Perspektive

Stoppt das Massensterben in Europa! Schließt nicht lebensnotwendige Betriebe und Schulen!

Am Donnerstag gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt, dass derzeit in Europa alle 17 Sekunden ein Mensch aufgrund einer Corona-Infektion stirbt. Letzte Woche haben insgesamt über 29.000 Menschen den Kampf gegen das Virus verloren. Wenn die Zahl der Todesfälle in demselben Tempo voranschreitet – und es deutet vieles darauf hin, da die Gesundheitssysteme zunehmend überlastet sind – werden auf dem europäischen Kontinent jeden Monat zwischen 120.000 und 150.000 weitere Menschen sterben.

In allen europäischen Ländern hat die Todesrate ein erschütterndes Ausmaß angenommen. In Frankreich wurden vergangene Woche durchschnittlich 500 Todesfälle pro Tag gemeldet. Am Dienstag verloren in Italien 731 Menschen ihr Leben, gefolgt von weiteren 753 am Mittwoch. In Spanien betrug die Zahl der Todesopfer an den beiden Tagen 435 bzw. 351 sowie 598 bzw. 529 im Vereinigten Königreich. Selbst in Deutschland, das von den bürgerlichen Medien lange Zeit als erfolgreich im Kampf gegen die Pandemie gepriesen wurde, starben allein am Dienstag 357 Menschen.

Seit den Gräueln des 2. Weltkriegs hat es in Europa kein derartiges Massensterben mehr gegeben. Wie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die herrschende Klasse Europas beschlossen, dass der Tod von Hunderttausenden oder gar Millionen unvermeidlich ist, um die Unternehmensprofite zu schützen. Sie tragen die Verantwortung für das, was man schlicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen muss.

Zu Beginn der Pandemie hoben die europäischen Politiker ihren Umgang mit der Lungenkrankheit Covid-19 noch von dem der US-Regierung unter Präsident Donald Trump ab. Doch nun betreiben alle Regierungen Europas eine nicht weniger kriminelle und mörderische Politik als der Faschist im Weißen Haus. Sie alle verfolgen eine Politik der „Herdenimmunität“, die darin besteht, das Virus ungeachtet der Gefahren für Leib und Leben in der Bevölkerung wüten zu lassen. Nur auf diesem Weg können Großunternehmen weiterhin Gewinne erzielen und die Superreichen ihre Ausschüttungen an den Börsen einfahren.

Als Vorbild für diesen länderübergreifenden Massenmord dient Schweden. Bereits zu Beginn der Pandemie lehnten es die schwedischen Behörden ab, nationale und regionale Beschränkungen einzuführen, und führten und stattdessen das Wirtschaftsleben ungehindert fort. Das Ergebnis war eine der höchsten Todesrates weltweit, da das Virus in nur schlecht geschützten Altenheimen wütete. Viele Bewohner starben, ohne je behandelt worden zu sein, weil in den überlasteten Krankenhäusern in der Region um Stockholm keine Patienten über 80 Jahren mehr versorgt wurden.

Dieses schreckliche Ausmaß der Pandemie war von der Regierung gewünscht, um so schnell wie möglich „Herdenimmunität“ zu erreichen. Mitte März begründete der schwedische Epidemiologe Anders Tegnell seine Entscheidung, Grund- und weiterführende Schulen nicht zu schließen, in einem Schreiben an seinen finnischen Amtskollegen: „Um schneller eine Herdenimmunität zu erreichen, spricht einiges dafür, die Schulen nicht zu schließen.“

Tegnell wurde zum Aushängeschild für die Politik der herrschenden Elite, weltweit Unternehmensgewinne auf Kosten von Menschenleben zu garantieren. Deutlich wurde dies in einem Artikel der Zeitschrift Foreign Affairs mit dem richtungsweisenden Titel „Die Coronavirus-Strategie Schwedens dient der Welt als Vorbild“. Für die Soziopathen in den Regierungen ist es unerheblich, dass Tegnells Bemühungen nicht annähernd das erhoffte Ergebnis erzielten. Schweden gehört nach wie vor zu den Ländern mit der höchsten Infektionsrate, und die Sterblichkeitsrate ist in den letzten zwei Wochen dramatisch angestiegen. Dies zwang die schwedische Regierung dazu, Veranstaltungen und Sozialkontakte einzuschränken.

