Neue Warnstreiks in Kitas und Sozialarbeit

Die Warnstreiks der letzten Tage in den Kitas und sozialen Einrichtungen zeugen von großer Unzufriedenheit im Sozial- und Erziehungsdienst. Nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie fordern die Kita-Pädagogen, Sozialarbeiter und Behindertenhelfer spürbare Entlastung, mehr Personal, Gesundheitsschutz und ein Gehalt, das der steigenden Inflation entspricht.

Warnstreikende am 7. April vor dem Offenbacher Rathaus (Bild WSWS)

Die Warnstreiks sind Teil einer wachsenden Bewegung der internationalen Arbeiterklasse. Europa- und weltweit sind Beschäftigte im öffentlichen Dienst, an den Schulen und Flughäfen, in der Pflege, der Industrie und Logistik nicht länger bereit, dauerhaften Arbeitsstress, Personalnot, Gesundheitsgefährdung und finanzielle Enge zu ertragen. Die Streiks kommen mit Protesten von Lehrern in den USA, LKW-Fahrern in Spanien, einem Generalstreik in Indien und Griechenland und einem sozialen Aufstand in Sri Lanka zusammen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst ist seit mehr als zwei Jahren überfällig. Schon Ende 2019 war der letzte, fünfjährige Tarifvertrag ausgelaufen. Die Corona-Pandemie wurde als Vorwand für die lange Verzögerung benutzt, und erst Ende Februar 2022 wurden Verhandlungen über einen neuen Vertrag aufgenommen.

Kita-Erzieherinnen fordern völlig zu Recht bessere Bedingungen, spürbare Entlastung und mehr Anerkennung, und sie haben die Sympathie der Arbeiterklasse auf ihrer Seite. Um ihre Forderungen durchzusetzen, müssen sie jedoch mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi brechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, um die Isolierung der Arbeitskämpfe zu durchbrechen und den Kampf auf andere Arbeiterschichten auszuweiten.

Verdi ist weit davon entfernt, eine wirkliche Veränderung zu erkämpfen. Im Gegenteil steht die Gewerkschaft voll auf Seiten der Ampel-Koalition und der Wirtschaftsinteressen, denen sie dient. Verdi-Chef Frank Werneke erklärte schon wenige Tage nach Ausbruch des Ukrainekriegs seine volle Unterstützung für die antirussischen Sanktionen, die seither die Preisspirale anheizen: Es sei „angemessen und notwendig, mit Sanktionen zu reagieren“, erklärte Werneke am 27. Februar in Berlin.

Seither hat die Verdi-Führung sich erneut mit der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) zusammengesetzt, um die wachsenden Konflikte im Öffentlichen Dienst der Kommunen zu kontrollieren. Am 21. und 22. März trafen sich die Verdi-Vorstände Frank Werneke (SPD) und Christine Behle (SPD) mit der VKA-Präsidentin Karin Welge (ebenfalls SPD) sozusagen unter Parteifreunden. Am 16. und 17. Mai soll die dritte und letzte Verhandlungsrunde stattfinden.

Derweil nutzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Ukraine-Krieg für die größte Aufrüstungsoffensive seit Hitler und hat 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitgestellt, während der öffentliche Dienst bluten muss. Letzteres sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (ebenfalls SPD) vor kurzem offen aus. „Die ganze Wahrheit ist: Viele Härten liegen erst noch vor uns“, drohte der Bundespräsident, als er von der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland nicht nur „Solidarität“, sondern auch „Bereitschaft zu Einschränkungen“ forderte.

Das ist der Hintergrund der derzeitigen Verdi-Taktik in der Tarifrunde des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE). Sorgfältig wird jeder Warnstreik von allen anderen Streiks, auch derjenigen der Lehrer, isoliert, um das Anwachsen des offenen Widerstands zu vermeiden. Schwammig fordert die Gewerkschaft eine „Aufwertungsrunde“, wobei sie aber keinerlei konkreten Zahlen benennt – weder in Euro und Prozent des Gehalts, noch in Form eines besseren Betreuungsschlüssels oder einer bezahlten Arbeitszeitverkürzung.

Derweil haben die Kommunalen Arbeitgeber unmissverständlich klargemacht, dass ihre Finanzen keine zusätzlichen Lasten verkraften. Alle neuen Forderungen würden „zu schweren Unwuchten im Tarifgefüge des kommunalen öffentlichen Diensts und zu überproportionalen und nicht finanzierbaren Personalkostensteigerungen führen“, so Karin Welge, die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin und VKA-Vorsitzende.

Sie hat das Amt zum 1. Januar 2022 vom bisherigen VKA-Chef Ulrich Mägde übernommen. Damit sitzt sie einer Vereinigung vor, die die Interessen von 10.000 kommunalen Arbeitgebern mit rund 2,3 Millionen Beschäftigten vertritt.

Erst im Dezember hat der Deutsche Städtetag festgestellt, dass in den Kommunen 230.000 Erzieherinnen und Erzieher und 300.000 Pflegekräfte fehlen, doch Frau Welge lehnt es ab, wie sie es nennt, Verbesserungen „mit der Gießkanne“ zu erzielen. Sie begründet es mit der Behauptung, „dass die Arbeits- und Entgeltbedingungen [im Sozial- und Erziehungsdienst] bereits 2009 und 2015 sehr deutlich angehoben worden“ seien.

