Perspektive

Brutaler Polizeiangriff auf Flüchtlinge in Paris: Eine Warnung an die Arbeiterklasse

Am Montagabend ging die französische Bereitschaftspolizei in einer Art und Weise, die nur als faschistisch bezeichnet werden kann, gegen ein friedliches Zeltlager auf der Place de la République in Paris vor. Millionen Arbeiter und junge Menschen auf der ganzen Welt waren schockiert.

Die Polizei prügelte auf die wehrlosen Flüchtlinge ein, jagte sie durch die Straßen und schoss mit Tränengas. Als gewählte Mandatsträger der Stadt versuchten mit Flüchtlingen zu sprechen, die zum Rathaus flohen, wurden sie hinter einer Polizeiabsperrung eingekesselt. Derzeit plant die französische Regierung die Verabschiedung des „globalen Sicherheitsgesetzes“, durch das verboten werden soll, Polizisten in der Öffentlichkeit zu filmen. Bei einem Verstoß drohen ein Jahr Haft sowie eine Geldstrafe in Höhe von 45.000 Euro. Vor diesem Hintergrund griff die Polizei Journalisten an, die über die Attacke berichteten, zum Beispiel Rémy Buisine, der zu Boden geworfen und geschlagen wurde.

Als sich eine empörte Menschenmenge auf der Place de la République zu Protesten versammelte, entdeckten diverse Zeitungen und Politiker plötzlich ihre Abneigung gegen Polizeigewalt. Die New York Times kritisierte beispielsweise die „repressiven Tendenzen“ in Frankreich. Anne Hidalgo, Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) und Bürgermeisterin von Paris, wandte sich an das Innenministerium und bezeichnete die Ereignisse als „Anwendung unverhältnismäßiger und brutaler Gewalt“. Sie fügte hinzu: „Leider handelt es sich bei diesen unerträglichen Vorkommnissen um keinen Einzelfall.“

Jean-Luc Mélenchon von La France insoumise (LFI, „Unbeugsames Frankreich“) kritisierte die Gewalt gegen „Menschen, die lediglich ihre Menschenrechte einfordern“.

Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron sieht sich nun dazu gezwungen, ihr eigenes Vorgehen zu kritisieren, und versucht schamlos, noch Vorteil daraus zu schlagen. Innenminister Gérald Darmanin hat eine Untersuchung angekündigt und scheinheilig verkündet, er sei „erschüttert“. Premierminister Jean Castex versprach, das Verbot, Filmaufnahmen von der Polizei anzufertigen, vor dem Verfassungsrat anzufechten, sobald das „globale Sicherheitsgesetz“ verschiedet worden sei.

Diese leeren Versprechungen zielen einzig und allein darauf ab, die Wut unter Arbeitern und Jugendlichen zu beschwichtigen. Der brutale, von der französischen Regierung gedeckte Angriff auf die Flüchtlinge ist keine einmalige Entgleisung einiger „übermäßig aggressiver“ Polizisten, die sich durch ein schäbiges Gesetz ermutigt fühlten. Vielmehr zeichnet sich vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie weiter angefacht wird, ein weltweiter Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und der Finanzaristokratie ab, die den Aufbau faschistischer Polizeistaaten unterstützt. Die Alternativen – Sozialismus oder kapitalistische Barbarei – werden dabei immer deutlicher.

Auch eine Aufhebung des Filmverbots würde die Rechtsentwicklung der Macron-Regierung nicht aufhalten. Sie plant auch ein Gesetz, das die Vergabe von Forschungsgeldern an Universitäten regelt, aber eine versteckte Klausel beinhaltet, die Proteste faktisch verbietet. Verstöße sollen mit drei Jahren Gefängnis sowie einem Bußgeld in Höhe von 45.000 Euro geahndet werden. Auch die drastische Rentenkürzung, die angesichts der Pandemie zunächst aufgeschoben werden sollte, ist wieder im Gespräch. Das „globale Sicherheitsgesetz“ würde es ermöglichen, Drohnen gegen Demonstranten einzusetzen. Außerdem soll eine Stabsstelle eingerichtet werden, die im Notfall das Vorgehen nationaler, kommunaler und paramilitärischer Polizei sowie privater Sicherheitsdienste koordiniert.

Wie die Zeitung Le Monde schreibt, kommt in Frankreich mit 450.000 bewaffneten Polizisten ein Polizist auf 150 Einwohner (im Jahr 2018 lag das Verhältnis noch bei eins zu 280). Das Land ist damit „Spitzenreiter in der Europäischen Union“.

Angesichts des fortschreitenden Aufbaus eines Polizeistaates müssen die Äußerungen des pensionierten, neofaschistischen Generalstabschefs Pierre de Villiers gegenüber der rechtsextremen Zeitschrift Current Values sehr ernst genommen werden.

Im vergangenen Jahr, nachdem die Macron-Regierung der Armee erlaubt hatte, das Feuer auf „Gelbwesten“ zu eröffnen, die gegen soziale Ungleichheit protestieren, forderte de Villiers größere „Entschlossenheit“. Selbst als die Bereitschaftspolizei über 10.000 Demonstranten festgenommen und 4.400 verwundet hatte, forderte er eine schärfere Unterdrückung der Eisenbahn- und Bildungsstreiks: „Zwischen denen, die führen, und denen, die zu gehorchen haben, ist eine Kluft entstanden. Diese Kluft ist tief. Die ‚Gelbwesten‘ haben das bereits verdeutlicht… Die Ordnung muss wiederhergestellt werden, es kann so nicht weitergehen.“

Vergangene Woche erklärte de Villiers, ebenfalls gegenüber Current Values, die Krise sei bereits so weit fortgeschritten, dass „tiefgreifende Veränderungen“ unumgänglich seien. Weiter sagte er: „Derzeit gibt es nicht nur eine Sicherheitskrise, sondern auch die Pandemie, und das alles inmitten einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, in der unsere führenden Politiker kein umfassendes Vertrauen mehr genießen.“

Da „sich dieser Unmut geballt entladen könnte… nicht nur in Frankreich, sondern auf der ganzen Welt“, so de Villiers weiter, „müssen wir das Undenkbare denken“.

