Frankreich: Wahlen enden mit parlamentarischem Patt und einem Debakel für Macron

In der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen am Sonntag konnte Präsident Emmanuel Macrons Koalition Ensemble („Zusammen“) keine Mehrheit in der Nationalversammlung erzielen. Das Ergebnis, das mit einer Welle von Streiks und Protesten gegen die Inflation zusammenfällt, ist eine empfindliche Niederlage für Macron. Zum ersten Mal seit 1988 konnte die Partei des Präsidenten bei Parlamentswahlen, die unmittelbar auf eine Präsidentschaftswahl folgen, keine absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze erzielen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz in Aubersvilliers nördlich von Paris am 17. März 2022 während des Präsidentschaftswahlkampfs (AP Photo/Thibault Camus)

Laut den Zahlen des Innenministeriums von Montagmorgen erhielt Ensemble 246 Sitze, Jean-Luc Mélenchons NUPES-Koalition 142, Marine Le Pens neofaschistischer Rassemblement National (RN) 89 und die rechten Republicains 64. Die Stimmenthaltung erreichte mit 54 Prozent einen Rekordwert.

Macron war im Wahlkampf mit einem arbeiterfeindlichen Programm angetreten, das u.a. die Erhöhung des Rentenalters um drei Jahre auf 65, höhere Studiengebühren und Arbeitszwang für Leistungsempfänger vorsieht. Vor dem Hintergrund der Streiks an Flughäfen, im Gesundheitswesen, bei den Lastwagenfahrern und im öffentlichen Nahverkehr, die sich gegen die steigenden Preise richten und Lohnerhöhungen und mehr Kaufkraft fordern, war das Ergebnis ein Desaster.

Führende Kandidaten von Ensemble erlitten demütigende Niederlagen. Der ehemalige Innenminister und Fraktionsvorsitzende von Macrons La Republique en Marche (LREM), Christophe Castaner, verlor im Wahlkreis Alpes-de-Haute-Provence gegen den NUPES-Kandidaten Léo Walter. Der ehemalige Sprecher der Nationalversammlung und LREM-Parteichef, Richard Ferrand, wurde in der Region Finistère in der Bretagne geschlagen.

Mehrere Minister der Übergangsregierung, die Macron nach den Präsidentschaftswahlen am 24. April eingesetzt hatte, wurden ebenfalls nicht wiedergewählt. Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon, Seeministerin Justine Benin und Umweltministerin Amélie de Montchalin erlitten allesamt Niederlagen und müssen nun die Regierung verlassen. Premierministerin Elisabeth Borne setzte sich mit 52 Prozent der Stimmen knapp gegen den jungen und unbekannten NUPES-Herausforderer Noé Gauchard durch.

Der ehemalige Gesundheitsminister Olivier Véran erklärte in einem Interview mit dem Fernsehsender TF1, dass Macron es, obwohl er keine Mehrheit erzielt hat, schaffen werde, seine Sozialkürzungen durchzusetzen: „Wir werden sehr schnell eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zusammenstellen. Wir werden sehen, wie die Bedingungen dafür sein werden... Andere Parlamentsfraktionen werden uns genug Stimmen geben, um die Reformen vorzulegen und zu verabschieden.“

Der Vorsitzende der LR-Parlamentsfraktion Christian Jacob kündigte an, seine Abgeordneten würden Macrons Agenda nicht unterstützen: „Was uns betrifft, so haben wir als Opposition Wahlkampf gemacht, wir sind in der Opposition und werden in der Opposition bleiben.“

Mélenchon, dessen NUPES-Koalition jetzt die wichtigste Oppositionspartei im Parlament ist, sprach von einem „vollständigen Debakel der Partei des Präsidenten“.

Mélenchon wiederholte sein Argument, Frankreich sei nun in drei Lager polarisiert – Macrons „Liberale“, die extreme Rechte und seine „Volks“-Partei. Er erklärte: „Frankreich hat sich, man muss es sagen, unzureichend ausgedrückt, weil sich noch viel zu viele enthalten haben. Das bedeutet, ein Großteil Frankreichs weiß nicht, in welche Richtung es sich bewegen soll, und die drei Blöcke liegen auf ähnlichem Niveau.“

Er kritisierte Macrons Partei dafür, dass sie sich nicht eindeutig für die Wahl von NUPES gegen RN-Kandidaten ausgesprochen hatte und dem RN damit zu seinem Rekordergebnis verhalf: „Es ist das Versagen des Macronismus, das moralische Versagen derjenigen, die alle belehrt haben. Sie haben den RN stärker gemacht. Die Macronisten haben uns belehrt, aber sie waren nicht in der Lage, in 52 Bezirken eine klare Wahlempfehlung abzugeben. Das bedeutet, sie können uns überhaupt keine moralischen Lektionen erteilen.“

Mélenchon gewann viele Stimmen aufgrund seiner Versprechen, das Rentenalter wieder auf 60 Jahre herunterzusetzen, die Preise einzufrieren und Macrons unsozialen Kurs zu bekämpfen. Allerdings ist auch klar, dass seine gesamte Perspektive für die Parlamentswahlen gescheitert ist. Sie beruhte darauf, den Klassenkampf zu ignorieren, und versuchte nicht, seine Millionen Wähler aus der Arbeiterklasse zu Massenprotesten oder Streiks zu mobilisieren. Er hatte erklärt, er würde seine sozialen Pläne durchsetzen können, wenn er eine Mehrheit in der Nationalversammlung gewänne und Premierminister würde.

