Streik bei Kavala Oil: Polizeiangriff auf griechische Ölarbeiter

Etwa 450 griechische Polizisten und Bereitschaftspolizisten stürmten wenige Tage vor Weihnachten, am 21. Dezember 2021, gegen 6 Uhr morgens das Werk des Erdölunternehmens Kavala Oil, um eine Besetzung von rund 120 Arbeitern zu beenden. Die Arbeiter hatten die Büros der Unternehmensleitung besetzt und die Werkanlagen bewacht, um gegen Entlassungspläne und massive Sicherheitsprobleme zu protestieren.

Die Ölraffinerie in dem Dorf Nea Karvali, östlich der Stadt Kavala im Nordosten Griechenlands, gehört zu den Erdöl- und Gasförderanlagen der Lagerstätte „Prinos“, die in der Nordägäis vor der Insel Thasos liegen. Energean, der Mutterkonzern von Kavala Oil mit Hauptsitz in London, will die Löhne drücken und 80 von insgesamt etwa 240 Arbeitern bei Kavala Oil entlassen, ein Drittel der Belegschaft. Außerdem sollen erfahrene, festangestellte Arbeiter, die die Maschinen und Sicherheitsrisiken gut kennen, zunehmend durch Arbeitskräfte über Subunternehmer ersetzt werden.

Seit dem 1. Januar sind die Arbeiter nun in den Streik getreten und fordern die Einhaltung von Arbeitsvorschriften und Notfallplänen. „Wir sind gezwungen, ununterbrochen Zwölfstundentage zu arbeiten und sind jetzt physisch und psychisch erschöpft“, schreiben sie in einer Erklärung und kritisieren u.a. die Umgehung grundlegender Vorschriften für den sicheren Betrieb von On- und Offshore-Anlagen, was zu einem ernsthaften Unfallrisiko führt.

Der Streik zeigt die wachsende Kampfbereitschaft in der griechischen Arbeiterklasse. Bereits am 10. und 11. Dezember hatten Hafenarbeiter und Seemänner in einem 48-Stunden-Streik Lohnerhöhungen gefordert. Weltweit wehren sich Arbeiter dagegen, dass die Kosten der Pandemie auf ihre Schultern abgewälzt werden. Im Nachbarland Türkei brach im Sommer eine spontane Streikwelle von Tausenden Elektrizitätsarbeitern aus und im Dezember streikten landesweit türkische Ärzte und Pfleger. In den USA protestieren aktuell Tausende Lehrer gegen den gefährlichen Präsenzunterricht in der Omikron-Welle.

Die griechische Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) führt die Sozialangriffe der letzten Jahrzehnte in der Pandemie weiter und betreibt eine gefährliche Durchseuchungspolitik. Die Corona-Zahlen sind in den letzten Tagen dramatisch in die Höhe geschnellt. Am vergangenen Dienstag zählte das kleine Land von knapp 11 Millionen Einwohnern eine Rekordzahl von mehr als 50.000 Neuinfektionen. Gerade Industriearbeiter sind durch die Pandemie doppelt getroffen, weil sie die hohe Infektionsgefahr in ihren Betrieben ebenso wie Stellenabbau und Lohneinbußen fürchten müssen.

Energean versucht den Widerstand in seiner Belegschaft mit Einschüchterung und Gewalt zu brechen. Wie die lokale Nachrichtenseite proininews.gr berichtet, war dies das erste Mal, dass die Bereitschaftspolizei gegen Arbeiter auf dem Fabrikgelände eingesetzt wurde. Laut einem Sprecher der Betriebsgewerkschaft von Kavala Oil brachen die Polizisten das Tor neben der Gas- und Ölleitung auf, wo nur ein kleines Leck eine riesige Explosion hätte verursachen können.

Ein von der Aktivistengruppe Menoume Energoi auf Facebook veröffentlichtes Video zeigt, wie Arbeiter mit Wasserschläuchen versuchen, die Polizisten zurückzudrängen, die Blendgranaten einsetzten. Berichten zufolge traf eine Granate einen Hochspannungstransformator, was einen vorübergehenden Stromausfall verursachte.

Um der Polizei zu entkommen, kletterten die Arbeiter auf einen Turm der Raffinerie, wo sie stundenlang ausharrten, bis ihnen die Anwesenheit von Anwälten zugesichert wurde. Von halb 6 Uhr morgens bis 17 Uhr wurde der Turm von den Polizisten belagert und den dort festgehaltenen Arbeitern sogar Wasser verweigert, schilderte ein Gewerkschaftssprecher.

Der unverantwortliche Einsatz von Blendgranaten in einer Ölraffinerie hätte zu einer tödlichen Explosion führen können. Dieses brutale Vorgehen veranschaulicht den Modus Operandi der griechischen Polizei, die als Kettenhund der Konzerne auf die Arbeiter gehetzt wird.

Die regionale Polizeidirektion behauptete danach, die Beschäftigten hätten Schwefelwasserstoff gegen die Polizei verschüttet, was die Arbeiter entrüstet zurückwiesen. Diese haltlose Lüge zeuge von völliger Unkenntnis über die toxische Gefahr von Schwefelwasserstoff, dessen Einsatz sofort zu Todesfällen geführt hätte, so die Arbeiter.

