Biden setzt auf Gewerkschaften, um Betriebe trotz steigender Infektionszahlen offenzuhalten

Am Montag traf sich der designierte US-Präsident Joseph Biden mit den wichtigsten Konzernchefs und Gewerkschaftsführern. Danach hielt er eine kurze Rede über seine Pläne, die Wirtschaft „wieder zum Laufen zu bringen“, obwohl die Infektionszahlen in den USA stark steigen und sich die Zahl der Toten im Winter verdoppeln könnte.

Die Teilnehmer der Online-Veranstaltung waren neben Biden und der designierten Vizepräsidentin Kamala Harris die Chefs von General Motors, Microsoft, Target und Gap sowie die Präsidenten der Gewerkschaften AFL-CIO, United Auto Workers (UAW), United Food and Commercial Workers (UFCW), Service Employees International Union (SEIU) und American Federation of State, County and Municipal Employees (AFSCME).

Danach erklärte Biden stolz: „Ich wünschte, Sie hätten es gesehen – Konzernchefs und Gewerkschaftsführer ziehen alle an einem Strang. ... Ich habe den Konzernchefs offen gesagt: ,Ich möchte Ihnen klar machen, dass ich für Gewerkschaften bin. Die Macht der Gewerkschaften wird wachsen.‘ Sie haben nur genickt und es verstanden. Es geht nicht gegen die Wirtschaft, sondern es geht um Wirtschaftswachstum und die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze.“

Gewerkschafter wie der UAW-Präsident Rory Gamble sind keine „Arbeiterführer“, sondern bezahlte Handlanger der Konzernleitungen. Die UAW vertuscht derzeit Covid-Ausbrüche in den Autowerken und bedroht Arbeiter, die Infektionen in den sozialen Netzwerken melden. Allein letzten Monat gab es Hunderte von Neuinfektionen und mindestens zwei Todesopfer; eines davon war Mark Bianchi im Fiat-Chrysler-Montagewerk Sterling Heights in einem Vorort von Detroit.

Der damalige Vizepräsident Joe Biden (links) wird von AFL-CIO-Präsident Rich Trumka begrüßt, bevor er eine Rede anlässlich der Parade zum Tag der Arbeit 2015 in Pittsburgh hält. (AP Photo/Keith Srakocic)

Der Präsident der Nahrungsgewerkschaft UFCW Marc Perrone hat sich genauso schuldig gemacht. Bisher gab es laut Daten des Food Environment Reporting Network in mindestens 546 Fleischverarbeitungsbetrieben bestätigte Fälle von Covid-19, fast 50.000 Arbeiter wurden positiv getestet, mindestens 249 von ihnen in der gesamten Branche sind gestorben. Zehntausende Arbeiter in der Lebensmittel- und Lebensmittelverarbeitungsindustrie wurden infiziert.

Das Gleiche gilt für Mary Kay Henry von der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU. Zu den Mitgliedern gehören viele der mehr als 1.000 Pflegeheimbeschäftigten, die seit Beginn der Pandemie gestorben sind, zusätzlich zu der unbekannten Zahl von Krankenhausbeschäftigten.

Biden, die Konzernchefs und die Gewerkschaftsführer haben sich zu einer Zeit getroffen, in der die Pandemie außer Kontrolle gerät. Trump weigert sich, das Wahlergebnis anzuerkennen, setzt seine Verschwörung zur Annullierung des Ergebnisses fort und hat deutlich gemacht, dass es keinen Lockdown der nicht-systemrelevanten Produktion geben wird. Trumps Aufrufe zu faschistischer Gewalt sind untrennbar verbunden mit der Politik der „Herdenimmunität“ der herrschenden Klasse.

Da die Demokratische Partei eine Partei der Wall Street ist, fürchtet sie sich davor, etwas zu tun oder zu sagen, was die Märkte verunsichert oder eine breite Opposition in der Bevölkerung ermutigt. Sie weiß, dass in der Arbeiterklasse die Wut wächst und sich in Arbeitsniederlegungen und Streiks äußern könnte. Im März hatten spontane Streiks der Autoarbeiter die Stilllegung der nordamerikanischen Autoindustrie und Lockdowns im ganzen Land erzwungen.

Die Demokraten lehnen es ab, die für die Eindämmung des Virus notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Biden gab in seiner Rede zu: „Uns steht ein sehr dunkler Winter bevor. Die Lage wird viel schlimmer werden, bevor sie besser wird. Deshalb dürfen wir keine Mühen scheuen, um gegen Covid-19 zu kämpfen, damit wir alle Unternehmen sicher öffnen, unser Leben fortsetzen und diese Pandemie hinter uns bringen können.“

Die Gouverneure von Illinois, Michigan und anderen industriellen Bundesstaaten haben zugegeben, dass Produktionsstätten zu den wichtigsten Trägern für die Corona-Ausbreitung geworden sind. Der sicherste Weg, die Pandemie aufzuhalten, ist die Stilllegung sämtlicher nicht-systemrelevanter Produktion. Doch die Wirtschafts- und Finanzoligarchie wird es nicht dulden, dass sie beim Geldscheffeln erneut gestört wird. Von Biden bis zu den Gouverneuren von Illinois, Michigan, New York, Kalifornien und anderen Bundesstaaten – alle Demokraten lehnen die Schließung von Fabriken und Schulen zur Rettung von Menschenleben ab, weil sie die Interessen der Wall Street vertreten.

