Türkische Arbeiter des Windflügel-Herstellers TPI nach Rebellion gegen Tarifvertrag entlassen

Arbeitern von TPI Composites in der Türkei, die einen Streik am 22. Juni vorbereitet haben, drohen Entlassungen. Die Gewerkschaft Petrol-İş, die zum Gewerkschaftsbund Türk-İş gehört, hatte Anfang Juni heimlich einen Tarifvertrag mit TPI unterzeichnet, einem Hersteller von Rotoren für Windräder mit Sitz in den USA. Der Vertrag sieht den Ausverkauf der Rechte der Arbeiter vor.

Die Arbeiter, die an der Spitze der Massenproteste gegen das Tarifabkommen standen, gerieten deshalb in Konflikt mit der Gewerkschaft und traten aus. Sie sind vom Unternehmen bereits entlassen worden. Der Konzern arbeitete offen mit der Gewerkschaft zusammen, um die Entlassungen durchzusetzen.

Kurz vor dem Verrat der Gewerkschaft und den Massenprotesten von Arbeitern bei TPI hatten die Arbeiter beim Energiekonzern Bedaş in Istanbul einen spontanen Streik begonnen und sich damit dem offiziellen Streikverbot in der Energiebranche widersetzt. Ihr Protest richtete sich gegen die Armutslöhne, die ein Tarifvertrag festgelegt hatte, der von der Gewerkschaft zum Vorteil des Unternehmens ausgehandelt wurde.

Die wachsende Militanz unter Arbeitern in der Türkei ist Teil eines internationalen Wiederauflebens des Klassenkampfs. Der Streik beim Autohersteller Volvo in den USA steht bei diesem weltweiten Aufschwung an vorderster Stelle. Dort haben die Arbeiter ein Aktionskomitee gegründet, um ihre Forderungen durchzusetzen und den Kampf unabhängig von der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) zu führen. Die UAW handelt im Interesse des Unternehmens.

Die Tarifverhandlungen bei TPI begannen vor mehr als fünf Monaten und nach ihrem Scheitern führten die Arbeiter 60 Tage lang Arbeitskampfmaßnahmen durch. So gingen die Arbeiter in dieser Zeit etwa in der Fabrik spazieren, verweigerten Überstunden und lärmten in der Cafeteria. Die Gewerkschaft versuchte, sie mit diesen wirkungslosen „Aktionen“ zu beschwichtigen.

Weil die Gewerkschaft bis Ende Mai noch keine Einigung in den Tarifverhandlungen für die TPI-Werke in Çiğli Sasalı und der Freihandelszone Menemem in Izmir mit insgesamt 3.800 Beschäftigten erzielt hatte, kündigte sie einen Streik ab dem 22. Juni an.

Der Vorsitzende von Petrol-İş Izmir, Orhan Zengin, erklärte in einer Stellungnahme zu den Verhandlungen: „Wir haben bei fast allen Punkten [des Tarifvertrags] einen Konsens erreicht, außer bei den Löhnen, aber damit haben wir ein Problem. ... Wir wollten eine 30-prozentige Erhöhung, aber sie haben uns 20 Prozent angeboten. ... Unser Streik wird am 22. Juni beginnen. Bis dahin sind wir zu Verhandlungen bereit.“

In der Türkei liegt die offizielle Inflationsrate bei 16 Prozent, die tatsächliche Rate bei über 30 Prozent. Eine 30-prozentige Lohnerhöhung würde daher gerade einmal ein Sinken der Reallöhne verhindern. Doch am 3. Juni unterzeichnete die Gewerkschaft hastig einen Tarifvertrag mit dem Unternehmen, ohne die Arbeiter darüber zu informieren oder abstimmen zu lassen.

Dass die Gewerkschaft den Arbeitern nicht einmal mitteilte, dass sie einen Tarifvertrag unterzeichnet hatte, verdeutlicht ihre Verachtung ihnen gegenüber. Von dem Abkommen erfuhren die Arbeiter am Ende von einem Schichtleiter des Werks.

Der Verrat der Gewerkschaft löste bei der Belegschaft von TPI große Wut aus.

Gewerkschaftschef Zengin gab eine Erklärung ab, um die Arbeiter im Werk zu beschwichtigen. Er behauptete, sie hätten den Tarifvertrag in Ankara unter der Aufsicht des Arbeitsministeriums unterzeichnet und forderte dreist die völlige Unterordnung unter den Staat: „Da wir die Verhandlung unter den Augen des Ministeriums führen, gibt es keine Möglichkeit für Diskussionen. Man muss sich fügen. ... Wir sind die Mehrheit, wir haben die Macht, aber man beugt sich hier Recht und Ordnung. Etwas anderes kann man nicht tun.“

Die Arbeiter waren so verärgert über den Verrat der Gewerkschaft, dass sie hinausstürmten, bevor Zengin auch nur seine Rede beenden konnte. Petrol-İş kündigte auf seiner Website erst zwei Tage später die Unterzeichnung des Abkommens an, nannte aber keine Details über den Inhalt.