Insgesamt wurden 17 Arbeiter verhaftet und in Gewahrsam genommen. Später am Abend fand ein Solidaritätsprotest vor dem Polizeipräsidium von Kavala statt, gefolgt von einem Protestzug durch die Stadt. Am nächsten Tag wurden die Arbeiter wieder freigelassen. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Ölarbeiter ein, die sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt hatten, um ihre Kollegen zu empfangen. Ein Arbeiter wurde dabei verletzt.

Wenige Tage nach dem Polizeieinsatz fand eine weitere Demonstration statt, auf der sich Arbeiter aus verschiedenen Berufszweigen und Betrieben mit den Ölarbeitern solidarisierten. Sie versammelten sich auf dem zentralen Platz Kapnergatiki, auf dem ein Denkmal an die kämpferischen Tabakarbeiter Kavalas erinnert.

Kavala war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Zentrum der Tabakindustrie und hat damals bereits blutige Angriffe auf die Arbeiterbewegung erlebt. Im Juni 1928 führte ein großer Tabakarbeiterstreik in Kavala zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen sechs Arbeiter getötet wurden. Im Mai 1936 streikten die Tabakarbeiter in Kavala, Thessaloniki und weiteren Städten und wurden abermals von der Polizei niedergeschlagen. Ein paar Monate später, im August 1936, errichtete der General Ioannis Metaxas eine Militärdiktatur in Griechenland, die ein Terrorregime gegen die Arbeiterklasse verhängte.

Auf die Streikankündigung der Betriebsgewerkschaft „To Vareli“ reagierte Energean mit einem außergerichtlichen Schreiben, in dem es die Arbeitsniederlegung als illegal bezeichnete und den Streikenden mit Kündigung drohte. Die Entlassungen bei Kavala Oil erfolgen nur wenige Monate, nachdem der Mutterkonzern Energean ein staatlich garantiertes Darlehen in Höhe von 100 Millionen Euro aus dem Corona-Hilfsfonds erhalten hatte, das angeblich dazu dienen sollte, Arbeitsplätze zu sichern und die finanzielle Lebensfähigkeit des Unternehmens zu erhalten. Der Konzern begann direkt mit Entlassungen und führte ein „Freiwilliges Ausstiegsprogramm“ ein, um Arbeiter zur Kündigung zu drängen.

Die staatlichen Gelder, die in Investitionen und die Maximierung der Rendite fließen, wurden von der Europäischen Kommission genehmigt und mit den finanziellen Verlusten der Lagerstätte Prinos im ersten Pandemiejahr begründet, die vor allem auf gefallene Ölpreise zurückgingen. Dabei mussten die Arbeiter bei Energean in der Pandemie ohne Einschränkungen weiterarbeiten. „Keine Betriebsunterbrechung durch Covid-19“ und „Produktion lief normal weiter“ verkündete die Unternehmensleitung stolz in einem Bericht über die Geschäftsergebnisse 2020.

Die Arbeiter können ihren Kampf gegen die Entlassungen und Sparmaßnahmen aber nur unabhängig von den Gewerkschaften und den bürgerlichen und pseudolinken Parteien erfolgreich führen. Gerade bei Kavala Oil ist das offensichtlich. Die dortige Betriebsgewerkschaft „To Vareli“, die zum Gewerkschaftsverband Panhellenische Energieföderation gehört, kooperiert seit Jahrzehnten mit dem Management, um das Werk auf Kosten der Arbeiter rentabel zu halten. Das gibt sie sogar selbst zu. In ihrer Erklärung vom 24. Dezember 2021, mit der sie den Streik ab Neujahr ankündigte, heißt es:

„Bis heute haben wir das Unternehmen unterstützt, indem wir Lohnkürzungen, ein Einfrieren des Versicherungsprogramms [Renten- und Sozialleistungen] im Jahr 2015, den Stellenabbau von Maschinenbedienern, unbezahlte Überstunden für die Jahre 2015 bis 2018 und für das Jahr 2020 und viele andere Zugeständnisse akzeptiert haben, die der Arbeitgeber nachweislich nie zu schätzen wusste.“

Sie hätten in den letzten Monaten die großen Sicherheitsmängel des Werks mehrfach angeprangert und um Gespräche mit der Geschäftsleitung gebeten. „Leider hat man uns nicht zugehört“, lamentiert die Gewerkschaft und macht klar, dass sie nur schweren Herzens und aufgrund der enormen Wut in der Belegschaft zum Mittel des Streiks greift.

