Am 23. Juli 1939 empfing Leo Trotzki in seinem mexikanischen Exil mehrere Journalisten und teilte ihnen seine Einschätzung der internationalen Lage mit. Obwohl er hinter den Mauern seines Hauses in Coyoacan quasi eingesperrt war, zeigte Trotzki ein beispielloses Verständnis für die Weltpolitik.
In dem auf Englisch geführten Pressegespräch sagte Trotzki zu den versammelten Reportern, das kapitalistische System befinde sich in einer Sackgasse: „Aus meiner Sicht gibt es keinen normalen, legalen, friedlichen Ausweg aus dieser Sackgasse. Ein Ausweg kann nur durch eine gewaltige historische Explosion kommen.“
Er fuhr fort: „Es gibt zwei Arten historischer Explosionen: Kriege und Revolutionen. Ich glaube, wir werden beides haben.“ Die Ereignisse waren dabei, alle Regierungen und die etablierten Massenparteien zu überrollen. In einer treffenden Metapher verglich Trotzki ihre Aktionen mit einem „Kinderspiel am steilen Hang eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch“.
Trotzkis Analyse wurde schnell bestätigt. Nur fünf Wochen später brach der Vulkan aus, in Form des zweiten imperialistischen Weltkriegs.
Trotzkis Beschreibung der Welt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erlangt in der gegenwärtigen Situation außerordentliche Bedeutung. Alle Regierungen verhalten sich mit erschütternder Rücksichtslosigkeit.
Aber die rücksichtsloseste aller Regierungen ist die der Vereinigten Staaten. Ihre führenden Vertreter klettern am Hang des Vulkans bis zum Rand hoch und werfen Dynamit in den glühenden, brodelnden Krater.
US-Präsident Joe Biden hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Enge getrieben, mit der Absicht, die katastrophale russische Invasion in der Ukraine herbeizuführen. Damit hat er militärische, wirtschaftliche, politische und soziale Prozesse in Gang gesetzt, die er nicht kontrollieren und deren Ausgang er nicht vorhersehen kann.
Dieses Ausmaß an Rücksichtslosigkeit ist nur als Handeln einer Regierung erklärbar, die auf Krieg zurückgreift, um von den extremen sozialen Spannungen in den USA selbst abzulenken und ihnen entgegenzuwirken.
Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer beispiellosen innenpolitischen Krise, die höchstens mit der Zeit des Bürgerkriegs vergleichbar ist. Diese Krise besteht im Wesentlichen aus vier Elementen.
1) Die Covid-19-Pandemie, die das Land verwüstet hat, mit einer offiziellen Zahl von einer Million Toten durch die Pandemie.
2) Eine politische Krise, die nur mit dem amerikanischen Bürgerkrieg vergleichbar ist. Am 6. Januar 2021 unternahm der damalige amtierende US-Präsident einen Versuch, die Verfassung gewaltsam zu stürzen und die Amtseinführung des neuen, ordnungsgemäß gewählten Präsidenten zu verhindern.
3) Die zunehmende Fragilität eines Wirtschaftssystems, das durch parasitäre Spekulationen aufrechterhalten wird, die wiederum durch die unbegrenzte Liquiditätszufuhr durch die US-Notenbank Federal Reserve angeheizt werden. Seit Beginn des Jahres 2022 kann die Preisinflation nicht mehr eingedämmt werden.
4) Nachdem der Klassenkampf vierzig Jahre lang unterdrückt worden war, trat er 2021 wieder ans Tageslicht. Es kam zu großen Streiks in der Industrie, die die Form eines Aufstands gegen die korporatistische Gewerkschaftsbürokratie annahmen. Es ist offensichtlich, dass sich die Arbeiterklasse radikalisiert.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Zusammenspiel dieser Krisen hat zu einem hohen Maß an Angst und Orientierungslosigkeit innerhalb der herrschenden Elite geführt. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Entscheidung der Biden-Regierung, den ukrainisch-russischen Krieg zu provozieren, in der Hoffnung, dass dadurch ein Klima der „nationalen Einheit“ entstehe.
Aber die Aufstachelung zum Krieg wird genau das Gegenteil bewirken. Sie wird alle Elemente der US-amerikanischen Krise verschärfen und vor allem den Klassenkampf weiter anheizen. Die unerbittliche Kriegspropaganda hat kaum Auswirkungen auf die Arbeiterklasse, die sich inmitten einer sozialen Krise in den Vereinigten Staaten gegen die Vergeudung gesellschaftlicher Ressourcen wehrt und nicht bereit ist, weitere Menschenleben für einen neuen militärischen Kreuzzug zu opfern.
Die antirussische Hysterie ist kein aussagekräftiger Gradmesser für die gesellschaftliche Stimmung in den Vereinigten Staaten. Wie ein Thermometer zeigt sie vielmehr den Anstieg des Kriegsfiebers an, das die wohlhabende und reaktionäre obere Mittelschicht erfasst hat.
Sobald Arbeiter den offenen Kampf zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen aufnehmen, werden die grundlegenden Tendenzen des gesellschaftlichen Lebens sichtbar werden. Die Kämpfe werden einen internationalen Charakter annehmen und die soziale Grundlage einer Antikriegsbewegung bilden.
Auf diese Analyse stützt die Socialist Equality Party ihren Kampf gegen Krieg.
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Quelle, Zitat: Leon Trotsky, „On the Eve of World War II“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, New York, 1973, S. 17 (aus dem Englischen)
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