Große Beteiligung am Pflege-Streik in Berlin

Seit Donnerstag haben sich bereits über 2.000 Beschäftigte an dem unbefristeten Streik an den Berliner Kliniken von Charité und Vivantes beteiligt. Bis nächste Woche müssen 30 Normalstationen sowie drei intensivmedizinische Bereiche und insgesamt 1.000 Betten schließen, erklärte ein Vertreter des Vivantes-Konzern.

Die Kundgebung vor dem Vivantes Labor im Wedding

Täglich versammeln sich Beschäftigte an den Streikposten, auf Demonstrationen und auf Kundgebungen. Allein am Donnerstag beteiligten sich über 1.000 Arbeiter an einem Demonstrationszug zur Berliner Gesundheitsverwaltung. Am Freitag kamen Hunderte am Virchow-Klinikum im Wedding zusammen.

Auf vielen Schildern und Transparenten waren Slogans, die viel über die Zustände in den Kliniken aussagten. „Wir wollen endlich wieder pflegen, statt nur den Dienst zu überleben“, steht auf einem, „Pflege kurz vor dem Infarkt“, auf einem anderen. Darüber hinaus wandten sich viele gegen die Verursacher der katastrophalen Bedingungen im Berliner Senat. Zu lesen war beispielsweise: „Kollatz, wieviel sind Menschen wert?“ Matthias Kollatz ist sowohl Vivantes-Aufsichtsratschef als auch SPD-Finanzsenator der rot-rot-grünen Regierung.

Die Klinikleitungen, hinter denen der rot-rot-grüne Senat steht, versuchen die Streikenden massiv unter Druck zu setzen. So haben sich beide Konzerne geweigert, eine Notdienstvereinbarung zu unterzeichnen, wie es eigentlich üblich ist, um die Grundversorgung der Patienten zu gewährleisten. Vivantes und Charité hatten außerdem erklärt, dass die offiziellen Verhandlungen mit Streikbeginn gestoppt werden. Trotz dieses aggressiven Kurses, ist damit zu rechnen, dass sich in den nächsten Tagen noch mehr Kolleginnen und Kollegen am Streik beteiligen werden.

Die Auswirkungen des Streiks sind schon jetzt in allen Bereichen der Kliniken deutlich zu spüren. Hunderte Behandlungen mussten verschoben oder abgesagt werden und der Streik hatte starke Auswirkungen auf den OP-Plan in den Krankenhäusern.

Auch die Mitarbeiter der Vivantes-Tochtergesellschaften für Reinigung, Transport, Küche und andere Dienste beteiligten sich am Streik. Sie kämpfen für eine Angleichung der Gehälter an den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD). Aktuell erhalten die rund 2500 Beschäftigten der Tochterfirmen mehrere hundert Euro weniger als direkt beim Konzern Angestellte, die dieselbe Arbeit verrichten.

Dirk (rechts) und sein Kollege von der Logistik

Zwei Beschäftigte der Logistik-Tochter sprachen mit der WSWS auf der Demonstration vor der Senatsverwaltung für Gesundheit.

Dirk erklärte: „Wir kämpfen für die Anpassung unserer Löhne an den TVöD des Mutterkonzerns. Wir wollen für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten. Das wurde uns eigentlich schon vor Jahren versprochen, dass wir wieder eingegliedert werden sollten, aber bis heute ist nichts passiert, Papier ist geduldig.“

Entgegen den Pflegekräften des Mutterkonzerns beschränkte Verdi den Streik in den Tochterunternehmen lediglich auf Donnerstag und Freitag, was bei den Beschäftigten aus allen Konzernteilen auf Unverständnis und Ablehnung stieß.

Wie auch an der Charité, wo die nicht ärztlichen und pflegerischen Dienste ausgegliedert wurden, um die Lohnkosten drastisch zu senken, arbeiten auch die Beschäftigten bei Vivantes in diesem Bereich unter prekären Bedingungen.

„Wir haben bei uns eine Handvoll Leute, die noch nach dem TVöD bezahlt werden“, erklärt Dirk. Darüber hinaus gebe es viele Leiharbeiter, die sehr schlecht bezahlt werden. „Die Arbeiter der Vivantes-Tochter VSG erhalten etwa 500 Euro netto weniger als diejenigen, die bei dem Mutterunternehmen beschäftigt sind und die gleiche Arbeit machen“, so Dirk. „Bei der Privatisierung unserer Abteilung durften nur diejenigen, die schon zehn Jahre dabei waren, den TVöD behalten. Die anderen wurden heruntergestuft.“

Die Pflegekräfte bei Charité und Vivantes kämpfen mit dem Streik vor allem gegen die desolaten Arbeitsbedingungen.

Michael, der bei Vivantes in der Radiologie tätig ist, beschreibt die extrem schwere Arbeitsbelastung. „Es gibt Situationen, wo wir Patienten, die bettlägerig sind, alleine vom Bett auf den Tisch ziehen müssen und wieder zurück. Ältere Kollegen haben Schwierigkeiten, das alleine zu bewerkstelligen oder bekommen Rückenschmerzen. Uns geht es vor allem um die Entlastung, damit wir gut arbeiten können.“ Büroarbeiten müssten schon jetzt nach Dienstschluss erledigt werden, da sie in der regulären Zeit nicht zu schaffen sind. Zuschläge gebe es dafür nicht, so Michael.

