Berliner Kliniken: Verdi versucht Arbeitskampf abzuwürgen

Im Arbeitskampf bei den Kliniken von Charité und Vivantes zeichnet sich ein Ausverkauf durch die Gewerkschaft Verdi immer deutlicher ab, obwohl die Beschäftigten nach 13 Streiktagen weiterhin kampfbereit sind.

Zuletzt waren die Auswirkungen des Streiks in den beiden landeseigenen Klinikkonzernen der Hauptstadt deutlich spürbar. Von den insgesamt rund 9000 Betten waren über 1200 wegen des Streiks gesperrt. An allen Campus der Charité und den acht Vivantes-Standorten wurden mehrere Stationen komplett bestreikt. Hunderte Termine und Behandlungen mussten täglich verschoben oder abgesagt werden.

Vivantes-Beschäftigte ziehen zum Roten Rathaus, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen (Bild WSWS)

Die Demonstrationen und Kundgebungen im Rahmen des Arbeitskampfes fanden unter hoher Beteiligung statt. Am gestrigen Dienstag zogen mehr als 1000 Beschäftigte vom Vivantes-Klinikum in Friedrichshain zum Roten Rathaus, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Der Arbeitskampf richtet sich gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne – eine Folge der Spar- und Privatisierungsmaßnahmen des Berliner Senats. Gefordert werden ein so genannter Entlastungstarifvertrag und bessere Arbeitsbedingungen im Pflegebereich. Bei den Tochterunternehmen von Vivantes steht die Forderung nach einer Bezahlung gemäß dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) im Mittelpunkt. Die Beschäftigten in den Bereichen Küche, Reinigung oder Logistik erhalten dort bis zu 800 Euro weniger als Angestellte des Mutterkonzerns, die die gleiche Arbeit verrichten.

Wir unhaltbar die Zustände in den Kliniken sind, schilderten Beschäftigte am Montag bei einer Veranstaltung mit Vertretern der Politik in der Zionskirche, an der auch SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey und andere Vertreter der rot-rot-grünen Senatskoalition teilnahmen.

Wie der Tagesspiegel – dem anonymisierte Auszüge der Berichte vorliegen – schrieb, war dabei von völlig überfordertem Personal und schlecht versorgten Patienten die Rede.

Schockierend war der Bericht einer Intensivpflegekraft, die selbst die Einarbeitung erst kurz hinter sich hatte und gemeinsam mit einer Kollegin ohne Intensiverfahrung sechs Patienten in sechs Zimmern versorgen musste. Drei der sechs Patienten wurden beatmet, zwei wegen multiresistenter Erreger sowie wegen Covid-19 isoliert, eine Patientin befand sich in Chemotherapie. Nach dem offiziell geltenden Personalschlüssel wären für die Versorgung dieser Patienten mindestens drei Intensivpflegekräfte erforderlich gewesen.

„Ich habe in dieser Schicht keinen Schluck getrunken, geschweige denn gegessen, was gut war, denn so musste ich nicht auf die Toilette“, zitiert der Tagesspiegel die Pflegekraft. Als ein „Oberarzt mich anschnauzte, dass der rote Alarm eines Patienten seit drei Minuten klingele und niemand reagiere, zuckte ich nur mit den Schultern. Nach zwei Überstunden saß ich in der Umkleide auf dem Boden und konnte nicht mal mehr aufstehen.“

Ein medizinisch-technischer Assistent (MTA) schilderte, er habe einen etwa 45 Jahre alten Patienten bei einer Herzuntersuchung begleitet. „Er wurde danach zurück ins Bett gelegt und konnte von uns nicht weiter betreut werden.“ Als der den Patienten zwischen Tür und Angel ansprach, habe er festgestellt, dass er nicht mehr normal gelächelt und verzerrt gesprochen habe. Es sei kein Arzt vor Ort gewesen, ein herbeigerufener Neurologe habe dann festgestellt: „Er hatte einen Schlaganfall erlitten.“ Der Schlaganfall wäre viel früher erkannt worden, wenn eine Pflegekraft ihn überwacht hätte, folgerte der MTA.

Vor diesem Hintergrund wird die tiefe Kluft zwischen den Streikenden, deren Arbeitsdruck sich mit der Corona-Pandemie noch weiter erhöht hat, und der Gewerkschaft deutlich. Die Beschäftigten fordern Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern und den Arbeitsstress reduzieren. Die Gewerkschaft, die eng mit den Senatsparteien verflochten und mitverantwortlich für die verheerenden Zustände in den Kliniken ist, will den Streik noch vor den Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen am kommenden Sonntag beenden, ohne dass sich viel verändert.

