Die Entscheidung der britischen Innenministerin Priti Patel vom Freitag, Julian Assange an die USA auszuliefern, hat unter Bürgerrechtlern und Menschenrechtsaktivisten scharfe Kritik hervorgerufen. Sie betrachten sie als großen Schritt in Richtung einer rechtlosen Politik, die das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen tritt.
Vorbehaltlich weiterer Rechtsmittel läuft Patels Anordnung auf ein Todesurteil hinaus. Die britische Justiz gibt Assange direkt in die Hände des US-Militärs und der Geheimdienste, die ihn seit mehr als zehn Jahren zu vernichten versuchen. Assange soll in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis schmoren, aus dem er nie wieder auftauchen wird. Sein einziges „Verbrechen“ besteht darin, die illegalen Kriege, den massenhaften Lauschangriff und die globalen diplomatischen Verschwörungen des US-Imperialismus aufgedeckt zu haben,
Das Innenministerium hat eine kurze Erklärung herausgegeben, die die offene Kriminalität des US-amerikanisch-britisch-australischen Rachefeldzugs gegen Assange auf den Punkt bringt. „In diesem Fall haben die britischen Gerichte nicht festgestellt, dass es repressiv, ungerecht oder ein Missbrauch des Verfahrens wäre, Herrn Assange auszuliefern“, heißt es dort. Deshalb sei Patel verpflichtet gewesen, die Anordnung zu genehmigen.
Auf einer Pressekonferenz nach Bekanntgabe des Beschlusses widersprach Assanges Anwältin Jennifer Robinson diesen offiziellen Lügen. Sie wies auf die Verbrechen hin, deren sich die USA bei Assanges Verfolgung schuldig gemacht haben: „Beschlagnahmung von rechtlich privilegiertem Material, widerrechtliche Bespitzelung Assanges, seines Anwaltsteams und seiner Familie, wie auch völlig illegale Pläne, ihn zu entführen oder umzubringen.“ Es sei „schwer vorstellbar“, dass je bei einem Fall mehr Gesetze missachtet worden seien.
Das Auslieferungsverfahren dauert bereits über zwei Jahre, und in dieser Zeit war die Haltung der britischen Justiz diejenige der drei Affen, die nichts Böses sehen, hören oder sagen wollen.
Die massive und illegale Spionageoperation, die der US-Geheimdienst CIA gegen Assange betrieben hat, während er politischer Flüchtling in der Botschaft Ecuadors war, ist durch Video- und Fotobeweise wohl belegt. Dennoch hat sie bei den Gerichtsverhandlungen so gut wie keine Spuren hinterlassen.
Unter dem ausspionierten Material befand sich privilegierte Kommunikation zwischen Assange und seinen Anwälten. Allein diese Tatsache hätte schon vor Jahren zu einer Ablehnung des Auslieferungsantrags führen müssen. Sie hätte gereicht, um ihre Urheber selbst vor Gericht zu bringen.
Aber die britische Justiz ließ sich davon nicht beeindrucken. Und ebenso wenig von den Enthüllungen vom vergangenen September, als 30 ehemalige US-Beamte gegenüber Yahoo! News bestätigten, dass der damalige US-Präsident Donald Trump und CIA-Direktor Mike Pompeo 2017 an Gesprächen über Assanges Entführung oder Ermordung beteiligt waren.
Die Anklageschrift, die die Grundlage für den Auslieferungsantrag bildet, stammt von Ende 2017, und wie aus dem Yahoo-Bericht hervorgeht, stand sie im Zusammenhang mit den CIA-Plänen. Falls es den CIA-Agenten gelungen wäre, Assange aus London zu entführen und nach Langley (Virginia) zu verschleppen, hätte diese außerordentliche Überstellung damit eine pseudo-legale Grundlage erhalten.
Der britische High Court wischte all dies beiseite. Er akzeptierte im vergangenen Dezember die widersprüchlichen und wertlosen diplomatischen „Zusicherungen“ der USA, dass dieselben Urheber der kriminellen Mordkomplotte heute Assange, würde er in ihre Hände fallen, nicht schlecht behandeln würden.
Praktisch bedeutet das, dass die Gerichte jetzt die Überstellungen organisieren. Die Justiz spielt, wie das gesamte politische Establishment Großbritanniens, seit über zehn Jahren die Hauptrolle dabei, Assange seiner Freiheit zu berauben. Das geht von juristischen Schikanen über Entscheidungen, sich über Präzedenzfälle und etablierte Normen hinwegzusetzen, bis hin zur schlichten Weigerung, Grundprinzipien des internationalen Rechts zu respektieren.
Während die Lynchjustiz gegen Assange weiterläuft, hat der britische Staat in einem separaten Verfahren stillschweigend eingeräumt, seine Anwältin Robinson rechtswidrig überwacht zu haben. Die spanische Zeitung El Pais berichtete letzte Woche, dass das Vereinigte Königreich das spanische Oberste Gericht daran hindere, weitere Vorwürfe der illegalen Bespitzelung von Assanges Anwaltsteam zu prüfen.
All die vielen Fälle des Missbrauchs, dem Assange schon ausgesetzt war, und der langwierige Charakter seiner Verfolgung machen diesen Fall zu einem politischen Jahrhundertverbrechen.
Auf der Pressekonferenz am Freitag sagte Stella Moris, Assanges Ehefrau, dass das britische Gerichtsverfahren dazu diene, „Julians Leiden zu verlängern“. Großbritannien, so sagte sie, „darf sich nicht an der Verfolgung im Namen einer ausländischen Macht beteiligen, die auf Rache sinnt (…) Diese ausländische Macht hat Verbrechen begangen, die Julian ans Tageslicht gebracht hat.“
„Dagegen werden wir weiterkämpfen“, versprach Moris, die versicherte, dass auch die letzte Berufung innerhalb des britischen Systems genutzt werde. Robinson erklärte, dass sich das Team dabei auf den politischen Charakter der Strafverfolgung konzentrieren und den Verstoß gegen das britisch-amerikanische Auslieferungsabkommen und den mehrfachen Missbrauch, einschließlich der CIA-Intrigen gegen Assange, in den Mittelpunkt stellen werde.