Der Demonstrationszug zur Gesundheitsverwaltung

Luisa und Anna-Lena bestätigten den enormen Druck, der auf den Beschäftigten lastet und den unweigerlich die Patienten zu spüren bekommen. Beide machen eine Ausbildung zur Hebamme und stehen kurz vor dem Examen. Sie wünschen sich mehr Zeit für die Versorgung der Patienten. „Wir fangen jetzt gerade an, die Frauen selbständig zu betreuen und wir haben jetzt schon solch ein hohes Arbeitspensum, das allem widerspricht, was wir in der Schule lernen“, sagt Luisa.

Anna-Lena merkt an, dass „Schülerinnen schon als Vollzeitkraft eingeplant werden.“ Fällt eine Hebamme beispielsweise durch Krankheit aus, muss die Arbeit von Schülern erledigt werden, auch wenn diese damit oft überfordert sind. „Das ist rechtlich gesehen überhaupt nicht in Ordnung, auch dem Patienten gegenüber nicht fair“, ergänzt die Schülerin zurecht.

Dass die Arbeitsbedingungen an den Kliniken, die sich seit der Corona-Pandemie noch weiter verschärft haben, auch Ausdruck einer grundsätzlich falschen Politik sind, darüber sind sich die Streikenden weitgehend einig.

„Erst die ganze Gesundheitsfürsorge zu privatisieren und durch Einsparungen den heutigen Zustand zu schaffen – wohin soll das noch führen?“, fragt Dirk. Laut Michael war die Privatisierung der größte Fehler, den man machen konnte. „Wir sind kein Mastbetrieb, wo man die Schweine verkauft zu einem Preis, damit man Gewinn macht. Es wird immer auf dem Rücken der Patienten, der Menschen gespart, um Gewinn zu machen.“

Auch Sofie, Pflegerin an der Charité, die am Freitag an einer Kundgebung am Virchow-Klinkum im Stadtteil Wedding teilnahm, denkt so: „Die Privatisierung der Krankenhäuser ist das eine Problem, aber auch die Einführung von Fallpauschalen. Das kapitalistische System gibt den Druck und verstärkt den Konkurrenzkampf. Das sollte im öffentlichen Gesundheitswesen erst recht nicht sein.“

Moritz und Sofie von der Charité auf der Demo

Der Kampf der Beschäftigten für eine angemessene Bezahlung und eine adäquate Patientenversorgung genießt große Unterstützung unter anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Bevölkerung allgemein. Im Gegensatz dazu setzt die Gewerkschaft Verdi alles daran, eine Ausweitung des Streiks zu vermeiden. Auf engste arbeitet die Gewerkschaft mit den Senatsparteien von SPD, Linken und Grünen zusammen, die ihrerseits für die Misere an den Kliniken verantwortlich sind.

Am Freitag Nachmittag legte Vivantes der Gewerkschaft ein neues Angebot für die Tochtergesellschaften vor, welches nur als Provokation bezeichnet werden kann. Bei einer Laufzeit von drei Jahren blieben die Tarife gegenüber dem Angebot aus dem August im Grunde unverändert. Mit dem Angebot versuchte das Klinikmanagement ein Aussetzen des Streiks ab Montag zu erreichen. 'Unter der Voraussetzung, dass Verdi den Streik ab morgen aussetzt, könnten die Verhandlungen am Montag wieder aufgenommen werden', so eine Vivantes-Sprecherin gegenüber dem rbb.

Angesichts des Drucks und der enormen Wut der Belegschaft, konnte Verdi das Angebot nicht annehmen. Gleichzeitig bekräftigte Verdi aber erneut ihre Verhandlungsbereitschaft. Deshalb hatte sie den Streik bei den Vivantes-Töchtern auch erstmal nur befristet für Donnerstag und Freitag angesetzt.

Parallel soll nun auch über ein Schlichtungsverfahren beraten werden. Dies wurde nach Presseberichten am Freitagvormittag entschieden, als sich die Klinikleitung von Vivantes mit Politikern aus dem Abgeordnetenhaus zum Streik besprachen. Vivantes sei zu einer Schlichtung bereit, sagte eine Sprecherin dem rbb und auch Verdi reagierte sofort auf den Vorschlag. Verdi-Sprecher Andreas Splanemann erklärte gegenüber dem rbb, man könne sich auf ein Schlichtungsverfahren einlassen. Wenn Vorschläge kämen, würden sie geprüft.

Das macht deutlich, dass Verdi in enger Zusammenarbeit mit dem Management und dem Senat versucht, den Streik möglichst rasch zu Ende zu bringen, um eine Ausweitung zu verhindern. Verdi sabotiert seit vielen Jahren jeden ernsthaften Widerstand.

Unterstützer der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) verteilten Flugblätter und riefen dazu auf, von der Gewerkschaft unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die den Streik in die eigene Hand nehmen und sofort Verbindungen zu anderen Krankenhausbeschäftigten auf der ganzen Welt und auch zu den streikenden Lokführern und anderen Teilen der Arbeiterklasse aufnehmen.

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