Gorillas-Fahrer protestieren erneut für bessere Arbeitsbedingungen

Am 17. Juli protestierten erneut Rider (Fahrer) des Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas gegen katastrophalen Arbeitsbedingungen und miserable Löhne.

Der Protest begann am Lagerhaus im Stadtteil Tempelhof. Gegen Mittag beschlossen die Beschäftigten, die Arbeit in dem Lager einzustellen und von dort mit einem Fahrradkorso zum nächsten Lager im nahegelegenen Neukölln zu fahren. Dort wollten sie die Rider in den Streik und die Demonstration einbeziehen.

Farradkorso der streikenden Gorillas-Arbeiter

Neben den Beschäftigten von Gorillas fanden sich auch Unterstützer des Protests ein. Der Arbeitskampf findet unter Arbeitern große Unterstützung. Mehrere Teilnehmer, mit denen die World Socialist Web Site sprach, wiesen auf die prekären Bedingungen hin.

Beschäftigte kritisieren die noch immer mangelhafte und gefährliche Ausstattung, die trotz der andauernden Proteste aus Kostengründen vom Management nicht angeschafft wird. Fernando, einer der Rider, merkte an, dass nicht einmal ordentliche Regenkleidung vorhanden sei. Auch seien die Lieferungen für die Rucksäcke und Fahrräder häufig viel zu schwer.

Der streikende Gorillas-Rider Fernando im Gespräch mit SGP-Spitzenkandidat Christoph Vandreier

Eine Organisatorin der Proteste stellte klar, dass sich der Protest gegen die „schlechten Arbeitsbedingungen“ bei Gorillas richte. Vor Wochen habe man der Geschäftsleitung eine Liste mit Forderungen übergeben und „praktisch keine der Forderungen wurde bis heute erfüllt“. Die Liste mit 19 Forderungen enthält unter anderem gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Bezahlung von Überstunden und bessere Arbeitsmittel, darunter Lüftungsanlagen in allen Warenhäusern und Fahrräder, mit denen die Ladung besser transportiert werden kann. Eine Hauptforderung ist die umgehende Zahlung ausstehender Löhne. Ende vergangenen Monats wurde nach Angaben von Beschäftigten zu wenig Lohn ausbezahlt.

Auf die Frage, ob sich auch Beschäftigte anderer Lieferdienste dem Protest anschließen sollten, erklärte sie: „Jeder Arbeit steht mehr oder weniger vor den selben Problemen“. Dies bestätigte ein Teilnehmer der Demonstration, der beim Lieferdienst Lieferando beschäftigt ist. Auch er beklagte die „schlechte Bezahlung“. Ein Kollege sei dort gekündigt worden, weil er Schutzmaßnahmen gegen Corona-Infektionen eingefordert hatte. Grundsätzlich seien die Probleme „sehr ähnlich“ gegenüber denen der Gorillas-Rider. Auch in seinem Betrieb herrschten lange Probezeiten vor und sei alles bewusst intransparent gehalten.

Gorillas-Arbeiter stimmen über Streik ab

Damit bildet die Hire and Fire-Politik bei Gorillas keine Ausnahme unter den Lieferdiensten. Vor einigen Wochen führte die Kündigung eines Riders bei Gorillas zu einem spontanen Protest infolge dessen zwei Lager blockiert wurden. Der Lieferando-Arbeiter ist gekommen, um seine Kollegen zu unterstützen und die Proteste auf alle Liefer-Unternehmen auszuweiten.

Auch Oguz, der als Forscher an der Technischen Universität in Berlin tätig ist, beteiligte sich an dem Protest, um sich solidarisch mit den Ridern zu zeigen. Er hatte mit Beschäftigten von Lieferdiensten gesprochen und diese hätten ihm ebenfalls bestätigt, dass sie ihre Löhne nicht pünktlich erhalten. „Diese Leute haben keine Rücklagen, wenn sie ihre Miete bezahlen müssen“, merkt Oguz dazu an.

Während die Forderungen und der Protest nur allzu berechtigt sind, zeigt sich immer deutlicher, dass die Beschäftigten mit einem rücksichtslosen Management konfrontiert sind. Während CEO Kagan Sümer bisher immer Verständnis für die Rider heuchelte und führende Köpfe des Unternehmens mehrmals erklärten, man werde Verbesserungen einführen, zeigte sich am Samstag, dass dies nicht mehr als hohle Phrasen sind. Tatsächlich ist das milliardenschwere Start-Up dazu bereit, mit den Beschäftigten in eine direkte Konfrontation zu gehen.

