Vor möglicher dritter Amtszeit von Xi Jinping als Präsident:

Chinesisches Regime schreibt die Geschichte um

Letzte Woche endete in China ein viertägiges Treffen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KPCh). Am Freitag wurde eine umfangreiche Erklärung veröffentlicht, in der Präsident Xi Jinping und die Arbeit der Partei seit seiner Ernennung zum Generalsekretär der KPCh im Jahr 2012 in den höchsten Tönen gelobt wird.

Der chinesische Präsident Xi Jinping auf einer Leinwand während einer Galaveranstaltung zum 100. Parteitag der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas in Peking am 28. Juni 2021 (AP Photo/Ng Han Guan)

Die Lobeshymnen auf Xi dienen der Vorbereitung auf den 20. Parteitag der KPCh im nächsten Jahr, bei dem er – im Unterschied zu seinen beiden Amtsvorgängern – wahrscheinlich eine dritte fünfjährige Amtszeit als Generalsekretär der Partei und damit Präsident des Landes erhalten wird. Die verfassungsmäßige Beschränkung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten und den Vizepräsidenten war beim letzten Parteitag im Jahr 2018 aufgehoben worden.

Bei der Ankündigung des Parteitags im nächsten Jahr hieß es in der Erklärung: „Das Zentralkomitee fordert die gesamte Partei, das Militär und alle Einwohner Chinas auf, sich enger um das Zentralkomitee mit Genosse Xi im Zentrum zu versammeln [und] das Xi-Jinping-Denken über Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära vollständig umzusetzen.“

Die Bezeichnung Xis als „Zentrum“ der Partei und die „führende Rolle“ seines Denkens ist mittlerweile ein offizielles Pflichtritual. Das Treffen unterstützte nicht nur einstimmig den von Xi vorgelegten Arbeitsbericht des Politbüros der Partei, sondern verabschiedete ungewöhnlicherweise auch eine „Resolution über die wichtigsten Leistungen und die historische Erfahrung der Partei im Verlauf des letzten Jahrhunderts“.

Die KPCh hat bisher nur zweimal eine historische Resolution angenommen. Mit der ersten, im Jahr 1945, versuchte Mao Zedong nach den Fraktionskämpfen der 1930er, seine dominante Stellung in der Parteiführung zu festigen. Mit der zweiten, im Jahr 1981, versuchte Deng Xiaoping, das Vermächtnis von Maos irreführend als Kulturrevolution bezeichneter Kampagne ab 1966 zu begraben und die Grundlagen für marktwirtschaftliche Umstrukturierungen und die Wiedereinführung des Kapitalismus zu schaffen.

Die jüngste historische Resolution stellt Xi mindestens auf einen Stufe mit Mao und Deng. Die Erklärung enthält eine Zusammenfassung der Resolution, in der Mao und Deng sowie Xis unmittelbare Amtsvorgänger Jiang Zemin und Hu Jintao erwähnt werden. Allerdings ist mehr als die Hälfte des 5.400 Wörter umfassenden Textes dem Lob auf die Errungenschaften der Partei unter Xi gewidmet.

Eine ähnliche Gewichtung zeigte auch die neue „kurze Geschichte“ der Partei, die zeitgleich mit der Hundertjahrfeier zur Gründung der KPCh im Juli 1921 veröffentlicht wurde. Fast ein Drittel des Textes widmet sich Xis neun Jahren im Amt. Zudem überschütten die Staatsmedien die Bevölkerung mit hagiografischen Artikeln, in denen Xi als Mann des Volks mit Bezug zur einfachen Bevölkerung dargestellt wird.

Xi ist ein farbloser Bürokrat, der im Gegensatz zu Mao und Deng die sozialen und politischen Umwälzungen nicht erlebt hat, die zur Chinesischen Revolution von 1949 führten. Dass das Regime ihn in so außergewöhnlicher Weise aufbaut und sich von ihm abhängig macht, ist kein Ausdruck von politischer Stärke, sondern von Schwäche. Die KPCh ist nicht nur intern gespalten, sondern auch mit geopolitischen Konflikten konfrontiert, insbesondere mit den USA, sowie mit einer stagnierenden Wirtschaft und vor allem mit den immer schärferen sozialen Spannungen, die die Kluft zwischen Armen und Reichen hervorruft.

