Gewerkschaften unterstützen militärische Aufrüstung und erklären Burgfrieden

Wenige Tage nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag unter dem frenetischen Applaus aller Parteien eine gigantische Erhöhung des deutschen Militärhaushalts angekündigt hat, klatschen auch die Gewerkschaften Beifall.

IGM-Chef Jörg Hofmann (Foto: IG Metall)

Zwei Tage nach der Kriegs-Rede des Kanzlers gaben die IG Metall und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine gemeinsame Erklärung heraus, unterschrieben vom IGM-Vorsitzenden Jörg Hofmann und BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Darin heißt es: „Die Spitzenvertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Industriegewerkschaft Metall, die auch Mitbegründer des Bündnisses ‚Zukunft der Industrie‘ sind, unterstützen mit Nachdruck die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern verhängten Sanktionsmaßnahmen gegen Russland.“

Die IG Metall unterstützt nicht nur die Kriegshysterie gegen Russland, sie erklärt sich auch bereit, die verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Sanktionspolitik – explodierende Sprit- und Energiepreise, hohe Inflation, Entlassungen, Kurzarbeit und Lohneinbußen – auf ihre Mitglieder abzuwälzen und jeden Widerstand dagegen zu ersticken.

Die Sanktionen würden „auch zu Nachteilen für Deutschland, seine Unternehmen und Beschäftigten“ führen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, die „gemeinsam mit der Politik so weit wie möglich“ abgefedert werden müssten.

Wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als die Gewerkschaften einen Burgfrieden mit der kaiserlichen Regierung und den Unternehmerverbänden schlossen, versuchen sie noch nicht einmal den Eindruck zu erwecken, sie verfolgten andere Interessen als die milliardenschweren Konzerne und ihre Bundesregierung. Sie werden so zu einem wichtigen Bestandteil der Vorbereitung eines dritten Weltkriegs.

Noch deutlicher ist eine gemeinsame Erklärung der IG Metall Baden-Württemberg und von Südwestmetall, in der es heißt, die militärische Aggression Russlands habe eine „geschlossene und entschlossene“ Reaktion Deutschlands, Europas und seiner Verbündeten erforderlich gemacht und eindrucksvoll hervorgebracht.

„Wir unterstützen die beschlossenen Maßnahmen“, betonen beide Verbände. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass damit auch die dramatische Erhöhung der Militärausgaben gemeint ist. Ausdrücklich begrüßt werden die Sanktionen gegen Russland, trotz ihrer schlimmen Auswirkungen auf die Bevölkerung in Russland und hier. „Diese Maßnahmen werden uns allen Opfer abverlangen,“ heißt es in der Erklärung.

Auch der DGB unterstützt in einer Stellungnahme die beschlossenen Sanktionen. Auch er betont, dass die „nachteiligen Folgen“ der Sanktionen „auch an uns selbst nicht spurlos vorübergehen“ werden. Neben gestörten Lieferketten erweise sich vor allem die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischen Erdgas-, Kohle- und Erdölimporten als problematisch. Durch neue „energiepolitische Rahmenbedingungen“ müsse die Bundesregierung dafür sorgen, „diese Abhängigkeit deutlich zu reduzieren“.

Dann lobt der DGB: „Die Bundesregierung hat zu Recht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert.“ Das ist unmissverständlich. Im Namen aller acht Einzelgewerkschaften unterstützt der DGB das größte militärische Aufrüstungsprogramm seit Hitler und die Waffenlieferungen an die Ukraine.

Um besorgte Gewerkschaftsmitglieder zu beruhigen, heißt es im nächsten Satz: „Die dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO wird vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften weiterhin kritisch beurteilt.“ Doch die kritische Beurteilung beschränkt sich darauf, dass die „dringend erforderlichen Zukunftsinvestitionen in die sozial-ökologische Transformation und in die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates“ sichergestellt bleiben müssen.

Mit anderen Worten: Die Gewerkschaft sieht ihre Aufgabe darin, die militärische Aufrüstung so zu gestalten, dass sie den mit der „sozial-ökologischen Transformation“ verbundenen, längst geplanten Abbau von Arbeitsplätzen, Löhnen und Sozialleistungen nicht gefährdet.

Der Hauptkassierer der IG Metall, Jürgen Kerner, brachte es in einem Interview auf den Punkt: „Unsere Wertigkeit hat sich innerhalb einer Woche gewendet.“ Die Oberpfalz-Medien fassen seinen Standpunkt mit den Worten zusammen: „Natürlich gehört es sich nach Ansicht von Jürgen Kerner, die Ukraine jetzt mit Waffen zu unterstützen und die Wehrfähigkeit der Bundeswehr wiederherzustellen.“

Die Gewerkschaften sind untrennbarer Bestandteil der Kriegskoalition. Sie übernehmen die verlogene Kriegspropaganda der Regierung und der Medien, die die Verantwortung für den Krieg ausschließlich bei Putin sehen und die russische Bevölkerung dafür in Geiselhaft nehmen. Den gutverdienenden Bürokraten in den Gewerkschaftszentralen kommt es überhaupt nicht in den Sinn, dass man sich Putins reaktionärem Einmarsch in die Ukraine auch auf einer prinzipiellen, linken Grundlage widersetzen kann, ohne die Nato zu unterstützen.

