Cliff Slaughter: Eine politische Biografie (1928–1963)

Teil 3

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4

In dieser politischen Biografie wird das Leben Cliff Slaughters von 1928 bis 1963 behandelt. Sie wird in vier Teilen veröffentlicht. Dies ist der dritte Teil. Teil 1 wurde am 11. August veröffentlicht, und Teil 2 am 16. August. Teil 4 wird in Kürze folgen. Der Zeitraum von 1963 bis zu Slaughters Tod wird in weiteren Teilen behandelt werden, die für einen späteren Zeitpunkt in diesem Jahr vorgesehen sind.

Cliff Slaughter

Klassenkampf, marxistische Theorie und Neue Linke

In derselben Ausgabe der Labour Review, die wenige Monate nach der „Pfingstkonferenz“ erschien, veröffentlichte Slaughter einen längeren theoretischen Aufsatz mit dem Titel „Die ‚Neue Linke‘ und die Arbeiterklasse“. Dieser Aufsatz ist von besonderer Bedeutung, denn darin wurden die philosophischen Konzepte dargelegt, auf deren Grundlage die Socialist Labour League daran festhielt, unbedingt in die Tageskämpfe der Arbeiterklasse zu intervenieren.

Das Hauptmerkmal der Ideologen und Theoretiker der „Neuen Linken“, die damals im Entstehen begriffen war und sich zunehmender Beliebtheit erfreute, sah Slaughter in ihrem Bestreben, den Marxismus von seiner zentralen Auffassung abzubringen, dass der Klassenkampf die treibende Kraft der Geschichte ist.

Slaughter konstatierte, dass der Labour Review und dem Newsletter vorgeworfen wurde, eine überholte dogmatische Form des Marxismus und eine „geistlose Militanz“ zu vertreten, abgeleitet „von einem übersimplifizierten Modell der kapitalistischen Gesellschaft, die in Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilt ist, in der vor allem der Kampf der Letzteren gegen Erstere intensiviert werden muss, ‚geistlos‘ gegenüber allem anderen“. Er wies auf die „interessante Bemerkung“ von Ralph (Rafael) Samuel hin, einem ehemaligen Mitglied der Kommunistischen Partei, Freund von E. P. Thompson und führenden Vertreter der aufkommenden Neuen Linken in Großbritannien. Samuel habe „Gerry Healy daran erinnert, dass ‚der gewerkschaftliche Kampf nicht das Entscheidende ist – entscheidend ist der Kampf um die politische Macht‘“. Slaughter fuhr fort:

Wir werden sicherlich auf die Bedeutung des Kampfs um die Macht zurückkommen, doch zunächst wollen wir uns mit der Wechselbeziehung zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Seite des Klassenkampfs befassen. Dies ist eine theoretische und historische Frage, an der die Intellektuellen konsequent arbeiten sollten, um die Arbeiterklasse zu bewaffnen ... Wenn man den wirtschaftlichen Kampf weglässt, welche „politische“ Aktivität bleibt dann noch übrig? Das Parlament? Wir blicken über den Kanal nach Frankreich und erschaudern.

Es ist schwer zu sagen, was von dem „Marxismus“ noch übrig ist, zu dem sich einige im Umkreis von Universities and Left Review und New Reasoner bekennen. Halten sie an irgendeiner der theoretischen Entdeckungen oder Schlussfolgerungen von Marx fest? Wenn ja, an welcher? Oder behaupten sie, dass nur die marxsche Methode (Dialektik) ihre Gültigkeit bewahrt hat und die heutige gesellschaftliche Realität völlig neue Entdeckungen unter Anwendung dieser Methode erfordert? Man darf vermuten, dass die Dialektik von den meisten dieser Kritiker als ein Überbleibsel Hegels, das der alte Marx nicht ganz abschütteln konnte, hochmütig belächelt wird. Was bleibt also?

Wir unsererseits werden uns weiter „diskreditieren“, indem wir sagen, dass die dialektische Methode von Marx den grundlegenden Antagonismus der kapitalistischen Gesellschaft aufgedeckt hat, den Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer und ihren Staat, der den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung widerspiegelt. Diese Feststellung ersetzt natürlich nicht eine detaillierte und intensive Untersuchung der Veränderungen im Kapitalismus. Aber es handelt sich um Veränderungen innerhalb des Kapitalismus, und wenn sie nicht in diesem Bewusstsein untersucht werden – dass die Veränderungen im Rahmen der fortdauernden Macht des Kapitals über die Arbeit stattfanden –, dann ist eine solche Untersuchung nutzlos. Mit nutzlos meinen wir nicht nur „praktisch“ nutzlos für die Arbeiterklasse, sondern auch wissenschaftlich wertlos …

Aus dem spezifischen historischen Charakter der kapitalistischen Entwicklung ergibt sich der moderne Klassenkampf. Ja, es gibt eine zunehmende Differenzierung innerhalb der Arbeiterklasse; ja, es gibt ein Wachstum neuer „Mittelschichten“; ja, das kapitalistische Eigentum ist auf komplexere Weise verteilt. Aber wer diese Entwicklungen isoliert betrachtet, wird viel länger brauchen, um ihre wirkliche historische Bedeutung, nämlich ihre Bedeutung für den Klassenkampf, zu erkennen, als derjenige, der von vornherein das Wesen der Methode von Marx und seine zentrale Entdeckung über die Klassengesellschaft zugrunde legt. [53]

Als Nächstes benannte Slaughter einen kritischen Punkt, in dem sich die Neue Linke und der Marxismus unterschieden:

