Vergangene Woche präsentierte sich die New York Times an der Spitze einer regelrechten Flut antirussischer Propaganda in den bürgerlichen amerikanischen Medien. Das Sprachrohr der Demokraten behauptet, Moskau sei für eine Cyberattacke auf die Computersysteme der Regierung der Vereinigten Staaten verantwortlich. Sämtliche Aussagen entbehrten jeder faktischen Grundlage.
Dass die Kampagne einzig auf die Dämonisierung Russlands abzielt, verdeutlichte der Demokrat Dick Durbin am Donnerstag in einer Rede vor dem Senat. Der angebliche Hackerangriff, sagte er, war „eine faktische Kriegserklärung Russlands an die Vereinigten Staaten und das sollten wir sehr ernst nehmen“.
Durbin fuhr fort: „Nein, ich rufe nicht zu einer Invasion oder einem totalen Krieg auf. Ich möchte nicht, dass es so weit kommt. Doch die freundschaftlichen Zeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Wladimir Putin sind endgültig vorbei. Wenn uns ein Gegner wie Russland schikaniert, reizt oder die Sicherheit unserer Nation gefährdet, müssen wir darauf reagieren.“
Es ist durchaus beruhigend, dass sich der zweithöchste Demokrat im Senat gegen eine Invasion oder einen „totalen Krieg“ mit der Atommacht Russland verwahrt. Derartige Szenarien würden innerhalb von Minuten zig Millionen Menschen das Leben kosten. Allerdings verbirgt sich hinter Durbins Aussagen genau diese Logik.
In einem ähnlichen Statement erklärte der designierte US-Präsident Joe Biden: „Wir müssen unsere Gegner davor abschrecken, überhaupt erst solche Cyberangriffe vorzunehmen.“ Weiter sagte er: „Und das werden wir tun, indem wir diejenigen, die für einen solchen niederträchtigen Angriff verantwortlich sind, nicht ungeschoren davonkommen lassen. Dafür werden wir uns auch mit unseren Verbündeten und Partnern abstimmen. Unsere Gegner sollen wissen, dass ich als Präsident nicht tatenlos zusehen werde, wenn es zu Cyberangriffen auf unsere Nation kommt.“
Das Motto der Kampagne lautet, dass sich Moskau in den letzten vier Jahren unter der Präsidentschaft von Donald Trump praktisch alles herausnehmen konnte, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die zukünftige Regierung unter Biden plant eine Kehrtwende und setzt auf eine militärische Eskalation gegen Russland. Dies schließt auch einen Krieg nicht aus.
Obwohl offiziell keine US-Regierungsbehörde Russland für die Hackerangriffe auf ihre Computersysteme verantwortlich gemacht hat, geschweige denn Beweise für einen derartigen Vorwurf vorlegen konnte, werden die Rufe nach Vergeltung und Krieg immer lauter. Russland bestreitet sämtliche Vorwürfe. Das Einzige, was bisher tatsächlich bewiesen wurde, ist der marode Zustand der Cybersicherheitssysteme Washingtons.
In die Welt gesetzt wurde der vermeintliche „Knüller“ über den russischen Hackerangriff von dem ehemaligen New York Times Reporter David Sanger. Dieser war bereits 2003 daran beteiligt, die Mär über die „Massenvernichtungswaffen“ im Irak zu verbreiten, die dem US-Militär den Weg für eine Invasion ebnete. Anschließend versuchte er, sich als „Cybersicherheitsexperte“ einen Namen zu machen, indem er behauptete, Russland habe sich in die US-Wahlen 2016 „eingemischt“. Der Vorwurf war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits widerlegt. Sanger hielt das nicht davon ab, weitere Lügengeschichten zu aufzutischen. Flugs erklärte er, die Präsidentschaftswahl 2020 sei ebenfalls von Moskau gehackt worden. Als erneut keinerlei Beweise vorgelegt werden konnte, stürzte er sich in die nächste Propagandakampagne.
Sanger ist für verschiedene Denkfabriken tätig, in denen kapitalistische Politiker, Militär- und Geheimdienstbeamte sowie Chefs von Großkonzernen zusammenkommen, um über die imperialistische Strategie der USA zu diskutieren. Das macht ihn zum bevorzugten Ansprechpartner, wenn es darum geht, „geheime“ Informationen und Propaganda der CIA und des Pentagons in die Welt zu tragen.
