richtertum“.

Sowohl die anfängliche Verteidigung von Maurós Hetzartikel durch die Süddeutschen-Redaktion, als auch die Hetzartikel von Welt, FAZ und NZZ zeigen, dass sich die Linie dieser etablierten Medien nicht von jener der AfD unterscheidet. Levit steht seit langem im Fadenkreuz der AfD, weil er die Faschisten beim Namen nennt und sie in den sozialen Medien unter anderem als „Nazi-Partei“ bezeichnet hat.

Nachdem Levit Anfang Oktober für seine musikalischen Aktivitäten während der Corona-Pandemie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war, verschärfte die AfD ihre Hetze. Levit sei nicht nur Musiker, sondern „er tritt in der Öffentlichkeit vor allem als politischer Aktivist mit radikalen linken Ansichten auf“, schrieb die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, in einem offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Wie so oft behaupten die rechten Hetzer auch jetzt, ihre Angriffe hätten nichts mit Antisemitismus und Judenhass zu tun. Anna Schneider von der NZZ schreibt, der SZ-Artikel gehe „mit dem jüdischen Pianisten polemisch ins Gericht“ und veralbere dessen politische Tweets als „lustiges Hobby“. Dann fragt sie: „Ist das antisemitisch?“ Der Artikel von Mauró sei zwar schlecht geschrieben und „handwerklich mangelhaft“. „Aber antisemitisch? Nein, das ist dieser Text sicher nicht.“

Doch genau das ist er, und gerade deshalb wird er von den rechten Medien vehement verteidigt. Die antisemitischen Andeutungen und Metaphern sollen die rechtsextremen Seilschaften in Politik, Medien und Staatsapparat ermutigen, stärker und selbstbewusster aufzutreten.

Die antisemitischen Konnotationen des Artikels hat neben vielen anderen auch Carolin Emcke – sie ist Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels – in einem Gastbeitrag für die SZ aufgezeigt.

Schon die Überschrift „Igor Levit ist müde“ mache sich über die Trauer und Erschöpfung eines Juden lustig, der am Tag eines antisemitischen Anschlags in Hamburg über seine Verzweiflung und Müdigkeit berichtet. Es werde so getan, schreibt Emcke, „als gäbe es nicht eine Partei im Bundestag, die revisionistische, völkische, antisemitische Überzeugungen propagiert, als habe es nicht den rechtsradikalen Terror des NSU gegeben, nicht den rechtsradikalen Anschlag auf die Synagoge von Halle, bei dem zwei Menschen getötet wurden, als gäbe es nicht immer wieder für Jüdinnen und Juden Grund zu trauern“.

Lese man die „krawallige Polemik“ gegen Levit in „historischen Bezügen, dann fallen einem Formulierungen auf, die klassisch antisemitische Zuschreibungen und Klischees aufrufen“. Der Artikel kritisiere „spielerisch Unverbindliches“, dann „theatralisch vorgetragenes Pathos“. Aus dem Lob für die Gegenfigur, Daniil Trifonov, lasse sich entnehmen, „dass Levit echte Emotion und echte Kunst abgesprochen“ würden. „Dieser Topos des ‚Uneigentlichen‘, ‚Inauthentischen‘ ist in der Geschichte antisemitischer Ressentiments vertraut (auch und gerade durch Richard Wagner).“

Auch die „raunende Art“, wie Levits Freundschaft „mit den richtigen Journalisten und Multiplikatoren“ beschrieben werde, führe unterschwellig das alte Motiv der mächtigen, jüdischen Lobby an, schreibt Emcke.

Dass Welt, FAZ, NZZ und anfangs auch die SZ diesen antisemitischen Artikel verteidigen kann nur im Zusammenhang mit der tiefen Krise der kapitalistischen Gesellschaft verstanden werden. Die herrschende Elite befindet sich in einem regelrechten Krieg mit der Bevölkerung, ihre Politik trifft auf breite Opposition. Die Politik der „Herdenimmunität“, d.h. die bewusste Durchseuchung der Bevölkerung, die Massenentlassungen in der Industrie und der wachsende Militarismus sind nur mit autoritären und letztlich faschistischen Methoden durchzusetzen.

Deshalb wird die AfD hofiert, werden rechtsradikale Terrornetzwerke im Staat gedeckt und gefördert. Deshalb rufen Journalisten den Kulturkampf aus und verteidigen Rassismus und Antisemitismus.

Schon im Falle des rechtsradikalen Humboldt-Professors Jörg Baberowski wurde Kritik an seiner Verharmlosung der Nazi-Verbrechen, seiner Hetze gegen Flüchtlinge und seinem Aufruf zu brutalen Kriegen als Angriff auf die Meinungsfreiheit umgedeutet. Baberowski wurde verteidigt, während Kritiker verleumdet wurden. Mit derselben absurden Verdrehung greifen dieselben Zeitungen nun Kritiker von Maurós antisemitischem Artikel an.

Der Angriff auf Igor Levit zielt aber noch auf mehr. Der 33-jährige Levit gehört zu den größten Pianisten der Gegenwart. Er hat alle 32 Beethoven-Sonaten eingespielt und in einer Podcast-Serie an faszinierenden Beispielen demonstriert, wie aktuell der vor 250 Jahren geborene Beethoven für unsere heutige Zeit noch immer ist. Angesichts der Corona-Pandemie gab er seit dem vergangenen Frühjahr 52 so genannte Hauskonzerte, die live aus seiner Berliner Wohnung übertragen und von Hunderttausenden verfolgt wurden.

Wie die World Socialist Web Site in ihrer Perspektive zur Verteidigung des Pianisten schreibt: „Levit ist nicht nur wegen seiner politischen Haltung zur Zielscheibe der Rechten geworden. Sein Bemühen, die Werke Beethovens und anderer Komponisten breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen und damit das Interesse an der Kultur insgesamt zu steigern, wird von der herrschenden Klasse nicht nur mit Argwohn, sondern auch als Bedrohung betrachtet.“

Die enorme öffentliche Opposition gegen die Hetze gegen Levit zeigt, dass die Rechtsentwicklung in Politik und Medien auf breite Opposition in der Bevölkerung stößt.

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