Es ist der Begriff der Klasse, auf den sich die Abkehr vom Marxismus konzentriert, trotz der Lippenbekenntnisse zum Marxismus. Ein Ansatz, bei dem der Klassenkonflikt nicht im Mittelpunkt steht, enthält keinen Funken Marxismus. Die Arbeiterklasse definiert sich im Wesentlichen nicht über Status, Einkommen oder andere formale soziale Merkmale, sondern über ihren unabweislichen Gegensatz zur Kapitalistenklasse, der sich aus der besonderen Stellung des Proletariats in der kapitalistischen Produktion ergibt und sich ständig weiterentwickelt. Man kann die Arbeiterklasse durch eine beliebige Anzahl formaler Merkmale definieren; historisch definiert sie sich durch die Entwicklung ihrer Organisation und ihres Kampfs gegen die Bourgeoisie. Die Marxisten in den Sozialwissenschaften haben die Aufgabe, der Arbeiterklasse klarer zu Bewusstsein zu bringen, welche Stellung sie hat und wie sie aus diesem Grund handeln muss. Auf dem höchsten Punkt bedeutet dies, an der größten Aufgabe unserer historischen Periode mitzuwirken: der Herstellung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Das ist die wesentliche Funktion der Theorie und der darauf basierenden politischen und organisatorischen Instrumente; sie muss der Test für alle theoretischen Beiträge linker Intellektueller sein. (Hervorhebung hinzugefügt) [54]

Wie diese Passage beweist, hatte Slaughter die Frühschriften von Marx und Engels sorgfältig studiert, in denen sie in der Auseinandersetzung mit den kleinbürgerlichen „kritischen Kritikern“ die materialistische Geschichtsauffassung entwickelten. Von besonderer Bedeutung für Slaughter war ein Absatz in Die Heilige Familie, den Marx 1844 geschrieben hatte:

Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet. (Hervorhebung im Original) [55]

Zeitgenössische Zeichnung des jungen Karl Marx aus dem Jahr 1839

Slaughter verfolgte die Meinungsverschiedenheiten über theoretische Fragen bis zu ihrem Ausdruck in Programm und Praxis und griff den kleinkarierten Reformismus an, den die Intellektuellen der Neuen Linken als vernünftige Alternative zu einer wirklich revolutionären, auf dem Klassenkampf basierenden Praxis ausgaben. „Der Wunsch, etwas Konkretes zu finden, das in der heutigen Gesellschaft als solider Grundstein für künftige Fortschritte verankert ist, ist im Grunde ein kleinbürgerlicher Standpunkt“, schrieb Slaughter, „eine Weigerung, sich der Notwendigkeit eines radikalen Bruchs mit der Welt des Privateigentums zu stellen, eine Beschränkung auf den Horizont dessen, was [der amerikanische Soziologe Norman] Birnbaum den ‚Verwaltungstechnologen‘ nennt, der davon lebt, die Gegebenheiten zu manipulieren, und der sich in seinem gesellschaftlichen Leben eher zur Bourgeoisie als zum Proletariat hingezogen fühlt. Die emsige Beschäftigung mit dem ‚Sozialismus im Hier und Jetzt‘ in Universities and Left Review ist die schlimmste Ausprägung dieser Ideen.“ [56]

Die Antwort der Pablisten auf die Gründung der Socialist Labour League

Wie vorherzusehen, wurde die Entscheidung zur Gründung der Socialist Labour League von den Pablisten angeprangert. In einem „Offenen Brief an die Organisationen des Internationalen Komitees“ erklärte ihr Internationales Sekretariat:

Durch unangemessene Angriffe auf die Führer der LP [Labour Party] und der Gewerkschaften und durch ihre an die „dritte Periode“ erinnernde Aktivität an der Basis – unter Missachtung der elementarsten Disziplin, wie sie gegenüber der Partei notwendig ist, in der angeblich die wesentliche Arbeit geleistet werden sollte – ist sie [die Socialist Labour League] dabei, in einem Kampf mit der reformistischen Bürokratie, der sowohl hinsichtlich des Kräfteverhältnisses als auch des Zeitpunkts schlecht gewählt ist, alle innerhalb der Partei und der Gewerkschaften errungenen Stellungen zu zerstören. [57]

Diesem Angriff lagen drei Prämissen des Pablismus zugrunde: 1) dass die Vierte Internationale nur als Druckmittel auf die bestehenden Organisationen existieren kann, die von den Stalinisten, den Sozialdemokraten und den „linken“ bürgerlichen Parteien kontrolliert werden; 2) dass es für eine unabhängige revolutionäre Partei, die sich auf ein marxistisches Programm stützt, schlicht unmöglich ist, die Führung der Arbeiterklasse zu erobern; und 3) dass kein Versuch unternommen werden sollte, eine solche Partei aufzubauen.

Zur Rechtfertigung seines kriecherischen Opportunismus erklärte das Internationale Sekretariat, dass „eine alternative Führung nicht aufgebaut wird, indem man im Wesentlichen militante Streikaktionen an der ökonomischen Front führt“. [58] Es fügte hinzu, dass „eine revolutionäre Massenpartei nicht hauptsächlich durch individuelle Rekrutierung aufgebaut werden kann (d. h. dadurch, dass einzelne Mitglieder oder Gruppen von 4, 5, 10 oder 12 einzelnen Mitgliedern durch Propaganda oder das Beispiel militanter Aktionen für die Massenpartei gewonnen werden)“. [59]

Das Internationale Sekretariat machte der SLL zum Vorwurf, dass sie sich von der Sozialdemokratie losgesagt habe:

Die Art und Weise, wie die SLL ins Leben gerufen wurde, machte ihre Existenz innerhalb der Labour Party für jeden, der sich keinen Illusionen über das Wesen der rechten Bürokratie hingab, praktisch unmöglich. Wir räumen gern ein, dass die naiven Gründer der SLL von dem Verbot des Transport House [Sitz der LP] überrascht wurden. Dieses Verbot ist jedoch eine Tatsache. Wenn die SLL in der Labour Party hätte bleiben wollen, hätte sie sich nach diesem Verbot unter Protest auflösen müssen. Nichts dergleichen geschah. Sie beschloss, der Bürokratie offen zu trotzen. Unter den gegebenen Umständen führt eine solche Missachtung unweigerlich zum Ausschluss. (Hervorhebung im Original) [60]