Bereits am Wochenende hatte Verdi den Streik bei den Vivantes-Töchtern ausgesetzt, obwohl Gewerkschaftssekretär Ivo Garbe selbst eingestehen musste, dass das Angebot von Vivantes „völlig unzureichend“ sei. Am Montag wurden die Verhandlungen fortgesetzt.

Das Angebot von Vivantes sieht frühestens 2028 eine Anhebung der Gehälter auf TVöD-Niveau vor. Der Konzern erklärte, es enthalte wesentliche Aspekte eines ähnlichen Tarifmodells, das Verdi für die Charité-Tochter Facility Management (CFM) vereinbart hat. Dort hatte Verdi im letzten Jahr Proteste abgewürgt und einen Tarifvertrag unterzeichnet, der weit unter dem Niveau des TVÖD liegt.

Mit der Vivantes-Mutter nahm Verdi die Gespräche am Dienstag nach einem Spitzengespräch mit der Geschäftsführung wieder auf, obwohl auch sie sich kaum bewegt hatte. Trotzdem erklärte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger: „Wir hoffen weiterhin, zu schnellen Lösungen zu kommen, die ein Herunterfahren des Streiks ermöglichen.“

Bei der Charité, wo bereits am Wochenende Gespräche stattgefunden hatten, legte der Vorstand am Dienstag ein neues, schriftliches Angebot vor, das Verdi derzeit überprüft. Bei einer „positiven Bewertung“ könnten beide Seiten dann „unmittelbar in reguläre Verhandlungen einsteigen, um möglichst noch in dieser Woche eine Lösung des Tarifkonflikts zu finden“, erklärten Gewerkschaftsvertreter. Man sei grundsätzlich bereit, den Streik an der Charité „zeitnah herunterzufahren“.

Angesichts der hohen Kampfbereitschaft der Beschäftigten versucht Verdi den Streik bei Charité und Vivantes unter allen Umständen zu beenden, bevor er sich weiter ausbreitet und andere Kliniken und Einrichtungen erfasst, deren Pflegekräfte vor denselben Problemen stehen.

Am Dienstag traten Beschäftigte der Asklepios-Kliniken in Brandenburg/Havel, Lübben und Teupitz in einen viertägigen Warnstreik. An einer zentralen Streik-Kundgebung in Potsdam nahmen 200 Beschäftigte teil.

Für die rund 1450 Beschäftigten der drei psychiatrischen Fachkliniken laufen seit April Tarifverhandlungen. Die Löhne für die Beschäftigten in Brandenburg sind um bis zu 10.600 Euro pro Jahr geringer als in den Kliniken des Konzerns in Hamburg. Seit Juni hat der Konzern, der für seine rüden Methoden im Umgang mit Beschäftigten berüchtigt ist, kein weiteres Angebot vorgelegt.

Sein letztes Angebot war schlicht unverschämt. Es beinhaltete eine Einmalzahlung von 100 Euro pro Monat bis April 2022, anschließend eine Erhöhung der Entgelte um zunächst 2,5 Prozent und ab 2023 um weitere 1,6 Prozent.

Die Geschäftsführung lehnt nach eigenen Angaben die von Verdi geforderte Übernahme des TVöD mit der Begründung ab, dass die Kliniken private Unternehmen seien. Auch war es nicht möglich, mit dem Konzern eine Notdienstvereinbarung zu treffen. Wie Gewerkschaftskreise mitteilten, heuert Asklepios durch Zahlung von Prämien Streikbrecher aus anderen Kliniken an.

Angesichts der Empörung der Beschäftigten steht Verdi auch hier unter Druck, in einen unbefristeten Streik zu treten. „Wenn es kein verbessertes Angebot und somit auch keine Verhandlungen gibt, ist die Einleitung einer Urabstimmung und auch ein unbefristeter Streik bei Asklepios nicht mehr ausgeschlossen“, erklärte Verdi-Streikleiter Ralf Franke am Dienstag in Potsdam.

Der Arbeitskampf an den Berliner Kliniken macht einmal mehr deutlich, dass die Durchsetzung elementarer Forderungen nicht mit, sondern nur gegen die Gewerkschaft möglich ist. Es müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die gemeinsam mit den Beschäftigten anderer Kliniken und Betriebe in eine Offensive für gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne gehen.

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