Am Montag veröffentlichten CNN und Der Spiegel in Zusammenarbeit mit Bellingcat und dem russischen Magazin The Insider ausführliche Reportagen über den angeblichen Giftanschlag auf den rechten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Die Medien behaupten, die Mitglieder einer „Eliteeinheit des [russischen Inlandsgeheimdiensts] FSB“ identifiziert zu haben, die angeblich den Auftrag hatte, Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok zu töten.
Nawalny steht an der Spitze der „liberalen“ Opposition gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die von den imperialistischen Ländern unterstützt wird. Er erkrankte am 20. August auf einem Flug von der sibirischen Stadt Tomsk nach Moskau. Die Geschichten auf CNN und im Spiegel stellen es als Tatsache dar, dass Nawalny auf Geheiß des russischen Staatschefs mit Nowitschok vergiftet wurde. In Wirklichkeit wurde bis heute nicht der geringste Beweis für die Behauptung erbracht, dass Nawalny mit Nowitschok vergiftet wurde – geschweige denn, dass Putin etwas damit zu tun hatte.
Indizien für den Einsatz von Nowitschok wurden erst von einem Münchner Labor der Bundeswehr gefunden, nachdem Nawalny unter direkter Beteiligung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Berliner Charité verlegt worden war. Die Geschichte von Nawalnys Vergiftung ist von vorne bis hinten mit Widersprüchen gespickt. Weder der Spiegel noch CNN machen sich die Mühe, darauf einzugehen. Der krasseste Widerspruch von allen besteht darin, dass nicht nur Navalny den Angriff mit einem Gift überlebt haben soll, das darauf ausgelegt ist, praktisch augenblicklich zu töten. Darüber hinaus hätten sich bei nicht einmal einer einzigen Person in Nawalnys unmittelbarer Umgebung auch nur die geringsten Symptome einer Vergiftung gezeigt. Bei der ebenfalls höchst dubiosen Vergiftung von Sergej und Julia Skripal im britischen Salisbury starb eine Person, die nicht mit den Skripals in Verbindung stand, weil sie mit einer winzigen Menge Nowitschok in Kontakt kam. Ganze Gebäude mussten evakuiert werden.
Doch nicht nur Nawalny, sondern auch eine Wasserflasche, die angeblich Spuren von Nowitschok enthielt, sei durch halb Russland transportiert worden, ohne dass auch nur eine einzige Person – außer Nawalny – auch nur die geringsten Krankheitssymptome gezeigt hätte. Nawalny sagte später in einem bizarren russischen Interview, dass man seine angebliche Nahtoderfahrung nur mit der Wirkung „eines Dementors in Harry Potter“ vergleichen könne.
Spiegel und CNN setzen die Berichterstattung in diesem dubiosen Fall nun in noch schrilleren Farben fort. In seiner Story versucht der Spiegel, seine Leser von den „schweren“ Nachwirkungen einer Vergiftung mit Nowitschok zu überzeugen, indem er Nawalny mit folgenden Worten zitiert: „Neulich wollte ich joggen gehen, da habe ich einen Krampf bekommen.“ Sowohl CNN als auch der Spiegel legen nahe, dass es kurz zuvor bereits in Kaliningrad zu einem Versuch gekommen sein könnte, Nawalny oder seine Frau zu „vergiften“. Die Beweise? – Seine Frau Julia habe eines Nachmittags über „plötzliche Erschöpfung und Desorientierung“ geklagt und sich im Hotel ausruhen müssen. Nicht namentlich genannte „Experten“ erklärten gegenüber CNN, dass solche „Symptome mit den Auswirkungen einer niedrigen Dosis des Gifts übereinstimmen“. Laut Spiegel hielten diese „Symptome“ kaum bis in den Abend hinein an und sie habe sich nach einer Nacht Schlaf vollkommen wohlgefühlt.
CNN, Spiegel, Insider und Bellingcat behaupten, die „Eliteeinheit des FSB“ identifiziert zu haben, die Nawalny angeblich bei 30 Reisen seit 2017 beschattet habe. Bellingcat erklärt in einem Artikel, es habe lediglich „einige kreative Suchanfrage bei Google (oder Yandex) und ein paar hundert Euro Kryptowährung über eine automatisierte Zahlungsplattform – nicht viel anders als Amazon oder Lexis Nexis – gebraucht, um Telefonaufzeichnungen mit Geolokalisierungsdaten, Passagierlisten und Meldedaten zu erwerben.“ Auf diese Weise, so Bellingcat, habe man auf dem russischen Schwarzdatenmarkt nicht nur die Namen, sondern auch die Adressen, Autokennzeichen, Telefonnummern und -daten, Geburtsdaten und Flugdaten der „FSB-Eliteeinheit“ beschaffen können, die mit dem Mord an Russlands bekanntestem Anti-Putin-Oppositionellen beauftragt worden war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Männer tatsächlich für den FSB arbeiteten und mit der Beschattung von Nawalny beauftragt waren, werden keinerlei Beweise dafür vorgelegt, dass es ein Komplott gab, Nawalny mit Nowitschok oder auf andere Weise zu töten, oder dass sie etwas damit zu tun hatten.