Die Umfragen zeigten zwar stets, dass NUPES keine Mehrheit erlangen würde, doch Mélenchon behauptete dennoch, sein parlamentarisches Agieren würde Macrons Kürzungen verhindern und eine progressivere Regierung durchsetzen.

Das Patt im Parlament zeigt die rapide Eskalation der politischen Spannungen in Frankreich und der Welt. Sie deuten auf eine langwierige Krise hin, da Macron Unterstützung für seine gesetzgeberischen Ziele gewinnen muss – vielleicht von LR oder von Mélenchons NUPES. Gleichzeitig lenkt die herrschende Klasse enorme Unterstützung und Mittel zu den Neofaschisten und mit ihnen verbündete Elemente des Offizierskorps, die für die innenpolitische Repression den Einsatz des Militärs in Frankreich gefordert haben.

Le Pen lobte ihre Parlamentsfraktion und erklärte, sie sei „die bei weitem größte in der Geschichte unserer politischen Tendenz... Das Volk hat beschlossen, eine sehr starke Fraktion von Rassemblement National in die Nationalversammlung zu schicken.“ Sie kündigte offen an, sie wolle die Macht übernehmen, sobald Macrons Amtszeit vorbei ist.

Sie bezeichnete die neu gewählten RN-Abgeordneten als die „Avantgarde der neuen politischen Elite, die die Macht übernehmen wird, sobald das Abenteuer mit Macron endet“, und erklärte: „Wir haben die drei Ziele erreicht, die wir uns gesetzt haben: Emmanuel Macron zu einem Minderheitspräsidenten zu machen, ... zu versuchen, die notwendige politische Umgestaltung durchzuführen... und eine lebensfähige Oppositionsgruppe sowohl gegen die Dekonstrukteure von oben, die Macronisten, als auch gegen die Dekonstrukteure von unten, die antirepublikanische extreme Linke, aufzubauen.“

Das Patt im Parlament, der Zusammenbruch von Macrons Partei und das rasante Anwachsen sowohl der extremen Rechten als auch von Mélenchons Partei sind die Vorboten dafür, dass sich die unversöhnlichen politischen Konflikte und die Klassenkonflikte in Frankreich und ganz Europa zuspitzen.

Frankreich und die gesamte Nato führen in der Ukraine einen rücksichtslosen Stellvertreterkrieg gegen Russland, und Macron hat Requirierungen in der französischen Industrie gefordert und verlangt, den Arbeitern eine „Kriegswirtschaft“ aufzuzwingen. Gleichzeitig löst der explosive Anstieg der Inflation einen Aufschwung der Klassenkämpfe in der ganzen Region aus. In Tunesien und Italien kam es letzte Woche zu landesweiten Streiks im öffentlichen Dienst, diese Woche wird es ähnliche Streiks in Marokko und Belgien geben, und die Flughäfen werden in ganz Europa bestreikt. In Frankreich bereiten Lastwagenfahrer und Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs in den nächsten zwei Wochen eine Streikwelle vor.

Dass Mélenchon keine nennenswerten Proteste mobilisieren oder, wie er behauptet hatte, Premierminister werden konnte, muss als Warnung verstanden werden. Die herrschende Klasse reagiert auf die explosionsartige Welle von Klassenkämpfen in Frankreich und ganz Europa, indem sie Law-and-Order-Politiker wie Macron und Anhänger rechtsextremer Unterdrückung wie Le Pen fördert. Mélenchon selbst, der zu den Putschdrohungen von General Pierre de Villiers und seinem Gefolge fast völlig geschwiegen hat, hat auch keine Perspektive für einen Kampf gegen sie aufgezeigt.

Stattdessen hat er Macron unterstützt, als dieser nach Kiew reiste, um der Ukraine militärische Unterstützung zuzusichern und in Frankreich eine „Kriegswirtschaft“ für den Krieg gegen Russland einzuführen. Gegenüber France Bleu erklärte Mélenchon: „Ich möchte mich zuerst [Macrons] Botschaft der Solidarität mit der Ukraine anschließen. Ich habe das während des gesamten Präsidentschaftswahlkampfs getan. Ich halte es für richtig, dass der Präsident daran erinnert, auf welcher Seite die Franzosen stehen – alle, ohne Ausnahme.“ Diese Kapitulation vor Macrons imperialistischen Kriegsargumenten bereitet den Boden für eine vollständige Kapitulation vor Macron.

Die Lösung für die zunehmende Krise des Kapitalismus findet sich nicht im französischen Parlament oder in den Manövern von Mélenchon und der französischen Gewerkschaftsbürokratie, sondern im globalen Klassenkampf. Eine mächtige und wachsende Streikbewegung wehrt sich gegen Massenverarmung durch Inflation und die wachsende Gefahr eines offenen Kriegs zwischen den großen Atommächten.

Der Weg vorwärts besteht darin, innerhalb dieser entstehenden Bewegung die Notwendigkeit der internationalen Vereinigung der Arbeiterklasse deutlich zu machen. Dies muss eine Bewegung sein, die gegen imperialistischen Krieg und für den sozialistischen Übergang der Staatsmacht an die Arbeiterklasse kämpft.

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