Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Entscheidung des BVG-Vorstands, am kommenden Montag die Vordertüren der Busse trotz steigender Infektionszahlen zu öffnen, ist eine gezielte Provokation und darf nicht zugelassen werden. Die Gesundheit und das Leben der Busfahrer und BVG-Beschäftigten stehen höher als die Profitinteressen des BVG-Vorstands und des rot-rot-grünen Senats.
Die Dritte Corona-Welle ist in vollem Gange. In Berlin haben sich seit Beginn der Pandemie über 165.000 Menschen infiziert, darunter mindestens 340 unserer Kollegen. Mehr als 3200 Berliner sind verstorben, bundesweit über 82.000. Dazu gehören auch Sven B., Tramfahrer, sowie unser Kollege vom Busbetriebshof Cicero-Straße. Auch unter den Mitarbeitern der Firma Sasse, die unsere Fahrzeuge reinigen, mehren sich die Covid-Erkrankungen.
Wir dürfen nicht noch mehr Tote und Kranke zulassen!
Wie die Lehrer, Erzieher, Ärzte, Pflegekräfte, Rettungsdienste, Verkaufspersonal und Müllarbeiter sind wir Mitarbeiter des öffentlichen Personennahverkehrs ganz besonders von der Gefahr der Ansteckung bedroht. Viele Studien belegen, dass die engen Räume der Busse und Bahnen und ein hohes Fahrgastaufkommen die Verbreitung des Virus und das Infektionsrisiko deutlich erhöhen.
Trotz anders lautender Informationen der Geschäftsleitung ist das Virus im Unternehmen verbreitet. Die Berliner Zeitung schrieb am 24. April, dass „einige neuere“ Covid-Erkrankungen „auf Infektionswege innerhalb der BVG zurückzuführen“ seien. Es gäbe Hinweise darauf, dass sich Werkstattmitarbeiter der Omnibus-Betriebshöfe Indira-Gandhi-Straße und Weißensee, aber auch im U-Bahn-Bereich, am Arbeitsplatz angesteckt hätten.
Virologen betonen, dass die größte Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen besteht, und fordern regelmäßiges Lüften. Doch Lüften, „Spuckscheiben“ und die FFP2-Masken unserer Fahrgäste reichen nicht aus, um uns Fahrer wirkungsvoll zu schützen. Wir haben keinen genügenden Abstand zu den Fahrgästen, wenn diese die Vordertür benutzen und in der ersten Sitzreihe hinter uns sitzen!
Die katastrophalen Erfahrungen aus dem ÖPNV in New York und in London haben gezeigt: Busse und Bahnen bergen die Gefahr von Corona-Hotspots in sich!
Unsere Kollegen beim städtischen Pariser Verkehrsunternehmen (RATP) haben sich gegen den Abbau der Abschirmung zum Fahrgastraum, die Öffnung des Vordereinstiegs und Fahrkartenverkauf gewehrt. Als das Unternehmen die Maßnahmen trotzdem durchsetzte, stellte eine Untersuchung fest, dass sich die Neuinfektionen unter den 16.000 Pariser Busfahrern verdreifacht hatten. Allein im März gab es 307 neu infizierte Busfahrer! Darauf entschied ein Gericht, dass die Abschirmung zum Fahrgastraum wieder aufgebaut werden muss, weil die Ansteckungsgefahr zu hoch ist.
In Italien, mit 300 Toten und 30 000 Neuinfektionen pro Tag, kämpfen Fahrer in vielen kleinen Streiks und Protesten für eine sofortige Impfung, für echten Schutz vor Ansteckung und gegen die dort eingesetzten, die Gesundheit beeinträchtigenden Desinfektionsmittel.
In einigen Regionen Italiens bekommen alle Fahrer, die sich wegen Unverträglichkeit der Desinfektionsmittel krankschreiben lassen, den Lohn halbiert und werden suspendiert. Ziel ist es, die Fahrer daran zu hindern, sich aus Protest, Unverträglichkeit oder Angst vor Ansteckung krank zu melden.
Es gibt nur einen Grund, warum der BVG-Vorstand die Öffnung der Vordertüren der Busse mit Brachialgewalt durchsetzen will: Profit.
In seiner bekannt aggressiven Weise betonte der Vorstand, dass der Vordereinstieg notwendig sei, um den Fahrkartenverkauf wieder aufzunehmen. Das Unternehmen habe infolge der Pandemie im vergangenen Jahr hohe Verluste gemacht, die durch den Senat mit 144 Millionen Euro ausgeglichen werden mussten.
Hinter dem Landesunternehmen BVG steht der Berliner Senat unter der Leitung von SPD, Grüne und Linkspartei. Sie vertreten dieselbe reaktionäre kapitalistische Profit-vor-Leben-Politik wie die Bundesregierung. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der BVG ist, hat in enger Zusammenarbeit mit den Linken und der SPD zum Jahresanfang Eva Kreienkamp zur neuen BVG-Chefin gemacht, um das Unternehmen auf Profit zu trimmen.
Kreienkamp verdiente sich ihre Sporen im Management der Allianz Versicherung, wo sie in zehn Jahren die Position der Senior Vice President übernahm, bevor sie über Umwege zur Mainzer Verkehrsgesellschaft wechselte und dort ein drastisches Rationalisierungsprogramm durchsetzte. Nun will sie die BVG aufmischen. Der Machtkampf über die Fronttür-Öffnung und die Feindschaft gegen die Beschäftigten ist der Auftakt zu sehr weit reichenden Sozialangriffen.
Kein Vertrauen in Verdi und den Personalrat!
Die gegenwärtige Protest-Aktion von Verdi kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Gewerkschaftsfunktionäre uneingeschränkt auf der Seite der Unternehmensleitung stehen und die Öffnung des Vordereinstiegs längst akzeptiert haben.