„Der Bürokratie zu trotzen“ war für die Pablisten die schlimmste aller politischen Torheiten. Aus ihrer Argumentation musste man zwangsläufig schließen, dass Trotzkis Aufruf zur Gründung der Vierten Internationale – immerhin gegen die mächtigste Bürokratie der Weltgeschichte – ein katastrophaler politischer Fehler war. Daher waren alle Bemühungen der pablistischen Internationale darauf gerichtet, diesen Fehler zu korrigieren, indem sie die trotzkistische Bewegung auf eine bloße Pressure Group reduzierte, die Druck auf die Organisationen der vorherrschenden Bürokratien ausübte.

In einer von Slaughter verfassten Erklärung der Redaktion mit dem Titel „In Defence of Trotskyism“ („Verteidigung des Trotzkismus“) bekräftigte die Labour Review die revolutionäre Perspektive, auf der die SLL basierte:

Die Socialist Labour League ist nicht zufällig entstanden, sondern aus den Kämpfen des vergangenen Jahres hervorgegangen, die gezeigt haben, dass die britische Arbeiterklasse eine solche Organisation braucht. Sie ist entstanden, um in die Erfahrungen der Arbeiterklasse einzugreifen, die Vorhut zu organisieren, auszubilden und vorzubereiten, d. h., die grundlegenden Lehren aus der Offensive der Unternehmer, dem Widerstand der Basis und dem Verrat des rechten Flügels zu ziehen. Sie ist zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem die wachsende Militanz in den Betrieben noch nicht in die Labour Party hineingetragen wurde. Sie ist entstanden, um für eine klassenkämpferische Politik innerhalb der Labour Party und der Gewerkschaften zu kämpfen und so die besten Traditionen trotzkistischer Arbeit innerhalb der Massenorganisationen der Arbeiterklasse unter den heutigen Bedingungen fortzusetzen und weiterzuführen.

Pablo und seine Bande von internationalen Sekretären haben nicht den geringsten Versuch unternommen, die gegenwärtige Situation in Großbritannien, die objektiven Klassenbeziehungen, die Arbeitskämpfe, den politischen Kampf sowie die Probleme und Aufgaben der Marxisten, die sich daraus ergeben, zu analysieren oder zu bewerten. Das ist nicht ihre Methode. Zum einen kann eine solche Analyse und Bewertung nur dann fruchtbar sein, wenn sie sich auf die Erfahrungen der praktischen Tätigkeit der marxistischen Bewegung in Großbritannien stützt. Aber die internationalen Sekretäre haben es nicht nötig, sich auf die lebendige Erfahrung von irgendjemandem zu stützen. Sie haben ihr vorgefertigtes Schema. Und das bedeutet, das eigene Eingreifen in den Klassenkampf so lange zurückzustellen, bis der Druck der Massen die Bürokratie oder Teile von ihr unvermeidlich in die Führung einer Revolution bringt.

Die antimarxistische Vorstellung, dass „Massendruck“ das Wesen der Bürokratie verändern könnte; die antimarxistische Vorstellung, dass „Massendruck“ die Bürokratie zwingen könnte, sich der Weltrevolution anzuschließen; die Annahme, dass – wiederum unter „Massendruck“ – die kommunistischen Parteien die Arbeiterklasse zur Eroberung der Macht führen könnten: Gegen diese pablistischen Theorien (die in der Tat die „krude Revision der marxistischen Auffassung von der Bürokratie“ sind, als die die Labour Review sie vor fast zwei Jahren gebrandmarkt hat) haben die Marxisten, die die Prinzipien der Vierten Internationale verteidigen, den Kampf aufgenommen. Da konnte es keinen Kompromiss geben, denn es ging um die Internationale selbst als revolutionäre Kraft. Denn obwohl Pablo und seine Anhänger neben ihren revisionistischen Ideen bisweilen auch formale Phrasen über die Notwendigkeit der Vierten Internationale wiederholten, untergruben ihre revisionistischen Ideen in der Praxis immer mehr deren Grundlagen. Formales Festhalten an der Internationale bei gleichzeitiger Zerstörung ihres Inhalts, ihres Programms: Das ist Pablismus. Diejenigen, die im stolzen Namen der Vierten Internationale pablistische Ideen vorbringen, sind Hochstapler.

Trotzkisten in verschiedenen Ländern, die sich dieser Revision des Marxismus widersetzten, gründeten daher ein Internationales Komitee, um das Programm und die Prinzipien der Vierten Internationale gegen diese Leute zu verteidigen, die sich als Marxisten ausgeben.

Das Internationale Komitee sieht die wichtigste Aufgabe der Marxisten heute darin, durch den Aufbau starker revolutionärer Parteien in jedem Land die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen – Parteien, die das solide Fundament für die Vierte Internationale bilden werden. Wenn diese Aufgabe erfüllt werden soll, darf es keine Kompromisse mit Pablos Theorien geben. Zwischen dem Pablismus und den marxistischen Ideen, die die praktische Tätigkeit der Socialist Labour League leiten, besteht eine unüberbrückbare Kluft. Der marxistische Kader der Zukunft kann nicht ohne einen konsequenten Kampf gegen den Pablismus entstehen. [61]