Nachdem der Fahrradkorso am frühen Nachmittag zum Lager in der Urbanstraße ziehen sollte, schritt das Management ein. Der Warehouse-Manager des Standortes in Tempelhof weigerte sich, den Ridern Schlüssel für die Fahrräder heraus zu geben um diese an der Teilnahme des Fahrradkorsos zu hindern.Nachdem dann auch die anwesende Polizei das Management unterstützte und erklärte, dass die Demonstration nicht Teil des Streiks sei und das Firmeneigentum damit nicht verwendet werden dürfe, waren viele Teilnehmer gezwungen, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Neukölln zu gelangen.

Nachdem die Protestierenden in der Urbanstraße angekommen waren, war das Lager bereits geschlossen worden und laut der Gorillas-App waren Bestellungen in diesem Kiez zur Zeit nicht möglich. Ein City Manager des Unternehmens untersagte den Beschäftigten des Neuköllner Lagers, sich an dem Streik zu beteiligen und verweigerte den angekommenen Protestierenden den Zugang zum Lager, um mit den Kollegen zu sprechen. In einer provokanten Stellungnahme teilte die Geschäftsführung des Lieferdienstes mit, es gebe keine Grundlage für Streik-Aufrufe, da es sich „nicht um einen Betriebsrat handelt“. Dreisterweise behauptete das Management, es habe keine spontanen Arbeitsniederlegungen gegeben und erklärte: „Die kurzzeitige Schließung einzelner Warehouses wurde durch das Unternehmen veranlasst, um unsere Mitarbeiter*innen vor Anfeindungen einiger weniger zu schützen“.

In Neukölln entschieden die Rider gemeinsam, keine weitere Fahrraddemo zu machen, sondern in kleinen Gruppen ohne Polizei in das Lagerhaus in der Muskauer Straße in Kreuzberg zu fahren um dort zum Streik aufzurufen. Auch hier hatte das Management den Betrieb dann bereits eingestellt, um eine Ausdehnung des Streiks zu verhindern. Als Rider anschließend in das Lager in der Gürtelstraße in Friedrichshain fuhren, schlossen sich auch dort Beschäftigte dem Streik an und auch dieses Lager musste am frühen Abend geschlossen werden.

Die Konfrontation macht deutlich, dass die Beschäftigten von Gorillas und anderer Lieferdienste mit politischen Fragen konfrontiert sind. In der Erklärung „Stoppt die Sklavenarbeit! Baut Aktionskomitees auf!“, die auf der Demonstration breit verteilt wurde, erklärt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP): „Ein solcher Kampf gegen die üblen Arbeitsbedingungen in der Logistik und anderen Branchen wirft grundlegende politische Fragen auf. So wie die Bereicherung der Aktionäre auf eurer Ausbeutung basiert, kann diese Ausbeutung nur durch die Enteignung der großen Banken und Konzerne beendet werden.“

Dass eine solche Perspektive unter den Beschäftigen breite Unterstützung finden könnte, betrachten Politiker mit Sorge. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe war in Tempelhof zugegen. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte sie, sie wolle die Gorillas-Beschäftigten bei ihrer Forderung nach Mitbestimmung und Arbeitsschutz unterstützen. Kiziltepe war es auch, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für kommenden Dienstag eingeladen hat. Er will sich mit Ridern treffen, um „über ihre Arbeitssituation zu sprechen“.

Christoph Vandreier, Spitzenkandidat der SGP bei den Bundestagswahlen, machte im Gespräch mit Teilnehmern des Protestes klar, dass die Beschäftigten keine Illusionen in die etablierten Parteien haben dürfen. „Tatsächlich sind es gerade SPD, die Grünen, die Linke und die Gewerkschaften, die die soziale Misere und prekäre Arbeitsbedingungen zu verantworten haben. Die Hartz-Gesetze sind dabei nur ein Beispiel.“

Er verwies auf die Erfahrungen aus anderen Arbeitskämpfen, in denen die Arbeiter einem Zusammenschluss von Management, etablierten Parteien und Gewerkschaften gegenüberstehen: „Ein erfolgreicher Kampf der Rider bei Gorillas und aller anderen Lieferdienste kann nur durch den Aufbau von unabhängigen Kampforganisationen über Branchen- und Landesgrenzen hinweg erfolgreich sein. Daher ruft die SGP zur Gründung von Aktionskomitees auf, um diesen Kampf zu organisieren“, so Vandreier.

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