Sangers erster Artikel zu dem vermeintlichen Hackerangriff erschien am 14. Dezember und war typisch für diese Art von Sensationsjournalismus. Es werden namentlich nicht genannte „Regierungsexperten“ zitiert, die behaupten, der Urheber des jüngsten Cyberangriffs sei „mit ziemlicher Sicherheit ein Mitglied des russischen Geheimdiensts“.
Nur einen Tag später folgte ein weiterer Artikel, der von Sanger und zwei weiteren Reportern der Times stammte. Darin heißt es ausweichend: „Am Montag wurde der Umfang des Hackerangriffs deutlicher, der von einem der wichtigsten russischen Geheimdienste verübt wurde.“ Dass Moskau hinter dem Angriff steckt, wird auch diesmal nicht bewiesen. Anschließend werden weitere anonyme Quellen zitiert, denen zufolge „das Ausmaß des Angriffs“ schwierig zu bestimmen sei. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ob Sangers Berichterstattung überhaupt auf Fakten beruht.
Der Hackerangriff, so heißt es in dem Artikel weiter, sei „vermutlich das Werk des SWR [russischer Auslandsnachrichtendienst], einer der Nachfolger des KGB“. Auf wen diese Annahme zurückzuführen ist, geht aus dem Artikel nicht hervor.
Mittlerweile war offensichtlich, dass es sich um eine Propagandakampagne der Times handeln musste. Doch ungeachtet dessen erschient am 16. Dezember ein weiterer Artikel mit dem Titel „Putin will Biden zu Drahtseilakt zwingen“. Dieser beginnt mit der Behauptung, der Hackerangriff sei „mit ziemlicher Sicherheit vom Kreml orchestriert“ worden, um dann haltlose Behauptungen aufzustellen, Russland zu verteufeln und wahllos mit Beleidigungen um sich zu werfen. Es handelt sich eindeutig um Demagogie zur Rechtfertigung eines Krieges.
In dem Artikel heißt es weiter, die designierte Biden-Regierung werde sich damit auseinandersetzen müssen, dass „der Kreml amerikanische Truppen in Konfliktgebieten in Übersee provozieren wird und sich weiterhin Hacker mit Unterstützung des Staates in die Präsidentschaftswahlen der Vereinigten Staaten einmischen werden“.
Der Artikel fährt fort: „… der neue Präsident wird einem russischen Staatsoberhaupt gegenüberstehen, der die Interessen seines Landes noch unerschrockener geltend machen und die der USA herausfordern will. Dies gilt aber nicht nur Gebiete, die Moskau als nahes Ausland bezeichnet, sondern auch für Westeuropa, Afrika, Lateinamerika und die Arktis.“
Russlands Präsident Wladimir Putin entwickle sich zu einem „zunehmend bösartigen Player in der Innenpolitik, dessen Handlanger die sozialen Medien mit Falschinformationen fluten und versuchen, sich in Wahlen einzumischen. Einem Demokraten wie Biden begegnen sie mit offenkundiger Voreingenommenheit.“
Sanger zitiert in seinem Artikel außerdem Fiona Hill, Trumps ehemalige Beraterin im Nationalen Sicherheitsrat, mit den Worten, Russland habe sich von einer „konventionellen Atommacht zu einer heimtückischen hybriden Bedrohung“ entwickelt.
Die Washington Post ließ es sich nicht nehmen, in dasselbe Horn antirussischer Propaganda zu stoßen, und veröffentlichte am vergangenen Donnerstag gleich zwei Leitartikel, in denen sie die Putin-Regierung an den Pranger stellt. Der erste Artikel wiederholt den Vorwurf der Cyberspionage gegen den russischen Geheimdienst und dessen angebliche Hackergruppe namens „Cozy Bear“, der bisher nicht bewiesen werden konnte. Im zweiten Artikel werden die bisher ebenfalls nicht belegten Vorwürfe wiederholt, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB für den erfolglosen Versuch verantwortlich ist, den rechten Regierungsgegner Alexei Nawalny mit einem Nervenkampfstoff zu ermorden. Trotz des Mangels an Beweisen fordert die Post Vergeltung für beide Verbrechen.