Michel Pablo (rechts) mit Ernest Mandel

Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Internationalen Komitees

Die Gründung der Socialist Labour League verschärfte den Konflikt nicht nur mit der Gewerkschafts- und Labour-Party-Bürokratie in Großbritannien. Sie brachte auch die politischen Meinungsverschiedenheiten in grundlegenden Fragen von Programm, Perspektiven und Klassenorientierung innerhalb des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ans Licht. In der Tat kann man die Arbeit der britischen Trotzkisten nur dann vollständig verstehen und würdigen, wenn man berücksichtigt, wie stark die Lehren, die sie aus der Spaltung von 1953 und der Folgezeit gezogen hatten, ihre Einschätzung der Weltlage und deren Implikationen für die Arbeit des Internationalen Komitees beeinflussten. Dieser Einfluss hatte, wie bereits erläutert, in der Reaktion des Clubs auf Chruschtschows Geheimrede, die ungarische Revolution und die Krise in der britischen Kommunistischen Partei einen starken Ausdruck gefunden. Healy erkannte, dass die Ereignisse von 1956 der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien nicht nur die Möglichkeit boten, Unzufriedene zu rekrutieren, die der Kommunistischen Partei den Rücken kehrten. Weitaus wichtiger für die Formulierung der politischen Strategie war die historische Bestätigung Trotzkis: seiner Ablehnung des Programms vom „Sozialismus in einem Land“, seiner Analyse der Ursprünge des Stalinismus, der bürokratischen Degeneration der Sowjetunion, des konterrevolutionären Charakters der sowjetischen Bürokratie und der ihr nahestehenden politischen Parteien und der darauf basierenden Entscheidung zur Gründung der Vierten Internationale.

Letztlich bestand die wesentliche Bedeutung der Krise von 1956 darin, dass sie eine tiefgreifende Veränderung des weltweiten Kräfteverhältnisses zwischen der Vierten Internationale und der entarteten stalinistischen Bürokratie einläutete. Wie groß die politischen Hindernisse und praktischen Schwierigkeiten auch sein mochten, mit denen die noch wenig zahlreichen Kräfte der Vierten Internationale konfrontiert waren – und sie waren beträchtlich –, die Krise des Stalinismus bedeutete, dass der Einfluss der alten Bürokratien auf die Arbeiterklasse geschwächt wurde. Wie die Labour Review im Januar 1957 erklärt hatte, war die „große Eiszeit“ zu Ende. Es zeichneten sich objektive Bedingungen ab, die die Lösung der historischen Krise der Führung der Arbeiterklasse begünstigten. Die Herausforderung für die Trotzkisten in Großbritannien und auf internationaler Ebene bestand darin, sowohl in ihrer theoretischen Arbeit als auch in ihrer praktischen Tätigkeit auf die Anforderungen zu reagieren, die sich aus der neuen Situation ergaben.

In diesem historischen und politischen Kontext gewann der Kampf gegen den Pablismus neue Dringlichkeit. Nach dem Jahr 1956 richteten sich die Bemühungen der Pablisten, um eine militärische Analogie zu verwenden, darauf, die belagerten und geschwächten Bürokratien gegen die Gefahr einer Offensive der wiedererstarkten trotzkistischen Kräfte abzuschirmen. Die Pablisten reagierten auf die Krise von 1956, indem sie unter dem Deckmantel der Wiedervereinigung (d. h. der Beendigung der Spaltung von 1953) versuchten, das Internationale Komitee zu spalten. Die Aussichten auf die Erreichung dieses Ziels – die „Wiedervereinigung“ der Vierten Internationale auf der Grundlage der Unterordnung unter die stalinistische und sozialdemokratische Bürokratie, der Anpassung an eine Vielzahl von bürgerlich-nationalistischen und kleinbürgerlichen radikalen Kräften, des Aufgebens des Kampfs für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und der Ablehnung der Theorie der permanenten Revolution – wurden durch den Rechtsruck der Socialist Workers Party (SWP) in den Vereinigten Staaten nach der Spaltung von 1953 begünstigt.

Die SWP reagierte auf Chruschtschows Geheimrede und die ungarische Revolution ganz anders als der Club. Cannon hielt zwar eine ausgezeichnete Rede und Murry Weiss, ein weiteres führendes Mitglied, schrieb einen durchdachten Aufsatz zum Thema Stalinismus, aber in den Vereinigten Staaten wurde nichts unternommen, was auch nur annähernd mit der nachhaltigen politischen und theoretischen Arbeit des Clubs vergleichbar gewesen wäre. Obwohl der Fraktionskampf und der organisatorische Zerfall der Kommunistischen Partei in den USA weitaus gravierender waren als in Großbritannien, rekrutierte die SWP praktisch niemanden aus der stalinistischen Bewegung. Dies war nicht nur auf unzureichende organisatorische Initiative zurückzuführen. Vielmehr reagierte die SWP auf die Ereignisse von 1956 nicht mit der Entwicklung einer Offensive gegen den Stalinismus, sondern mit der Förderung einer „Umgruppierung“ vorgeblich „linker“ Tendenzen in den Vereinigten Staaten, bei der sie bewusst jeder Klärung der historischen Fragen auswich, die dem Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus zugrunde lagen.

Die im Dezember 1956 angekündigte Umgruppierungsinitiative der SWP war ein Ausdruck davon, dass die Partei nach der Spaltung von ihrer traditionellen „proletarischen Orientierung“ abrückte und begann, sich an die Protestpolitik der amerikanischen Mittelschicht anzupassen. Sicherlich trugen das repressive antikommunistische Klima, das von der reaktionären AFL-CIO-Bürokratie gefördert wurde, und der starke Rückgang der Militanz unter einfachen Arbeitern zu einer Stimmung der Entmutigung und Resignation innerhalb der alternden SWP-Führung bei. Cannon, den die Vorstellung plagte, dass sich die SWP in eine perspektivlose „Sekte“ verwandelte, wurde anfällig für einen Wechsel der politischen Orientierung, weg von der Arbeiterklasse und hin zum Kleinbürgertum.

