Nach Trumps Putschversuch: Deutsche Politik fordert massive militärische Aufrüstung

Die herrschende Klasse in Deutschland reagiert mit einer Mischung aus Schock, Nervosität und Aggression auf den faschistischen Putschversuch vom 6. Januar in den USA.

Politik und Medien fürchten, dass die anhaltende rechtsextreme Verschwörung vor der Inauguration des designierten Präsidenten Joseph Biden am 20. Januar das Land weiter in die Krise stürzen könnte – mit weitreichenden innen- und außenpolitischen Folgen für die Stabilität des kapitalistischen Systems in den USA und international. Dabei verschärfen alle etablierten Parteien ihre Offensive für eine unabhängigere deutsch-europäische Außen- und Großmachtpolitik, was auch hier die rechtsextremen Elemente im Militär und Staatsapparat weiter stärken wird.

Am aggressivsten tritt die SPD auf, die mit dem damaligen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bereits 2014 an der Spitze der Kampagne für die Rückkehr des deutschen Militarismus stand. „Wir sind gut beraten, sehr stark auf Europa zu setzen und letztlich auch eigene Maßnahmen zu entscheiden, und nicht im Geleitzug der USA durch die Weltgeschichte zu gehen“, erklärte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich am vergangenen Donnerstag im ARD-Morgenmagazin.

In einem ausführlichen Interview im Deutschlandfunk führte dann der ehemalige sozialdemokratische Außenminister Sigmar Gabriel aus, was das bedeutet: Die weitere Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die massive Aufrüstung der deutschen Armee, um die eigenen imperialistischen Interessen unabhängiger von den USA und zunehmend auch gegen sie durchzusetzen.

„Wir müssen aufhören, die Debatte über Verteidigungspolitik zu führen, als ginge es darum, einem US-Präsidenten einen Gefallen zu tun“, forderte Gabriel. Es gehe „darum, dass die Welt sich dramatisch ändert. Amerika wird sich auch unter Joe Biden ein Stück von Europa, von Afrika abwenden, hinwenden zum Indopazifik – da ist der neue Herausforderer der USA –, und das Vakuum müssen die Europäer selber füllen. Es ist unser Interesse, unsere Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen, es ist nicht eine Liebesgabe.“

Konkret plädiert Gabriel dafür, die Verteidigungsausgaben so zügig wie möglich auf das anvisierte Zwei-Prozent-Ziel zu erhöhen, auf das sich die Große Koalition erstmals auf dem Nato-Gipfel 2014 in Wales verpflichtet hatte.

Wir können als Deutsche mit der Forderung intelligent umgehen, wir können sagen, wir packen 1,5 Prozent in die Bundeswehr, damit die nicht gegenüber anderen europäischen Armeen als zu gigantisch erscheint nach zehn Jahren, und wir packen 0,5 Prozent in die Verteidigungsfähigkeit Osteuropas, weil das bisher nur die Amerikaner machen. Damit zeigen wir Deutschen auch noch, wir übernehmen Verantwortung, die bislang nur die Amerikaner hatten.

Deutschland müsse „Europa zusammenhalten“ und „sich eigenständiger machen, auch in der Verteidigungspolitik“, mahnt Gabriel. Diese Forderung werde nicht zuletzt auch „von unseren Nachbarn erhoben. Es sind Franzosen, die sagen, es kann nicht sein, dass wir in Mali immer wieder in die Lage kommen, dass wir kämpfen müssen, französische Soldaten kämpfen und ihr fotografiert nur.“

Das ist unmissverständlich: Deutschland muss 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich wieder selbstbewusst für Militarismus und Krieg eintreten und auch bereit sein, wirkliche Kampfeinsätze mit hohen Verlusten zu führen.

Man muss die Wahrheit auch mal aussprechen und aufhören, eine angstbesetzte Debatte über Amerika zu führen, als seien die Amerikaner schuld daran, dass wir über Verteidigung reden müssen. Ich glaube, wenn wir das nicht machen, dann wird Europa zum Spielball, dann werden wir einfach nicht ernst genommen. Wir gelten als reich, aber politisch uninteressant, solange wir nicht selbst in der Lage und fähig sind, unsere Interessen auch alleine zu verteidigen.

Alle Bundestagsparteien unterstützen diesen Kurs. Die Debatte dreht sich lediglich darum, wie man die eigene Unabhängigkeit und Weltmachtfähigkeit herstellt. Die aktuelle Ausgabe des Magazins Internationale Politik, das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird, trägt den bezeichnenden Titel „Villa kunterbunt: Was Europa zur Weltmacht fehlt“. Sie gibt einen Einblick in die größenwahnsinnigen Pläne, die hinter dem Rücken der Bevölkerung diskutiert werden.