Sobald die im Frühjahr verhängten Beschränkungen – die die herrschende Klasse aufgrund unabhängiger Streiks gezwungenermaßen einführen musste – wieder aufgehoben wurden, setzten die Regierungen jeglicher Couleur alles daran, die Eindämmung der Pandemie zu sabotieren. Stattdessen sorgten sie dafür, dass sich die Produktion wieder normalisierte und Gewinne für Banken und die Finanzoligarchie wie gewohnt flossen. Die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten stellten den Banken und Großkonzernen Rettungspakte in Höhe von über 2 Billionen Euro zur Verfügung. Dabei unterstützten die Gewerkschaften den Transfer von Vermögenswerten von unten nach oben. Dies geht besonders aus einer gemeinsamen Erklärung der französischen und deutschen Gewerkschaften hervor, in der sie die massiven Zuwendungen der EU an Banken und Unternehmen lobten.

Unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammensetzung beschlossen die Regierungen überall in Europa, die Wirtschaftstätigkeit um jeden Preis aufrecht zu erhalten und die Schulen nicht zu schließen, damit Eltern weiterhin zur Arbeit gehen können. Angefangen bei der Koalition aus CDU/CSU und SPD in Deutschland, über die französische Regierung des ehemaligen Investmentbankers Emmanuel Macron, bis hin zur Regierung Spaniens, die von der sozialdemokratischen PSOE und der „linkspopulistischen“ Podemos angeführt wird: ihre Politik der Herdenimmunität hat geradewegs in derzeitige Katastrophe geführt. Landesregierungen in Deutschland, die von den Grünen oder der Linkspartei angeführt werden, haben das Diktat der Konzerne ebenso skrupellos umgesetzt wie die rechte Tory-Regierung unter Boris Johnson in Großbritannien. Besonders deutlich wird dies durch Bodo Ramelow, der Ministerpräsident Thüringens von der Linkspartei, der das „schwedische Modell“ lobte.

Während die Leichenberge immer größer werden, zeigt die europäische herrschende Klasse keinerlei Absicht, ihren Kurs zu ändern. Vollkommen skrupellos erklärte Macron, dass alle lernen müssen, „mit dem Virus zu leben.“ Diese Aussage ist umso abscheulicher, wenn man bedenkt, dass eine Impfung in nur wenigen Monaten möglich sein wird.

Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des Virus spielt der erbitterte Widerstand der Finanzoligarchie und der herrschenden Klasse gegen die Schließung von Schulen. Zwischen Anfang Oktober und Anfang November sind die Infektionen bei Kindern um das Zehnfache gestiegen. Doch als die 16 Ministerpräsidenten der Bundesländer am Montag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentrafen, lehnten sie selbst die Einführung einer Maskenpflicht für Lehrer und Schüler ab.

Kürzlich brachte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf einer Pressekonferenz die Entschlossenheit der herrschenden Elite, die Schulen nicht zu schließen, mit den Worten zum Ausdruck: „Unsere Kinder müssen betreut werden, wenn wir den wirtschaftlichen Lockdown verhindern wollen. Das ist ja der Zusammenhang: Schule und Kita hatten den Sinn und Zweck auch, die Wirtschaft am Laufen zu halten.“

Arbeiter und junge Menschen sind nicht bereit, ihre Gesundheit zu riskieren und möglicherweise sogar zu sterben, um die Gewinne der Deutschen Bank oder der französischen Großbank BNP Paribas zu sichern, oder auch von Unternehmen wie Volkswagen und Airbus. Dasselbe gilt für die riesigen Summen, die an den Börsen in London, Frankfurt und Paris gehandelt werden.