Der Bruch mit einer „sektiererischen“ Existenz bedeutete in der Praxis die Abkehr von der proletarischen Orientierung und dem trotzkistischen Programm.

Im März 1957 schrieb Cannon ohne vorherige Rücksprache mit den britischen Trotzkisten einen Brief an Leslie Goonewardene, einen der opportunistischsten Führer der Lanka Sama Samaja Party in Ceylon (dem späteren Sri Lanka). Er signalisierte seine Unterstützung für die Aufnahme von Gesprächen mit dem Internationalen Sekretariat, um eine Wiedervereinigung der beiden Fraktionen herbeizuführen.

James P. Cannon

Dieser Brief markierte den Beginn eines langwierigen internen Kampfs innerhalb des Internationalen Komitees. Die britischen Trotzkisten wiesen die Behauptung der SWP zurück, dass eine Annäherung an die Pablisten gerechtfertigt sei, weil die Differenzen, die 1953 zur Spaltung geführt hatten, größtenteils organisatorische Fragen betroffen hätten, sich die politischen Probleme im Laufe der Zeit irgendwie von selbst gelöst hätten und es nicht nötig sei, sich mit 1953 zu befassen.

Das Beharren der Briten auf der Klärung der Differenzen, die der Spaltung von 1953 zugrunde lagen, machte der SWP ihre Manöver schwer. Der Sieg von Fidel Castro in Kuba im Januar 1959 kam der amerikanischen Organisation daher wie gerufen, um den Wiedervereinigungsprozess voranzutreiben. Sie machte nun geltend, dass die Unterstützung der kubanischen Revolution – die, wie die SWP zusammen mit den Pablisten behauptete, einen neuen Arbeiterstaat geschaffen habe – die Grundlage für eine Wiedervereinigung biete.

Die historische Verteidigung der Vierten Internationale durch die Socialist Labour League (1961–1963)

Am 2. Januar 1961 richtete das Nationalkomitee der Socialist Labour League ein Schreiben an das Nationalkomitee der Socialist Workers Party. Die SLL brachte ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Socialist Workers Party in ihren Bemühungen um die Wiedervereinigung der Vierten Internationale von den Grundprinzipien der Vierten Internationale abwich, die im Offenen Brief von 1953 kurz und bündig dargelegt worden waren. Außerdem beruhte die Behauptung, die Differenzen, die zur Spaltung von 1953 geführt hatten, seien durch Einvernehmen über neuere Ereignisse überholt worden, auf einer Fehleinschätzung des Charakters und der Entwicklung des pablistischen Revisionismus. Seit 1953 hatte sich die Kluft zwischen Pablismus und Trotzkismus nicht nur vertieft, sondern war theoretisch und politisch unüberbrückbar geworden. Das Nationalkomitee der SLL erklärte:

Die größte Gefahr für die revolutionäre Bewegung ist das Liquidatorentum, das sich aus der Kapitulation vor der Stärke des Imperialismus, vor den bürokratischen Apparaten der Arbeiterbewegung oder vor beidem ergibt. Noch unverkennbarer als 1953 vertritt der Pablismus heute diese liquidatorische Tendenz in der internationalen marxistischen Bewegung. Für den Pablismus ist die fortgeschrittene Arbeiterklasse nicht mehr die Vorhut der Geschichte, das Herz aller marxistischen Theorie und Strategie in der Epoche des Imperialismus, sondern der Spielball „welthistorischer Faktoren“, die auf abstrakte Weise betrachtet und eingeschätzt werden. [62]

Die Revisionen des Pablismus an den wesentlichen Konzepten des Trotzkismus und des Marxismus selbst mussten entschieden zurückgewiesen werden. Die SLL warnte:

Jede Abweichung von der Strategie der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und des Aufbaus revolutionärer Parteien wird die Bedeutung eines Fehlers der trotzkistischen Bewegung von welthistorischem Ausmaß annehmen. [63]

Die SLL widersprach der Prämisse, dass die Rücknahme der Spaltung von 1953 eine Wiedervereinigung der Trotzkisten bedeuten würde. Dies sei ein gefährlicher Irrglaube:

Gerade weil die Möglichkeiten, die sich dem Trotzkismus eröffnen, so gewaltig sind, und daher die Notwendigkeit politischer und theoretischer Klarheit so groß ist, müssen wir uns nachdrücklich gegenüber dem Revisionismus in allen seinen Formen abgrenzen.Es ist an der Zeit, die Periode zu beenden, in der der pablistische Revisionismus als eine Strömung innerhalb des Trotzkismus betrachtet wurde. Wenn wir das nicht tun, können wir uns nicht für die revolutionären Kämpfe rüsten, die jetzt beginnen. Wir möchten, dass die SWP in diesem Geiste mit uns zusammen vorwärtsgeht. (Hervorhebung im Original) [64]

Dieser Brief leitete einen politischen Kampf ein, von dem, ebenso wie 1953 und später 1982–1986, das Überleben der trotzkistischen Bewegung abhing. In diesem intensiven Kampf, der sich über zwei Jahre (1961–1963) erstreckte, spielte Cliff Slaughter eine entscheidende Rolle. Er verfasste die wichtigsten Erklärungen und Berichte der SLL. Es muss jedoch betont werden, dass Slaughters Beitrag, so bedeutend er auch sein mochte, keine isolierte Leistung darstellte. Es schmälert in keiner Weise die hohe Wertschätzung von Slaughters Arbeit, wenn man die historische Tatsache konstatiert, dass seine Beiträge in enger Zusammenarbeit mit anderen herausragenden Mitgliedern der SLL entstanden, darunter Mike Banda, Tom Kemp, Cyril Smith, Jack Gale und der noch sehr junge Geoff Pilling. Healy gab ihnen eine energische und scharfsinnige Führung. Er brachte in den Kampf gegen die SWP seinen starken Intellekt, seine große politische Erfahrung und seine unnachgiebige Entschlossenheit ein, die fortgeschrittenen Arbeiter für den Trotzkismus zu gewinnen und sie auf die Führung der kommenden sozialistischen Revolution vorzubereiten. Was die theoretische Arbeit der Socialist Labour League unter Healys Leitung auszeichnete, war ihre direkte Verbindung zur Entwicklung einer revolutionären Strategie und zur Mobilisierung der Arbeiterklasse. Diese wesentliche Ausrichtung auf die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft verlieh den IKVI-Dokumenten von 1961 ihre politische Präzision und ihren Kampfgeist.