Nach Bidens Rede am Montag fragte ihn ein Reporter: „Glauben Sie, mehr Gouverneure sollten nicht-systemrelevante Unternehmen schließen und wieder häusliche Quarantäne anordnen?“ Biden wich der Frage aus und erklärte: „Das hängt vom Bundesstaat ab.“ Danach lobte er die republikanischen Gouverneure von North Dakota, Utah und Ohio, weil sie eine Maskenpflicht verhängt hatten.

Tatsächlich haben Biden und seine Chefberater die Stilllegung nicht-systemrelevanter Industriezweige immer wieder abgelehnt. Die Washington Post zitierte am Dienstag Celine Gounder, eine Assistenzprofessorin für Medizin an der NYU Grossman School of Medicine, die Mitglied von Bidens neuem Coronavirus-Gremium ist: „Der Konsens des Beirats ist, dass wir keinen weiteren landesweiten Lockdown verhängen wollen.“ Sie fügte hinzu, Biden habe „nicht gesagt, er werde einen landesweiten Lockdown in Erwägung ziehen. Er hat bei diesen Treffen auch sehr deutlich gemacht, dass er bei den Einschränkungen gezielter vorgehen will.“

Letzte Woche hatte der Epidemiologe Michael Osterholm, ein Mitglied der Biden-Taskforce, erklärt, es sollte einen vier- bis sechswöchigen landesweiten Lockdown geben und alle betroffenen Arbeiter und Kleinunternehmer entschädigt werden. Nachdem daraufhin die Aktienkurse zu sinken begannen, distanzierte sich Bidens Team schnell von diesen Äußerungen.

Die Post fuhr fort, wenn Biden „umfassende Lockdowns wie im Frühjahr vermeiden will, wird seine Regierung auf alternative Strategien zur Bekämpfung des Virus setzen müssen“.

Das Treffen mit den Konzernchefs und Gewerkschaftsführern hat deutlich gemacht, dass zu den „alternativen Strategien“ des künftigen Präsidenten gehört, die Gewerkschaften stärker einzubinden. Sie sollen das falsche Narrativ der „sicheren Wiedereröffnung der Unternehmen“ verbreiten und die immer lauteren Forderungen der Arbeiter nach einer Stilllegung der nicht-systemrelevanten Produktion unterdrücken.

Die Arbeiter müssen selbst die Initiative übernehmen. In mehreren großen Autowerken und Schulbezirken haben die Arbeiter bereits begonnen, unabhängig von den Gewerkschaften Aktionskomitees für Sicherheit zu gründen, um das Schweigen über die Corona-Ausbrüche zu durchbrechen, für die eigene Kontrolle über Gesundheit und Sicherheit zu kämpfen und einen landesweiten Streik zur Stilllegung aller nicht-systemrelevanten Produktionsbereiche und der Schulen sowie einen vollen Einkommensausgleich für alle betroffenen Arbeiter und Kleinunternehmer zu fordern.

Gleichzeitig müssen systemrelevante Arbeiter über modernste Schutzausrüstung und ausreichend Personal verfügen. Ihre Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen müssen überwacht und von Sicherheitskomitees durchgesetzt werden.

Diese Komitees müssen auf alle Fabriken, Arbeitsplätze, Schulen und Universitäten ausgeweitet werden. Mit der möglichen Aussicht auf einen Impfstoff im nächsten Jahr muss jetzt alles getan werden, um Menschenleben zu retten.

Dieser Kampf lässt sich von dem Prinzip leiten, dass die Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter wichtiger ist als die Profite der Konzerne und der Wall Street. Eine echte Strategie zur Bekämpfung der Pandemie erfordert eine massive Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, um allgemeine und regelmäßige Tests, Kontaktverfolgung und kostenlose medizinische Behandlung zu gewährleisten.

Ein massives Arbeitsbeschaffungsprogramm ist notwendig, um Jobs für die Arbeitslosen zu schaffen, die notwendige Infrastruktur zur Verteilung des Impfstoffs aufzubauen und die Armut zu beseitigen. Dafür muss die Arbeiterklasse einen politischen Kampf für Sozialismus führen – gegen beide Parteien des Großkapitals und das kapitalistische System, das soziale Ungleichheit und Massensterben bedeutet.

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