Warschau und Brüssel verschärfen Angriffe auf Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze

Die polnische Regierung führt mit Unterstützung der Europäischen Union und der Nato einen regelrechten Krieg gegen Flüchtlinge. Nachdem mehrere Hundert Flüchtlinge nahe dem polnischen Grenzort Kuznica versucht haben, die Grenze zu durchbrechen und auf polnisches Territorium zu gelangen, wurden 2000 weitere polnische Soldaten an die Grenze entsandt und der Grenzübergang abgeriegelt. Zusätzlich wurde die Armee zur Territorialverteidigung in Alarmbereitschaft versetzt und die Nato angerufen.

Polnische Soldaten und Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze

Nach Angaben des polnischen Recherchedienstes Okopress und des belarussischen Twitterkanals Nexta haben sich die zumeist aus Irak, Syrien und Afghanistan stammenden Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung gemeinsam von der belarussischen Hauptstadt Minsk zu Fuß auf den Weg an die Grenze zu Polen gemacht, um ein Zeichen zu setzen. Von Seiten Polens und der EU treffen sie auf massive Gewalt.

Seit Wochen sind die Grenzen nach Polen und Litauen für Flüchtlinge geschlossen, aufgegriffene Flüchtlinge werden in illegalen Pushback-Aktionen von den Grenzschützern gewaltsam wieder nach Belarus verfrachtet. Daher wollten sie jetzt den offiziellen Grenzübergang bei Kuznica-Bruzgi nutzen. Kurz vor dem Grenzübergang sollen sie aber von belarussischen Grenzschützern von der Straße gedrängt und in die Wälder getrieben worden sein.

Videos des Flüchtlingstrecks, dem viele Frauen und Kinder angehören, wurden über Twitter und Telegram verbreitet. In Warschau tagte der Krisenstab der Regierung bestehend aus Präsident Andrzej Duda, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Polens faktischem Regierungschef und Vize-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski sowie den Ministern für Inneres und Verteidigung und den Geheimdienstchefs.

Martialisch erklärte Verteidigungsminister Mariusz Blaszak anschließend, sein Ministerium sei zusammen mit dem Innenministerium, das für die Polizei und den Grenzschutz zuständig ist, „bereit, die polnische Grenze zu verteidigen“. Die Grenzbefestigungen nahe der Kleinstadt Kuznica wurden von Hunderten Militärpolizisten, Grenzschützern und Soldaten abgeriegelt. Die Flüchtlinge, die offenbar „Germany, Germany“ skandierten und mit einfachen Schneidgeräten und Baumstämmen versuchten, Lücken in die Stacheldrahtbefestigungen an der Grenze zu reißen, wurden mit Tränengas und Pfefferspray gewaltsam am Grenzübertritt gehindert.

Als würde er aus einem Kriegsgebiet berichten, erklärte ein Sprecher der polnischen Grenzschutzbehörde: „Wir haben der ersten Welle standgehalten und warten, was in einer Weile geschieht, wenn es Nacht wird. Wir sind gut vorbereitet.“ Die Flüchtlinge, deren Zahl bis zum Einbruch der Dunkelheit auf rund 1000 gestiegen sein soll, haben auf der belarussischen Seite der Grenze in der Zwischenzeit ein Zeltlager errichtet und Lagerfeuer entzündet.

Die polnische Regierung will um jeden Preis verhindern, dass die Flüchtlinge nach Polen einreisen. Deswegen wurde das Truppenaufgebot an der Grenze auf nun 12.000 Soldaten erhöht, die zusätzlich zu tausenden Grenzschutz- und Militärpolizisten Jagd auf Flüchtlinge machen. Der Krisenstab der Regierung hat zudem angekündigt, die Armee zur Territorialverteidigung in Alarmbereitschaft zu versetzen. Die 29.000 Mann starke Truppe ist eine Art Freiwilligenheer und direkt dem Verteidigungsminister unterstellt. Sie wurde 2016 gegründet, um unter anderem zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt zu werden, und rekrutiert sich stark aus nationalistischen und rechtsextremen Kreisen.

Die Mobilisierung weiterer Truppenverbände richtet sich dabei offenkundig nicht nur gegen die Flüchtlinge, sondern auch gegen das Regime von Alexander Lukaschenko in Belarus. Die Verlautbarungen aus Warschau und der EU gegen die belarussische Regierung und seinen engsten Verbündeten Moskau werden zunehmend feindseliger.

Polens Geheimdienstkoordinator Stanislaw Zaryn schrieb auf Twitter von einem weiteren feindlichen Akt gegen Polen und behauptete: „Nach neuesten Informationen steht diese riesige Gruppe von Migranten unter der Kontrolle von bewaffneten belarussischen Einheiten, die entscheiden, wohin sie gehen darf und wohin nicht.“ Weiter behauptete er: „Immer häufiger bringen die Belarussen Gruppen von Migranten an die polnische Grenze, bis zu 250 Personen, um sie en masse auf die polnische Seite zu geleiten. Sie kontrollieren und organisieren diese Gruppen, helfen aber auch, die Grenzbefestigungen zu durchschneiden.“

Einen Beweis für seine Behauptungen konnte Zaryn nicht vorlegen.