Den Leitartikeln folgte ein wahnwitziger Kommentar von Fareed Zakaria, der die russischen Hackerangriffe als bewiesen darstellt. Weiter prangert er „das Russland unter Wladimir Putin“ an, weil es die „hybride Kriegsführung erheblich weiterentwickelt hat und gezielt Chaos bei seinen Gegnern verbreitet“. Zakaria stellt eine Verbindung zwischen dem „russischen Propagandamodell“ und Trumps Versuch her, das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl zu kippen. Er schließt mit den Worten: „Das Problem ist, dass Russland nicht nur die Computersysteme der USA gehackt hat. Es scheint, als ob auch unser Verstand gehackt wurde.“ Dieser in sich widersprüchliche und zusammenhangslose Text ist reine Stimmungsmache für Krieg.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die World Socialist Web Site positioniert sich klar gegen die rechte und nationalistische Regierung von Wladimir Putin. Diese vertritt die Interessen milliardenschwerer Oligarchen, die sich an der Auflösung der Sowjetunion, dem Diebstahl öffentlichen Eigentums und der Zerstörung der sozialen Errungenschaften der sowjetischen Arbeiterklasse bereichert haben.
Es ist allerdings grotesk, die Russische Föderation als „bösartiges“ und „heimtückisches“ Land darzustellen, das mittels „hybrider Kriegsführung“ die Weltherrschaft an sich reißen will. Dies gilt umso mehr, wenn solche Vorwürfe vom US-Militär und den amerikanischen Geheimdiensten erhoben werden.
Das Militärbudget des Weißen Haus ist mit über 740 Milliarden Dollar mehr als zehnmal so hoch wie Putins Budget im vergangenen Jahr, das sich auf 65,1 Milliarden Dollar belief. Während die USA ca. 200.000 Soldaten auf 800 Basen in mehr als 70 Ländern stationiert haben, verfügt Russland über ca. 30.000 Soldaten außerhalb seiner Grenzen; und mit Ausnahme von Syrien sind sämtliche Soldaten in ehemaligen Sowjetrepubliken stationiert.
Die USA und die Nato veranstalten nahezu ununterbrochen provokative Militärübungen in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze. Die Vereinigten Staaten führen seit fast dreißig Jahren nicht enden wollende Kriege, die Millionen Menschenleben gekostet haben.
Wer auch immer hinter der Operation „Cozy Bear“ steht und welche Beziehung diese Leute zum russischen Geheimdienst pflegen – das Ausmaß der angeblichen Cyberspionage lässt sich in keiner Weise mit den globalen Operationen der Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA) vergleichen. Der größte Auslandsgeheimdienst der USA kann jeden Telefonanruf, jede E-Mail, jede SMS und jede aufgerufene Seite im Internet überall auf der Welt überwachen. Während der Amtszeit von Barack Obama wurde nicht nur das Handy des brasilianischen Präsidenten, sondern auch das der deutschen Bundeskanzlerin abgehört.
Was genau steckt hinter der hysterischen und allgegenwärtigen Anti-Russland-Kampagne, die, angeführt von der New York Times und der Washington Post, von den bürgerlichen Print- und Rundfunkmedien in den USA mitgetragen wird?
Zum einen ist zu sagen, dass die Demokraten mit der Frage nach der US-Politik gegenüber Russland bereits gegen Trump agitierten, bevor dieser überhaupt ins Weiße Haus eingezogen war. Sie gaben damit Teilen des militärischen Geheimdienstapparat eine Stimme, die Trumps Vorgehen gegen Russland als nicht aggressiv genug bezeichneten und die globale Hegemonie der USA bedroht sehen.
Indem die Kriegsstimmung gegen Russland angeheizt wird, sollen außerdem die sozialen und politischen Spannungen innerhalb der USA nach außen gelenkt werden. Diese haben sich durch die Coronavirus-Pandemie, Massenarbeitslosigkeit, Armut, Nahrungsmittelknappheit und durch das drohende Komplott von Trump und seinen Anhängern, die Wahlergebnisse zu kippen und ein Präsidialdiktatur zu errichten, weiter verschärft.
Die größte Sorge der Demokratische Partei, die für die Interessen der Wall Street und des Pentagons steht, ist die wachsende Opposition in der Arbeiterklasse. Diese richtet sich nicht nur gegen Trump, sondern gegen die gesamte herrschende Klasse und das kapitalistische System.
Die amerikanische Arbeiterklasse muss die Flut antirussischer Propaganda als Warnung verstehen. Sie setzte unmittelbar nach der Abstimmung im Wahlmännerkollegium ein, die Biden als gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten bestätigt hat, und nur knapp einen Monat vor dessen Amtseinführung. Selbst wenn es den Demokraten gelingt, am 20. Januar 2021 eine friedliche Machtübernahme zu vollziehen, wird ihre Politik weiterhin von Kriegshetze und verschärften Angriffen auf die demokratischen und sozialen Rechte der amerikanischen Arbeiterklasse geprägt sein.