Ein Arbeiter erklärte gegenüber der Tageszeitung Evrensel: „Im Werk herrscht große Wut … Alle warten auf den Rücktritt des lokalen Gewerkschaftschefs, Orhan Zengin. Sie wollen, dass die Gewerkschaftsvertreter zurücktreten. In der Fabrik herrscht Chaos, wir fühlen uns verraten. Wir wollen, dass die Gewerkschaftsführung, einschließlich der Vertrauensleute in der Fabrik, zurücktreten, und wir wollen Neuwahlen.“

TPI Composites ist einer der weltweit führenden Hersteller von Windflügeln und unterhält Werke in den USA, Mexiko, Dänemark, der Türkei, China und Indien mit insgesamt fast 15.000 Arbeitern. Laut der Eigendarstellung hat das Unternehmen „im Jahr 2020 rund 32 Prozent aller weltweit verkauften Rotoren für landgestützte Windräder auf MW-Basis außerhalb Chinas hergestellt“.

Trotz der weltweiten Pandemie verzeichnete das Unternehmen im Jahr 2020 „einen Rekord-Nettoerlös von fast 1,7 Milliarden Dollar und hat mehr als 10.600 Windflügel hergestellt“. Dabei hat es mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet, um die Arbeiter in den Betrieben zu halten, damit sie trotz gesundheitsgefährdender Bedingungen Profite erwirtschaften.

Nachdem der Tarifvertrag unterzeichnet war, machte sich TPI Composites daran, diejenigen Arbeiter zu bestrafen, die es gewagt hatten, sich gegen die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft auszusprechen. Laut Aussagen von Arbeitern wurden insgesamt 32 Beschäftigte der beiden Werke in unbezahlten Urlaub geschickt. In einem Werk wurden zwei Arbeiter aufgrund des „Verbrechens“ entlassen, die Produktion gestört zu haben. Drei weitere wurden ohne Angabe von Gründen rausgeworfen. Insgesamt sollen zehn Arbeiter entlassen worden sein.

Auf einer Facebook-Seite namens Vereinigung der Petrochemie-Arbeiter zeigten die Arbeiter ihre Reaktionen. Einer schrieb: „Wir müssen zeigen, dass wir keine Sklaven sind. Wenn wir Arbeiter sind, müssen wir uns nehmen, was rechtmäßig uns gehört. ... Wir werden stark und organisiert sein! Dann wird es keine Drohungen, Druck oder Angst geben.“

Ein anderer schrieb: „Das Management und die Gewerkschaftsbosse haben das Glück unserer Kinder gestohlen und das, was nötig ist, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Außerdem bereichert sich einer [die Gewerkschaft] an unseren Mitgliedsbeiträgen, der andere [das Unternehmen] an unserem Schweiß. Wir sollten jetzt aktiv werden!“ Ein anderer TPI-Arbeiter kündigte ebenfalls neue Forderungen an: „Die Entlassenen müssen wieder eingestellt werden. Zehn Prozent zusätzliche Lohnerhöhung. Orhan Zengin sollte zurücktreten. Die Arbeitsbedingungen sollten verbessert werden.“

Ein Arbeiter warf der Gewerkschaft vor, sie habe dem Unternehmen eine Liste von Arbeitern gegeben, die entlassen werden sollten: „Wir wurden gefeuert, weil wir den [von der Gewerkschaft ausgehandelten] Tarifvertrag abgelehnt haben. Die Gewerkschaft hat dem Management unsere Namen gegeben, ihnen gesagt, wir wären Unruhestifter, und deshalb wurden wir entlassen.“

Ein anderer Arbeiter schrieb: „Die einzige Aufgabe der Gewerkschaftsfunktionäre im 21. Jahrhundert ist, sich die eigenen Taschen zu füllen.“

Während die herrschende Klasse angesichts der Corona-Pandemie ihre sozialen Angriffe verschärft und ihre Politik der Herdenimmunität Millionen Todesopfer gefordert hat, nimmt die Arbeiterklasse überall – gegen den Willen der korporatistischen Gewerkschaften – den Kampf auf.

Gegen transnationale Konzerne wie TPI Composites, die ihre Produktion und Strategien gegen die Arbeiter im Weltmaßstab und mit voller Unterstützung der kapitalistischen Regierungen organisieren, brauchen die Arbeiter eine internationale Strategie auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive.

Der Weg vorwärts für die Beschäftigten bei TPI und andere Arbeiter, die weltweit den Kampf aufnehmen, erfordert den Aufbau eigener Aktionskomitees, um zusammen mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern überall auf der Welt Kämpfe vorzubereiten und zu koordinieren. Die Aufgabe besteht nicht darin, die Gewerkschaftsbürokratie im nationalem Rahmen zu reformieren, um eine „bessere Gewerkschaft“ zu schaffen, sondern der Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale ins Leben gerufen hat.

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