Tarifvertrag bei Volvo Trucks in Neuabstimmung mit 17 Stimmen Mehrheit angenommen – Arbeiter werfen UAW Betrug vor

Wie der Ortsverband 2069 der United Auto Workers in Dublin (Virginia) am Mittwochabend um 20:43 Uhr ankündigte, hat die zuvor von den Arbeitern abgelehnte vorläufige Vereinbarung bei der Neuabstimmung eine Mehrheit von siebzehn Ja-Stimmen erhalten. Kaum eine halbe Stunde nach der Ankündigung wies die UAW die Arbeiter an, ihren Streik sofort zu beenden.

Laut dem Ortsverband wurden für den allgemeinen Teil des Vertrags insgesamt 2.369 Stimmen abgegeben, davon 1.193 „Ja“- und 1.176 „Nein“-Stimmen, was nur einer Mehrheit von 50,3 Prozent entspricht. Die UAW behauptet, der Teil des Tarifvertrags, der die Arbeiter betrifft, sei mit einer ähnlich geringen Mehrheit von 1.147 zu 1.130 Stimmen angenommen wurden. Der Abschnitt, der Angestellte betrifft, sei mit 54 „Nein“- und 40 „Ja“-Stimmen angenommen worden.

Streikende Arbeiter bei Volvo Trucks in Dublin (Virginia) am 26. Juni 2020 (UAW-Ortsverband 2069, Facebook)

In den sozialen Netzwerken äußerten Arbeiter sofort ihre Empörung und ihren Abscheu. Viele stellten die Legitimität des Ergebnisses in Frage und warfen der UAW Betrug und Wahlfälschung vor. Andere forderten entweder eine Neuauszählung oder eine neue Abstimmung. In einem oft geteilten Kommentar heißt es: „Neuabstimmung! Zu knapp für ein gültiges Ergebnis!“ Ein anderer schreibt: „Klingt, als hätten sie die Bekanntgabe des Ergebnisses gerade lang genug verzögern können, um die nötigen Stimmen auszutauschen... Die Abstimmung ist manipuliert.“

Ein Volvo-Arbeiter äußerte gegenüber der World Socialist Web Site seine von vielen geteilte Überzeugung: „Ich bin mir sicher, irgendwo stand ein Lkw mit einer Kiste voll ‚Ja‘-Stimmen. Die UAW und Volvo haben von Anfang an darüber nachgedacht, wie sie uns diesen Kuhhandel am besten verkaufen können.“

Die UAW hat den Arbeitern genügend Gründe geliefert, ihr einen Wahlbetrug zuzutrauen. Die Ratifizierung wurde mehr als drei Stunden nach Beendigung der Abstimmung bekanntgegeben, was eine längere Verzögerung bedeutet als bei den letzten drei Abstimmungen, die allesamt mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurden. In dieser Zeit hat sich der Präsident des UAW-Ortsverbandes 2069 Matt Blondino zweifellos in der Gewerkschaftszentrale, die den irreführenden Namen „Solidarity House“ trägt, mit anderen hohen Gewerkschaftsfunktionären darüber beraten, wie es weitergehen soll.

Die Verantwortliche für den Abstimmungsprozess war Missy Edwards, die Vorsitzende des Wahlkomitees von Ortsverband 2069, die im Vorfeld der Abstimmung am Mittwoch für ein „Ja“ geworben hatte. Anfang der Woche hatte sie den Arbeitern erklärt, sie würden unabhängig vom Ergebnis der Abstimmung an die Arbeit zurückkehren müssen.

Arbeiter erfuhren am frühen Abend zudem aus internen Quellen, dass ein Satz Schlüssel für die Wahlurnen auf mysteriöse Weise verloren gegangen war. Andere Arbeiter warfen auf Facebook Fragen nach der Diskrepanz zwischen der Gesamtzahl von 2.369 Abstimmungen für den „allgemeinen Teil“ des Vertrags und der Gesamtzahl von 2.371 Stimmen für die Teile für Arbeiter und Angestellte auf.

Da das gesamte Vorgehen der UAW während der Tarifverhandlungen von Betrug und Verrat geprägt war, sollte auch ihrer Behauptung, der Vertrag sei ratifiziert, nicht ohne Weiteres Glauben geschenkt werden.

