Indische Autoarbeiter streiken gegen unsichere Arbeitsbedingungen während der Pandemie

Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu haben Streiks und Proteste der Autoarbeiter gegen unsichere Arbeitsbedingungen mehrere Unternehmen, darunter die indischen Niederlassungen von transnationalen Konzernen wie Ford, zu einer vorübergehenden Stilllegung der Produktion gezwungen. Dutzende Arbeiter sind an Covid-19 gestorben, das sich in Indien wie ein Tsunami ausbreitet. Viele weitere haben sich infiziert. Unter den Arbeitern wächst die Wut über die mörderischen Bestrebungen der Konzerne und der indischen Zentral- und Bundesstaatsregierungen, sie zur Rückkehr an die Arbeit zu zwingen, um Profite für die Autokonzerne zu erarbeiten und dabei ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen zu riskieren.

Angesichts der Wut der indischen Bevölkerung über die katastrophale Reaktion auf die Pandemie musste die amtierende Regierungspartei von Tamil Nadu, die Dravida Munnetra Kazhagam (DMK), die erst vor kurzem an die Macht gekommen war, letzten Monat einen Lockdown verhängen. Allerdings erlaubte die DMK, ein enger Verbündeter der Kongresspartei und ihrer stalinistischen Verbündeten, die uneingeschränkte Fortsetzung der Tätigkeit in allen großen Industriebetrieben. Diese profitgetriebene Entscheidung verdeutlicht, dass sie den Kurs der indischen Zentralregierung und der regierenden hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata Party (BJP) teilen, den Profiten Vorrang vor Menschenleben einzuräumen. Daher hat sie während der ganzen Pandemie eine Politik der „Herdenimmunität“ vertreten.

Um auch den aktuellen begrenzten Lockdown zu beenden und jedes Hindernis für die Profitanhäufung der transnationalen Konzerne und ihrer indischen Partner und Kunden aus dem Weg zu räumen, veröffentlichte der Chief Minister von Tamil Nadu M.K. Stalin am 1. Juni eine Videobotschaft, in der er zynisch erklärte: „Wir können den Lockdown nicht weiter verlängern, er muss bald enden. Es liegt nur in den Händen der Bevölkerung.“

Autoarbeiter in einem Toyota-Werk (Quelle: Wikimedia Commons) [Photo by Bertel Schmitt / CC BY-SA 3.0]

Die Arbeiterklasse hingegen hat die Einhaltung wissenschaftlich begründeter Lockdown-Maßnahmen in der Industrie gefordert. Nachdem letzten Monat bei Hyundai und Renault-Nissan aufgrund von Protesten, Arbeitsniederlegungen und Streikdrohungen gegen fehlende Sicherheitsmaßnahmen gegen Covid-19 die Produktion eingestellt werden musste, folgten Arbeiter vieler weiterer Konzerne dem Beispiel.

Nachdem am 27. Mai 950 Arbeiter des Ford India Private Ltd.-Werks in Chennai aus Protest gegen fehlende Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 das Kantinenessen in der Mittagspause boykottierten, musste das Unternehmen die Produktion für zwei Tage einstellen. Die Arbeiter forderten von Ford India, als Frontkämpfer gegen Covid-19 behandelt zu werden, da sie während der Pandemie ihr Leben riskieren. Sie forderten außerdem eine Entschädigung für ihre Familien in Höhe von fünf Millionen Rupien (68.357 US-Dollar), falls sie während der Arbeit an Covid-19 sterben.

Weiter forderten sie die vollständige Erstattung der Behandlungskosten im Falle einer Infektion mit Covid-19 durch das Management sowie die Schließung des Werkes während des Lockdowns mit vollem Lohnausgleich für die Arbeiter. In Chennai (Tamil Nadu) haben sich mehr als 230 Arbeiter infiziert, zwei davon sind gestorben.

Der Hydraulikzylinderhersteller Wipro Enterprises Pvt. Ltd. stellte angesichts der Unruhe in seiner Belegschaft über die Ausbreitung des Virus am 28. Mai für drei Tage die Produktion ein. Die Gewerkschaft im Werk, die Teil der United Labour Federation (ULF) ist, hat vor dem Madras High Court gegen die Fortsetzung der Produktion durch das Unternehmen und die Erlaubnis der Regierung von Tamil Nadu geklagt, während des Lockdowns weiter zu produzieren. Auf diese Weise versucht sie, den Widerstand der Arbeiter von der Vorbereitung und Aufnahme von Arbeitskämpfen abzulenken. Letzte Woche wies das gleiche Gericht einen ähnlichen Antrag der maoistischen Gewerkschaft bei Renault-Nissan zurück und erklärte: „Die Gesundheit der Arbeiter ist zwar wichtig, aber wenn die Industrien zusammenbrechen, haben sie keinen Arbeitsplatz mehr.“

Der Zweiradhersteller Eicher Motors, der u.a. das Motorradmodell Bullet herstellt, kündigte einen dreitägigen Shutdown ab dem 27. Mai an. Zuvor hatte der japanische Zweiradhersteller India Yamaha Motor aufgrund der Proteste von Arbeitern gegen unsichere Arbeitsbedingungen seine beiden Werke vom 15. Mai bis zum 31. Mai geschlossen. Royal Enfield, ein weiterer Zweiradhersteller, stellte ab dem 27. Mai für drei Tage den Betrieb in seinen Werken in Thiruvottiyur, Vallam Vadagal und Oragadam ein. Als Grund nannte er den landesweiten Anstieg der Infektionen zwischen dem 13. und 16. Mai.