Als die Nato 1999 Belgrad bombardierte und 2003 mit einem tagelangen Raketenbeschuss in Bagdad Furcht und Schrecken („Shock and Awe“) verbreitete, hörte man keinen vergleichbaren Protest von den Herren Gewerkschaftern. Ebenso wenig, als Nato-Flugzeuge 2011 Libyen verwüsteten. Sie verlieren auch kein Wort darüber, dass unter der Parole „Verteidigt die Ukraine!“ das Land mit Waffen vollgestopft und internationale Söldner und faschistische Milizen angeheuert werden.

Die Nato hat den jetzigen Krieg durch die militärische Einkreisung Russlands, den rechten Putsch in Kiew vor acht Jahren und die Aufrüstung der ukrainischen Armee systematisch provoziert. Nun nutzt sie ihn, um ihr Ziel zu verfolgen, in Moskau ein Marionettenregime zu installieren, Russland als strategischen Rivalen auszuschalten und unbeschränkten Zugang zu seinen gewaltigen Bodenschätzen zu bekommen – und nimmt dabei das Risiko eines atomaren Weltkriegs in Kauf.

Bei allen Krokodilstränen, die ihre Vertreter täglich über das furchtbare Schicksal der ukrainischen Bevölkerung vergießen, dient diese der Nato lediglich als Schachfigur in einem Krieg, den sie seit Jahren geplant und vorbereitet hat.

Eine prinzipielle Opposition gegen den Krieg, die den russischen Angriff ablehnt, ohne sich an die Nato anzupassen, erfordert die Einheit der Arbeiter in der Ukraine, in Russland, in Deutschland und auf der ganzen Welt. Sie tritt nicht für Aufrüstung ein, sondern für die Entwaffnung der Kapitalisten und die Auflösung der Militärbündnisse.

Eine solche Perspektive ist für die Gewerkschaftsbürokraten, die nicht einmal mehr in Sonntagsreden von „Solidarität“ sprechen, ein Alptraum. Sie sind – wie Putin – nationalistisch bis aufs Mark und selbst die übelsten Kriegstreiber.

Bereits 2014 hatte der DGB begeistert reagiert, als der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) dazu aufrief, dass Deutschland eine Großmachtpolitik verfolgen und international mehr militärische Verantwortung übernehmen müsse. Um für diese Politik zu werben, richtete Steinmeier damals die Website „Review 2014“ ein. Ein Beitrag stammte vom neu gewählten DGB-Chef Hoffmann, der sich uneingeschränkt hinter die militärische Aufrüstung stellte.

Schon Hoffmanns Vorgänger Michael Sommer hatte enge Kontakte zur Bundeswehr gepflegt. Der DGB hatte in einer gemeinsamen Erklärung mit der Bundeswehr allen Ernstes behauptet, Gewerkschaften und Bundeswehr seien beide Teil der Friedensbewegung. Kurze Zeit später beteilige sich der DGB an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr.

Die Unterstützung der Kriegspropaganda und militärischen Aufrüstung kommt nicht nur daher, dass viele Gewerkschaftsfunktionäre Mitglieder der SPD und auch der Grünen sind, die gegenwärtig die Kriegsentwicklung intensiv vorantreiben. Vielmehr ergibt sich die enge Zusammenarbeit mit Regierung, Staat und Armee direkt aus der nationalistischen, auf die Verteidigung des jeweiligen Industrie-Standorts gerichteten Politik der Gewerkschaften.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erläuterte Leo Trotzki die enge Verbindung der Gewerkschaften und der Kriegspolitik. Er schrieb:

Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. Dieser Prozess charakterisiert die unpolitischen Gewerkschaften in gleicher Weise wie die sozialdemokratischen, kommunistischen und „anarchistischen“. Allein diese Tatsache beweist schon, dass die Tendenz zum Verwachsen mit der Staatsgewalt nicht aus dieser oder jener Doktrin, sondern aus allgemein gesellschaftlichen Bedingungen entspringt, denen alle Gewerkschaften in gleicher Weise unterworfen sind.

Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben ganz von derselben Höhe wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen.

Trotzkis Analyse war sehr weitsichtig. Die „Tendenz zum Verwachsen“ der Gewerkschaften mit dem Staat und den kapitalistischen Konzernen setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Die globale Integration der Weltwirtschaft und die transnationalen Produktionsprozesse entzogen den Gewerkschaften den nationalen Boden, auf dem sie Druck für begrenzte Sozialreformen ausüben konnten. Das führte zu ihrer endgültigen Verwandlung. Statt den Konzernen Zugeständnisse abzuringen, wurden sie zu Anhängseln des Staats und der Unternehmen, die den Arbeitern Zugeständnisse in Form von Lohnsenkung und Sozialabbau abpressen.

Die Unterstützung von Aufrüstung und Krieg zur Sicherung von Rohstoffversorgung, Absatzmärkten und Zugang zu billigen Arbeitskräften ist die logische Fortsetzung dieser nationalistischen Politik.

Nicht zufällig ergreift die Bundesregierung – und auch die Regierungen anderer Länder – gezielte Maßnahmen und Gesetzesinitiativen, um die Gewerkschaften und ihre betrieblichen Institutionen zu stärken. Die Kontrolle der Gewerkschaften über die Arbeiterklasse ist kriegsrelevant. Der Kampf gegen Krieg erfordert deshalb den Bruch mit den nationalistischen Gewerkschaften und den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees.

Der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees gewinnt jetzt große Bedeutung, um den wachsenden Widerstand gegen soziale Angriffe, gegen die Durchseuchung mit Corona und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs miteinander zu verbinden und eine globale Gegenoffensive einzuleiten.

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