In einem Beitrag mit dem Titel: „Dein Einsatz, Europa! Russland, Türkei, Nah- und Mittelost, Iran, Afrika, Asien-Pazifik: Wie die EU sich jetzt geopolitisch positionieren muss“, heißt es unter der Zwischenüberschrift „Sanktionen und Kanonen“:

Die Stärkung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Europas umfasst nicht nur eine Anpassung der Nachbarschaftspolitik an die neuen Realitäten, sondern auch den Ausbau eigener militärischer Fähigkeiten. Die Konflikte in Syrien und Libyen zeigen deutlich, dass die EU nur einen Hebel zur Durchsetzung ihrer Interessen hat, wenn sie diese auch militärisch untermauern kann. Das gilt gerade gegenüber Russland, dessen außenpolitische Logik nicht auf Kompromisse, sondern auf die einseitige Durchsetzung eigener Interessen ausgerichtet ist.

Auch Vertreter der Linkspartei und der Grünen sind fester Bestandteil der Kriegsoffensive. In einem Pro- und Contra-Beitrag diskutieren Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, und Jürgen Trittin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss für Bündnis 90/ Die Grünen, über die Bedeutung der Nord Stream 2 Pipeline für den deutschen Imperialismus.

Bartsch plädiert für den Bau der Pipeline, um „Europas Energiesicherheit“ und seine „ökonomische Souveränität“ sicherzustellen. Die US-Sanktionen, die auf den Stopp des Projekts zielen, seien „nackter ökonomischer Imperialismus“. „Diesem Gebaren“ dürfe sich Deutschland „nicht beugen“.

Trittin lehnt den Bau der Pipeline ab, aber tut dies ebenfalls vom Standpunkt, die eigenen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen stärker gegen die anderen Großmächte durchzusetzen. „Hoffnungen, dass sich an der US-Sanktionspolitik unter Joe Biden etwas ändert, sollte man nicht haben“, schreibt er. „Wer Europas Unabhängigkeit stärken will“, müsse „seine fossile Abhängigkeit vermindern“ und „Europas Resilienz“ stärken.

Bereits zum Jahreswechsel trommelte der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung für die Stärkung des deutschen und europäischen Militarismus gegen Moskau, Washington und Peking.

„Mit Brexit und Trump“ hätten „sich Briten und Amerikaner vom Westen verabschiedet“, stellt er fest. Berlin und Brüssel müssten nun „einen wesentlich höheren Beitrag für die territoriale Verteidigung und die gemeinsame Sicherheit leisten“ und auch im Konflikt zwischen den USA und China stärker als bisher die eigenen Interessen durchsetzen. China sei zu „groß und zu wichtig“, um es zu isolieren. Die „Strategie Washingtons in diesem Fall“ überzeuge ihn nicht.

Fischer spricht offen aus, dass die herrschende Klasse mit ihrer außenpolitischen Offensive wieder an ihre schlimmsten historischen Traditionen anknüpft. Nach 1945 hätten die Deutschen „instinktiv eine Konsequenz gezogen: nie wieder! Nie wieder Weltpolitik, nie wieder Weltherrschaftsphantasien, nie wieder Militär in der Außenpolitik.“ Doch die „Schwierigkeit in den deutschen Köpfen“ sei, „dass sich das, was sich unter der Protektion der USA über Jahrzehnte als richtig erwiesen hat, nun als einen Hemmschuh darstellt.“ Denn „ohne Deutschland“ werde „es kein Europa geben, das als Macht seine Interessen im 21. Jahrhundert vertreten kann“. Diesen „Diskurs neu zu justieren“, werde „einige Zeit erfordern und große innenpolitische Probleme mit sich bringen“.

Arbeiter und Jugendliche müssen derartige Aussagen genauso als Warnung verstehen, wie die Putschentwicklung in den USA. Auch hier kann die herrschende Klasse ihre Politik des Militarismus, der sozialen Ungleichheit und der „Herdenimmunität“ letztlich nur aufrechterhalten, wenn sie gestützt auf rechtsextreme Parteien wie die AfD und faschistische Netzwerke in Polizei, Geheimdiensten und Militär eine Diktatur errichtet. Das sind die „großen innenpolitischen Probleme“, von denen Fischer spricht. Die Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen gegen die reaktionäre Politik aller Bundestagsparteien ist enorm und wird durch die explosiven Entwicklungen in den USA weiter angeheizt.

Die Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei in den USA, die Socialist Equality Party, ruft zum Aufbau eines landesweiten Netzwerks von Aktionskomitees und zur Vorbereitung eines politischen Generalstreiks gegen Trumps Verschwörung auf. In ihrem aktuellen Statement erklärt sie, dass sich im Putschversuch vom 6. Januar „ein umfassender Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft“ zeigt. „Das politische Gegenmittel gegen den Faschismus ist der Aufbau einer Massenbewegung der Arbeiterklasse für den Sozialismus“. Auf Grundlage dieser internationalen Perspektive müssen Arbeiter und Jugendliche auch in Deutschland und Europa als unabhängige revolutionäre Kraft ins politische Geschehen eingreifen.

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