Von den Versuchen, Muskelkrämpfe beim Joggen und eine „Reisekrankheit“ mit den Auswirkungen hochgiftiger Substanzen in Verbindung zu bringen, bis hin zu der Geschichte von den „kreativen Suchanfragen bei Google", die eine „Eliteeinheit des FSB“ aufgedeckt haben sollen, fällt diese „Untersuchung“ vor allem durch ihre völlige Missachtung auch nur eines Minimums an logischer Kohärenz und grundlegender journalistischer Standards auf.
Insbesondere die Beteiligung von Bellingcat spricht Bände über den Charakter dieser „Untersuchung“. Im Jahr 2016 enthüllte ein Artikel in der englischen Ausgabe der WSWS dieses Kollektiv für „Bürgerjournalismus“ als Propaganda-Frontorganisation bei den Provokationen und Kriegsvorbereitungen der NATO gegen Russland. Ein Bellingcat-Mitarbeiter, Christo Grozev, ist Mitautor der aktuellen Spiegel-Story über Nawalny sowie aller anderen größeren Beiträge zu dem Fall, die in den letzten Monaten in dem Magazin erschienen sind.
Bellingcat wurde 2014 von Eliot Higgins gegründet, der von 2016 bis 2019 Fellow beim aggressiv antirussischen Think Tank „Atlantic Council“ war. Bellingcat spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Propaganda rund um den Abschuss des Fluges MH17 der Malaysia Airlines über der Ukraine im Jahr 2014 und unzähliger Artikel, die behaupteten, das Assad-Regime in Syrien habe „Chemiewaffen“ eingesetzt. Bellingcat spielte zudem eine zentrale Rolle bei der Propaganda rund um den Fall Skripal, der für eine ganze Reihe von antirussischen Sanktionen in den Jahren 2018/19 als Rechtfertigung diente.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Diese neueste Reportage über den Fall Nawalny markiert eine weitere Eskalationsstufe in der Anti-Russland-Kampagne. Doch anders als in den letzten Monaten, als die deutsche Regierung und deutsche Medien bei dieser Kampagne eindeutig an der Spitze standen, zeigt die Beteiligung von CNN, dass die amerikanische Presse nun ebenfalls entschlossen ist, den Fall auszunutzen, um die antirussische Propaganda weiter zu intensivieren. Kurz bevor die jüngsten Artikel zu Nawalny erschienen, wurden in den amerikanischen Medienerneut unbewiesene Hacking-Vorwürfe gegen Russland breitgetreten.
Am Dienstag warnte die New York Times, dass eine Biden-Regierung einem „konfrontativen Russland“ gegenüberstehen werde und dass Russland jetzt eine noch größere „Bedrohung“ darstellen würde als unter Obama, als Washington die Bombardierung Libyens einleitete, den Bürgerkrieg in Syrien anzettelte und den Sturz der prorussischen Regierung in Kiew finanzierte – alles mit dem Ziel, den russischen Einfluss zu untergraben und das Land weiter einzukreisen. Jetzt, so die New York Times, fordere Russland die Interessen der USA „nicht nur in der Region heraus, die unmittelbar an Russland angrenzen, sondern auch in Westeuropa, Afrika, Lateinamerika und der Arktis.“
Die systematische Förderung Nawalnys, der eine Figur der extremen Rechten in Russland ist und Kontakte zu faschistischen und separatistischen Tendenzen innerhalb der russischen Eliten unterhält, zielt nicht zuletzt darauf ab, die ohnehin schon erhebliche Polarisierung innerhalb des krisengeschüttelten russischen Staatsapparates und der herrschenden Klasse weiter voranzutreiben und damit das Putin-Regime zu destabilisieren.
Die Kriegsvorbereitungen und Provokationen gegen Russland müssen jedoch vor allem im Zusammenhang mit der heftigen Krise des kapitalistischen Systems verstanden werden, die in den USA besonders scharf ist. Mehr als zwei Menschen sterben jede Minute an Covid-19, obwohl immer mehr Impfstoffe zur Verfügung stehen. Die Schlangen vor den Lebensmittel-Tafeln wachsen im ganzen Land, Millionen haben ihren Arbeitsplatz verloren und viele weitere einen erheblichen Teil ihres Einkommens eingebüßt. Präsident Donald Trump weigert sich immer noch, den Wahlsieg des designierten Präsidenten Joe Biden anzuerkennen. Trump hat die Führungsriege des US-Verteidigungsministeriums gesäubert und mit loyalem Personal besetzt und eine kriegerische Provokation nach der anderen gegen den Iran inszeniert.
Die Demokraten tun ihrerseits alles, was in ihrer Macht steht, um die anhaltende Gefahr eines Putschversuchs durch Trump zu verharmlosen und herunterzuspielen. Gleichzeitig versichern sie der Wall Street, dass sie die Politik der Geldgeschenke für die Superreichen sowie die mörderische Politik der „Herdenimmunität“ fortsetzen werden. Die zunehmend aggressive antirussische und antichinesische Kriegspropaganda zielt darauf ab, den Boden für eine Eskalation der imperialistischen Interventionen im Ausland zu bereiten, um die enormen und weiter anwachsenden Klassenspannungen nach außen abzulenken.