Cannon begriff, dass das Schreiben der SLL vom 2. Januar einem Schuss vor den Bug der SWP gleichkam. Er schrieb am 12. Mai 1961 an Farrell Dobbs, seinen Nachfolger als nationaler Sekretär der SWP: „Der Bruch zwischen uns und Gerry vertieft sich offenbar zusehends.“ [65] Aber obwohl er behauptete, dass „die SLL sich am Oehlerismus [d. h. Sektierertum] berauscht“[66], war das eigentliche Problem, dass die SWP eine Überdosis Opportunismus intus hatte. In ihrer „Resolution zur Weltlage“ von 1961 griff die SWP auf pessimistische und selbstzerstörerische Spitzfindigkeiten zurück, um ihre Anpassung an kleinbürgerliche radikale Bewegungen, wie diejenige Castros, zu rechtfertigen. Die Zeit reiche einfach nicht aus, um eine revolutionäre Partei aufzubauen. Daher müsse Castro als annehmbarer Ersatz akzeptiert werden:

Die Massen, insbesondere im Kolonialgebiet, empfinden die Aussichtslosigkeit ihrer Lage besonders deutlich. Sie sind absolut nicht in der Lage zu warten, bis eine revolutionär-sozialistische Partei aufgebaut ist, bevor sie in Aktion treten. Da es solche Parteien abgesehen von kleinen Kernen nicht gibt, drängen die Massen, einem bekannten Gesetz der Politik folgend, diejenige Führung von nationaler Reichweite an die Macht, die zufällig links von der regierenden Partei steht. In Ermangelung einer sozialistischen Führung – eine Ermangelung aufgrund des jahrzehntelangen Verrats durch die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien – besetzen nationalistische bürgerliche und kleinbürgerliche Formationen jeglicher Couleur linke Positionen und sind viel stärker, als sie es wären, wenn sie von revolutionär gesinnten proletarischen Parteien flankiert würden …

Kuba hat gezeigt, was für ein fataler Fehler es wäre, eine revolutionär gesinnte kleinbürgerliche Formation von vornherein abzuschreiben, nur weil sie anfangs von einer kleinbürgerlichen Perspektive ausgeht. (Hervorhebung hinzugefügt) [67]

Castro bei einer Rede auf der Tricontinental-Konferenz von 1966, wo er den Trotzkismus verurteilte

Diese Passage ist ein Beispiel für die fatalen Aussagen, die die SWP-Dokumente kennzeichneten. Besonders auffallend ist die Art und Weise, wie die Entwicklung der revolutionären Partei und der „Massen“ als voneinander unabhängige Prozesse behandelt werden. Die Massen, so wird behauptet, seien „absolut nicht in der Lage zu warten, bis eine revolutionär-sozialistische Partei aufgebaut ist“. Aber warum drückt sich diese Ungeduld nicht in einem Wachstum der revolutionären Partei aus? Ungeduld der „Massen“ ist ein unverkennbarer Beweis für das Bestehen objektiver Bedingungen, die den Aufbau einer marxistischen Partei ermöglichen. Das eigentliche Problem war nicht die „Ungeduld“ der „Massen“, sondern die Ungeduld der pablistischen Organisationen, die dem Problem des Kampfs um die Führung der Massen auswichen, indem sie sich in opportunistischer Weise an nichtproletarische Kräfte anpassten.

In einem politischen Bericht auf einer Sitzung des Internationalen Komitees am 28. und 29. Juli 1961 antwortete Cliff Slaughter ausführlich auf die Resolution der SWP. Er zeigte die Implikationen des Revisionismus der SWP auf und fasste die wesentlichen politischen und methodischen Elemente seiner Kritik an den Positionen der SWP knapp und präzise zusammen:

Die grundlegende Schwäche der SWP-Resolution besteht darin, dass sie die marxistische Methode durch „Objektivismus“ ersetzt, d. h. durch eine falsche Objektivität. Dieses Vorgehen führt sie zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die Pablisten. Aus seiner Analyse des Imperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus folgerte Lenin, dass die bewusste revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei das Wichtigste ist. Die Helden des „Objektivismus“ dagegen folgern, dass die Stärke der „objektiven Faktoren“ so groß ist, dass ganz unabhängig davon, ob das Proletariat in seinem Kampf eine marxistische Führung hat, die Revolution der Arbeiterklasse siegen und die Macht der Kapitalisten gestürzt werden wird. Man kann die Formulierungen der SWP-Resolution kaum anders verstehen, wenn sie von der „Ungeduld“ der Massen spricht, die die Revolution nicht bis zum Aufbau einer marxistischen Führung hinausschieben können … Wenn die kleinbürgerliche Führung in Kuba durch die objektive Logik der Ereignisse gezwungen wurde, das Proletariat zur Macht zu führen (die SWP sagt, Kuba sei ein „Arbeiterstaat“, was nur die Diktatur des Proletariats bedeuten kann), dann müssen wir fordern, dass eine Analyse der gegenwärtigen Weltlage vorgelegt wird, die erklärt, wie ein solches Ereignis möglich wurde und somit die leninistische Theorie über die Beziehung zwischen Klasse, Partei und Macht hinfällig wird.