Ein Brief des Personalrats BO Süd an die Kolleginnen und Kollegen vom 22. April bezeichnet die Entscheidung lediglich als „voreilig“. Man prüfe „alle rechtlichen Möglichkeiten“. Statt zu einem Streik gegen den potentiell mörderischen Plan aufzurufen, erarbeitet der Verdi-Personalrat bereits Vorschläge zu seiner Umsetzung. So müssten „die Dienste angepasst werden“ und die „Frage mit der Ausstattung von FFP2 Masken“ gelöst werden.
Verdi und die Senatsparteien bilden eine Personalunion. Ihre Funktionäre, darunter Verdi Landesfachbereichsleiter Verkehr, Jeremy Arndt, sitzen im BVG-Aufsichtsrat und haben dort alle Entscheidungen gegen die Belegschaft abgesegnet. Unter jeder Betriebsvereinbarung zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen steht die Unterschrift des Personalrats.
Schon seit dem letzten Tarifvertrag ist verankert, dass Beschäftigte ein Zwölftel ihrer Jahresprämie von 1.200 Euro verlieren, wenn sie länger als sechs Wochen wegen der gleichen Erkrankung ausfallen. Sechs Wochen bei einer Covid-Erkrankung sind extrem schnell aufgebraucht, wenn wir nur an die gesundheitlichen Auswirkungen eines etwas schwereren Verlaufs denken mit Long-Covid-Folgen, geschweige denn bei einer Krankenhausbehandlung!
Noch vor wenigen Tagen lobten die Personalräte im Chor mit Verdi die „mit Augenmaß“ und „Sorgfalt“ betriebene Pandemiepolitik der BVG.
Wenn Arndt die heutige Kundgebung in seinem Whatsapp-Aufruf als „ein gutes Warmlaufen für die Tarifrunde“ bezeichnet, sollten wir das als Warnung verstehen. Seine Opposition gegen das Öffnen der Vordertüren ist reine Heuchelei.
In fast allen Städten Deutschlands sind die Vordertüren für die Fahrgäste seit Mitte 2020 geöffnet, ohne dass Verdi etwas dagegen unternommen hätte. Bundesweit sind viele Busfahrer erkrankt und teilweise gestorben. So mussten zum Beispiel in Weißenfels (Sachsen) zwei Buslinien eingestellt werden, weil wegen der hohen Covid-Fälle (darunter zwei an Corona verstorbene Busfahrer) unter den Fahrern der Verkehr nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte.
Der Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie, für gute Löhne und einen sicheren Arbeitsplatz erfordert einen Bruch mit den Gewerkschaften und ihrer reaktionären Sozialpartnerschaft.
Wir haben das Aktionskomitee für sichere Arbeitsplätze ins Leben gerufen, weil wir nicht länger bereit sind die gefährlichen Arbeitsbedingungen und die systematische Vertuschung der Infektionszahlen bei der BVG und in anderen Verkehrsbetrieben hinzunehmen. Wir wollen den wachsenden Widerstand unabhängig von den Bundestagsparteien und Gewerkschaften organisieren und international koordinieren.
Wir fordern:
• Die Vordertüren bleiben geschlossen, kein Fahrkartenverkauf und Wiedereinbau der Plastikvorhänge mit hoher Befestigungsqualität!
• Keine weiteren Vertuschungen! Sofortige Offenlegung und Bekanntgabe aller Infektionen innerhalb der Belegschaft und unter den Reinigungskräften für die BVG-Fahrzeuge. Sofortige Benachrichtigung aller Kollegen per Unternehmens-App.
• Qualitativ hochwertige und tägliche Desinfektion der Fahrzeuge unter vollständigem Schutz des Reinigungspersonals!
• Keine Sanktionen gegen Kollegen, die aus Angst vor Ansteckung ihren Dienst nicht versehen! Keine Schikanen gegen Kollegen, die persönlich und in sozialen Netzwerken über Sicherheitsbedenken sprechen und Informationen austauschen.
• Sofortige und regelmäßige Testpflicht für alle, kostenfrei und während der Arbeitszeit, und Kontaktverfolgung vor Ort für alle Beschäftigten der Betriebshöfe.
• Sofortige Aufnahme der Impfungen für alle Mitarbeiter durch die Betriebsärzte der BVG.
Wir Busfahrer und Mitarbeiter im Transport und Öffentlichen Nahverkehr sind weltweit der Pandemie schutzlos ausgeliefert. Auf allen Kontinenten wächst der Kampf unserer Kollegen gegen die Politik der Regierungen und die Zwangsjacke der Gewerkschaften, die uns von einem gemeinsamen, koordinierten Kampf abhalten wollen.
Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Kollegen in London, auf dem Busbetriebshof Cricklewood, und mit Arbeitern in anderen Ländern.
Wir begrüßen den Aufbau einer Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees, zu deren Gründung das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) auf einer Online-Kundgebung am 1. Mai aufrufen.
Die Allianz wird ein Instrument sein, mit dem Arbeiter auf der ganzen Welt einen vereinten Kampf organisieren können, um den Schutz der Beschäftigten, die Schließung unsicherer Betriebe und nicht notwendiger Produktionsstätten und andere Notfallmaßnahmen durchzusetzen, die notwendig sind, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen.
Nehmt mit uns Kontakt auf und treten unserer Facebook-Gruppe bei!
Es ist Zeit aktiv zu werden! Es genügt nicht, die kriminelle Verantwortungslosigkeit der Unternehmer, der Regierung, Parteien und Gewerkschaften anzuklagen, es ist notwendig dagegen zu kämpfen.