Nicht nur Moris und WikiLeaks traten vehement gegen die Entscheidung auf. Auch Mediengruppen, Journalistenverbände und internationale Menschenrechtsaktivisten sehen in Patels Entscheidung einen Frontalangriff auf grundlegende demokratische Rechte, der zum Präzedenzfall werden könnte.
Der amerikanische Whistleblower Edward Snowden, der den gigantischen Lauschangriff der NSA aufgedeckt hatte, twitterte: „Kaum zu glauben, aber das sieht real aus. Weltweit hat jede ernstzunehmende Gruppe für Pressefreiheit schon dagegen protestiert. Es ist ein entsetzliches Symbol dafür, wie tief das Engagement der britischen und amerikanischen Regierung für Menschenrechte gesunken ist.“
Der bekannte australische Enthüllungsjournalist John Pilger schrieb: „Innenministerin Priti Patel hat die Auslieferung von Julian #Assange an ein amerikanisches Höllenloch genehmigt. Ein neuer Appell fordert jetzt die politische Verkommenheit der britischen ‚Justiz‘ heraus. Entweder wir erheben unsere Stimmen wie nie zuvor, oder unser Schweigen trägt zum Tod eines heldenhaften Mannes bei.“
Assanges anhaltende Verfolgung ist Teil eines Kriegs gegen die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse. Und er geht Hand in Hand mit dem jüngsten Ausbruch des Militarismus auf der ganzen Welt.
Die Regierungen, die die Kampagne gegen Assange anführen, bereiten mit ihrem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine und den Vorbereitungen auf einen Konflikt mit China noch größere Kriegsverbrechen vor. All diese Regierungen haben während der Pandemie massenhaft Krankheit und Tod verantwortet; sie haben die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona als unannehmbar für die Unternehmensgewinne verweigert. Heute sind sie dabei, eine beispiellose globale Inflation auf den Rücken der arbeitenden Bevölkerung abzuwälzen.
All dies führt zu einer erheblichen Verschärfung des Klassenkampfs. Das Komplott gegen Assange soll als Präzedenzfall dienen, um die weit verbreitete Anti-Kriegs-Stimmung zu unterdrücken und gegen die Kämpfe der Arbeiterklasse vorzugehen. Diese Kämpfe richten sich in wachsendem Maß gegen Krieg, Sparkurs und die extrem nachlässige Corona-Politik.
Das politische Establishment ist sich einig. In den USA sind sich Republikaner und Demokraten bei Assanges Verfolgung einig, und Biden versucht, den Mord zu vollenden, den Trump offensichtlich ausgeheckt hat. Im Vereinigten Königreich gibt es nicht den geringsten Unterschied zwischen der verkommenen Tory-Regierung und der Opposition der von Keir Starmer angeführten Labour Party. Als damaliger Leiter der Staatsanwaltschaft war Starmer von Anfang an eng in die Kampagne gegen WikiLeaks eingebunden.
Am klarsten zeigt sich in Australien, dass sich weltweit alle kapitalistischen Regierungen in den Rachefeldzug gegen Assange einreihen. Es ist Teil ihrer Hinwendung zu autoritären Herrschaftsformen.
In Australien hat im letzten Monat eine Labor-Regierung das Amt angetreten. Seither hat sich der neue Premier Anthony Albanese schon als Kampfhund der USA geoutet, der die amerikanische Konfrontation mit China im Indopazifik unterstützt. Gleichzeitig hat Albanese die Notwendigkeit umfassender Sparmaßnahmen und anderer wirtschaftsfreundlicher Schritte verkündet.
Obwohl Julian Assange australischer Staatsbürger ist, weist die australische Regierung alle Forderungen zurück, sich für seine Freilassung einzusetzen. In einer Erklärung vom 17. Juni haben Außenministerin Penny Wong und Generalstaatsanwalt Mark Dreyfus den britischen Auslieferungsbeschluss schlicht „zur Kenntnis genommen“.
In einer Formulierung, die mit der der vorherigen liberal-nationalen Regierung identisch ist, stellt Labor fest: „Die australische Regierung ergreift im Fall von Herrn Assange nicht Partei, und sie kann sich auch nicht in die rechtlichen Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen.“
Mit anderen Worten: Die britischen Gerichte dürfen Assange aufhängen, und man wird es „zur Kenntnis nehmen“. Diese Aussage, die darauf hinausläuft, die Verschwörung gegen einen australischen Journalisten abzusegnen, steht im Widerspruch zu Dutzenden von Präzedenzfällen, in denen australische Regierungen ihre Verpflichtung gegenüber verfolgten Bürgern im Ausland erfüllt haben.
Es zeigt einmal mehr, dass Assanges Befreiung nicht durch klägliche Appelle an die Mächtigen oder hoffnungslose Illusionen in die Labour Party oder einen anderen Teil des politischen Establishments gewonnen werden kann.
Wie der Kampf gegen Krieg, gegen die sozialen Angriffe und die Zerschlagung demokratischer Rechte hängt auch die Verteidigung Assanges von der unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse ab. Das politische Establishment des Kapitalismus drängt nach rechts. Wie Patels Ankündigung zeigt, ist es das Gebot der Stunde, den Kampf um Assanges Freiheit jetzt mit der wachsenden Bewegung der Arbeiterklasse zu verbinden.