Ähnliches gilt für die Formulierung der SWP-Resolution über den Aufbau der revolutionären Partei im Verlauf der Revolution selbst. Auch hier müssen die Implikationen dieser Formulierung bis zu Ende gedacht werden. Für uns haben solche Formeln nur unter dem Aspekt der allgemeinen historischen Perspektive der Klassenbeziehungen einen Sinn. Die SWP muss zeigen, in welcher Weise es „objektive Faktoren“ in der Weltlage in einigen Fällen unnötig machen, eine revolutionäre Führung aufzubauen. Der Aufbau solcher Parteien sowohl in Perioden schwärzester Reaktion als auch in vorbereitenden und vorrevolutionären Perioden ist die größte historische Leistung von Lenin und seinen Anhängern …

Sobald die grundlegende marxistische Theorie der Führung und des Bewusstseins auf diese Weise revidiert wird, ist die Tür für eine völlig falsche Methode zur Bewertung nichtmarxistischer politischen Tendenzen geöffnet. Die Führer werden aufgrund einer allgemeinen Skala als „fortschrittlich“ oder „linksgerichtet“ beschrieben (natürlich unter dem Druck unumkehrbarer und mächtiger „objektiver“ Kräfte) und nicht aufgrund ihrer konkreten Klassenrolle zwischen Imperialismus und proletarischer Weltrevolution beurteilt …

Das SLL-Nationalkomitee hält diese Tendenz zum Objektivismus zum jetzigen Zeitpunkt für besonders gefährlich … Die bürgerlichen Nationalisten, die stalinistische Bürokratie, die Sozialdemokratie in den alten europäischen Mächten und die neue Bürokratie, die sich in der UNO konzentriert, halten die imperialistische Wirtschaftsmaschinerie trotz der unausweichlichen großen politischen Zugeständnisse am Laufen. Es ist eine grundlegende Notwendigkeit für alle Marxisten, eine klare Klassenopposition gegen all diese Kräfte zu vertreten, die zur Stabilisierung des Imperialismus beitragen, und gegen die Widerspiegelung dieser Kräfte in den Opportunisten der Arbeiterbewegung und in den nationalen Befreiungsbewegungen anzukämpfen. Kapitulationen vor dem Opportunismus sind in dieser Phase der imperialistischen Entwicklung die größte Gefahr für die revolutionäre Partei. Nur ein konsequenter Kampf gegen die Opportunisten und gegen alle, die aus deren reaktionärer Klassenrolle nicht die politischen Konsequenzen ziehen, kann die revolutionäre Partei vor der Degeneration bewahren. Das Versäumnis, sich theoretisch weiterzuentwickeln und zu verstehen, wie alle diese Tendenzen dem Imperialismus beistehen, kann solchen Zugeständnissen und Gefahren Vorschub leisten. Das Nationalkomitee der SLL ist der Meinung, dass die SWP Gefahr läuft, einen solchen Kurs zu verfolgen …

Diese Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Theorie haben schwerwiegende politische Folgen. Wenn die „neue Realität“ der SWP-Resolution bedeutet, dass kleinbürgerliche Führungen als revolutionär im Kampf des Proletariats gegen den Imperialismus anerkannt werden, dann muss man sich die praktischen Schlussfolgerungen für marxistische Revolutionäre vor Augen führen. Mit Sicherheit wird impliziert, dass das Kleinbürgertum eine lebensfähige Klasse mit einer großen historischen Mission ist, und dass die Rolle der bewussten proletarischen Avantgarde in dieser Phase eine ganz andere ist, als wir uns vorgestellt haben. Noch einmal: Die Revisionen müssen bis zu Ende gedacht werden, so wie Trotzki von denjenigen, die die Sowjetbürokratie übereilt als Klasse, als notwendiges historisches Organ in der Entwicklung der Gesellschaft und nicht als „zufälligen“ Auswuchs im Prozess der Weltrevolution betrachteten, verlangte, dass sie ihr Programm für diese besondere Epoche der Geschichte ausarbeiten. [68]

Im Jahr 1962, als der Konflikt innerhalb des Internationalen Komitees in sein zweites Jahr ging, hob die SLL die Diskussion auf eine neue Ebene, indem sie die theoretische Methode des Pablismus und der Socialist Workers Party einer kritischen – um nicht zu sagen vernichtenden – Analyse unterzog. In einem von Slaughter und Banda verfassten Leitartikel in der Labour Review mit dem Titel „Eine Karikatur des Marxismus“ über die Briefe von Pablo an Castro und Ben Bella (den Führer der bürgerlich-nationalistischen FLN in Algerien) wurde der krasse Impressionismus des revisionistischen Theoretikers und seine Abkehr von den grundlegendsten Elementen einer historisch-materialistischen Analyse entlarvt:

Die Briefe Pablos an Castro und die FLN fallen in die Kategorie der Opferung der revolutionären Partei, der revolutionären Theorie und damit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse an die kleinbürgerlichen Führungen der nationalen Bewegung. Diese Briefe sind bestenfalls Appelle an Castro und die FLN-Führer, sich zwischen dem Sozialismus und dem Rückfall in die Umklammerung des Imperialismus zu „entscheiden“. Vergessen ist der historische Materialismus, man findet keine Spur von der Notwendigkeit, dass bestimmte Klassen ihre eigene politische Theorie und Organisation schmieden müssen. Ein bloßer Sinneswandel der Machthaber kann den Lauf der Geschichte verändern. [69]

Slaughter und Banda wiesen auf eine Passage hin, in der Pablo behauptete, die Zukunft nicht nur Algeriens, sondern aller neuen unabhängigen Staaten Afrikas hänge davon ab, „wie diese politisch begrenzten Eliten die Staatsmacht einsetzen werden“. [70] So werde der Hoffnung Vorschub geleistet, dass Ben Bella und andere dem Rat des großen Pablo folgen und den Massen den Sozialismus zum Geschenk machen – ohne unabhängigen revolutionären Kampf und ohne die Schaffung von Organen der Arbeitermacht.