Die Streiks und Werksschließungen in ganz Tamil Nadu ereignen sich in einer Lage, in der in ganz Indien Werke aufgrund der wachsenden Wut der Arbeiter geschlossen werden müssen, Teile knapp werden und die Zahl der Corona-Toten steigt. Zu den großen indischen Autowerken, die letzten Monat die Produktion einstellen mussten, gehörten das Toyota Kirloskar Motors-Werk in Bidadi bei Bangalore, der Hauptstadt von Karnataka; das MG Motor India-Werk in Halol; und die Mahindra-Werke in Chakan, Nashik und Mumbai (alle drei im Bundesstaat Maharashtra).

Die steigenden Infizierten- und Todeszahlen unter Arbeitern in der Autoindustrie und anderen Branchen sind das Ergebnis der mörderischen Herdenimmunitätspolitik, die die Modi-Regierung und die Bundesstaatsregierungen im ganzen Land verfolgt, einschließlich der DMK-Regierung und ihrer Vorgängerregierung unter der AIADMK in Tamil Nadu. Als die Zahl der Corona-Fälle im März exponentiell anstieg, weigerte sich Modi, einen Lockdown anzuordnen, um die Übertragungsketten zu durchbrechen und erklärte in einer Rede am 20. April, er werde „das Land vor dem Lockdown retten“ – nicht jedoch vor dem tödlichen Virus. Die Bundesstaatsregierungen haben bestenfalls Teil-Lockdowns umgesetzt, aber die global vernetzten Auto- und Zulieferfabriken davon ausgenommen. So konnten sich noch mehr Arbeiter infizieren und sterben.

Die Forderung von Chief Minister Stalin nach einer „vollständigen Einstellung“ des derzeitigen Lockdowns zeigt, dass es seiner Regierung und der ganzen herrschenden Elite Indiens nur darum geht, die Profite der Investoren zu schützen. Das Leben und das Wohlergehen der Arbeiter angesichts der katastrophalen Corona-Pandemie hingegen ist ihnen gleichgültig. Diese selbstsüchtigen Klasseninteressen bestimmen die Politik der wirtschaftsfreundlichen Regierungen aller politischen Richtungen in ganz Indien.

Indien verzeichnete von Mittwoch auf Donnerstag 127.000 neue Covid-19-Fälle und 2.795 Todesfälle. Die Öffnung von Industriezweigen und Schulen wird nur in eine neue Katastrophe führen. In Tamil Nadu gab es 26.513 neue Corona-Fälle und 490 Todesfälle. Der südwestliche Bundesstaat Karnataka verzeichnete im gleichen Zeitraum 14.304 neue Fälle und 464 Tote. Andere indische Großstädte verzeichneten in den letzten vierundzwanzig Stunden neue Masseninfektionen: 2.467 in Chennai, 1.032 in Kolkata, 831 in Mumbai, 623 in Delhi.

Indiens zwei große stalinistische Parteien, die Kommunistische Partei Indiens – Marxisten (KPM) und die Kommunistische Partei Indiens (KPI) sowie die mit ihnen verbündeten Gewerkschaften tragen die politische Verantwortung für das Leid der Arbeiter in Tamil Nadu während der Pandemie. Sie haben sich in der Bundesstaatswahl im April einem Wahlbündnis unter Führung der DMK angeschlossen, zu dem auch die kapitalistische Kongresspartei gehört. Damit haben sie der rechten DMK geholfen, sich als „arbeiterfreundlich“ und als Kämpferin für „soziale Gerechtigkeit“ zu inszenieren. Jetzt unterstützen die Stalinisten die DMK-Regierung, die sich trotz der tödlichen landesweiten Infektionswelle weigert, die Industrie stillzulegen.

Die Verteidigung des Lebens und der grundlegenden sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiter gegen die Politik der Modi-Regierung und der bürgerlichen herrschenden Elite erfordert einen politischen und organisatorischen Bruch mit den stalinistischen Parteien und den ihnen nahestehenden Gewerkschaften. Die Arbeiter brauchen ihre eigenen unabhängigen Aktionskomitees, um gegen die globale Pandemie und die mörderische Politik der herrschenden Elite zu kämpfen. Zu diesem Zweck hat das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) aufgerufen.

Der Kampf gegen die Pandemie ist ein globaler Kampf gegen den Weltkapitalismus. Dieses System hat gezeigt, dass es nichts gegen die Ausbreitung des Virus unternehmen kann, weil das gesamte sozioökonomische Leben dem Streben nach Profit für die Investoren untergeordnet wird. Die Arbeiterklasse muss weltweit für sozialistische Politik kämpfen, damit Menschenleben und die sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung Vorrang vor den räuberischen Profitinteressen der Wirtschafts- und Finanzelite haben.

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