Die srilankische Regierung von Präsident Gotabhaya Rajapaksa verfügt weiterhin über eine instabile, hauchdünne Mehrheit im Parlament. Gleichzeitig breiten sich die Proteste gegen die Regierung, angetrieben von dramatischer Knappheit bei Lebensmitteln, Treibstoff, Medikamenten und Strom, weiter aus. Die arbeitende Bevölkerung muss stundenlang für lebensnotwendige Grundgüter anstehen sowie exorbitante und immer weiter steigende Preise zahlen.
Am Dienstag wurde das Parlament einberufen, nachdem zuvor das gesamte Kabinett bis auf Premierminister Mahinda Rajapaksa, der Bruder des Präsidenten, zurückgetreten war. Zuvor hatte Präsident Rajapaksa am Montag die drei großen Oppositionsparteien dringend aufgefordert, sich an einem neuen Kabinett zu beteiligen. Die drei Parteien – die Samagi Jana Balavegaya (SJB), die Tamil National Alliance (TNA) und die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) – hatten seinen Appell rundheraus zurückgewiesen.
Die Regierungskoalition zerbricht unter dem Druck der Massenproteste, die den Rücktritt des Präsidenten und der Regierung fordern. Gruppen von Abgeordneten der Regierungspartei und kleinerer Koalitionspartner kündigten am Dienstag an, aus der Regierung auszutreten und ihr Mandat als „unabhängige“ Abgeordnete fortzusetzen.
Dazu gehören 12 Abgeordnete von Rajapaksas eigener Partei, der Sri Lanka Podujana Peramuna, 16 von zehn kleineren Parteien, 14 von der Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und zwei vom Ceylon Workers Congress, der seine Basis unter Plantagenarbeitern hat. Folglich verfügt die Regierung – zumindest am Dienstag – nur noch über 114 der 225 Sitze im Parlament.
Präsident Rajapaksa hat die Forderungen der Demonstranten nach seinem Rücktritt rundweg abgelehnt und stattdessen angeboten, diejenige Partei zur neuen Regierung zu ernennen, die im Parlament eine Mehrheit vorweisen kann. Das ist ein verzweifeltes und zynisches Angebot an die Oppositionsparteien. Als Exekutivpräsident hätte Rajapaksa weiterhin enorme Befugnisse, u.a. könnte er jederzeit die Regierung entlassen.
Der Präsident weiß außerdem, dass keine der Oppositionsparteien – trotz ihres Gehabes –irgendeine Lösung für die Krise hat, außer der arbeitenden Bevölkerung weitere Belastungen aufzubürden. Alle verteidigen das kapitalistische System uneingeschränkt und stellen deshalb die Profite der Konzerne und die Rückzahlung der riesigen Auslandsschulden über die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit. Die SJB wirft der Regierung vor, sie hätte den IWF schon früher um einen Kredit anbetteln müssen – mit anderen Worten: es hätte mehr und frühere Austeritätsmaßnahmen gegeben.
Beispielhaft für die immense politische Krise der Regierung war der Rücktritt des neuen Finanzministers Ali Sabri und seines Sekretärs S.R. Artygala am Dienstag. Sabri war nur 24 Stunden zuvor mit drei anderen Ministern ernannt worden, um ein Notfallkabinett zu bilden.
Sabri, der zuvor der persönliche Anwalt des Präsidenten war, trat damit die Nachfolge von Basil Rajapaksa an, der diese Woche eigentlich zu Diskussionen über ein Rettungspaket des IWF nach Washington reisen sollte. Das Chaos im Finanzministerium und der Zentralbank, deren Gouverneur am Montag ebenfalls zurückgetreten ist, verdeutlicht die tiefe Wirtschaftskrise des Landes.
Bereits die Pandemie und die kriminelle Durchseuchungspolitik der Regierung, durch die sich Covid-19 auf der ganzen Insel ausbreiten konnte, haben das Land schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die globalen Verwerfungen in Folge des US-Nato-Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine haben die Wirtschaftskrise nochmals dramatisch verschärft.
Da die Devisenbestände des Landes zur Neige gehen, kann das Land die Importe von wichtigen Gütern nicht bezahlen. Zudem befindet es sich am Rande des Staatsbankrotts. Die Aktien- und Anleihenmärkte des Landes sind durch die eskalierende Krise ins Straucheln geraten. Am 4. April verzeichnete der All Share Price Index einen Rückgang um 32,5 Prozent seit Jahresbeginn. Bloomberg erklärte, die Börse von Colombo habe nach Russland am zweitschlechtesten abgeschnitten.
Bildungsminister und Fraktionsführer Dinesh Gunawardana forderte die Opposition im Parlament am Montag auf zu beweisen, dass sie eine Mehrheit hat und dem Präsidenten mitzuteilen, dass sie eine Regierung bilden kann. Dazu kam es jedoch nicht.
Der Parteichef und Oppositionsführer der SJB, Sajith Premadasa, forderte in einer demagogischen Rede den Rücktritt des Präsidenten und der ganzen Regierung: „Die Zeit ist gekommen, die Exekutivpräsidentschaft zu ändern. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen.“ Doch weder Premadasa noch die Führer der anderen Oppositionsparteien erklärten, was sie gegen die wirtschaftliche und soziale Krise tun würden.
