Perspektive

Nato eröffnet Nordfront im Krieg gegen Russland

Am 16. Mai gaben Schweden und Finnland das Ende ihrer jahrzehntelangen Neutralität bekannt und erklärten ihre Absicht, der Nato beizutreten und an deren eskalierendem Konflikt mit Russland mitzuwirken.

Kaum drei Wochen später ist die schwedische Hauptstadt Stockholm zur Marinegarnison geworden. Ein US-Amphibienkampfverband hat im Hafen festgemacht, bestehend aus dem Angriffsschiff USS Kearsarge, dem Docklandungsschiff USS Gunston Hall, dem Lenkwaffenzerstörer USS Gravely und dem Kommandoschiff USS Mount Whitney.

Schiffe, die am Manöver BALTOPS22 teilnehmen, bereiten sich auf das Auslaufen aus Stockholm vor, 5. Juni 2022 (Quelle: US Navy)

Die Kearsarge ist ein so gewaltiges Kriegsschiff, dass es in jeder anderen Flotte als der US-Marine als Flugzeugträger eingestuft würde. Auf ihrem Deck erklärte Stabschefs Mark Milley seine Absicht, die Ostsee zu einem „Teich der Nato“ zu machen, wie die New York Times berichtete.

Schweden war seit den napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts offiziell bündnisfrei und hatte sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg Neutralität gewahrt.

Nun ist das Land innerhalb weniger Wochen zu einer neuen Front im Krieg der USA mit Russland geworden. Die schwedischen Städte sind nicht nur Schauplatz einer massiven US-Nato-Militärpräsenz, sondern – nicht minder bedrohlich - auch potenzielle Angriffsziele russischer Langstreckenwaffen.

Indem sie auf den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato drängten, haben die Vereinigten Staaten eine zweite Front im Krieg gegen Russland eröffnet und die gesamte Ostseeregion in ein Pulverfass verwandelt.

Die Ankunft der Schiffe war Teil der Übung BALTOPS 22, an der nach Angaben der Nato „vierzehn Nato-Verbündete, zwei Nato-Partnerstaaten, über 45 Schiffe, mehr als 75 Flugzeuge und etwa 7.000 Personen“ beteiligt sind. Großbritannien hat den Zerstörer HMS Defender entsendet, der im Juni 2021 in die Gewässer um die Halbinsel Krim eingefahren war und dort eine Konfrontation auslöste, die zum Abwurf von Bomben durch russische Streitkräfte in Fahrtrichtung des Schiffs führte.

US-Vertreter lassen keinen Zweifel daran, dass die Militärübung ausschließlich im Rahmen des aktuellen Konflikts mit Russland zu verstehen ist.

„Bei früheren Versionen von BALTOPS haben wir über die Bewältigung der Herausforderungen von morgen gesprochen“, sagte Vizeadmiral Gene Black, Kommandeur der Striking and Support Forces der Nato (STRIKFORNATO) und der Sechsten Flotte der USA. Und weiter: „Diese Herausforderungen stehen vor uns - hier und jetzt.“

Unter dem Vorwand des Kriegs in der Ukraine wollen die USA die Landgrenze der Nato mit Russland durch die Einbeziehung Finnlands auf das Doppelte verlängern.

Die USA setzen damit lang gehegte Pläne in die Tat um, mit denen die gesamte Region zu einer Frontlinie im Krieg gegen Russland wird. Damit droht sich in noch größerem Ausmaß das Muster zu wiederholen, nach dem die Ukraine nach dem Putsch 2014 in ein US/Nao-Gebiet verwandelt wurde, hochgerüstet mit Waffen im Wert von Milliarden Dollar.

Diese Entwicklung hat schreckliche Folgen für die Menschen in der Ukraine. Zehntausende sind bereits ums Leben gekommen, und Millionen von Menschen sind durch den Krieg allein in diesem Jahr vertrieben wurden.

Mit dieser Entwicklung werden die weitreichenden Ziele der Kriegsbefürworter auf Seiten der USA und der Nato-Staaten immer deutlicher. Sie gehen weit über das von der Ukraine erstmals 2021 verkündete Ziel hinaus, die Krim mit militärischen Mitteln zurückzuerobern. Die Vereinigten Staaten und die Nato versuchen, die vollständige Kontrolle über die Ostsee und das Schwarze Meer zu erlangen, um Russland zu zerschlagen.

Entsprechend äußerte sich kürzlich Casey Michel vom Thinktank Hudson Institute, das vom Atomkriegsbefürworter Herman Kahn gegründet wurde. In der Zeitschrift The Atlantic bezog sich Michel zustimmend auf den Vorschlag von Ex-US-Verteidigungsminister Dick Cheney aus dem Jahr 1991, „nicht nur die Sowjetunion und das russische Imperium, sondern auch Russland selbst zu demontieren, damit das Land nie wieder eine Bedrohung für den Rest der Welt darstellen kann“.