„Leider hat uns der Arbeitgeber keine andere Wahl gelassen“, schreiben sie und schüren zugleich Illusionen in den guten Willen von Energean: „Wir hoffen, dass der Arbeitgeber bald die Anforderungen des Gesetzes, der Arbeitsordnung, des Notfallplans für Land- und Seeanlagen und des Notfallplans für die Brandbekämpfung und Meeresverschmutzung erfüllt, damit wir alle unsere Arbeit wieder aufnehmen können, die unsere einzige Lebensgrundlage ist, und damit Prinos zur Normalität zurückkehren kann.“

Als im Frühjahr 2020 aufgrund der Pandemie der Ölpreis einbrach, was auch zu finanziellen Problemen bei Kavala Oil führte, bot der Vorsitzende der Gewerkschaft Manolis Kelaidakis umgehend die Dienste der Gewerkschaft an. Im Mai schrieb er, man sei bereit der Konzernleitung zu helfen:

„Wir als Gewerkschaft, die wir solche Krisen schon oft und in verantwortlicher Position erlebt haben – ich erinnere an die Zeit der Selbstverwaltung –, wissen, wie ernst es ist, wenn der Preis die gesamte Planung betrifft. Also wurden wir aktiv und trafen uns mit den zuständigen Gremien, den Abgeordneten, dem stellvertretenden Bürgermeister und dem Bürgermeister.“

Mit dem Verweis auf die „Zeit der Selbstverwaltung“ spielt Kelaidakis auf die frühen 2000er Jahre an, als die Leitung des Unternehmens zeitweise in die Hände der Gewerkschaft überging, nachdem sich Aktionäre aufgrund von erwarteten Gewinneinbußen zurückgezogen hatten. Diese „Selbstverwaltung“ bedeutete im Wesentlichen, dass die Gewerkschaft das Werk auf dem Rücken der Belegschaft sanierte.

Ende der 1990er Jahre hatte sich der damalige Eigentümer des Ölfelds Prinos, das internationale Konsortium North Aegean Oil Company (NAPC), aus dem Geschäft zurückgezogen, weil die Fördermenge zurückging und ein Ölpreisverfall eintrat. Der gesamte Betrieb ging an den griechischen Staat, der die Anlagen 1999 an die Firma Kavala Oil SA übertrug. Diese bestand zu Beginn aus zwei Partnern: dem Unternehmen Eurotechniki (67 Prozent) und der Arbeitnehmergenossenschaft (33 Prozent).

Die Anteile von Eurotechniki wurden 2003 mehrheitlich von dem britischen Erdölunternehmen Regal Petroleum gekauft, das aber zwei Jahre später wieder ausstieg, als sich zeigte, dass eine explorierte neue Lagerstätte nicht die erhoffte wirtschaftliche Ausbeute ermöglichte. Daraufhin ging die Betriebsführung der Ölfelder und der Raffinerie an die Gewerkschaft über, die deshalb von einem „selbstverwalteten Unternehmen“ sprach. Obwohl die Ölpreise auf dem Weltmarkt seit 2004 wieder anstiegen, verlangten die Gewerkschaftsmanager von den Arbeitern bei Kavala Oil, stagnierende Löhne und weitere Opfer hinzunehmen.

Davon profierte 2007 schließlich Energean Oil & Gas, das 100 Prozent der Aktienanteile an Kavala Oil erwarb und die Firma 2019 endgültig übernahm. Energean, das 2018 an die Börse in London und Tel Aviv ging, investiert vor allem im Gas- und Erdölbereich im Mittelmeerraum, neben Griechenland auch in Israel, Ägypten und Italien.

Die Gewerkschaft hatte weiterhin eine starke Stellung in der Betriebsleitung. Kelaidakis war 2009 bis 2013 „Vizepräsident der selbstverwalteten Firma Kavala Oil“ und arbeitete eng mit Vangelis Pappas zusammen, der erst Gewerkschaftsvorsitzender und 2005 bis 2013 „Präsident der selbstverwalteten Firma Kavala Oil“ war. Beide sind Mitglied der Lokalpartei KAP (Soziale Wirksame Intervention) in Kavala.

Der CEO von Energean, Mathios Rigas, der laut der Investment-Datenwebsite Wallmine ein Gehalt von umgerechnet 13.566 Euro einstreicht, kündigte im letzten Jahr an, dass der Konzern ab Ende dieses Jahres 2022 erstmals Dividenden ausschütten will. Mit anderen Worten, Energean versucht jetzt Stellen abzubauen und die Sicherheitsstandards der Werke herunterzuschrauben, damit die Anlagen mehr Gewinne abwerfen und die Aktionäre sich dieses Jahr über Profitmargen freuen können.

Die streikenden Arbeiter bei Kavala Oil treten diesen Angriffen mutig entgegen. Dafür brauchen sie aber eine globale Kampfstrategie und ein eigenes Aktionskomitee, das den Streik ausweitet und sich an Arbeiter in anderen Betrieben in Griechenland und weltweit wendet. Die Gewerkschaften treten heute in allen Ländern als Co-Manager auf und versuchen, die wachsenden internationalen Proteste und Streiks gegen Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne und gegen die Durchseuchungspolitik voneinander zu isolieren und zu unterdrücken. Deshalb ruft die World Socialist Web Site zum Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees auf, die Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften organisiert und in einem gemeinsamen weltweiten Kampf gegen den Kapitalismus vereint.

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