In den letzten Wochen kam es zu Streiks an französischen Schulen, wo bis zu 35 Schüler in schlecht belüfteten Räumen ohne Schutz zusammengepfercht waren. Auf die Proteste folgte die Besetzung hunderter Schulen in ganz Griechenland sowie Demonstrationen von Schülern in Polen. Schüler aus Worms und Essen haben für diese Woche Streiks angekündigt, um gegen die gefährlichen Zustände in Schulen zu protestieren und für einen sicheren Unterricht einzutreten.

Eine stetig wachsende Zahl von Arbeitern und Jugendlichen unterstützt die Forderung, die nichtlebensnotwendige Produktion abzuschalten und den Präsenzunterricht an Schulen zu beenden, um das Coronavirus einzudämmen. Der Kampf für eine rationale Politik gegen Covid-19 ist jedoch nicht nur ein medizinischer, sondern vor allem ein politischer. Die Sozialistischen Gleichheitsparteien in Europa und weltweit betonen immer wieder, dass in der europäischen und internationalen Arbeiterklasse eine Bewegung aufgebaut werden muss, die für den Sozialismus kämpft.

Der bisherige Umgang mit der Pandemie, dazu zählen auch die Lockdowns im Frühjahr, zeigt, dass ein von wissenschaftlichen Fakten geleiteter Kampf gegen das Coronavirus mit dem Kapitalismus nicht vereinbar ist. Den Arbeitern bleiben nur keine oder geringe Arbeitslosenunterstützung, und Schüler sind einem völlig unzureichenden Online-Unterricht ausgesetzt. Kleinen Unternehmen, die geschlossen werden mussten, sowie Künstlern droht der Ruin. Der oftmals unzulängliche Schutz von Arbeitern in systemrelevanten Branchen –im Gesundheitswesen, in der Logistik oder Lebensmitteleinzelhandel – war von reiner Willkür geprägt.

Angesichts der Gelder in Billionenhöhe, die die Superreichen Europas erhielten, ist die Behauptung, es gäbe kein Geld zur Finanzierung fundamentaler sozialer Bedürfnisse, schlicht eine Lüge. Das Geld ist da, doch das politische Establishment wehrt sich mit aller Macht dagegen, es der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Stattdessen wird alles darangesetzt, alle Mittel in die Taschen der Finanzaristokratie zu schleusen. Der einzige Weg, die steigenden Todesraten einzudämmen, besteht darin, den Kampf für die Enteignung der riesigen Vermögen und für den Sozialismus aufzunehmen.

Um diesen Kampf zu führen, benötigen Arbeiter ihre eigenen, unabhängigen Organisationen. Diese müssen in Opposition zu den Gewerkschaften stehen, die eine Rückkehr an die Arbeitsplätze nicht verhindert haben. In jeder Schule und an jedem Arbeitsplatz müssen Aktions- und Sicherheitskomitees gegründet werden, die ihre Kämpfe über nationale Grenzen hinweg koordinieren. Sie sind zur Eindämmung des Virus unerlässlich und dienen außerdem als Grundlage, um europaweit und international einen Generalstreik zu organisieren. Nur auf diesem Weg kann wissenschaftlich fundiert und in einer humanen Weise auf die Pandemie reagiert werden und können die dafür erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden.

Der unrechtmäßig erworbene Reichtum der Eliten muss beschlagnahmt werden und die Großkonzerne müssen in öffentliche Versorgungsunternehmen umgewandelt werden, die die Arbeiterklasse demokratisch kontrolliert. Gesellschaftliche Entscheidungen müssen vom Schutz der Gesundheit und des Lebens geleitet werden, nicht von der obszönen Profitgier der Finanzoligarchie. Für diesen Kampf muss die Arbeiterklasse in Europa und der ganzen Welt mobilisiert werden, um die politische Macht zu übernehmen, das Wirtschaftsleben nach sozialistischen Grundsätzen neu zu organisieren und Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa zu bilden.

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