Premadasas Forderung nach Änderungen der Exekutivpräsidentschaft ist ein betrügerischer Versuch, sich an die Stimmung in der Bevölkerung anzupassen, die für ein Ende der autokratischen Befugnisse des Präsidenten eintritt. Die Oppositionsparteien haben immer wieder Änderungen am System der Exekutivpräsidentschaft gefordert, aber nichts unternommen, um sie zu ändern, wenn sie an der Macht waren. Dass Premadasa keine einzige konkrete Maßnahme nennen konnte, sollte die Tatsache vertuschen, dass die SJB den Austeritätskurs nach ihrer Amtsübernahme fortsetzen würde.
Die Exekutivpräsidentschaft muss nicht nur abgeändert oder modifiziert, sondern abgeschafft werden. Rajapaksa hat umfassende Befugnisse: Er kann nicht nur Regierungen einsetzen und auflösen, sondern auch sich selbst Ministerien übertragen und per Dekret regieren. Momentan ist er auch Verteidigungsminister, was ihm die Kontrolle über den riesigen Militärapparat und die Polizei des Landes gibt.
Die SJB ist eine Mehrheitsabspaltung von der rechten United National Party, die im Jahr 1978 die Verfassung geändert hat, um die Exekutivpräsidentschaft einzuführen. Weder die SJB noch irgendeine andere Oppositionspartei hat die Absicht, die Exekutivpräsidentschaft abzuschaffen, da sie der herrschenden Klasse in Krisenzeiten wie jetzt als Mittel dient, den Staatsapparat und die Sicherheitskräfte gegen die Arbeiterklasse einzusetzen.
Am Dienstag hob Rajapaksa zwar den Ausnahmezustand auf, allerdings kann er ihn jederzeit wieder ausrufen. Ihm stehen weiterhin zahlreiche undemokratische Gesetze zur Verfügung, u.a. kann er ein Streikverbot in wichtigen Bereichen des öffentlichen Dienstes erlassen. Während er die Einsetzung einer Oppositionsregierung anbietet, die er jederzeit auflösen könnte, verhandelt er sicherlich hinter den Kulissen mit der Militärführung, zu der er engste Beziehungen unterhält.
Verteidigungsminister Kamal Gunaratna sprach am Dienstag eine kaum verhohlene Drohung an die Demonstranten aus. Er erklärte, die Sicherheitskräfte würden nicht zögern, das Gesetz gegen Gewalttäter durchzusetzen. Er warf einigen Demonstranten vor, „bewusst gewalttätige Proteste zu organisieren, um öffentliches und privates Eigentum zu beschädigen und das tägliche Leben der Menschen auf Hauptstraßen und öffentlichen Plätzen zu stören“.
Diese Äußerungen müssen als Warnung verstanden werden: Das Regime ist bereit, jeden Vorwand zu nutzen, um die Sicherheitskräfte zur Unterdrückung der landesweiten Proteste zu mobilisieren. Rajapaksa, der sich in der Präsidentschaftswahl 2019 als der starke Mann und Retter Sri Lankas inszeniert hatte, hat ehemalige und aktive Generäle auf wichtige Regierungsposten gebracht und kann diktatorische Herrschaftsformen einführen.
Die zentrale Forderung der Proteste ist der Rücktritt Rajapaksas. Dass er zurücktreten muss, steht außer Frage. Aber wer und welche Regierung würde an seine Stelle treten? Keine der Oppositionsparteien oder Parteienbündnisse verdient das Vertrauen der Bevölkerung. Sie alle haben in der Vergangenheit die Interessen des Großkapitals, der Superreichen, der ausländischen Investoren und vor allem des internationalen Finanzkapitals verteidigt.
Die Socialist Equality Party interveniert in diese Protestbewegung mit der Forderung nach der Gründung von Aktionskomitees der Arbeiter, die unabhängig von den zahllosen etablierten Parteien und Gewerkschaften agieren, welche die wachsende Streik- und Protestbewegung in den letzten zwei Jahren verraten und ausverkauft haben. Nur auf dieser Basis kann die Arbeiterklasse beginnen, ihre eigenen Klassenforderungen und eine Lösung der sozialen Krise zu entwickeln und den Massen auf dem Land und den Armen in den Städten einen Ausweg aus dem sozialen Elend aufzeigen.
Die Gründung von Aktionskomitees in allen Betrieben, Arbeitsplätzen und Arbeitervierteln bildet die Grundlage für eine Arbeiter- und Bauernregierung, die Maßnahmen zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft umsetzt und statt dem Profitstreben der wenigen Reichen den drängenden sozialen Bedürfnissen der Mehrheit gerecht wird. Der Kampf für eine solche Perspektive erfordert notwendigerweise eine Hinwendung zu den Arbeitern weltweit, die mit ähnlich drängenden Problemen konfrontiert sind und in Südasien, dem Nahen Osten, Afrika und den kapitalistischen Industrienationen einschließlich der USA bereits in den Kampf getrieben werden.