Auf die Frage, was er damit genau meint, sprach sich de Villiers nahezu unverblümt für eine neofaschistische Diktatur aus: „Rechtsstaatlichkeit ist natürlich eine schöne Sache, aber manchmal muss man auch strategisch denken.“

Die Corona-Pandemie ist ein Auslöser welthistorischer Veränderungen. Bereits vor deren Ausbruch sah sich die herrschende Elite mit einem zunehmenden Klassenkampf gegen das nicht mehr tragbare Ausmaß sozialer Ungleichheit konfrontiert. Nun steigt die Zahl der Covid-19-Toten kontinuierlich an und die Wirtschaft sieht einer Krise entgegen, wie sie es seit der Großen Depression und der faschistischen Ära in den 1930er Jahre nicht mehr gegeben hat. Damals verfolgte die herrschende Klasse eine faschistische Politik, um ihre Privilegien gegen die Arbeiter zu verteidigen, und bekämpfte ihre Rivalen in einem Weltkrieg.

Überall auf der Welt fordern die herrschenden Eliten, dass Arbeiter und Jugendliche inmitten einer tödlichen Pandemie wieder arbeiten und in die Schule gehen sollen, während sie selbst Gelder in Billionenhöhe zur Rettung von Banken und Konzernen einstreichen. Allein die Europäische Union (EU) stellte 2 Billionen Euro zur Verfügung. Auch die reichsten Franzosen konnten die Verluste aus der Anfangszeit der Pandemie wieder ausgleichen: Laut Forbes verfügen Bernard Arnault und seine Familie wieder über 142 Milliarden Dollar, Françoise Bettencourt über 72 Milliarden Dollar sowie François Pinault über 46 Milliarden Dollar.

Gleichzeitig wird der Arbeiterklasse vorgelogen, es gäbe keine finanziellen Mittel für eine ausreichende Gesundheitsversorgung, oder dass ein erneuter Lockdown, bei dem Arbeiter und Kleinunternehmer Unterstützung erhalten, nicht finanzierbar wäre. Die Gewerkschaften in Frankreich, Deutschland und überall in Europa unterstützen die Politik der herrschenden Klassen. In den Vereinigten Staaten ist die Zahl der Corona-Toten unterdessen auf 265.891 gestiegen, in Europa mussten 365.639 Menschen ihr Leben lassen. Diese Zahlen werden in den Wintermonaten explosionsartig ansteigen.

Das jetzt erreichte Ausmaß sozialer Ungleichheit ist mit demokratischen Herrschaftsformen, deren Fassaden zunehmend zu bröckeln beginnen, nicht vereinbar. US-Präsident Donald Trump versuchte nach dem Polizeimord an George Floyd, das Militär rechtswidrig gegen die landesweiten Proteste einzusetzen, und weigert sich nach wie vor, seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen einzugestehen. Er hat außerdem das Pentagon neubesetzt, um einem möglichen Komplott den Weg zu ebnen, und unterstützte rechtsextreme Milizen, die die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, sowie weitere Politiker ermorden wollten. Die Demokratische Partei vermied es bewusst, die Öffentlichkeit über die Vorgänge zu informieren oder gar eine Opposition in der Bevölkerung gegen den angedrohten Staatsstreich zu mobilisieren.

In Frankreich und Europa werden gezielt faschistische Polizeistaaten aufgebaut. Pseudolinke Parteien wie Mélenchons LFI bieten keine Alternative zu Positionen wie von de Villiers, die Macron mit Unterstützung der EU in die Tat umsetzt. Der französische Präsident hat eine rechtsextreme Wende eingeleitet und den Marschall Philippe Pétain, der später zum faschistischen Diktator aufstieg, als „großen Soldaten“ gefeiert. Die Fraktion von Mélenchon unterstützte sogar den Ausnahmezustand, der von 2015 bis 2017 von der PS verhängt wurde. In dieser Zeit ging die Polizei erstmal gegen die sozialen Proteste vor, die sich aufgrund des drakonischen Arbeitsgesetzes der PS gebildet hatten.

Die aktuelle Situation bestätigt die Perspektive der Parti de l‘égalité socialiste (PES), der französischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 rief sie aktiv zu deren Boykott sowie zur Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Macron und der neofaschistischen Kandidatin Le Pen auf.

Die PSE warnte zudem, dass eine Regierung unter Macron keine echte Alternative zu dem rechtsextremen Regime sei, das Le Pen angeführt hätte. Vielmehr betonte die PSE die reaktionäre Rolle pseudolinker Gruppierungen wie der LFI, die sich weigerten, vor Macrons faschistischer Agenda zu warnen. Diese Einschätzung hat sich als richtig erwiesen.

Nur die Arbeiterklasse, bewaffnet mit einem sozialistischen Programm, kann die Ausbreitung der Pandemie und den Aufbau von Polizeistaaten aufhalten. Der Kampf für einen internationalen Generalstreik muss von unabhängigen Aktions- und Sicherheitskomitees angeführt werden, um die nichtlebensnotwendige Produktion zu stoppen, die Schulen zu schließen sowie gegen Rechtsextremismus und Polizeigewalt vorzugehen. Das Eigentum der herrschenden Eliten, die zahllose Verbrechen und reaktionäre Komplotte gegen die Bevölkerung begangen haben, muss beschlagnahmt und zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse eingesetzt werden.

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