Nach dem Parteitag von 2018 erklärte die World Socialist Web Site zu Xis Aufstieg zum unumstrittenen politischen Machthaber Chinas: „Marxisten haben diese Herrschaftsformen klassischerweise als bonapartistisch bezeichnet.“ Angesichts einer umfassenden Krise wurde Xi zu einer überlebensgroßen Figur aufgeblasen, um die internen Streitigkeiten zu ersticken. Die Partei versucht verzweifelt, ihre Kräfte zu konsolidieren, um soziale Unruhen im Inneren zu unterdrücken und sich auf die Aggressionen der USA von außen vorbereiten zu können.

In der Erklärung von letzter Woche wird einerseits eingeräumt, dass „das äußere Umfeld im Verlauf des letzten Jahres zunehmend komplex und düster geworden ist... während China bei der Prävention und Kontrolle von Covid-19 und den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen im Inland vor immer schwereren Aufgaben stand“.

Andererseits wird die Realität auf den Kopf gestellt und Xis Bilanz als ein einziger Triumph dargestellt: „Die Wirtschaft hat ihren Schwung behalten, es gab positive Fortschritte... bei Chinas wissenschaftlicher und technologischer Eigenständigkeit, weitere Fortschritte... bei Reformen und Öffnung. Wie geplant, ein vollständiger Sieg... im Kampf gegen Armut, das Wohlergehen der Bevölkerung... weiter verbessert, soziale Stabilität... aufrechterhalten, stetiger Fortschritt... bei der Modernisierung der Streitkräfte, und Chinas Diplomatie gegenüber den Großmächten hat in allen Bereichen Fortschritte gemacht.“

Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum in China aufgrund der Corona-Pandemie im dritten Quartal auf deutlich unter fünf Prozent gesunken – eindeutig weniger als der Richtwert von acht Prozent, den das Regime als notwendig erachtet, um eine niedrige Arbeitslosenquote und damit soziale Stabilität zu erhalten. Zu der wirtschaftlichen Stagnation kommt die Gefahr finanzieller Instabilität aufgrund der hohen Verschuldung und einer wachsenden Krise auf dem Immobilienmarkt hinzu; beispielhaft dafür ist die Rückzahlungskrise bei Evergrande und anderen großen Baukonzernen.

Auf internationaler Ebene sind irgendwelche Fortschritte bei der „Diplomatie mit den Großmächten“ praktisch nicht festzustellen. Peking ist mit der unerbittlichen Feindschaft der USA konfrontiert, die in den letzten zehn Jahren eine militärische Aufrüstung organisiert, Militärbündnisse gestärkt und militärische Provokationen im Süd- und Ostchinesischen Meer lanciert haben. In diesem Jahr hat Washington unter Biden bewusst die Spannungen mit Peking in der Frage des Status von Taiwan verschärft und damit das Fundament der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern untergraben.

Zugespitzte Differenzen innerhalb der Führung der KPCh lassen die Fassade der Geschlossenheit bröckeln. Eine Fraktion befürwortet Zugeständnisse und einen neuen Kompromiss mit den USA, einschließlich einer weiteren Öffnung für das ausländische Kapital. Die andere Fraktion drängt auf eine beschleunigte militärische Aufrüstung und größere nationale wirtschaftliche Eigenständigkeit. Keine der beiden Strategien ist in irgendeiner Weise progressiv. Die USA haben bereits deutlich gemacht, dass sie nichts anderes als die völlige Unterwerfung Chinas unter ihre Interessen akzeptieren werden. Ein Wettrüsten hingegen würde zu einem katastrophalen Krieg führen.