Kurz nachdem der UAW-Ortsverband 2069 die Abstimmungsergebnisse veröffentlichte, gab „UAW International“ eine zynische und unaufrichtige Erklärung heraus. Der neue UAW-Präsident Ray Curry erklärte: „Bei Volvo kam der demokratische Prozess zum Tragen. Die UAW-Mitglieder standen in ihrem Streik zusammen, jetzt wurden das allgemeine Abkommen und das Abkommen für die Arbeiter trotz des Verhaltens des Unternehmens Anfang der Woche ratifiziert.“

In Wirklichkeit hat die UAW beharrlich mit Volvo zusammengearbeitet, um sich über jeden Anschein eines „demokratischen Prozesses“ hinwegzusetzen und das „Verhalten des Unternehmens“ bei der Durchsetzung eines Abkommens zu decken, das von den Arbeitern abgelehnt wurde.

Die UAW hat die Abstimmung am Mittwoch gegen den Willen der Mehrheit der Arbeiter durchgeführt, die am Freitag die dritte vorläufige Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft mit 60 Prozent abgelehnt hatten. Auch die dritte vorläufige Vereinbarung beinhaltete nur wenige Änderungen gegenüber den zwei früheren von der UAW unterstützten Abkommen, die von den Arbeitern mit 90 Prozent abgelehnt wurden.

Die Unterbrechung der Produktion und die Verzögerungen bei der Erfüllung von Aufträgen entwickelten sich für Volvo am Wochenende zu einer Krise. Aus diesem Grund und angesichts der Unterstützung von Arbeitern in den USA und weltweit für den Streik und das Aktionskomitee der Volvo-Arbeiter kündigte das Unternehmen am Sonntag an, es befinde sich in einer „Pattsituation“ in den Tarifverhandlungen mit der UAW. Es bezeichnete die dritte Vereinbarung rückwirkend als das „letzte, beste und endgültige Angebot“ und unternahm den außerordentlichen Schritt, den abgelehnten Tarifvertrag ab Montag dieser Woche in Kraft zu setzen.

Das Unternehmen hätte nicht unverhohlen Streikbruch begehen können, wenn die UAW nicht zu einer Neuabstimmung über die dritte Vereinbarung aufgerufen und den Arbeitern weisgemacht hätte, dieser Schritt sei gesetzlich vorgeschrieben. Gleichzeitig versuchte die Gewerkschaft, Verwirrung und Demoralisierung zu schüren, indem sie den Arbeitern erklärte, der Tarifvertrag werde unabhängig vom Ergebnis der Abstimmung in Kraft treten und der Streik beendet werden.

Ein anderer Volvo-Arbeiter sagte gegenüber der WSWS: „Die ganze zweite Abstimmung war Schwachsinn. Das haben sie gemacht, um den Leuten etwas über die eine ‚Pattsituation‘ vorzulügen und elf Prozent der ‚Nein‘-Stimmen als ‚Ja‘-Stimmen zu zählen. Die [UAW] International war der Hauptschuldige, und unsere Funktionäre [vom Ortsverband] haben mit ihnen zusammengearbeitet.“

Die tatsächliche Haltung der UAW gegenüber dem „demokratischen Prozess“ und Arbeiterrechten – d.h. ihre völlige Verachtung, was sie betrifft – verdeutlicht die Tatsache, dass sie siebzehn Stimmen und einen Vorsprung von 0,3 Prozent für ausreichend hält, um ihren Deal mit dem Unternehmen zu ratifizieren, aber hunderte Stimmen und 60 Prozent Nein-Stimmen nicht ausreichten, um ihn abzulehnen.

Die Abstimmung am Mittwoch wurde von der UAW in böser Absicht durchgeführt und ist der Höhepunkt einer Strategie, die sie mindestens seit Anfang des Jahres betrieben hat, um die Bedingungen des Unternehmens durchzusetzen und die Forderungen der Arbeiter zu unterdrücken.

Die UAW hat jedoch nicht mit dem Ausmaß und der Intensität des Widerstandes der Arbeiter gegen das Abkommen mit Volvo gerechnet. Obwohl die meisten Arbeiter nur die von der Gewerkschaft sorgfältig ausgewählten „Highlights“ erfuhren, war klar, dass die Abkommen eine beträchtliche Erhöhung der Gesundheitskosten beinhalten, die Gesundheitsversorgung von Rentnern in Frage stellen, die Erhöhung der Spitzenlöhne unterhalb der Inflation bleiben und das mehrstufige System von Lohn- und Zusatzleistungen als mehrjährige „Lohnprogression“ erhalten bleibt.