Michel kommt zu dem Schluss: „Anstatt Russlands imperiale Bestrebungen zu unterdrücken, als sie die Gelegenheit dazu hatten, haben Bush und seine Nachfolger einfach nur zugesehen und das Beste gehofft. Diesen Luxus haben wir nicht mehr. Der Westen muss das 1991 begonnene Projekt abschließen. Man muss die vollständige Dekolonialisierung Russlands anstreben.“

Wenn sie von der „Demontage“ Russlands sprechen, senden die US-Medien folgende Botschaft aus: Das Ziel des Krieges ist nicht nur der Sturz der gegenwärtigen Regierung, sondern die systematische Zerstörung und Zerstückelung Russlands und die Ausgliederung seiner strategischen Bodenschätze und petrochemischen Ressourcen.

Seit der Unterzeichnung eines 40-Milliarden-Dollar-Waffenpakets für die Ukraine am 21. Mai haben die Vereinigten Staaten weitere 700 Millionen Dollar für Waffen angekündigt sowie die Stationierung von M109-Panzerartillerie, Harpoon-Schiffsabwehrraketen und Mittelstreckenraketen, die Ziele in 50 Meilen Entfernung treffen können.

Am Wochenende führte Russland Luftangriffe auf Panzer in Kiew durch, die laut Moskau von Nato-Mitgliedern bereitgestellt wurden. Die Luftangriffe wurden von Flugzeugen über dem Kaspischen Meer geflogen und demonstrierten Russlands Fähigkeit, Ziele in Hunderten Kilometern Entfernung anzugreifen.

Letzte Woche deutete der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew gegenüber Al Jazeera an, dass Russland Nato-Territorium angreifen würde, wenn die von den USA und der Nato gelieferten Waffen innerhalb Russlands eingesetzt würden.

„Wenn ... diese Waffen gegen russisches Territorium eingesetzt werden, haben unsere Streitkräfte keine andere Wahl, als die Entscheidungszentren anzugreifen“, erklärte Medwedew. „Natürlich muss man wissen, dass die endgültigen Entscheidungszentren in diesem Fall leider nicht auf dem von Kiew kontrollierten Territorium liegen.“

Man kann sich der Schlussfolgerung nicht entziehen, dass die Vereinigten Staaten einen Angriff wie den von Medwedew beschriebenen begrüßen würden, denn dies würde alle verbleibenden Hemmnisse für einen umfassenden Krieg beseitigen.

Die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des US-Imperialismus sind zwar ein wichtiger Faktor in diesem Konflikt, aber der rücksichtslose Charakter der US-Nato-Politik ist nicht nur mit Blick auf Geopolitik zu verstehen.

Die herrschende Klasse Amerikas braucht den permanenten Kriegszustand, um die inneren sozialen Spannungen nach außen zu tragen und eine fiktive „nationale Einheit“ zu erzwingen. Inzwischen ist klar, dass die Beendigung des „ewigen Krieges“ in Afghanistan durch die Regierung von US-Präsident Biden Teil einer Neuausrichtung war – und dieser neue Fokus bedeutet Krieg gegen Russland und China.

Gleichzeitig bedeutet und erfordert die Verwandlung des „Kriegs gegen den Terror“ in einen „Großmachtkonflikt“ einen verschärften Angriff auf die Arbeiterklasse. Alle verfügbaren Ressourcen, die nicht für die Rettung der Wohlhabenden nötig sind, werden in die Kriegskasse gelenkt. Die vom Kongress bereitgestellten enormen Summen müssen von der Arbeiterklasse bezahlt werden, insbesondere durch Kürzungen bei Sozialprogrammen und anderen Staatsausgaben.

Am Wochenende veröffentlichten sowohl die Washington Post als auch das Wall Street Journal, die Hausorgane der Demokratischen bzw. der Republikanischen Partei, Leitartikel, in denen sie Kürzungen bei den Sozialleistungen forderten. Das Journal schlägt vor, dass Millionen von Menschen aus Medicaid, dem Krankenversicherungsprogramm für Arme, herausgenommen werden. Die Washington Post fordert eine „bescheidene“ Kürzung der Sozialversicherungsleistungen.

Doch die von diesen Zeitungen vorgeschlagenen Sparmaßnahmen sind nur der Anfang. Das Welteroberungsprojekt der amerikanischen herrschenden Klassegeht mit einer massiven Umstrukturierung der gesellschaftlichen Beziehungen einher: Die Arbeiterklasse soll die gesamte Last der Krise des Kapitalismus tragen. Gleichzeitig tritt mit der Zuspitzung des Klassenkampfs, die mit der Ausweitung des Kriegs einhergeht, eben jene soziale Kraft hervor, die gegen den Krieg mobilisiert werden muss: die Arbeiterklasse.

In den gesamten Vereinigten Staaten kämpfen Arbeiter für Lohnerhöhungen, die den steigenden Preisen angemessen sind. Dies muss zusammengeführt werden mit einem Programm zur Beendigung des Kriegs, der zunehmend außer Kontrolle gerät und die menschliche Zivilisation zu zerstören droht.

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