Xi hält innerhalb der Partei ein labiles Gleichgewicht und versucht gleichzeitig, Rückhalt in der Bevölkerung zu bewahren. Er betont immer wieder die Treue der Partei zu Marxismus, Sozialismus und Kommunismus, obwohl die KPCh deren Grundsätze bereits vor Jahrzehnten zugunsten der reaktionären stalinistischen Doktrin vom „Sozialismus in einem Land“ aufgegeben hat und über eine Wirtschaft herrscht, deren kapitalistischer Charakter offensichtlich ist und in der der Markt alle Aspekte des Lebens dominiert.

Die KPCh rechtfertigte die Wiedereinführung des Kapitalismus mit der Behauptung, dies würde die soziale Sicherheit der Bevölkerung garantieren. Als das ausländische Kapital ins Land strömte, um seine billigen Arbeitskräfte auszubeuten, erhöhte sich zwar der Lebensstandard der Bevölkerung. Gleichzeitig entstand jedoch ein riesiger gesellschaftlicher Graben zwischen der großen Masse der Bevölkerung und einer winzigen Schicht von Milliardären und Multimilliardären, die von der Wiedereinführung des Kapitalismus profitierten.

Xis Behauptungen, einen „Sozialismus chinesischer Prägung“ umgesetzt und die absolute Armut beseitigt zu haben, sowie die Strategie des Regimes zur Eliminierung von Covid-19 auf wissenschaftlicher Grundlage sind letzten Endes Ausdruck ihrer Angst vor den zunehmenden sozialen Spannungen. Das Erbe der Chinesischen Revolution von 1949, einer monumentalen sozialen Umwälzung, die von der stalinistischen Perspektive der KPCh deformiert wurde, existiert weiterhin in der Bevölkerung mit der weit verbreiteten Haltung, die sozialen Interessen der Massen sollten Vorrang vor den privaten Profiten einiger weniger haben.

Trotz Xis Prahlerei, er habe die eng definierte absolute Armut eliminiert – und das auch noch nach Plan! –, können sich etwa 600 Millionen Chinesen die Miete in einer Großstadt nicht leisten, geschweige denn eine Immobilie kaufen. Gleichzeitig leben in China mehr Dollar-Milliardäre als in den USA, viele davon sind KPCh-Mitglieder oder in Beratergremien tätig. Die jüngsten Versuche des Regimes, einige der größten chinesischen Technologiekonzerne wie Alibaba und Tencent in die Schranken zu weisen, sollen das falsche, populistisch egalitäre Bild verbreiten, dass sich das Regime für „den allgemeinen Wohlstand“ einsetzen würde. Gleichzeitig sollte damit sichergestellt werden, dass die Superreichen keine Gefahr für das Machtmonopol der KPCh werden.

Dennoch drücken sich im so genannten Xi-Jinping-Denken und dem Umschreiben der Geschichte durch die KPCh die Interessen der chinesischen Oligarchen aus. Im Wesentlichen läuft es auf Xis „Traum“ von einer „nationalen Wiederbelebung“ Chinas hinaus, die laut Xi seit ihrer Gründung das Ziel der KPCh war. Die KPCh hat zwar die imperialistische Unterwerfung Chinas von Anfang an bekämpft, aber auch erkannt, dass ein derartiger Kampf die Einheit der chinesischen Arbeiter mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern im Rest der Welt sowie den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung des Sozialismus weltweit erfordert. Die heutige nationalistische Perspektive der KPCh ist dem genau entgegengesetzt: anstatt sich dem Sturz der gegenwärtigen imperialistischen Ordnung zu widmen, will sie einen Platz am Tisch der Imperialisten, den sie derzeit nicht hat.

Das internationalistische und sozialistische Programm, von dem die Gründung der KPCh inspiriert war, ist das, was die Arbeiter und Jugendlichen in China – genau wie im Rest der Welt – brauchen, denn sie alle sind mit einer wachsenden Kriegsgefahr und der Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Perspektive konfrontiert.

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