Als sie bei den Abstimmungen über die ersten beiden Tarifverträge im Mai und Juni feststellte, dass sie den Widerstand der Arbeiter nicht so leicht unterdrücken konnte, versuchte die UAW, die Streikenden zu isolieren und mit einem Streikgeld von nur 275 Dollar pro Woche auszuhungern. Die UAW unterdrückte fast alle Nachrichten über den Streik, hielt die Arbeiter über die Verhandlungen im Dunkeln und informierte andere Autoarbeiter nicht einmal darüber, dass überhaupt ein Streik stattfand.

Die streikenden Volvo-Arbeiter haben monatelang immensen Mut und Entschlossenheit bewiesen. Letzten Endes wurden sie nicht von dem Unternehmen besiegt, sondern von der UAW verraten. Mit Sicherheit werden Volvo und die UAW jetzt diktatorische Bedingungen für die zurückkehrenden Streikenden schaffen, um sie zu schikanieren und diejenigen Arbeiter auszusondern, die die größte Militanz gezeigt haben.

Der leitende Manager des Volvo-Werkes in New River Valley Franky Marchand gab am Mittwochabend eine Erklärung ab, die von Associated Press zitiert wurde und einen Eindruck vom korporatistischen Charakter des Deals und von Volvos Zufriedenheit mit dessen scheinbarer Durchsetzung vermittelt. Marchand erklärte, der Tarifvertrag erlaube es dem Unternehmen, „das langfristige Wachstum und die Lebensfähigkeit des Werkes zu garantieren“.

Er fuhr fort: „Wir werden uns jetzt darauf konzentrieren, die Lastwagen so schnell wie möglich an unsere Kunden zu liefern und die Beziehung zu unseren Beschäftigten zu stärken.“ Diese Worte sollten die Arbeiter als Warnung vor der brutalen Verschärfung der Arbeitshetze und der Arbeitsbedingungen verstehen.

Doch der Kampf bei Volvo ist noch lange nicht vorbei. Er birgt bereits jetzt höchst wichtige Lehren für Arbeiter auf der ganzen Welt.

Erstens entwickelte sich der Streik selbst als Teil einer wachsenden Bewegung gegen Forderungen der Konzerne und ihrer Anhängsel in den Gewerkschaften, neue Zugeständnisse durchzusetzen und die Forderungen der Arbeiter nach beträchtlichen Lohnerhöhungen abzublocken. Dieses Jahr wurden bereits mehrere Tarifverträge mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, u.a. bei Warrior Met Coal in Alabama, dem Bergbaukonzern Vale in Kanada und vor Kurzem bei Frito-Lay, einer Tochterfirma von PepsiCo in Topeka (Kansas).

Zweitens widerlegt die verräterische Rolle der UAW unbestreitbar die Behauptungen aller politischen Tendenzen innerhalb der Pseudolinken, die Gewerkschaften verträten die Arbeiterklasse. Mit ihren Bestrebungen, die Forderungen des Unternehmens zu erfüllen, hat die UAW die Rolle der Gewerkschaftsvorstände noch weiter entlarvt. Sie agieren als Vollstrecker der Konzerne und stehen den Interessen der Arbeiter feindselig gegenüber.

Drittens – und dies ist bisher einzigartig in den Kämpfen der Industriearbeiter in jüngerer Vergangenheit – hat der Widerstand bei Volvo durch die Gründung des Volvo Workers Rank-and-File Committee eine in hohem Grade bewusste und organisierte Form angenommen. Die Erklärungen und Aktionen des Komitees haben der Entschlossenheit und den Forderungen der Arbeiter in dem Werk in New River Valley Ausdruck verleihen. Sie haben nicht nur die Arbeiter dieses Werks inspiriert, sondern auch die von Mack Trucks sowie Autoarbeiter im ganzen Land und weltweit, darunter in Volvo-Werken in Belgien und Australien.

Um die bereits entstehenden und noch bevorstehenden Kämpfe zu führen und zu vereinen, ist es wichtiger denn je, das Volvo Workers Rank-and-File Committee weiterzuentwickeln und das Netzwerk von Arbeiterkomitees weltweit auszubauen.

Volvo-Arbeiter können sich unter volvowrfc@gmail.com oder per Textnachricht unter (540) 307-0509 mit dem Volvo Workers Rank-and-File Committee in Verbindung setzen.

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