Der Staatssekretär im polnischen Außenministerium Piotr Wawrzyk erklärte im staatlichen Radio, dass „Belarus einen Zwischenfall mit Schüssen und Toten provozieren will“. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki beschuldigte derweil Lukaschenko, zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Flüchtlingskrise absichtlich heraufbeschworen zu haben. Er sagte: „Wir haben es mit einer massenhaft organisierten, gut gesteuerten Aktion Minsks und Moskaus zu tun.“

Ins gleiche Horn stieß die deutsche Bundesregierung. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verlautbarte, es gebe „Hinweise, dass das Minsker Regime die Menschen trotz der widrigen Verhältnisse und auch der winterlichen Temperaturen immer wieder zur Grenze schickt, zum Teil mit Zwang“. Die deutsche Regierung arbeite daher an einer gemeinsamen Reaktion der EU „auf dieses perfide und menschenverachtende Verhalten von Herrn Lukaschenko“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte am Montagabend, Belarus müsse mit der „zynischen Instrumentalisierung von Migranten“ aufhören, und forderte „die Mitgliedstaaten auf, die erweiterte Sanktionsregelung gegen die belarussischen Behörden, die für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind, zu billigen“.

Die Nato, die von der polnischen Regierung konsultiert worden ist, drohte Belarus offen mit kriegerischen Handlungen. Ein Vertreter der Militärallianz erklärte nach Informationen der Welt am Montag in Brüssel, die Nato sehe „die jüngste Eskalation an der Grenze zwischen Polen und Belarus“ mit Sorge. Er warnte Belarus davor, „Menschen gegen das Militärbündnis zu instrumentalisieren“, und drohte, dass die Nato „bereit stehe, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen“.

All die Lügen und Drohungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Warschau und Brüssel – begleitet von einer ohrenbetäubenden Hetzkampagne in den Medien – an den europäischen Außengrenzen das Programm der extremen Rechten umsetzen. Sie sind gewillt, Flüchtlinge mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und notfalls auch mit Waffengewalt abzuwehren.

Seitdem die polnische Regierung den Ausnahmezustand an der Grenze zu Belarus ausgerufen hat, bleiben Tausende Flüchtlinge in den Wäldern und Sümpfen unversorgt. Journalisten und Hilfsorganisationen ist der Zutritt zu einem drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze strengstens untersagt. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sind die Flüchtlinge, die oftmals weder Decken, Zelte und nicht einmal Schuhe haben, gefangen im Niemandsland und der Kälte schutzlos ausgeliefert. Mindestens zehn Flüchtlinge sind in den letzten Wochen in der Grenzregion ums Leben gekommen.

Das gewaltige Aufgebot aus Polizei und Armee fängt jeden Tag mehr als 700 Flüchtlinge ab, die die Grenzsicherung überwinden konnten, und drängt sie völkerrechtswidrig direkt wieder zurück nach Belarus. Am 26. Oktober trat dazu ein Gesetz in Kraft, das diese illegalen und international verbotenen Pushbacks legalisiert. Seither darf jeder Grenzschutzkommandeur Flüchtlinge, die unerlaubt nach Polen eingereist sind, umgehend wieder abschieben und die Wiedereinreise für bis zu drei Jahre verbieten.

Obwohl das Asylrecht in Polen damit de facto abgeschafft ist und die Regelung massiv gegen EU-Recht verstößt, wird das polnische Vorgehen von Brüssel unterstützt. Die EU drängt Polen sogar dazu, mehr europäische Hilfe bei der Flüchtlingsabwehr zu akzeptieren. So sollen Einheiten der EU-Grenzschutzbehörde Frontex nach Polen entsandt werden, sobald dies von der Regierung in Warschau angefordert wird.

Eine besonders aggressive Rolle bei der Durchsetzung der faschistoiden „Festung Europa“-Politik spielt Deutschland. Am Dienstagmorgen stellte sich der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CDU) in einem Interview mit der Bild-Zeitung explizit hinter die illegalen Pushbacks und die Errichtung eines massiven Grenzwalls. Die polnische Regierung habe „bisher richtig reagiert“, erklärte er. „Ich sage auch, dass wir die bauliche Sicherung der Grenzen brauchen. Da müssen wir auch öffentlich die Polen unterstützen!“

Das brutale, unmenschliche und völlig illegale Vorgehen gegen wehrlose Flüchtlinge ist eine Warnung. Es zeigt, auf welche Methoden die herrschende Klasse zurückgreifen wird, um die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit und die Durchseuchungspolitik in der Pandemie zu unterdrücken, die allein in Europa bereits mehr als 1,4 Millionen Menschenleben gefordert hat. Arbeiter auf dem gesamten Kontinent müssen die Flüchtlinge verteidigen. Das ist nicht nur eine humanitäre Notwendigkeit, sondern ein elementarer Bestandteil des Kampfs gegen Diktatur, Faschismus und Krieg.

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