In Wirklichkeit hat der Kitastreik 2015 leichte finanzielle Verbesserungen erbracht, die jedoch an den belastenden Rahmenbedingungen nichts geändert haben. Nach wie vor sind die Kindergruppen viel zu groß, grassiert der Personalmangel und wächst die Zahl der Seiteneinsteiger, während die Belastung der Fachkräfte ins Unerträgliche steigt. Hinzu kommen immer neue Pandemiewellen, die auf die bereits marode und überlastete Struktur der Einrichtungen treffen.

Und während die Regierungen alle Pandemie-Maßnahmen gerade fallenlassen, fegt das Virus mit Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante BA.2 erneut durch die Kitas. Viele Einrichtungen sind, wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern, wegen der Personalausfälle infolge der hohen Zahl an Corona-Infektionen nicht mehr in der Lage, eine reguläre Betreuung zu gewährleisten.

Zwei Erzieherinnen in Offenbach (Bild WSWS)

Im Gespräch mit der WSWS bestätigten Erzieherinnen am 7. April, während eines Warnstreiks in Offenbach, diese Missstände. „Ich bin jeden Abend todmüde und einfach nur froh, nachhause zu kommen“, sagte eine von ihnen.

Sie schilderte die zusätzlichen Belastungen infolge eines schlecht realisierten Inklusionsprogrammes. „Du hast in einer Gruppe von 20 Kindern manchmal mehrere behinderte Kinder, die besondere Pflege benötigen – aber keinerlei zusätzliches Personal“, erklärte sie. Sie fürchte, dass sie diesen Stress bis zum Erreichen des offiziellen Rentenalters nicht aushalten werde.

„Finanziell haben wir 2015 mit unserem letzten großen Streik einiges erreicht“; sagte Ulla, die im Sozialdienst arbeitet. „Aber diese Errungenschaften sind längst aufgezehrt. Gerade erleben wir die stärkste Inflation seit Jahren. Das mag für Abgeordnete im Bundestag, deren Diäten automatisch erhöht werden, noch dazu auf einer viel höheren Ebene als bei uns, kein Problem sein. Aber für uns ist es eins.“

Eine Kita-Erzieherin ergänzte: „Nach dem Streik fiel der Schlüssel – wie viele Kinder im Prinzip auf eine Erzieherin kommen – stillschweigend unter den Tisch. Das hat sich seither nur verschlechtert.“

Das bestätigte auch Michaela, die seit sieben Jahren in einer Kita arbeitet: „Wir benötigen auf jeden Fall eine Verbesserung bei den Gruppengrößen!“ Sie erklärte, dass es in ihrer Einrichtung normal sei, dass eine Fachkraft mit einer Nicht-Fachkraft eine Kindergruppe von bis zu 30 Kindern betreue. „Manchmal ist noch eine dritte Person dabei, aber das sind dann Honorarkräfte [Seiteneinsteiger]. Ich bin zum Beispiel sehr oft nachmittags ganz allein, und die Kinder werden ja auch immer später abgeholt. Wenn man mit all diesen Kindern alleine ist – da kann man praktisch gar nichts erreichen, nur noch die Kinder verwahren. Es ist einfach nur noch eine Verwahranstalt.“

Wie sie berichtete, war sie selbst vor kurzem an Corona erkrankt, obwohl sie als Risikopatientin eigentlich besonders geschützt hätte werden müssen. „Mich hat es heftig erwischt, obwohl ich geimpft und geboostert war. Wenn nun jemand Älteres auch nur annähernd so heftig erkrankt, dann kann das richtig gefährlich werden.“

Michaela sagte, sie habe bei der (inzwischen wieder kassierten) Ankündigung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach leer geschluckt: „Da sollte jeder Infizierte selbst entscheiden, ob er mit Corona zu Hause bleibt!“ Sie wies darauf hin, dass die Corona-Politik in Deutschland von Anfang an nicht konsequent durchgeführt worden war: „Die Schulen waren zwar am Anfang teilweise geschlossen, teilweise in kleinen Gruppen getrennt. Man durfte keinen Sport treiben, nicht einmal im Freien – aber die Kinder kamen zur Schule in Bussen, die gerammelt voll waren!“

Katarina, eine Offenbacher Erzieherin, ergänzte: „Jetzt hat die Regierung plötzlich hundert Milliarden Euro für die Bundeswehr. Das zeigt doch, dass genug Geld da ist.“ Sie bestätigte, dass alle Parteien diese Kriegspolitik heute unterstützen, auch die Linke. „Darüber bin ich aber gar nicht mehr so überrascht“, sagte sie. „Wir hatten ja bereits die Erfahrung mit den Grünen. Sobald sie in die Regierung aufsteigen, ist alles vorher Gesagte vergessen.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft alle Beschäftigten in den Kitas und Sozialdiensten auf, sich am Aufbau von Aktionskomitees zu beteiligen, die unabhängig von allen DGB-Gewerkschaften agieren und sich mit anderen Teilen der Arbeiterklasse, beispielsweise den Lehrkräften, vernetzen.

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