Sie führten weitere Beispiele für Pablos Kriecherei vor Castro an:

An die Stelle einer Analyse, wonach die Arbeiterklasse unter der Führung einer marxistischen Partei selbst die Macht erringen muss, setzt Pablo Bewunderung für Castro, dem er schreibt: „Ich bin überzeugt, dass wir es mit einer revolutionären sozialistischen Führung von hoher theoretischer und praktischer Qualität zu tun haben … Sie gehören in der Tat zur Reihe der großen Revolutionäre, die es verstanden haben, den Marxismus auf schöpferische und zutiefst revolutionäre Weise zu entdecken, zu assimilieren, zu interpretieren und weiterzuentwickeln, wie Rosa Luxemburg, Lenin, Leo Trotzki und in bestimmten Bereichen die revolutionären Jugoslawen und Chinesen.“ Hier wird jedes Augenmaß über Bord geworfen, von einer marxistischen Analyse ganz zu schweigen …

Wir können uns nicht mit den komischen Passagen in Pablos Brief aufhalten. Einige von ihnen sind geradezu unglaublich. So sagt er beispielsweise große soziale Reformen voraus, einschließlich der „Verbesserung der Qualität des Menschenmaterials durch eine intelligente Eugenik, die mehr und mehr freiwillig akzeptiert wird“. (Und was kommt vor der freiwilligen Akzeptanz?!) [71]

Der Leitartikel schloss mit einem vernichtenden Urteil über Pablos untaugliche Methode:

Abstrakte Vergleiche anstelle einer konkreten Analyse. Krasser Optimismus anstelle einer Strategie („Die bisherigen Erfolge der kubanischen Revolution, die Qualität und der kritische Geist ihrer Führung gestatten einen mehr als begründeten Optimismus hinsichtlich des Kampfs gegen Bürokratie und Bürokratisierung.“). Statt einer Perspektive für die Arbeit von Revolutionären in der Arbeiterklasse wird die Verantwortung an jene Führer abgetreten, die in der ersten Phase des Volksaufstands die spontane Unterstützung der Massen erhalten, z. B. an Castro: „Darin liegt auch Ihre höchste Verantwortung vor der Geschichte.“ „Der Führung dieser Revolution obliegt die gewaltige historische Aufgabe, diese Möglichkeiten zugunsten der Massen in Kuba und der Welt so klug wie möglich zu nutzen.“

Bei allem Gerede über den Kampf gegen die Bürokratie haben wir eine bürokratische Mentalität par excellence vor uns. Anstelle des täglichen Kampfs der Arbeiterklasse für den Aufbau einer eigenen Führung, die die Massen in die Lage versetzt, den Lauf der Geschichte bewusst zu bestimmen, haben wir Aufrufe an Castro und andere, die Möglichkeiten „zugunsten“ der Massen „klug zu nutzen“.

Pablos Briefe sind in keinem Sinne die Briefe eines Trotzkisten, wie wir ihn verstehen. Sie sind nichts weiter als der lachhaft vergebliche Versuch, eine theoretische und praktische Kapitulation vor der bestehenden Führung der nationalen Bewegungen zu verschleiern. Diese Unterwerfung hat ihre Entsprechung in der Haltung der Pablisten gegenüber den sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokraten in anderen Teilen der Welt. [72]

Den heutigen Leser, der diese Passagen fast 60 Jahre nach ihrer Entstehung Revue passieren lässt (mit dem Vorteil, zu wissen, was damals noch in der Zukunft lag), mag es verwundern, dass die SWP Pablos Geschwafel als trotzkistische Analyse gelten ließ und behauptete, die politischen Differenzen, die 1953 zur Spaltung führten, seien gelöst worden. Doch was die SWP zum Pablismus trieb, war nicht die Qualität der Argumente der revisionistischen Führer, sondern der objektive Druck, den der amerikanische Imperialismus auf sie ausübte, und ihre Anpassung an die politische Orientierung der radikalen Mittelklasse.

Anmerkungen:

[53] „The ,New Left‘ and the Working Class“, in: Labour Review, Juli–August 1959, Jg. 4, Nr. 2, S. 50.

[54] Ebd.

[55] K. Marx, F. Engels, „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik“, in: Marx Engels Werke, Berlin 1972, Bd. 2, S. 38.

[56] „The ,New Left‘ and the Working Class“, ebd., S. 51–52.

[57] Zitiert nach: „International Bulletin of the International Secretariat“, April 1959, in: Labour Review, Juli–August 1959, Jg. 4, Nr. 2, S. 33.

[58] Dokument hier verfügbar.

[59] Ebd.

[60] Ebd.

[61] Labour Review, Juli–August 1959, Jg. 4, Nr. 2, S. 38.

[62] Zitiert nach: D. North, Das Erbe, das wir verteidigen, 2. Auflage, Essen 2019, S. 481.

[63] Ebd.

[64] Ebd.

[65] Trotskyism Versus Revisionism: A Documentary History, Bd. 3, London 1974, S. 71.

[66] Ebd., S. 73.

[67] Ebd., S. 97–98.

[68] Ebd., S. 161–169. Die ersten drei Absätze des Zitats finden sich auch in D. North, Das Erbe, das wir verteidigen, ebd., S. 486 f.

[69] Labour Review, Jg. 7, Nr. 1, Frühjahr 1962, S. 5.

[70] Ebd.

[71] Ebd., S. 6–7.

[72] Ebd.

Loading