Inzidenz in Deutschland „zwei bis drei Mal so hoch“ wie offiziell erfasst

Das Pandemiegeschehen in Deutschland ist um ein Vielfaches dramatischer, als es die offiziellen Zahlen abbilden. „Die tatsächliche Inzidenz ist derzeit vermutlich zwei bis drei Mal so hoch wie die Inzidenz, die wir erfassen“, erklärte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz stellt Karl Lauterbach als Gesundheitsminister vor (Bild: SPD/Twitter)

Das Robert Koch-Institut (RKI) wies gestern offiziell eine Sieben-Tage-Inzidenz von 205,5 aus und meldete 40.043 Neuinfektionen.

Grund für die drastische Untererfassung sei, dass während der Feiertage deutlich weniger getestet werde, so der Gesundheitsminister. Und von den vorliegenden Testergebnissen würden dann noch wesentlich weniger als sonst dem RKI mitgeteilt. „Die gegenwärtig ausgewiesene Inzidenz unterschätzt die Gefahr, in der wir uns befinden“, fügte er hinzu. Man sehe „eine deutliche Zunahme der Omikron-Fälle, die uns Sorgen machen“.

Trotzdem verkündete Lauterbach keine einzige konkrete Maßnahme, um die Ausbreitung von Omikron zu stoppen. Im Gegenteil: laut einem Bericht des Spiegel prüft er aktuell eine Verkürzung der offiziellen Quarantäne-Dauer bei Kontakt zu Corona-Infizierten. Am Montag hatte bereits die US-Regierung die dortige Isolationszeit für Covid-Infizierte von zehn auf fünf Tage verkürzt.

Auch in Deutschland lassen alle Regierungen in Bund und Ländern dem Virus freien Lauf und weigern sich, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit umzusetzen – mit katastrophalen Konsequenzen. Hierzulande haben sich bereits mehr als sieben Millionen Menschen infiziert und 111.219 erlagen dem Virus. Nun beschwört die herrschende Klasse eine noch größere Katastrophe herauf.

Die Situation in den Kliniken ist dramatisch. Die adjustierte Hospitalisierungsinzidenz (Hospitalisierungsinzidenz mit geschätzten Nachmeldungen) liegt aktuell bei etwa 7,5 pro 100.000 Einwohner. Das entspricht rund 6.000 neu Hospitalisierten pro Woche – davon rund 250 unter 14 Jahren. Vergangene Woche lagen 4.474 Corona Patienten auf einer Intensivstation. Der Anteil freier Intensivbetten erreicht im Bundesschnitt die Zehn-Prozent-Linie, die als Grenze für die Reaktionsfähigkeit der Kliniken gilt. Auf Grund von regionalen Überlastungen müssen Patienten teilweise überregional verlegt werden.

Mit der schnellen Verbreitung der infektiöseren und Impfstoff-resistenteren Omikron-Variante droht der Kollaps des Gesundheitssystems. „Aufgrund des gleichzeitigen, extremen Patientenaufkommens“ sei „eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten“, heißt es in der ersten Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zu Covid-19. „Sogar wenn sich alle Krankenhäuser ausschließlich auf die Versorgung von Notfällen und dringlichen Eingriffen konzentrieren“ werde „eine qualitativ angemessene Versorgung aller Erkrankten nicht mehr möglich sein“.

Seitdem das Papier am 19. Dezember veröffentlicht wurde, hat sich Omikron auch in Deutschland massiv verbreitet. Die am Mittwoch bestätige Zahl der Omikron-Fälle lag bei 13.129 – 26 Prozent mehr als am Tag zuvor und mehr als viermal so viel, wie vor einer Woche. In Schleswig-Holstein macht Omikron bereits mehr als 50 Prozent der Fälle aus. Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs: Auf Grund der Feiertage und der allgemeinen Zeitverzögerung beim Sequenzieren von Fällen rechnet das RKI mit einer „hohen Anzahl von Neu- und Nachmeldungen“.

Die Folgen der Omikron Ausbreitung sind bereits jetzt international zu sehen. Im Vereinigten Königreich gab es an Heiligabend mehr als 121.000 Fälle, am Montag waren es bereits 318.700. In Frankreich wurden an Heiligabend und Weihnachten mit 94.124 bzw. 104.611 Fällen neue Rekordwerte verzeichnet. Am Dienstag wurden offiziell mehr als 180.000 Neuinfektionen gemeldet. Besonders bedrohlich ist die neue Variante für Kinder. In New York City hat sich die Zahl der hospitalisierten Kinder mit Covid-19 durch die Omikron-Variante vervierfacht.

Die ganze Pandemie über spielten Schulen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des Virus. Nun sollen sie trotz der zusätzlichen Gefahr durch Omikron sofort nach den Winterferien wieder geöffnet werden. Nächste Woche starten bereits die Schulen der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen in den Präsenzunterricht. In der Woche darauf sollen Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein folgen.

Karin Prien (CDU), die künftige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, sprach sich am Anfang der Woche gegen Schulschließungen und verlängerte Ferien aus. „Für eine solche flächendeckende Schulschließung in allen Bundesländern gibt es aus meiner Sicht weder eine Rechtsgrundlage, noch eine sachliche Begründung“, erklärt sie. Trotz der Omikron-Variante dürften Schulen nur im äußersten Notfall geschlossen werden.

Prien lehnt sogar Schutzmaßnahmen wie Luftfilter ab. Dabei stützt sie sich auf wissenschaftlich längst widerlegte Behauptungen, dass Luftfilter beispielsweise kaum einen Nutzen hätten. Stattdessen empfiehlt die designierte KMK-Präsidentin zynisch kostengünstigere CO2-Ampeln, die anzeigen, wann Zeit zum Lüften ist.

Vertreter der Ampel-Regierung und der Gewerkschaften äußern sich ähnlich. In einem Interview mit Bild TV am Sonntag betonte Lauterbach, dass er trotz Omikron nicht an einen harten Lockdown glaube. Schulen würden geöffnet bleiben.

Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann machte sich am Mittwoch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur für das Offenhalten der Schulen stark: „Vom Aussetzen der Präsenzpflicht halten wir gar nichts. Ansonsten nehmen einige Eltern ihre Kinder aus der Schule, weil sie die Gefahr für zu groß halten, dass ihr Kind eine Infektion mit nach Hause bringt.“

Der Klassencharakter dieser Politik der Durchseuchung ist offensichtlich. Den Regierungen und ihren Handlangern in den Gewerkschaften geht es um die Aufrechterhaltung der Produktion. Die Schulen müssen offenbleiben, damit die Eltern arbeiten können. Profit über Leben, das ist die Maxime der herrschenden Klasse. Dabei werden die Millionen von Toten bewusst in Kauf genommen.

Um das Massensterben zu beenden, muss die Arbeiterklasse als unabhängige politische Kraft selbst ins Geschehen eingreifen. Als Teil einer globalen Eliminierungsstrategie muss die Schließung von Schulen und nicht systemrelevanten Betrieben mit entsprechendem sozialen Ausgleich erkämpft werden, sowie eine allgemeine Impfpflicht. Die Zero-Covid-Politik in China – wo in diesem Jahr nur zwei Menschen an Corona gestorben sind – zeigt, dass eine solche Strategie zur Ausrottung des Virus möglich ist.

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